"Ich will frei leben, ohne Abhängigkeit und Kontrolle"

Von Jochen R. Klicker |
Frauen, die im und mit dem Buddhismus leben wollen, sind von mehrereni historischen Lasten beschwert. So lehnte etwa der historische Buddha die Ordinierung von Frauen zu Nonnen ab, da es ihnen an Spiritualität beziehungsweise Inspiration mangele. Diese und andere Überzeugungen haben die Entwicklung eines realistischen Ansatzes für das Leben von Frauen in einer buddhistischen Gemeinschaft verhindert.
Juli 2007. Fast inkognito war Seine Heiligkeit der Dalai Lama und Friedensnobelpreisträger von 1989 nach Hamburg gekommen. Drei Tage lang debattierte und beriet das geistliche Oberhaupt des tibetischen Buddhismus mit Nonnen und Mönchen, konservativen Gelehrten und feministischen Frauen zwei Fragen: Sollte Frauen im tibetischen Buddhismus endlich die volle geistliche Gleichberechtigung eingeräumt werden? Und sollte den Bhikkunis - den jungen Nonnen in religiösem Dienst – dementsprechend die volle Ordination ermöglicht werden, so dass sie in den Mönchsrepubliken volles Bürgerrecht genießen könnten? Im "Spiegel Online" hieß es damals ironisch.

Bikinis oder Bhikkhunis?!

In ihrem Kern ist die buddhistische Lehre - oder besser Religionsphilosophie - eine Gründung des nepalesischen Prinzen Siddharta Gautama, der um 550 vor Christus geboren wurde. Die Chronisten fabulieren:

Nach einer unbekümmerten Jugend innerhalb der elfenbeinernen Abgeschiedenheit des heimischen Schlosses wurde er im Alter von 29 Jahren erstmals mit dem Elend der Welt konfrontiert. Davon tief angerührt verließ er seine fürstliche und familiäre Welt und zog mehrere Jahre als Asket und Eremit durch Nordindien – immer auf der Suche nach persönlicher Erlösung. Doch nicht durch asketische Selbstkasteiung, sondern durch meditative Versenkung erreichte er schließlich im Jahre 528 unter einem Feigenbaum die Erleuchtung, wie alles Leid und Elend zu überwinden sei. Noch am Ort seiner Erleuchtung bestürmen ihn seine ersten fünf Schüler, von ihm als "weisem Meister" belehrt zu werden. Doch schon kurz nach seiner ersten Predigt begibt er sich als Bettelmönch für mehrere Jahrzehnte auf Wanderschaft durch seine nordindische Heimat. Im Jahre 480 vor unserer Zeitrechnung verlässt er diese Erde in der Gewissheit, das Ziel aller Ziele erreicht zu haben:

Das Eingehen in die Unendlichkeit des Raumes, die Vernichtung von Wahrnehmung und Empfindung, das ist das Ziel.

Wir rufen uns nochmals die Kernbotschaft ins Gedächtnis zurück:

Erstens bedeutet Leben Leiden. Zweitens resultiert Leiden aus menschlichen Eigenschaften wie Hass und Neid, Begehrlichkeit und Gier, Sinnlichkeit und Unwissenheit. Drittens kann der Mensch sich selbst von dem Leid befreien. Und viertens ist der Weg zur Befreiung vom Leid, dem Eingang ins Nirwana, in der Lehre aufgezeichnet.

Da nach Überzeugung des historischen Buddha jedoch diese Leiden schaffenden menschlichen Eigenschaften im wesentlichen weibliche Eigenschaften sind, stellte er sich schon frühzeitig die Frage, ob die buddhistische Gemeinschaft Frauen überhaupt Sangha, also Zuflucht, gewähren könne. Denn soviel schien sicher zu sein: Für den Suchenden, für den Weisen, gar für den Mönch stellte die Sexualität eher eine Bedrohung als eine Bereicherung dar. Ein Lehrdialog zwischen dem Buddha und seinem Lieblingsschüler Ananda scheint das zu belegen.

Wie sollen wir, o Herr, uns mit den Weibern verhalten?

Nicht anschauen, Ananda.

Und wenn, Erhabener, wir sie bereits gesehen haben, soll man sich wie verhalten?

Nicht ansprechen, Ananda.

Wenn aber eins anspricht, o Herr, soll man sich wie verhalten?

Achtsamkeit, Ananda, bewahren.

Immer wieder warnt Buddha vor allem die angehenden Mönche und Nonnen vor den Gefahren, die aus Leidenschaft und Unmoral erwachsen. Ihm selbst gehe es deshalb vor allem um die Entwicklung, Entfaltung und Schulung des individuellen Geistes. Der Körper diene nur als das sinnliche Werkzeug, um diesen Befreiungsweg gehen zu können; wohl wissend, dass die erotische Spannung zwischen den Geschlechtern eine der stärksten Triebfedern und Triebfesseln darstellt, die es zu überwinden gilt.

In der Mehrzahl der Schulen und Studienzentren ist das nicht mehr so. Da wird längst Gleichberechtigung und – nach drei Jahren Aus- und Weiterbildung – komplette Ordination gelebt. Auch das Patriarchat ist abgeschafft, wenngleich es nicht überall ohne Widerstand gegangen war. Und gelegentlich tun sich manche Meister schwer damit, für die Arbeit an den heiligen Texten auch weibliche Geisteswelten zu berücksichtigen. Lama Yeshe Sangmo ist eine ordinierte buddhistische Nonne. Sechs Jahre lang hat sie in einem südfranzösischen Kloster, einem so genannten Retreat, meditiert und studiert.

Yeshe: "Wir haben das ganz große Glück gehabt. Unser Lehrer Lama Ghennen war völlig mutig. Der hat uns im Retreat noch mal erforscht. Er hatte ja nicht so viele Kenntnisse von Frauen, denn er ist ja von klein auf Mönch geworden, kannte die Frauen nicht so richtig. Und das hat er auch gesagt, als er in den Westen kam, er kenne die Frauen nicht richtig, weil er nie mit Frauen gelebt hat. Und dann hat er hier im Westen den Geist der Frauen studiert und hat dann festgestellt für sich, dass der Geist der Männer und der Geist der Frauen im Prinzip und in der Essenz völlig gleich ist, aber in der Arbeitsweise schon unterschiedlich ist. Und so hat er mutig Frauen hineingeholt ins Retreat. Wir haben die gleiche Belehrung bekommen wie die Männer, aber wie wir das ausgeübt haben, wie wir die Lehren genutzt haben, das war ein bisschen anders; das hat er studiert, wie wir das gemacht haben. Und er hat dann gesagt, die Zukunft hier im Westen, die liegt stark bei den Frauen. Wenn Frauen einmal loslassen von Anhaftung, dann geht das sehr viel schneller als bei Männern. Das war seine Quintessenz. Und ich habe gehört, der Dalai Lama sage Ähnliches, andere Meister sagen Ähnliches."

Der Dalei Lama sagt inzwischen auch öffentlich, dass Frauen für ihn das sanftere Geschlecht seien. Weiblichkeit gilt ihm als Synonym für Güte und Mitgefühl. Auch das tiefere Verständnis für sein eigenes kulturelles, politisches und soziales Umfeld - gestützt auf Einfühlungsvermögen, Mitfreude und Gelassenheit - findet er eher bei den Frauen.

Yeshe: "Es ist offensichtlich: Wir Frauen im Westen, wir sind gut ausgebildet. Die kulturelle Situation in Tibet (oder früher in Indien), die wurde und wird Gott sei dank hier nicht hergeschleppt. Wir haben die Möglichkeit, alle Freiheit hier zu leben. Das ist aber anders als im Osten. Im Osten ist es immer noch so, dass die Frauen stark benachteiligt sind."

Diese Aussage deckt sich mit der von Buddhismus-Forscherin Marianne Wachs. Allerdings stellen die Nonne wie auch die Wissenschaftlerin fest, dass die Integration von Frauen ins religiöse Denken und Empfinden bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhundert nur sehr zögerlich vor sich gegangen war.

Wachs: "Dadurch, dass das natürlich im Westen überhaupt nicht mehr problematisch ist jetzt, sondern dass die Frauen natürlich eine gleiche Stellung haben, haben jetzt auch die Asiaten schon ein bisschen gelernt davon. Das kann man sagen. Ansonsten gibt es immer noch in Asien diese Formen von Unterdrückung – auch in der ganzen Hierarchie. Die Nonnen sind ja auch den Mönchen untergeordnet, kann man sagen; und sie haben auch sehr viel mehr Regeln zu befolgen. Aber normalerweise geben sich auch die asiatischen Buddhisten und Lehrerinnen und Lehrer sehr große Mühe, keine Diffamierung oder Diskreditierung von Frauen aufkommen zu lassen."

So weit, so gut. Aber wie erfährt denn eine Interessierte, ein Interessierter nun dies alles, wo doch der Buddhismus darauf verzichtet hat, per Mission für sich zu werben? – Die Buddhismusforscherin schmunzelt… und gibt dann eine sehr pragmatische Antwort:

Wachs: "Dass der Buddhismus keine Mission verfolgt, ist natürlich nur Theorie. In der Praxis macht er’s natürlich. Das ist doch klar. Er propagiert sich ja schon insoweit, indem er anderen sagt "Hört doch mal zu!" Es gibt doch diesen Spruch "Komm und sieh!". Das heißt, man lädt die Leute ein zu schauen. Und wenn die Fragen haben, werden die Fragen beantwortet. Da gibt es ja inzwischen genügend Zentren…"