"Ich schreibe oft und lache dann"

Von Anna Mayrhauser |
Die junge Dramatikerin Olivia Wenzel steht noch am Anfang ihrer Karriere. Doch ihr jüngstes Stück "exzess, mein liebling" wurde bereits im Rahmen der Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Die Inspiration für ihre Texte findet sie auf Streifzügen durch die Großstadt.
"Überhaupt, finde ich, kann man im Gehen oftmals besser denken. Ich lauf das auch oft mit Freunden, und dann finde ich, sind das auch immer so angenehme Gespräche, weil man so... So ähnlich wie man dann läuft, plätschert das so aus einem raus, was man da zu erzählen hat."

Olivia Wenzel kommt gerade vom Schreibtisch. Dort verbringt die junge Dramatikerin im Moment viel Zeit. Und abends spaziert sie gerne eine Runde am Treptower Kiehlufer. Hier, ganz in der Nähe, wohnt sie seit einigen Monaten in einer 3er-WG. Schon bei der Wahl des Treffpunkts wird klar – Olivia Wenzel hat ein Gefühl für Schauplätze. Die schmale Fußgängerbrücke über dem Neuköllner Schifffahrtskanal trennt das bodenständige Treptow vom hippen Neukölln, von der Mitte der Brücke schweift der Blick bis ins schicke Kreuzberg. Hier ist der Startpunkt ihrer abendlichen Wanderungen. Und hier ist ein Ort, an dem man nicht lange alleine bleibt.

Olivia: "Och, der ist schon blind der Hund. Erst dachte ich, der hätte blaue Augen."
Hundebesitzerin: "Du läufst da mit den Falschen mit."
Olivia: "Läuft der öfter mit den Falschen mit?"
Hundebesitzerin: "Ne, die kann kaum noch kieken."
Olivia: "Hat schon so ganz graue Augen, wa?"
Hundebesitzerin: "Jaja, schon seit zwei Jahren. Bis auf‘n Meter Abstand sieht sie noch. Aber wenn einer an ihr vorbeiläuft, läuft ‘se mit. Komm, wir warten, wir brauchen sowieso ein bisschen. Schönen Abend."
Olivia: "Gleichfalls."

Die Spaziergänge helfen ihr, den Kopf frei zu bekommen, erzählt Olivia Wenzel. Sie sind entspannend. Und manchmal regen sie auch an. Denn Großstadtfiguren, wie sie hier zu finden sind, bevölkern ihre Texte. Und Olivia Wenzel kommt gerne ins Gespräch.

"Ich glaub, ich mag gerne mit Leuten reden so. Ja. Ich habe schon oft so Gespräche mit Fremden. So kleine Begegnungen."

Geboren wurde Olivia Wenzel 1985 in Weimar. Die Kleinstadt hat sie hinter sich gelassen, früh zog sie von zu Hause aus. Ab und zu fährt sie noch nach Hause, um ihre Großeltern zu besuchen. Ihr Interesse am Schreiben und an Theater weckte ganz klassisch die Schülertheater-AG ihres Gymnasiums. Nach der Schule ging es zum Studium nach Hildesheim. Dort schnupperte sie auch in die Lehrveranstaltungen des Studiengangs "Kreatives Schreiben". Das Vertrauen ins Schreiben wuchs. Bis sie schließlich mit einem Förderpreis für junge Dramatik ausgezeichnet wurde.

"Und dann war klar, von diesem Geld kann ich jetzt in Berlin, wo alles billig ist – naja, jetzt nicht mehr – ‘ne Zeit lang leben. Und kann in der Zeit komplett machen was ich möchte. Und diese Freiheit zu haben – das war wahrscheinlich das, das dazu beigetragen hat, dass ich das jetzt beruflich mache."

Aus dieser Freiheit entstand ihr Stück "exzess, mein liebling". Ein wildes Stück, ein Stück, dass sich pathetisch sein traut, ein Stück aus der Großstadt. Kid, ein Jugendlicher, der sich umbringt, sein Vater Billy Karacho, Betreiber eine Glücksagentur, Dr. Heissa, eine Klangtherapeutin. Kid, Mimi und Billy – ihre Namen lassen an den Wilden Westen denken – immer auf der Suche nach dem Glück.

"Ich schreibe oft und lache dann. Weil ich das selber ganz witzig finde. Ab und zu."

Kunst im Dialog
Als Einflüsse nennt Olivia Wenzel keine klassischen Dramentexte. Als Jugendliche habe sie Krimiserien wie CSI geliebt. Chuck Palahniuk ist ein Autor, den sie schätzt. Ihre Inspiration kommt von Filmen, von Musik, ganz nahe an der Popkultur. Der Preis hat Olivia Wenzel nicht nur die Freiheit gegeben, zu schreiben, sondern auch Zeit für ihre Musik. Auf der Bühne fühlt sie sich nur als Sängerin wohl, nicht als Schauspielerin. Zurzeit probt sie mit ihrer Band "humming". Im Lichtenberger Proberaum jammen sie gemeinsam. Das Ziel ist ein Album im nächsten Jahr. Es ist der Dialog, der ihre Kunst ausmacht, bei der Musik und beim Schreiben.

"Ich mache das immer ganz gerne, so wenn ich eine grobe erste Fassung habe, dass ich dann so ein Essen mache und Freunde einlade. Und einfach mit verteilten Rollen lese und alle erzählen. Und dann kommt drei Monate später noch ein Freund und sagt: Und weißt du, mir ist noch eingefallen bei der einen... Ja, das ist mir irgendwie wichtig."

Und manchmal geht der Dialog von der Kunst ins Konkrete. Olivia Wenzel erzählt von einem Versuch, die Menschen glücklich zu machen. Ähnlich wie ihr Held Billy Karacho. Gemeinsam mit einer Freundin verteilte sie in einer großen anonymen Hochhaussiedlung Ankündigungen, dass in zwei Wochen ein großes Fest stattfände.

"Wir wollten, dass die da alle zusammen feiern und grillen. Und sind dann da hin gekommen. Kein Mensch kam. Einer stand oben am Fenster mit einer Schüssel, was weiß ich, Kartoffelsalat, und hat so in den Hof runter geguckt. Es hat nicht geklappt. Es hat nicht geklappt."

Als politisch aktiver Mensch sieht sie sich nicht, am Herzen liegt ihr viel. Feminismus und das postmigrantische Theater. Im Moment schreibt sie an einem Theaterprojekt über den NSU mit, beschäftigt sich mit kollektiven Theaterformen.
Es ist dunkel geworden an den Ufern des Kanals. Die Flaschen in den Plastiktaschen der Pfandsammler klirren und Olivia Wenzel kehrt zurück an den Schreibtisch.

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