"Ich persönlich würde davor warnen, es zu einem ganz überstürzten Truppenabzug kommen zu lassen"
Der Chef des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, Ulrich Post, fordert die westlichen Länder auf, Hilfsorganisationen in Afghanistan nach einem Truppenabzug in größerem Ausmaß zu unterstützen.
Marcus Pindur: Mit einem Festakt in Hannover werden heute wieder Bundeswehrsoldaten in ihren Einsatz nach Afghanistan verabschiedet. Solche Anlässe wird es in Zukunft weniger geben, denn schon ab Ende dieses Jahres soll die Zahl der Bundeswehrsoldaten reduziert werden.
Gleichzeitig sollen in den nächsten vier Jahren die afghanischen Sicherheitskräfte so trainiert und ausgerüstet werden, dass sie für die Sicherheit im Lande sorgen können. Zur Stabilität und zur Sicherheit in Afghanistan, da sind sich alle einig, tragen maßgeblich die Hilfsorganisationen und der Aufbau des Landes bei.
Ich begrüße jetzt Ulrich Post, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen. Guten Morgen, Herr Post!
Ulrich Post: Guten Morgen!
Pindur: Wie bereiten sich denn die Hilfsorganisationen auf den Abzug der ausländischen Truppen vor?
Post: Na ja, die Hilfsorganisationen merken ja schon sehr genau, dass es Machtverschiebungen in Afghanistan gibt, dass sich die Aufständischen, die Taliban und andere langsam darauf vorbereiten, einen Teil der politischen Verantwortung zu übernehmen. Das merken wir insbesondere dadurch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in zunehmendem Maße entführt worden sind im vergangenen Jahr, es gab da einen Anstieg um über 70 Prozent an den Führungen.
Die sind alle glimpflich ausgegangen, aber es war interessant zu hören, was die Kolleginnen und Kollegen alles gefragt worden sind, und wir stellen fest: Die Taliban möchten sich einen Überblick über die Situation verschaffen, sie möchten genau wissen, was die Hilfsorganisationen tun, was sie können, ob sie religiös motiviert sind und ob sie politisch unabhängig sind. Es handelte sich bei den Kolleginnen und Kollegen alles um afghanische Mitarbeiter, die dann nach acht bis zehn Tagen wieder freigelassen worden sind.
Pindur: Sind das Ihre größten Sorgen, die jetzt mit dem Abzug verbunden sind, oder gibt es auch noch darüber hinausgehende Sorgen, die Sie haben?
Post: Also die Sorge um unser Personal steht natürlich im Vordergrund, das ist klar. Ich persönlich würde davor warnen, es zu einem ganz überstürzten Truppenabzug kommen zu lassen, weil dadurch dann ein Machtvakuum entstehen würde, in das Leute reinkommen, die es besser nicht tun sollten.
Pindur: Gibt es denn eine Koordination der Arbeit der Hilfsorganisationen und der ISAF?
Post: Nein, eine Koordination zwischen Militäreinsätzen oder militärischer Strategie und der Strategie der Hilfsorganisationen gibt es nicht.
Pindur: Gibt es keinen Zusammenhang denn zwischen dem Einsatz von Hilfsorganisationen und der Sicherheit, die ja letztendlich von der ISAF gewährleistet werden soll zumindest?
Post: Also es ist in der Regel in der Tat so, dass dort, wo es eine gewisse Sicherheit gibt, natürlich die Arbeits- und Hilfsorganisation leichter ist. Nun ist es, muss man aber leider sagen, dass dort, wo Militär stationiert ist, nicht notwendigerweise die Sicherheit erhöht worden ist. Ich habe gerade von den Entführungen berichtet, die fanden alle im Norden statt, und dort ist tatsächlich ISAF auch stationiert.
Pindur: Manchmal hieß es auch von den Hilfsorganisationen, das, was Sie gerade sagen: Der Schutz durch ausländisches Militär, mache die Entwicklungshelfer eher dann noch zu Zielen der Taliban als sie zu schützen. Birgt dieser Abzug vielleicht auch neue Chancen für die Entwicklungsarbeit?
Post: Das wird er mit Sicherheit, weil die Afghanen einfach gezwungen sind, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, und das ist glaube ich der zentrale Knackpunkt in der weiteren Strategie der westlichen Länder und aber auch uns von unseren Hilfsorganisationen für Afghanistan nach dem Abzug der Truppen: Die Afghanen müssen einfach selber mehr eigene Verantwortung übernehmen, und das ist natürlich immer eine gute Voraussetzung für die Arbeit von Hilfsorganisationen, wenn Leute selber initiativ werden.
Pindur: Wenn Sie eine selbstkritische Bilanz Ihres Engagements, also des Engagement der Hilfsorganisationen ziehen in Afghanistan – was wären denn dann die wichtigsten Punkte? Diese Eigeninitiative ist ja schon so ein Punkt, wo Sie sagen, da hätten wie vielleicht mehr machen müssen, da hätten wir mehr Druck ausüben sollen.
Post: Also die Hilfsorganisationen sind ja auch nicht vor den Fehlern gefeit, genauso wenig wie die Regierungen und das Militär. Ich glaube, dass wir auch gewisse Flausen im Kopf gehabt haben, als unser Engagement in Afghanistan anfing, und wir geglaubt haben in der Tat, dass Afghanistan irgendwann mal so eine Demokratie nach westlichem Muster werden könnte mit einer starken Zivilgesellschaft, also starken Verbänden, die auch mal den Mund aufmachen, ihre Regierung kritisieren und sich nicht alles gefallen lassen.
Das ist aber nicht so, und ich glaube, davor sollten wir uns hüten, uns weiterhin solche Flausen zu machen, aber auch die Regierung sollte sich hüten, solche Flausen in die Welt zu setzen. Daraus wird aus absehbarer Zeit nichts.
Pindur: Glauben Sie, dass die Nichtregierungsorganisationen denn weiter im Land bleiben werden?
Post: Die Nichtregierungsorganisationen werden, soweit das ihrem Personal gegenüber irgendwie verantwortbar ist, sicher im Land bleiben, und deswegen haben wir auch so viel Wert darauf gelegt, nicht zu eng mit dem Militär zusammenzuarbeiten, weil wir nicht verbrannt sein möchten, wenn es neue Machthaber im Land gibt.
Pindur: Haben Sie denn an die ISAF-Staaten zumindest eine Forderung für die Zeit nach dem Abzug?
Post: Ja, wichtig ist natürlich, dass weiterhin die Arbeit etwa von Hilfsorganisationen in Afghanistan unterstützt wird, und zwar in wahrscheinlich größerem Ausmaße als das im Moment gemacht wird. Dann, noch einmal, würde ich mir wünschen, dass die Regierungen es vermeiden, ihren Wählerinnen und Wählern unrealistische Flausen über Afghanistans politische Zukunft in die Welt zu setzen.
Und ich würde mir sehr wünschen, dass die Stärkung der afghanischen Eigenverantwortung für den Aufbau des Landes viel, viel stärker unterstützt wird. Das ist nicht einfach, das weiß ich.
Pindur: Vielen Dank für das Gespräch!
Post: Bitte!
Pindur: Ulrich Post, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen im Deutschlandradio Kultur.
Gleichzeitig sollen in den nächsten vier Jahren die afghanischen Sicherheitskräfte so trainiert und ausgerüstet werden, dass sie für die Sicherheit im Lande sorgen können. Zur Stabilität und zur Sicherheit in Afghanistan, da sind sich alle einig, tragen maßgeblich die Hilfsorganisationen und der Aufbau des Landes bei.
Ich begrüße jetzt Ulrich Post, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen. Guten Morgen, Herr Post!
Ulrich Post: Guten Morgen!
Pindur: Wie bereiten sich denn die Hilfsorganisationen auf den Abzug der ausländischen Truppen vor?
Post: Na ja, die Hilfsorganisationen merken ja schon sehr genau, dass es Machtverschiebungen in Afghanistan gibt, dass sich die Aufständischen, die Taliban und andere langsam darauf vorbereiten, einen Teil der politischen Verantwortung zu übernehmen. Das merken wir insbesondere dadurch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in zunehmendem Maße entführt worden sind im vergangenen Jahr, es gab da einen Anstieg um über 70 Prozent an den Führungen.
Die sind alle glimpflich ausgegangen, aber es war interessant zu hören, was die Kolleginnen und Kollegen alles gefragt worden sind, und wir stellen fest: Die Taliban möchten sich einen Überblick über die Situation verschaffen, sie möchten genau wissen, was die Hilfsorganisationen tun, was sie können, ob sie religiös motiviert sind und ob sie politisch unabhängig sind. Es handelte sich bei den Kolleginnen und Kollegen alles um afghanische Mitarbeiter, die dann nach acht bis zehn Tagen wieder freigelassen worden sind.
Pindur: Sind das Ihre größten Sorgen, die jetzt mit dem Abzug verbunden sind, oder gibt es auch noch darüber hinausgehende Sorgen, die Sie haben?
Post: Also die Sorge um unser Personal steht natürlich im Vordergrund, das ist klar. Ich persönlich würde davor warnen, es zu einem ganz überstürzten Truppenabzug kommen zu lassen, weil dadurch dann ein Machtvakuum entstehen würde, in das Leute reinkommen, die es besser nicht tun sollten.
Pindur: Gibt es denn eine Koordination der Arbeit der Hilfsorganisationen und der ISAF?
Post: Nein, eine Koordination zwischen Militäreinsätzen oder militärischer Strategie und der Strategie der Hilfsorganisationen gibt es nicht.
Pindur: Gibt es keinen Zusammenhang denn zwischen dem Einsatz von Hilfsorganisationen und der Sicherheit, die ja letztendlich von der ISAF gewährleistet werden soll zumindest?
Post: Also es ist in der Regel in der Tat so, dass dort, wo es eine gewisse Sicherheit gibt, natürlich die Arbeits- und Hilfsorganisation leichter ist. Nun ist es, muss man aber leider sagen, dass dort, wo Militär stationiert ist, nicht notwendigerweise die Sicherheit erhöht worden ist. Ich habe gerade von den Entführungen berichtet, die fanden alle im Norden statt, und dort ist tatsächlich ISAF auch stationiert.
Pindur: Manchmal hieß es auch von den Hilfsorganisationen, das, was Sie gerade sagen: Der Schutz durch ausländisches Militär, mache die Entwicklungshelfer eher dann noch zu Zielen der Taliban als sie zu schützen. Birgt dieser Abzug vielleicht auch neue Chancen für die Entwicklungsarbeit?
Post: Das wird er mit Sicherheit, weil die Afghanen einfach gezwungen sind, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, und das ist glaube ich der zentrale Knackpunkt in der weiteren Strategie der westlichen Länder und aber auch uns von unseren Hilfsorganisationen für Afghanistan nach dem Abzug der Truppen: Die Afghanen müssen einfach selber mehr eigene Verantwortung übernehmen, und das ist natürlich immer eine gute Voraussetzung für die Arbeit von Hilfsorganisationen, wenn Leute selber initiativ werden.
Pindur: Wenn Sie eine selbstkritische Bilanz Ihres Engagements, also des Engagement der Hilfsorganisationen ziehen in Afghanistan – was wären denn dann die wichtigsten Punkte? Diese Eigeninitiative ist ja schon so ein Punkt, wo Sie sagen, da hätten wie vielleicht mehr machen müssen, da hätten wir mehr Druck ausüben sollen.
Post: Also die Hilfsorganisationen sind ja auch nicht vor den Fehlern gefeit, genauso wenig wie die Regierungen und das Militär. Ich glaube, dass wir auch gewisse Flausen im Kopf gehabt haben, als unser Engagement in Afghanistan anfing, und wir geglaubt haben in der Tat, dass Afghanistan irgendwann mal so eine Demokratie nach westlichem Muster werden könnte mit einer starken Zivilgesellschaft, also starken Verbänden, die auch mal den Mund aufmachen, ihre Regierung kritisieren und sich nicht alles gefallen lassen.
Das ist aber nicht so, und ich glaube, davor sollten wir uns hüten, uns weiterhin solche Flausen zu machen, aber auch die Regierung sollte sich hüten, solche Flausen in die Welt zu setzen. Daraus wird aus absehbarer Zeit nichts.
Pindur: Glauben Sie, dass die Nichtregierungsorganisationen denn weiter im Land bleiben werden?
Post: Die Nichtregierungsorganisationen werden, soweit das ihrem Personal gegenüber irgendwie verantwortbar ist, sicher im Land bleiben, und deswegen haben wir auch so viel Wert darauf gelegt, nicht zu eng mit dem Militär zusammenzuarbeiten, weil wir nicht verbrannt sein möchten, wenn es neue Machthaber im Land gibt.
Pindur: Haben Sie denn an die ISAF-Staaten zumindest eine Forderung für die Zeit nach dem Abzug?
Post: Ja, wichtig ist natürlich, dass weiterhin die Arbeit etwa von Hilfsorganisationen in Afghanistan unterstützt wird, und zwar in wahrscheinlich größerem Ausmaße als das im Moment gemacht wird. Dann, noch einmal, würde ich mir wünschen, dass die Regierungen es vermeiden, ihren Wählerinnen und Wählern unrealistische Flausen über Afghanistans politische Zukunft in die Welt zu setzen.
Und ich würde mir sehr wünschen, dass die Stärkung der afghanischen Eigenverantwortung für den Aufbau des Landes viel, viel stärker unterstützt wird. Das ist nicht einfach, das weiß ich.
Pindur: Vielen Dank für das Gespräch!
Post: Bitte!
Pindur: Ulrich Post, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen im Deutschlandradio Kultur.