„Ich weiß, dass er ein Gegenüber ist“
Der Schriftsteller Martin Walser lebt seit Jahrzehnten am Bodensee. Jede jahreszeitliche Facette und Regung des Gewässers scheint er studiert und in seinem Kopf gespeichert zu haben. Walser und der Bodensee - beide sind Verstärker und Abschwächer von Stimmungen, Geschichte und Geschichten.
Der Verstärker
Martin Walser: "Dieses Jahr, dieses frühe Frühjahr, es ist ziemlich viel Wasser."
Stephan Rehfeld: "Silbrig, das ist ja auch so ein See, der keine Dauerfarbe hat, aber einen sehr grauen Ton."
O-Ton: "Der richtet sich immer nach dem Himmel. Der hat keine eigene Qualität sozusagen. Aber ich meine, Wasser ist ja immer mit dem Himmel zusammen eine Korrespondenz. Wir waren eine Zeit lang am Meer, also da in Spanien, also, genauer auf einer Insel da, Teneriffa, weil ich spanisch lernen wollte. Und da haben wir zum ersten Mal mehrere Wochen das Meer vis-á-vis gehabt. Da ist unser kleiner See wirklich ein sehr bescheidenes Wasser. Vor allem ist bei uns jetzt, der See ist einfach ruhig, wenn kein Wind da ist.
Das Meer kommt andauernd mit riesigen Wellen, auch wenn gar kein besonderer Wind da ist. Entweder ist weit, weit, tausend Meilen draußen irgendwie ein Anlass dazu, aber auf jeden Fall ist das eigenartig unabhängig voneinander, während hier der See ist immer eine Superwetterstation. Der sagt immer noch genauer, was man zur Zeit für eine Stimmung hat. Der verstärkt alles. Das Trübe verstärkt er und das Schöne verstärkt er, ein richtiger Verstärker."
Autor: "Aber auch Abschwächer. Ich habe ihn mal bei recht heftigem Wetter erlebt und da dachte ich mir eigentlich, der Windstärke nach müssten jetzt größere Wellen schlagen. Aber das hat er schon wieder etwas zurückgenommen, gezügelt die Wellen, hat sich da ein bisschen ruhiger verhalten als es der Wind eigentlich wollte. Er ist kein Katastrophen-See."
O-Ton: "Das ist das Sympathische auch. Katastrophen ebnet er ein. Das ist schon wichtig. Kälte und Hitze stutzt er zurück auf ein erträgliches Maß. "
Stephan Rehfeld: "Silbrig, das ist ja auch so ein See, der keine Dauerfarbe hat, aber einen sehr grauen Ton."
O-Ton: "Der richtet sich immer nach dem Himmel. Der hat keine eigene Qualität sozusagen. Aber ich meine, Wasser ist ja immer mit dem Himmel zusammen eine Korrespondenz. Wir waren eine Zeit lang am Meer, also da in Spanien, also, genauer auf einer Insel da, Teneriffa, weil ich spanisch lernen wollte. Und da haben wir zum ersten Mal mehrere Wochen das Meer vis-á-vis gehabt. Da ist unser kleiner See wirklich ein sehr bescheidenes Wasser. Vor allem ist bei uns jetzt, der See ist einfach ruhig, wenn kein Wind da ist.
Das Meer kommt andauernd mit riesigen Wellen, auch wenn gar kein besonderer Wind da ist. Entweder ist weit, weit, tausend Meilen draußen irgendwie ein Anlass dazu, aber auf jeden Fall ist das eigenartig unabhängig voneinander, während hier der See ist immer eine Superwetterstation. Der sagt immer noch genauer, was man zur Zeit für eine Stimmung hat. Der verstärkt alles. Das Trübe verstärkt er und das Schöne verstärkt er, ein richtiger Verstärker."
Autor: "Aber auch Abschwächer. Ich habe ihn mal bei recht heftigem Wetter erlebt und da dachte ich mir eigentlich, der Windstärke nach müssten jetzt größere Wellen schlagen. Aber das hat er schon wieder etwas zurückgenommen, gezügelt die Wellen, hat sich da ein bisschen ruhiger verhalten als es der Wind eigentlich wollte. Er ist kein Katastrophen-See."
O-Ton: "Das ist das Sympathische auch. Katastrophen ebnet er ein. Das ist schon wichtig. Kälte und Hitze stutzt er zurück auf ein erträgliches Maß. "
Ein Gegenüber
O-Ton: "Ich weiß schon, dass er ein Gegenüber ist, also Natur, zu der ich ja nicht mehr gehöre."
Autor: "Nicht mehr? Das muss erläutert werden."
O-Ton: "Natur … wir Menschen gehören nicht mehr zur Natur, sondern sind entlaufene Kinder."
Autor: "Wir haben uns davongestohlen."
O-Ton: "Wir sind emanzipiert und wissen ja, das ist nicht rückgängig zu machen. Das ist ein höchst sentimentalischer Umgang mit Natur natürlich, den wir haben. Wir haben ja hier, also, das bisschen Schilf, das Sie da sehen, an dem freue ich mich und bereite immer durch Zurückschneiden der Weiden dem Schilf einen Weg, dass es sich – das Schilf ist nämlich auch bedroht am Bodensee – hier ein bisschen noch nach Westen ausbreiten kann. Viele Leute haben es einfach ausgerottet. Und das sind dann eben so Naturreste. Das ist ein schon fast gärtnerischer Umgang mit Natur, also noch nicht einmal bäuerlich, sondern schon gärtnerisch. Und trotzdem bin ich sehr froh in diesen Parkanlagen mit dem Schilf, weil die einfach das Bühnenbild See für mich komplettieren. Und ich mag das halt sehr gern."
Autor: "Nicht mehr? Das muss erläutert werden."
O-Ton: "Natur … wir Menschen gehören nicht mehr zur Natur, sondern sind entlaufene Kinder."
Autor: "Wir haben uns davongestohlen."
O-Ton: "Wir sind emanzipiert und wissen ja, das ist nicht rückgängig zu machen. Das ist ein höchst sentimentalischer Umgang mit Natur natürlich, den wir haben. Wir haben ja hier, also, das bisschen Schilf, das Sie da sehen, an dem freue ich mich und bereite immer durch Zurückschneiden der Weiden dem Schilf einen Weg, dass es sich – das Schilf ist nämlich auch bedroht am Bodensee – hier ein bisschen noch nach Westen ausbreiten kann. Viele Leute haben es einfach ausgerottet. Und das sind dann eben so Naturreste. Das ist ein schon fast gärtnerischer Umgang mit Natur, also noch nicht einmal bäuerlich, sondern schon gärtnerisch. Und trotzdem bin ich sehr froh in diesen Parkanlagen mit dem Schilf, weil die einfach das Bühnenbild See für mich komplettieren. Und ich mag das halt sehr gern."
Kultur-Landschaft Bodensee
O-Ton: "Es klingt schon sehr überschriftsmäßig. Es klingt einteilend, es klingt – für mich auf jeden Fall –, als müsse darunter jetzt eine genaue Angabe dessen folgen, was man unter diesem enormen Überschriftswort zu verstehen habe. Natürlich kann man dann anfangen und kann sagen, ja, das ist beim Bodensee das und das und das, aber gut, vielleicht liegt es einfach auch daran, das Wort Kultur ist mir halt ein Fremdwort. Landschaft ist mir natürlich schon geläufig, aber Kultur, da würde ich wahrscheinlich das Wort Geschichte dafür nehmen. Das liegt mir näher, weil für mich gehören die – was weiß ich – Kirchen oder Gedichte, die hier entstanden sind, das gehört für mich alles zur Geschichte.
Ich meine, ich kann das nicht rechtfertigen. Es ist auch ganz unwichtig. Ich will damit nur meine Distanz zu dem Wort Kultur ausdrücken. Und am Bodensee gehört natürlich alles zur Geschichte. Das ist auch, wenn man – wie ich – meistens hier ist und von Anfang an hier war, dann gibt es eigentlich sehr wenig Gegenwart. Aber ich glaube auch nicht, dass das bloß mir so geht. Es geht ganz bestimmt jedem so, der lange Zeit irgendwo ist. Dann merkt er, dass er – also, wenn er aufpasst oder wenn er einmal weggeht... Ich bin öfters mal in Amerika gewesen und ich habe zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass Gewitter, Jahreszeiten, also Naturvorgänge mir dort viel weniger Eindruck gemacht haben als hier am Bodensee. Und ich habe mir dann überlegt, woher kommt das. Warum macht dieser März in New Hampshire auf mich gar keinen richtigen März-April-Eindruck? Ich komme da gar nicht in die März-April-Stimmung, die ich von zu Hause her eigentlich erwarte."
Autor: "Weil New Hampshire nicht am Bodensee liegt."
Walser, MartinO –Ton: "Ja, (lacht) weil ich keine Geschichte habe mit dem New-Hampshire-März und mit dem New-Hampshire-April. Während, wenn ich hier im März irgendwo hinschaue, das ist völlig egal, dann habe ich gleich 60 mal März drauf. Aus diesen 60 mal März besteht der jetzige März-Eindruck. Das heißt, der jetzige März ist nichts anderes als eine Erinnerung an alle Märze der Geschichte, die ich kenne. Und so ist es aber mit anderen Sachen auch. Was weiß ich, wenn ich an Meersburg vorbeifahre, dann ist eben das Mittelalter da und hat nicht aufgehört. Und das können mir alle Fremden, die das jetzt überfluten, nicht zerstören. Das heißt, die Geschichte ist hier überall unheimlich präsent. Und die Gegenwart ist im Grunde genommen einfach immer der jeweils letzte Hauch von Geschichte."
Ich meine, ich kann das nicht rechtfertigen. Es ist auch ganz unwichtig. Ich will damit nur meine Distanz zu dem Wort Kultur ausdrücken. Und am Bodensee gehört natürlich alles zur Geschichte. Das ist auch, wenn man – wie ich – meistens hier ist und von Anfang an hier war, dann gibt es eigentlich sehr wenig Gegenwart. Aber ich glaube auch nicht, dass das bloß mir so geht. Es geht ganz bestimmt jedem so, der lange Zeit irgendwo ist. Dann merkt er, dass er – also, wenn er aufpasst oder wenn er einmal weggeht... Ich bin öfters mal in Amerika gewesen und ich habe zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass Gewitter, Jahreszeiten, also Naturvorgänge mir dort viel weniger Eindruck gemacht haben als hier am Bodensee. Und ich habe mir dann überlegt, woher kommt das. Warum macht dieser März in New Hampshire auf mich gar keinen richtigen März-April-Eindruck? Ich komme da gar nicht in die März-April-Stimmung, die ich von zu Hause her eigentlich erwarte."
Autor: "Weil New Hampshire nicht am Bodensee liegt."
Walser, MartinO –Ton: "Ja, (lacht) weil ich keine Geschichte habe mit dem New-Hampshire-März und mit dem New-Hampshire-April. Während, wenn ich hier im März irgendwo hinschaue, das ist völlig egal, dann habe ich gleich 60 mal März drauf. Aus diesen 60 mal März besteht der jetzige März-Eindruck. Das heißt, der jetzige März ist nichts anderes als eine Erinnerung an alle Märze der Geschichte, die ich kenne. Und so ist es aber mit anderen Sachen auch. Was weiß ich, wenn ich an Meersburg vorbeifahre, dann ist eben das Mittelalter da und hat nicht aufgehört. Und das können mir alle Fremden, die das jetzt überfluten, nicht zerstören. Das heißt, die Geschichte ist hier überall unheimlich präsent. Und die Gegenwart ist im Grunde genommen einfach immer der jeweils letzte Hauch von Geschichte."
Jedem seinen See
O-Ton: "Jedem seinen See. Der See ist das Allgemeine. Auf dem Wasser gelten Hoheitsrechte. Am Wasser ist die Rechtslage unklarer als das Wasser selbst. Naturwissenschaftler sind weiter gekommen als Politiker. Wenn man an den See gekommen wäre im Jahre 8000 vor Christus, allein, vorausgeschickt von einem allmählich nach Süden drängenden Stamm, wenn man, der Schussen oder der Argen folgend, auf den See gestoßen wäre und hätte als erster hinausgesehen auf die blaugrüne schwankende Sache, die drüben von horizontbreiten Wald- und Wiesenbergen begrenzt wird, auf denen dann noch die Alpengipfel wie gewaltige Steinbüsten stehen, wenn auf einmal so überraschend viel sichtbar geworden wäre - Mörike wird das einmal so sagen: Fern, doch deutlich dem Aug’ im Glanz durchsichtiger Lüfte, wenn auf einmal so überraschend viel sichtbar geworden wäre, dann wäre in dem einen Augenblick sicher eine Empfindung geboren worden, die jetzt, rund 10.000 Jahre später, Ergriffenheit genannt wird.
Der bis zum Rand baumbestandene und fischvolle See hätte keinem gehört damals. Dann folgte aber sofort die Geschichte; wenn auch nicht mit Pfahlbauten, so doch mit Kelten, Römern und Germanen. Und schließlich werden es Nationen. Die teilen sich den allgemeinen See. Für alle Beteiligten bleibt der See Rand, Grenze. In der Zeit, in der Politik nötig wird, sind die Verkehrsverhältnisse der Natur noch nicht gewachsen. Der See trennt eher als er verbindet. Nur die Sprache reicht um ihn herum. Es gab Äbte, Ratsherren, Unternehmende, die das Wasser für Handel und Wandel durchkreuzten. Aber noch im 15. Jahrhundert stößt man zum Beispiel auf den Ausdruck: uf dem fryen Bodensew: das bezeichnet die Zwischenzeit, in der die Ufer ringsum schon irgendwelchen landinneren Zentren verpflichtet sind, die Hoheit des Wassers aber noch sich selbst überlassen war.
Sobald man dem Wasser technisch gewachsen war, teilte man es auf. Hoheitlich. An Gemeinwesen. Dass die Uferschönheit begehrenswert ist, wird erst im 19. Jahrhundert entdeckt. Von besonderen bürgerlichen Exemplaren. Die angeblich weltabgewandten Mönche haben auch da eine Ausnahme gemacht. Abt Ulrich Rösch hat anno 1483 versucht, seinen Mönchen die Verlegung des Klosters von St. Gallen auf die Hänge über dem See bei Rorschach schmackhaft zu machen; und zwar in diesem Stil:
Item fürpindigen guton naturlichen gesunden Lufft, und mit Lust zu sechen den gantzen bodensee, und alles das darumb gelegen ist, beide lennder, schloß und stett, ennet und hie, diset, wyt und prait, desglichen man an vil enden nitt funde.
Was er nicht schaffte, gelang seinem Salemer Kollegen Abt Anselm II., der anno 1740 in seinen Sommersitz Birnau einziehen konnte, um von einem Juwel aus ins andere zu schauen. Das waren Ufer- und Seeblick-Avantgardisten. Jahrhunderte voraus. Dem von nichts als Arbeit lebenden Bauern war eine Uferwiese noch im Jahr 1950 einfach eine saure Wiese, als mindere Qualität. Zugereiste haben den Wohnwert der Ufer entdeckt. Von 1850 bis 1950. Danach setzte der allgemeine Run ein. Aber davor waren’s den Städten Entflohene. Verbitterte Professoren aus Berlin. Melancholische Fabrikanten aus Reutlingen. Kaffeehändler, die größenwahnsinnig aus den Kolonien zurückkehrten.
Jugendstilbefallene Frauen, die sich in Worpswede nicht durchsetzen konnten. Pensionierte Marineärzte, die ihre Frauen lebenslänglich vertröstet hatten. Sängerinnen, denen in München alle Felle weggeschwommen waren. Adelige Offiziere, denen man in der Welt das Kinn weggeschossen hatte. In Berlin verhöhnte Lyriker. Erfinder, die sich dem Lärm, den ihre Erfindungen in der Welt machten, entzogen. Dichter, die glaubten, das gehöre zu ihrem Beruf. Resignierte Homosexuelle. Pädagogen, die darauf warteten, dass man sie in Stuttgart vermissen werde. Von Großdeutschland angewiderte Intellektuelle.
Flüchtlingsgegend sind wir seit langem. Nach 1945 kamen wieder andere. Jetzt griffen auch die Einheimischen zu. Zimmer mit fl.k.u.w. (fließend kaltem und warmem – die Red.) Wasser. Und das in einem Häuschen am See. Da war die Pension gesichert. Von auswärts kamen und kommen jetzt keine so fantastischen Leute mehr. Die neueren Ankömmlinge wirken eher, als hätten sie in der Welt mit irgendetwas Erfolg gehabt und könnten jetzt hier herum jeden Preis bezahlen. Als das Ufer dann zu und verbaut war, kommt in die Länderverfassungen, dass der See allen zugänglich sein soll. Die Verwirklichung tut sich schwer. Privateigentum ist eine heilige Kuh. Gemeinwohl gern ein Lippengebet. Das ist alles ganz und gar legal. An der Legitimität dieser Legalität wird allerdings von Jahr zu Jahr mehr gezweifelt. Es ist das erklärte Ziel der Verwaltungen, die Ufer zu öffnen.
Jährlich werden ein paar hundert Meter Ufer der Öffentlichkeit zurückgegeben. Der Tag, an dem der angepriesene Bodensee-Rundweg ein Uferweg sein wird, könnte noch vor Ende dieses Jahrhunderts anbrechen. Wenn … wenn es gelingt, ein paar Vorurteile zu entspannen: der See ist das Allgemeine. Wasser kann man so wenig besitzen wie Luft. Das meint übrigens auch das Naturschutz-Gesetz des Freistaates Bayern. Meistens folgt dann der Weg der Geschichte der stärkeren Tendenz. Wäre es wirklich ein solches Unglück, wenn in einer Demokratie die ausschlaggebende Tendenz Demokratisierung wäre?"
Der bis zum Rand baumbestandene und fischvolle See hätte keinem gehört damals. Dann folgte aber sofort die Geschichte; wenn auch nicht mit Pfahlbauten, so doch mit Kelten, Römern und Germanen. Und schließlich werden es Nationen. Die teilen sich den allgemeinen See. Für alle Beteiligten bleibt der See Rand, Grenze. In der Zeit, in der Politik nötig wird, sind die Verkehrsverhältnisse der Natur noch nicht gewachsen. Der See trennt eher als er verbindet. Nur die Sprache reicht um ihn herum. Es gab Äbte, Ratsherren, Unternehmende, die das Wasser für Handel und Wandel durchkreuzten. Aber noch im 15. Jahrhundert stößt man zum Beispiel auf den Ausdruck: uf dem fryen Bodensew: das bezeichnet die Zwischenzeit, in der die Ufer ringsum schon irgendwelchen landinneren Zentren verpflichtet sind, die Hoheit des Wassers aber noch sich selbst überlassen war.
Sobald man dem Wasser technisch gewachsen war, teilte man es auf. Hoheitlich. An Gemeinwesen. Dass die Uferschönheit begehrenswert ist, wird erst im 19. Jahrhundert entdeckt. Von besonderen bürgerlichen Exemplaren. Die angeblich weltabgewandten Mönche haben auch da eine Ausnahme gemacht. Abt Ulrich Rösch hat anno 1483 versucht, seinen Mönchen die Verlegung des Klosters von St. Gallen auf die Hänge über dem See bei Rorschach schmackhaft zu machen; und zwar in diesem Stil:
Item fürpindigen guton naturlichen gesunden Lufft, und mit Lust zu sechen den gantzen bodensee, und alles das darumb gelegen ist, beide lennder, schloß und stett, ennet und hie, diset, wyt und prait, desglichen man an vil enden nitt funde.
Was er nicht schaffte, gelang seinem Salemer Kollegen Abt Anselm II., der anno 1740 in seinen Sommersitz Birnau einziehen konnte, um von einem Juwel aus ins andere zu schauen. Das waren Ufer- und Seeblick-Avantgardisten. Jahrhunderte voraus. Dem von nichts als Arbeit lebenden Bauern war eine Uferwiese noch im Jahr 1950 einfach eine saure Wiese, als mindere Qualität. Zugereiste haben den Wohnwert der Ufer entdeckt. Von 1850 bis 1950. Danach setzte der allgemeine Run ein. Aber davor waren’s den Städten Entflohene. Verbitterte Professoren aus Berlin. Melancholische Fabrikanten aus Reutlingen. Kaffeehändler, die größenwahnsinnig aus den Kolonien zurückkehrten.
Jugendstilbefallene Frauen, die sich in Worpswede nicht durchsetzen konnten. Pensionierte Marineärzte, die ihre Frauen lebenslänglich vertröstet hatten. Sängerinnen, denen in München alle Felle weggeschwommen waren. Adelige Offiziere, denen man in der Welt das Kinn weggeschossen hatte. In Berlin verhöhnte Lyriker. Erfinder, die sich dem Lärm, den ihre Erfindungen in der Welt machten, entzogen. Dichter, die glaubten, das gehöre zu ihrem Beruf. Resignierte Homosexuelle. Pädagogen, die darauf warteten, dass man sie in Stuttgart vermissen werde. Von Großdeutschland angewiderte Intellektuelle.
Flüchtlingsgegend sind wir seit langem. Nach 1945 kamen wieder andere. Jetzt griffen auch die Einheimischen zu. Zimmer mit fl.k.u.w. (fließend kaltem und warmem – die Red.) Wasser. Und das in einem Häuschen am See. Da war die Pension gesichert. Von auswärts kamen und kommen jetzt keine so fantastischen Leute mehr. Die neueren Ankömmlinge wirken eher, als hätten sie in der Welt mit irgendetwas Erfolg gehabt und könnten jetzt hier herum jeden Preis bezahlen. Als das Ufer dann zu und verbaut war, kommt in die Länderverfassungen, dass der See allen zugänglich sein soll. Die Verwirklichung tut sich schwer. Privateigentum ist eine heilige Kuh. Gemeinwohl gern ein Lippengebet. Das ist alles ganz und gar legal. An der Legitimität dieser Legalität wird allerdings von Jahr zu Jahr mehr gezweifelt. Es ist das erklärte Ziel der Verwaltungen, die Ufer zu öffnen.
Jährlich werden ein paar hundert Meter Ufer der Öffentlichkeit zurückgegeben. Der Tag, an dem der angepriesene Bodensee-Rundweg ein Uferweg sein wird, könnte noch vor Ende dieses Jahrhunderts anbrechen. Wenn … wenn es gelingt, ein paar Vorurteile zu entspannen: der See ist das Allgemeine. Wasser kann man so wenig besitzen wie Luft. Das meint übrigens auch das Naturschutz-Gesetz des Freistaates Bayern. Meistens folgt dann der Weg der Geschichte der stärkeren Tendenz. Wäre es wirklich ein solches Unglück, wenn in einer Demokratie die ausschlaggebende Tendenz Demokratisierung wäre?"
Das Wettertheater
O-Ton: "Sie können eben doch vier Wochen auf einer Insel in Spanien da sein und dann ist das im Grunde genommen fast immer gleich da drunten auf diesen kanarischen Inseln. Das Wettergeschehen ist eigentlich jeden Tag das gleiche, während hier das ganz unvorstellbar ist, dass etwa eine ganze Woche lang ein Wettertheater aufgeführt wird. Das ist gar nicht wahr. Die Szenen, die Wetterszenen wechseln andauernd. Auch da ist der See ein richtiger Verstärker, weil er das potenziert. Er potenziert den Spätnachmittag und er potenziert die Nacht und potenziert wieder den Morgen. Und natürlich potenziert er Ruhe und Sturm, vor allem durch Licht.
Ich schaue diesem Licht sehr gerne zu. Ich notiere das sozusagen täglich, ohne dass ich es aufschreibe, obwohl ich es sogar ein bisschen zu den Tagen dazu schreibe, weil ich finde, aber das ist eine Spielerei von mir: Ich habe immer das Gefühl, ich möchte plötzlich wissen, was am 25. März 1962 für ein Wetter hier war. Das gehört bei mir zu dem, dass nichts verloren gehen soll, auch nicht, was für ein Wetter war."
Ich schaue diesem Licht sehr gerne zu. Ich notiere das sozusagen täglich, ohne dass ich es aufschreibe, obwohl ich es sogar ein bisschen zu den Tagen dazu schreibe, weil ich finde, aber das ist eine Spielerei von mir: Ich habe immer das Gefühl, ich möchte plötzlich wissen, was am 25. März 1962 für ein Wetter hier war. Das gehört bei mir zu dem, dass nichts verloren gehen soll, auch nicht, was für ein Wetter war."