Ich sag mal: kein Problem!
Es gibt Redensarten, die verbreiten sich wie Epidemien. "Kein Problem" ist das beste Beispiel. Man möchte damit zum Ausdruck bringen, dass man jemandem gerne einen Gefallen getan hat. Doch es klingt, als wolle man das Ganze am liebsten ungeschehen machen, meint Erik von Grawert-May.
Vor kurzem stand ich mit einer sprachbegabten Japanerin in der Schlange. Sie ließ mir, der es eilig hatte, den Vortritt. Als ich ihr danken wollte, meinte sie nur: "Kein Problem!" Und das, obwohl sie noch nicht lange Deutsch lernte.
"Kein Problem" – der Ausdruck hat sich ähnlich epidemisch ausgebreitet wie das längst eingeschliffene "Ich sag mal". Man ertappt sich selbst dabei. Wenn es nur wahr wäre, dass es kein Problem gibt. Aber es gibt eins. Jenes "Ich sag mal" oder – in der längeren Version – "Ich sag mal so" demonstriert, dass wir zunächst auf uns selbst verweisen, ehe wir etwas sagen wollen. Es hat unwillkürlich einen Anflug von Wichtigtuerei. Vielleicht ist es zur stehenden Redewendung geworden, weil wir uns im Allgemeinen nicht wichtig nehmen können. Jene Viertelstunde Berühmtheit, die nach Andy Warhol jeder von uns irgendwann erlangt, muss fürs ganze Leben reichen. Doch das tut es für die Wenigsten. Weil niemand die Güte hat, auf mich einzugehen, mich zu kommentieren, kommentiere ich mich selbst: "Ich sag mal so."
Bei "Kein Problem!" sieht es anders aus. Wer "Kein Problem!" sagt, verweist nicht auf sich. Im Gegenteil, er weist erst einmal von sich weg. Er weist etwas zurück. Früher hätte man den Dank angenommen, etwa mit den Worten "Gern geschehen!" Das "Gern geschehen!" verblieb noch einen Moment lang bei dem anderen, der einem dankte, es erinnerte noch einmal an den freundlichen Umgang, der gerade stattgefunden hatte. Das "Kein Problem!" dagegen würgt die Sache eher ab, es will das Geschehen vermutlich ungeschehen machen. Das Problem von "Kein Problem" dürfte daher im Danken selbst liegen.
Sie werden mir entgegenhalten, ich unterschlage den Akzent der Bescheidenheit, der ebenfalls im "Kein Problem!" anklingt. Wer "Kein Problem!" sagt, der will nicht, dass ein großes Bohai um kleine Freundlichkeiten gemacht wird. Das stimmt. Den Akzent unterschlage ich. Wohl, weil ich glaube, dass es nicht der Hauptakzent ist. Der Hauptakzent scheint mir im schleichenden Verlust des Respekts füreinander zu liegen.
Früher gab es mehr Respekt, jedenfalls nach außen. Da mussten die Jungs noch einen Diener machen und die Mädchen einen Knicks. Das ist in Republiken wie der unseren längst verpönt. Nur noch in republikanischen Königshäusern wie etwa dem englischen ist es noch üblich. In Deutschland hatte mit der im Grunde erbärmlichen Flucht des letzten Kaisers am Ende des Ersten Weltkriegs die Monarchie ausgedient, der Adel auch. In der Weimarer Republik blieb es so. Unter dem Nationalsozialismus wurde diese Entwicklung noch forciert. Nach Gründung der Bundesrepublik gab es wieder einen gewissen Stillstand. In den sechziger Jahren hat es dann dank der Studentenrevolte noch mal einen Schub der Egalisierung gegeben. Die ist mittlerweile so vorangeschritten, dass es heute nur noch Gleiche unter Gleichen gibt.
Kein Diener mehr, kein Knicks. Das fängt schon bei den Kleinsten an. Dabei sind wir doch alle verschieden: Die Kleinen sind nicht groß, die Großen nicht klein, die Frauen keine Männer – oder doch?
Man verzeihe mir eine Schwäche für die konfuzianische Ethik. Ich sähe sie gern mit der christlichen gekreuzt. In Japan zum Beispiel hat man es nach dem Zweiten Weltkrieg komplett anders gemacht. Da MacArthur ihnen untersagte, ihren Kaiser weiterhin wie einen Gott zu verehren, weiteten sie die Ehrerbietung, die vorher ihm galt, kurzerhand auf sich selber aus, sodass seitdem jeder jedem Respekt zollt. Man muss die Verbeugungen erlebt haben, um tief davon berührt zu sein.
Ich sag mal so: Das könnten wir ruhig nachahmen. Allerdings hat das Japanische kein Wörtchen für das "Ich", zumindest fehlt es in der Konjugation der Verben. Deshalb wird uns die Nachahmung schwerfallen. Wenn wir den gegenseitigen Respekt aber als interkulturelles Geschenk verstünden, das wir dankend annähmen, gäbe es kein Problem.
Erik von Grawert-May, Publizist und Unternehmer, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011). Weitere Infos im Web: www.grawert-may.de
"Kein Problem" – der Ausdruck hat sich ähnlich epidemisch ausgebreitet wie das längst eingeschliffene "Ich sag mal". Man ertappt sich selbst dabei. Wenn es nur wahr wäre, dass es kein Problem gibt. Aber es gibt eins. Jenes "Ich sag mal" oder – in der längeren Version – "Ich sag mal so" demonstriert, dass wir zunächst auf uns selbst verweisen, ehe wir etwas sagen wollen. Es hat unwillkürlich einen Anflug von Wichtigtuerei. Vielleicht ist es zur stehenden Redewendung geworden, weil wir uns im Allgemeinen nicht wichtig nehmen können. Jene Viertelstunde Berühmtheit, die nach Andy Warhol jeder von uns irgendwann erlangt, muss fürs ganze Leben reichen. Doch das tut es für die Wenigsten. Weil niemand die Güte hat, auf mich einzugehen, mich zu kommentieren, kommentiere ich mich selbst: "Ich sag mal so."
Bei "Kein Problem!" sieht es anders aus. Wer "Kein Problem!" sagt, verweist nicht auf sich. Im Gegenteil, er weist erst einmal von sich weg. Er weist etwas zurück. Früher hätte man den Dank angenommen, etwa mit den Worten "Gern geschehen!" Das "Gern geschehen!" verblieb noch einen Moment lang bei dem anderen, der einem dankte, es erinnerte noch einmal an den freundlichen Umgang, der gerade stattgefunden hatte. Das "Kein Problem!" dagegen würgt die Sache eher ab, es will das Geschehen vermutlich ungeschehen machen. Das Problem von "Kein Problem" dürfte daher im Danken selbst liegen.
Sie werden mir entgegenhalten, ich unterschlage den Akzent der Bescheidenheit, der ebenfalls im "Kein Problem!" anklingt. Wer "Kein Problem!" sagt, der will nicht, dass ein großes Bohai um kleine Freundlichkeiten gemacht wird. Das stimmt. Den Akzent unterschlage ich. Wohl, weil ich glaube, dass es nicht der Hauptakzent ist. Der Hauptakzent scheint mir im schleichenden Verlust des Respekts füreinander zu liegen.
Früher gab es mehr Respekt, jedenfalls nach außen. Da mussten die Jungs noch einen Diener machen und die Mädchen einen Knicks. Das ist in Republiken wie der unseren längst verpönt. Nur noch in republikanischen Königshäusern wie etwa dem englischen ist es noch üblich. In Deutschland hatte mit der im Grunde erbärmlichen Flucht des letzten Kaisers am Ende des Ersten Weltkriegs die Monarchie ausgedient, der Adel auch. In der Weimarer Republik blieb es so. Unter dem Nationalsozialismus wurde diese Entwicklung noch forciert. Nach Gründung der Bundesrepublik gab es wieder einen gewissen Stillstand. In den sechziger Jahren hat es dann dank der Studentenrevolte noch mal einen Schub der Egalisierung gegeben. Die ist mittlerweile so vorangeschritten, dass es heute nur noch Gleiche unter Gleichen gibt.
Kein Diener mehr, kein Knicks. Das fängt schon bei den Kleinsten an. Dabei sind wir doch alle verschieden: Die Kleinen sind nicht groß, die Großen nicht klein, die Frauen keine Männer – oder doch?
Man verzeihe mir eine Schwäche für die konfuzianische Ethik. Ich sähe sie gern mit der christlichen gekreuzt. In Japan zum Beispiel hat man es nach dem Zweiten Weltkrieg komplett anders gemacht. Da MacArthur ihnen untersagte, ihren Kaiser weiterhin wie einen Gott zu verehren, weiteten sie die Ehrerbietung, die vorher ihm galt, kurzerhand auf sich selber aus, sodass seitdem jeder jedem Respekt zollt. Man muss die Verbeugungen erlebt haben, um tief davon berührt zu sein.
Ich sag mal so: Das könnten wir ruhig nachahmen. Allerdings hat das Japanische kein Wörtchen für das "Ich", zumindest fehlt es in der Konjugation der Verben. Deshalb wird uns die Nachahmung schwerfallen. Wenn wir den gegenseitigen Respekt aber als interkulturelles Geschenk verstünden, das wir dankend annähmen, gäbe es kein Problem.
Erik von Grawert-May, Publizist und Unternehmer, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011). Weitere Infos im Web: www.grawert-may.de