"Ich sehe nicht, wie man das weiter halten könnte"
Der Name Oskar Pastior taugt nicht mehr für eine Stiftung, nachdem seine Spitzeltätigkeit für die rumänische Securitate offenkundig wurde. Das meint jedenfalls der Autor Richard Wagner: "Ich glaube nicht, dass man die Stiftung und den Preis weiter betreiben und führen kann".
Katrin Heise: Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass der verstorbene Dichter und Büchner-Preisträger Oskar Pastior in den 60er-Jahren Spitzel für den rumänischen Geheimdienst war. Umfang und Intensität dieser Tätigkeit lagen allerdings noch im Dunkeln. Nun sind Spitzelberichte in der Securitate-Akte des Schriftstellers Dieter Schlesak aufgetaucht, sie rücken Pastiors Tun sogar in die Nähe des Selbstmordes des Lyrikers Georg Hoprich. Der hatte sich 1969 nach seiner Haftentlassung weiterhin von Agenten beobachtet und bedrängt gefühlt, schließlich nahm er sich das Leben.
Dieter Schlesak sagte gestern in unserer Sendung "Fazit":
"Dass er nach Hermannstadt gefahren ist, dass er einen Auftrag hatte, Georg Hoprich zu bespitzeln, das ist unzweifelhaft. Dass er zu diesem Umkreis gehört hat, der nach der Haftentlassung Georg Hoprich so sehr bedrängt hat, dass er so verzweifelt war, dass seine Frau Angst hatte um sein Leben, das ist auch Tatsache, und es ist auch Tatsache, dass eben Pastior mit dazugehört hat zu diesem ganzen Netz."
Heise: Sagte der Schriftsteller Dieter Schlesak zur Spitzeltätigkeit Oskar Pastiors. Bei mir im Studio ist jetzt der Schriftsteller Richard Wagner, er war Mitglied des Schriftsteller-Freundeskreises "Aktionsgruppe Banat". Ich grüße Sie, Herr Wagner, schönen guten Morgen!
Richard Wagner: Ja, guten Morgen!
Heise: Hat Sie der Umfang der Spitzelei Pastiors erschüttert?
Wagner: Ja, man muss sagen, Pastior war ja so Everybody's Darling gewesen, und niemand von uns und im Freundeskreis oder im Bekanntenkreis hat ihn jemals einer Securitate-Tätigkeit für fähig gehalten oder verdächtigt. Das ist der Ausgangspunkt. Und ja, das ist dann eben sehr überraschend auf uns gekommen, auf mich auch.
Heise: Wenn es jetzt vor allem, was wir jetzt eben noch vorgespielt haben, so in die Nähe einer solchen Sache wie dem Selbstmord von Hoprich gerückt wird – so was ist dann völlig undenkbar?
Wagner: Ja, also da muss man sich einfach dran gewöhnen, das ist mir so passiert und anderen auch, seit wir uns mit der Lektüre dieser Akten beschäftigen seit nunmehr zwei Jahren, und ich habe mir gesagt: Ich muss mich und darf mich über nichts mehr wundern, und muss die Sachen so nehmen können, wie sie sind. Ich hatte aber bisher das Glück, dass von meinen engen Freunden niemand dabei war, also ich war noch nicht in dieser Situation, und mit Oskar Pastior war ich nicht befreundet.
Heise: Dieter Schlesak war mit Oskar Pastior sehr eng befreundet, er hatte im September seinen Freund ja noch ausdrücklich in Schutz genommen, und er hatte die Generationenfrage so ein bisschen aufgeworfen, er und Pastior seien in den 60er-Jahren ja ganz anderer Drohkulisse seitens der Securitate ausgeliefert gewesen wie beispielsweise Sie.
Wagner: Ja, das ist ein beliebtes Spiel der historischen Darstellung, also er hat uns "Luxusdissidenz" unter anderem vorgeworfen, harte Worte, und meine Sicht auf die Dinge war immer, man soll einfach in die Akten schauen, und er hat ja seine Akte bisher nicht eingesehen, obwohl er das schon längst hätte machen können, und dann wären wir auch in der Sache weiter.
Heise: Andererseits muss man diese Akten natürlich auch sehr vorsichtig lesen. Sie lassen offen, wer welche Information tatsächlich in welcher Schärfe weitergegeben hat, inwiefern der Securitate-Offizier da mitgeschrieben hat, das lässt sich ja auch nicht mehr klären. Also das heißt, ein Rest an Unsicherheit ob der Schuld, die Pastior auf sich geladen hat, bleibt doch?
Wagner: Ja, wenn man eine gewisse Summe von Akten kennt und gelesen hat und studiert hat und einiges weiß über den Hintergrund der Sachen, dann erwirbt man auch eine gewisse Kompetenz in der Angelegenheit. Und es ist ja nicht so, dass jemand von uns oder ich selber jetzt da rangegangen bin, um die Leute zu denunzieren oder jetzt hier an den Pranger zu stellen, sondern man liest ja jede Sache zuerst einmal, man schaut sie sich an, und dann sieht man, was ist.
Man muss sagen: Diese ganze Diskussion darüber, diese ... wer jetzt was geschrieben hat und so weiter, das ist ja ab einem gewissen Punkt zweitrangig, denn es geht ja zuerst einmal um eine prinzipielle Frage: Wir waren ja nicht alle in einer Grauzone, sondern es gibt schon einen Unterschied zwischen Tätern und Opfern. Und damit man mit einem Securitate-Offizier zusammen einen Text schreibt, muss man ja dem zuerst einmal gegenübersitzen, und zwar in einer bestimmten Rolle, und das ist die Rolle des IM.
Heise: Ja, auf der anderen Seite natürlich: Das Wesen eines Spitzelstaates besteht ja aus diesem Gemisch aus Angst vor Repressionen, Scham, Gewissensnot, man ist vielleicht auch erpressbar – kann man tatsächlich von Schuld sprechen?
Wagner: Ja, eindeutig. Also es ist einfach so, dass diese Leute ja nicht nur erpresst worden sind, wie das immer heißt. Wir waren alle in der gleichen Situation. Die einen haben sich darauf eingelassen, die anderen nicht. Die meisten von uns sind schließlich angesprochen worden irgendwann, auch ich bin angesprochen worden, aber ich habe nein gesagt, und alle anderen haben auch nein gesagt aus meinem Freundeskreis, die Mitstreiter.
Dass es Leute gab, die ja gesagt haben, das geschah nicht nur, weil sie erpresst werden konnten oder erpresst wurden, sondern auch, weil sie Privilegien hatten. Auch Pastior hatte Privilegien. Er ist ja zum Beispiel gereist, im Ostblock, auch davor, bevor er in den Westen kam. Das war ein ungeheures Privileg damals. Er konnte zwei Bücher veröffentlichen. Andere konnten das nicht.
Heise: Sie haben gesagt, Pastior war immer Everybody' Darling, das klingt jetzt aus Ihren Worten eigentlich nicht so, als ob man ihn so immer betrachtet hätte, so im internen Kreis.
Wagner: Na ja, das mit dem internen Kreis ist ja so: Da gehörte er ja nicht zu dem internen Kreis der meiner war. Wir sind verschiedene Generationen, ich habe mich erst mit dieser Periode später auseinandergesetzt, mit den frühen 60er-Jahren, die ich ja persönlich so nicht erlebt hatte. Wir waren Kinder damals, und ich habe Oskar Pastior in Rumänien ja gar nicht persönlich gekannt. Und diese Sache, was damals in Bukarest war, das müsste noch aufgeklärt werden, also diese ganze Gruppe von Leuten, da sind ja auch noch mehr IMs, nicht nur Oskar Pastior.
Heise: Mit dem Schriftsteller Richard Wagner spreche ich über Oskar Pastior. Man wird, Herr Wagner, ja nie so richtig wissen, was, wie viel und in welchen Worten Pastior also berichtet hat. Sie sagen, das ist ja eigentlich mehr oder weniger zweitrangig. Aber wie soll man denn jetzt mit dem, was man weiß, was vielleicht aber auch noch kommt, mit der historischen Figur Pastior und mit ihm als Dichter und seinem Werk umgehen?
Wagner: Na ja, das ist ja auch kein großes Problem in dem Sinne. Also zuerst einmal ist Pastior der Dichter Pastior, der allerdings zeitlebens immer mit seinem Werk und der Pflege seines Werks beschäftigt war. Wenn man jetzt sein Werk anschaut, so fehlt diesem Werk, das ja ein Feuerwerk an Sprachartistik ist, aber jede moralische Begründung. Also es gibt keine moralische Frage, die in diesem Werk gestellt wird. Also kann man dieses Werk auch weiterhin lesen, so paradox das klingen mag, und dass man es lesen kann, spricht nicht gerade für dieses Werk letzten Endes. Aber es hat gewissermaßen einen artistischen, einen künstlerischen Bestand. Das mag man mögen oder nicht. Das ist die Situation.
Was den Menschen betrifft, muss man einfach davon ausgehen, dass er ja nicht nur Verrat geübt hat an seinen Freunden damals, sondern auch später geschwiegen hat über all diese Sachen. Und jetzt muss man sagen: Er hatte was zu verschweigen, aber was sind das dann für Beziehungen und Freundschaften über Jahrzehnte hin, wo ein Mensch diese Sachen niemals zur Sprache bringt?
Heise: Eine sehr enge Beziehung hatte zum Beispiel Herta Müller zu Oskar Pastior. Er war ja sozusagen der Kronzeuge ihres Romans "Atemschaukel". Ist Herta Müllers Buch eigentlich auch irgendwie mit beschädigt jetzt?
Wagner: Also aus meiner Sicht nicht, denn aus meiner Sicht ist das ja sowieso ihr Roman, also ich betrachte das als einen Roman von Herta Müller, und mir ist letzten Endes egal, auf welchen Quellen jetzt der Protagonist dieses Romans fußt. Außerdem ist das eine Geschichte in der frühen Zeit Pastiors, die noch gar nicht mit dieser Tätigkeit zu tun hat, und das ist sozusagen exterritorial in dieser Angelegenheit. Und es ist unerheblich, ob der Protagonist eines Romans oder die Vorlage dafür später zu einem Informanten wird.
Heise: Das, was damals passiert ist, wurde ja immer als ein Grund genommen, warum er sich später hatte anwerben lassen.
Wagner: Ja, das wirkt als eine Erklärung dann, die eben aber ... Das Problem ist ja: Jeder, der in eine solche missliche Lage kommt als IM, findet eine Erklärung, oder jeder, der eine sucht, findet eine Erklärung für ein gewisses Verhalten. Das ändert nichts an diesem Verhalten.
Heise: Der Schriftsteller Ernest Wichner, Leiter des Berliner Literaturhauses, und eben Herta Müller sitzen in Gremien in der Oskar-Pastior-Stiftung und des Preises, der seinen Namen trägt beziehungsweise in seinem Namen vergeben wird. Was soll damit geschehen Ihrer Meinung nach?
Wagner: Na ja, also ich sehe nicht, wie man das weiter halten könne. Das ist ja nun nicht eine Frage der Literatur, sondern eine Frage der öffentlichen Rolle und Darstellung, und bei einem solchen Namen ist das verbrannt. Also ich glaube nicht, dass man die Stiftung und den Preis weiter betreiben und führen kann.
Heise: Das heißt, Sie nehmen auch an, dass man insgesamt sich von Oskar Pastior distanziert?
Wagner: Na, da ist jetzt die Frage, was gemeint ist unter Oskar Pastior. Ich meine, wenn Oskar Pastior jener sprachexperimentelle Autor ist – an dessen Lesungen, die ja aufgezeichnet sind und auf CDs auch zu haben sind, wird sich immer jedermann freuen können, und die meisten werden sich gar nicht für sein Leben interessieren. Das mag sein. Für mich persönlich ist da ein Problem entstanden, aber das ist ja sozusagen eine private Angelegenheit.
Heise: Wie wird in Ihrem Bekanntenkreis im Moment darüber geredet?
Wagner: Ja, es wird sehr kontrovers darüber geredet, es gab Streit, und weil ja Herta Müller und der Ernest Wichner da ja persönlich auch involviert sind und sie ja eigentlich, na ja, es lieber gesehen hätten, wenn Pastior nicht so sehr belastet wäre, aber das ist ja ... Die Belastung von Pastior ist ja nicht ein Ergebnis einer Diskussion, sondern es ist ein Faktum. Und daran lässt sich nichts ändern, und daran werden sie sich auch gewöhnen müssen.
Heise: Sagt der Schriftsteller Richard Wagner. Wir sprachen über Oskar Pastior und seine Spitzeltätigkeit bei der Securitate. Danke schön, Herr Wagner, für dieses Gespräch!
Wagner: Danke!
Dieter Schlesak sagte gestern in unserer Sendung "Fazit":
"Dass er nach Hermannstadt gefahren ist, dass er einen Auftrag hatte, Georg Hoprich zu bespitzeln, das ist unzweifelhaft. Dass er zu diesem Umkreis gehört hat, der nach der Haftentlassung Georg Hoprich so sehr bedrängt hat, dass er so verzweifelt war, dass seine Frau Angst hatte um sein Leben, das ist auch Tatsache, und es ist auch Tatsache, dass eben Pastior mit dazugehört hat zu diesem ganzen Netz."
Heise: Sagte der Schriftsteller Dieter Schlesak zur Spitzeltätigkeit Oskar Pastiors. Bei mir im Studio ist jetzt der Schriftsteller Richard Wagner, er war Mitglied des Schriftsteller-Freundeskreises "Aktionsgruppe Banat". Ich grüße Sie, Herr Wagner, schönen guten Morgen!
Richard Wagner: Ja, guten Morgen!
Heise: Hat Sie der Umfang der Spitzelei Pastiors erschüttert?
Wagner: Ja, man muss sagen, Pastior war ja so Everybody's Darling gewesen, und niemand von uns und im Freundeskreis oder im Bekanntenkreis hat ihn jemals einer Securitate-Tätigkeit für fähig gehalten oder verdächtigt. Das ist der Ausgangspunkt. Und ja, das ist dann eben sehr überraschend auf uns gekommen, auf mich auch.
Heise: Wenn es jetzt vor allem, was wir jetzt eben noch vorgespielt haben, so in die Nähe einer solchen Sache wie dem Selbstmord von Hoprich gerückt wird – so was ist dann völlig undenkbar?
Wagner: Ja, also da muss man sich einfach dran gewöhnen, das ist mir so passiert und anderen auch, seit wir uns mit der Lektüre dieser Akten beschäftigen seit nunmehr zwei Jahren, und ich habe mir gesagt: Ich muss mich und darf mich über nichts mehr wundern, und muss die Sachen so nehmen können, wie sie sind. Ich hatte aber bisher das Glück, dass von meinen engen Freunden niemand dabei war, also ich war noch nicht in dieser Situation, und mit Oskar Pastior war ich nicht befreundet.
Heise: Dieter Schlesak war mit Oskar Pastior sehr eng befreundet, er hatte im September seinen Freund ja noch ausdrücklich in Schutz genommen, und er hatte die Generationenfrage so ein bisschen aufgeworfen, er und Pastior seien in den 60er-Jahren ja ganz anderer Drohkulisse seitens der Securitate ausgeliefert gewesen wie beispielsweise Sie.
Wagner: Ja, das ist ein beliebtes Spiel der historischen Darstellung, also er hat uns "Luxusdissidenz" unter anderem vorgeworfen, harte Worte, und meine Sicht auf die Dinge war immer, man soll einfach in die Akten schauen, und er hat ja seine Akte bisher nicht eingesehen, obwohl er das schon längst hätte machen können, und dann wären wir auch in der Sache weiter.
Heise: Andererseits muss man diese Akten natürlich auch sehr vorsichtig lesen. Sie lassen offen, wer welche Information tatsächlich in welcher Schärfe weitergegeben hat, inwiefern der Securitate-Offizier da mitgeschrieben hat, das lässt sich ja auch nicht mehr klären. Also das heißt, ein Rest an Unsicherheit ob der Schuld, die Pastior auf sich geladen hat, bleibt doch?
Wagner: Ja, wenn man eine gewisse Summe von Akten kennt und gelesen hat und studiert hat und einiges weiß über den Hintergrund der Sachen, dann erwirbt man auch eine gewisse Kompetenz in der Angelegenheit. Und es ist ja nicht so, dass jemand von uns oder ich selber jetzt da rangegangen bin, um die Leute zu denunzieren oder jetzt hier an den Pranger zu stellen, sondern man liest ja jede Sache zuerst einmal, man schaut sie sich an, und dann sieht man, was ist.
Man muss sagen: Diese ganze Diskussion darüber, diese ... wer jetzt was geschrieben hat und so weiter, das ist ja ab einem gewissen Punkt zweitrangig, denn es geht ja zuerst einmal um eine prinzipielle Frage: Wir waren ja nicht alle in einer Grauzone, sondern es gibt schon einen Unterschied zwischen Tätern und Opfern. Und damit man mit einem Securitate-Offizier zusammen einen Text schreibt, muss man ja dem zuerst einmal gegenübersitzen, und zwar in einer bestimmten Rolle, und das ist die Rolle des IM.
Heise: Ja, auf der anderen Seite natürlich: Das Wesen eines Spitzelstaates besteht ja aus diesem Gemisch aus Angst vor Repressionen, Scham, Gewissensnot, man ist vielleicht auch erpressbar – kann man tatsächlich von Schuld sprechen?
Wagner: Ja, eindeutig. Also es ist einfach so, dass diese Leute ja nicht nur erpresst worden sind, wie das immer heißt. Wir waren alle in der gleichen Situation. Die einen haben sich darauf eingelassen, die anderen nicht. Die meisten von uns sind schließlich angesprochen worden irgendwann, auch ich bin angesprochen worden, aber ich habe nein gesagt, und alle anderen haben auch nein gesagt aus meinem Freundeskreis, die Mitstreiter.
Dass es Leute gab, die ja gesagt haben, das geschah nicht nur, weil sie erpresst werden konnten oder erpresst wurden, sondern auch, weil sie Privilegien hatten. Auch Pastior hatte Privilegien. Er ist ja zum Beispiel gereist, im Ostblock, auch davor, bevor er in den Westen kam. Das war ein ungeheures Privileg damals. Er konnte zwei Bücher veröffentlichen. Andere konnten das nicht.
Heise: Sie haben gesagt, Pastior war immer Everybody' Darling, das klingt jetzt aus Ihren Worten eigentlich nicht so, als ob man ihn so immer betrachtet hätte, so im internen Kreis.
Wagner: Na ja, das mit dem internen Kreis ist ja so: Da gehörte er ja nicht zu dem internen Kreis der meiner war. Wir sind verschiedene Generationen, ich habe mich erst mit dieser Periode später auseinandergesetzt, mit den frühen 60er-Jahren, die ich ja persönlich so nicht erlebt hatte. Wir waren Kinder damals, und ich habe Oskar Pastior in Rumänien ja gar nicht persönlich gekannt. Und diese Sache, was damals in Bukarest war, das müsste noch aufgeklärt werden, also diese ganze Gruppe von Leuten, da sind ja auch noch mehr IMs, nicht nur Oskar Pastior.
Heise: Mit dem Schriftsteller Richard Wagner spreche ich über Oskar Pastior. Man wird, Herr Wagner, ja nie so richtig wissen, was, wie viel und in welchen Worten Pastior also berichtet hat. Sie sagen, das ist ja eigentlich mehr oder weniger zweitrangig. Aber wie soll man denn jetzt mit dem, was man weiß, was vielleicht aber auch noch kommt, mit der historischen Figur Pastior und mit ihm als Dichter und seinem Werk umgehen?
Wagner: Na ja, das ist ja auch kein großes Problem in dem Sinne. Also zuerst einmal ist Pastior der Dichter Pastior, der allerdings zeitlebens immer mit seinem Werk und der Pflege seines Werks beschäftigt war. Wenn man jetzt sein Werk anschaut, so fehlt diesem Werk, das ja ein Feuerwerk an Sprachartistik ist, aber jede moralische Begründung. Also es gibt keine moralische Frage, die in diesem Werk gestellt wird. Also kann man dieses Werk auch weiterhin lesen, so paradox das klingen mag, und dass man es lesen kann, spricht nicht gerade für dieses Werk letzten Endes. Aber es hat gewissermaßen einen artistischen, einen künstlerischen Bestand. Das mag man mögen oder nicht. Das ist die Situation.
Was den Menschen betrifft, muss man einfach davon ausgehen, dass er ja nicht nur Verrat geübt hat an seinen Freunden damals, sondern auch später geschwiegen hat über all diese Sachen. Und jetzt muss man sagen: Er hatte was zu verschweigen, aber was sind das dann für Beziehungen und Freundschaften über Jahrzehnte hin, wo ein Mensch diese Sachen niemals zur Sprache bringt?
Heise: Eine sehr enge Beziehung hatte zum Beispiel Herta Müller zu Oskar Pastior. Er war ja sozusagen der Kronzeuge ihres Romans "Atemschaukel". Ist Herta Müllers Buch eigentlich auch irgendwie mit beschädigt jetzt?
Wagner: Also aus meiner Sicht nicht, denn aus meiner Sicht ist das ja sowieso ihr Roman, also ich betrachte das als einen Roman von Herta Müller, und mir ist letzten Endes egal, auf welchen Quellen jetzt der Protagonist dieses Romans fußt. Außerdem ist das eine Geschichte in der frühen Zeit Pastiors, die noch gar nicht mit dieser Tätigkeit zu tun hat, und das ist sozusagen exterritorial in dieser Angelegenheit. Und es ist unerheblich, ob der Protagonist eines Romans oder die Vorlage dafür später zu einem Informanten wird.
Heise: Das, was damals passiert ist, wurde ja immer als ein Grund genommen, warum er sich später hatte anwerben lassen.
Wagner: Ja, das wirkt als eine Erklärung dann, die eben aber ... Das Problem ist ja: Jeder, der in eine solche missliche Lage kommt als IM, findet eine Erklärung, oder jeder, der eine sucht, findet eine Erklärung für ein gewisses Verhalten. Das ändert nichts an diesem Verhalten.
Heise: Der Schriftsteller Ernest Wichner, Leiter des Berliner Literaturhauses, und eben Herta Müller sitzen in Gremien in der Oskar-Pastior-Stiftung und des Preises, der seinen Namen trägt beziehungsweise in seinem Namen vergeben wird. Was soll damit geschehen Ihrer Meinung nach?
Wagner: Na ja, also ich sehe nicht, wie man das weiter halten könne. Das ist ja nun nicht eine Frage der Literatur, sondern eine Frage der öffentlichen Rolle und Darstellung, und bei einem solchen Namen ist das verbrannt. Also ich glaube nicht, dass man die Stiftung und den Preis weiter betreiben und führen kann.
Heise: Das heißt, Sie nehmen auch an, dass man insgesamt sich von Oskar Pastior distanziert?
Wagner: Na, da ist jetzt die Frage, was gemeint ist unter Oskar Pastior. Ich meine, wenn Oskar Pastior jener sprachexperimentelle Autor ist – an dessen Lesungen, die ja aufgezeichnet sind und auf CDs auch zu haben sind, wird sich immer jedermann freuen können, und die meisten werden sich gar nicht für sein Leben interessieren. Das mag sein. Für mich persönlich ist da ein Problem entstanden, aber das ist ja sozusagen eine private Angelegenheit.
Heise: Wie wird in Ihrem Bekanntenkreis im Moment darüber geredet?
Wagner: Ja, es wird sehr kontrovers darüber geredet, es gab Streit, und weil ja Herta Müller und der Ernest Wichner da ja persönlich auch involviert sind und sie ja eigentlich, na ja, es lieber gesehen hätten, wenn Pastior nicht so sehr belastet wäre, aber das ist ja ... Die Belastung von Pastior ist ja nicht ein Ergebnis einer Diskussion, sondern es ist ein Faktum. Und daran lässt sich nichts ändern, und daran werden sie sich auch gewöhnen müssen.
Heise: Sagt der Schriftsteller Richard Wagner. Wir sprachen über Oskar Pastior und seine Spitzeltätigkeit bei der Securitate. Danke schön, Herr Wagner, für dieses Gespräch!
Wagner: Danke!