"Ich wünsche mir erwachsene, reife Unterhaltung"
Computerspiele sind immer wieder großartig, oftmals aber auch total langweilig, findet der Fachjournalist Heiko Gogolin. Bei guten Spielen beeindruckt ihn, dass sie ihn auf eine Achterbahn der Gefühle schicken - wie sonst kein anderes Medium.
Klaus Pokatzky: Hochkulturell, offiziell gibt es keine Zweifel: Computerspiele gelten seit 2008, also seit vier Jahren, als Kulturgut. Der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen wurde in den Deutschen Kulturrat aufgenommen. Und es gibt einen Deutschen Computerspielpreis, der als Pendant zum Deutschen Filmpreis gilt.
Dennoch steht es um den Ruf von Computerspielen ähnlich wie früher um den der Comics: Sie werden begleitet vom Vorurteil des Trashs, sie werden reduziert auf das Klischee primitiver Ballerspiele, und sie werden in den Feuilletons bis heute kaum wahrgenommen. Auf der Messe "Gamescom 2012" begrüße ich nun in Köln, im Ü-Wagen, den Journalisten und Computerspielkenner Heiko Gogolin. Guten Tag nach Köln!
Heiko Gogolin: Hallo, schönen guten Tag!
Pokatzky: Heiko Gogolin, woher rühren diese hartnäckigen Vorurteile?
Gogolin: Ja, es handelt sich natürlich zuallererst auch um einen Generationskonflikt, das muss man leider so sagen. Denn das, was als Hochkultur wahrgenommen wird, oder das, was als Hochkultur gilt, hängt oftmals nicht vom Kulturgut selbst ab, sondern davon, ob etwas über Jahrzehnte hinweg in Universitäten diskutiert wird, auf Lehrplänen in der Schule sich befindet oder in Magazinen wie dem Ihrem diskutiert wird. Und das ist letztendlich ein Transformationsprozess sozusagen, also Spiele wandern mit der Zeit höher in der Kultur. Das hat für mich das Wort Hochkultur auch in sich. Und da sind Spiele, trotz dieser offiziellen Ehrung als Kulturgut, die Sie bereits angesprochen haben, noch nicht angekommen.
Pokatzky: Das heißt, die Professoren und die Lehrer und die Journalisten, die, als sie klein waren, erleben mussten, dass ihre Eltern die Comics auf den Müll geworfen haben, die machen jetzt das sozusagen, geben das weiter an die Jungen heute, die mit Computern spielen?
Gogolin: Ganz genau, ja.
Pokatzky: Das ist aber reichlich absurd.
Gogolin: Das ist auf jeden Fall absurd, und es ändert sich natürlich. Weil mittlerweile so eine Generation, der ich jetzt auch angehöre, ich bin 38, gehöre also zur ersten Generation, die mit kommerziellen Videospielen aufgewachsen ist. Das ist so, die ersten kommerziellen Spiele gab es Ende der 70er. Und wir befinden uns mittlerweile in der Situation, dass wir selber Magazine machen können, dass wir selber eben jetzt als Experten im Rundfunk auftreten oder an der Uni Seminare geben und so weiter.
Insofern ist jetzt gerade auch eine Zeit, in der sich das Ganze ändert. Aber es dauert tatsächlich. Auch im angesprochenen Printfeuilleton der großen überregionalen Tageszeitungen ist es letztendlich auch so, dass Spiele auch mittlerweile ab und an sogar auftauchen und dort nicht nur dem Aspekt irgendwelcher Gewaltverherrlichung diskutiert werden, sondern auch um die Frage, wieso sind die eigentlich so erfolgreich oder was macht dieses Medium so faszinierend.
Pokatzky: In der Regel muss ich dann Fachzeitschriften kaufen, wenn ich mich über Computerspiele wirklich sachkundig informieren will. Fehlen den Zeitungen, den wichtigen Zeitungen in den Feuilletons die entsprechend ausgebildeten Redakteure? Müsste es da vielleicht auf den Journalistenschulen oder in der Ausbildung von Journalisten so einen kleinen Bereich Computerspiele oder überhaupt digitale Welt vielleicht geben?
Gogolin: Also ich kenne sehr viele Menschen, die auch für überregionale Tageszeitungen zum Beispiel schreiben, die sich sehr gut damit auskennen. Es ist einfach eine Frage der kulturellen Wertigkeit, inwiefern man eine relevante Theateraufführung, ein neues relevantes Buch, einen akademischen Sammelband bespricht oder halt ein Computerspiel, dem immer noch dieses halt negative Image anhaftet.
Pokatzky: Hat es ja der Computerspielbranche denn überhaupt geholfen, dass es vor vier Jahren diese offizielle Anerkennung durch den Kulturrat gab? Oder ist das weitgehend verrauscht?
Gogolin: Ja und nein. Also ich sage mal, kommerziell ist der Branche das Feuilleton oder diese Ehrung, glaube ich, relativ egal. So, das hat tatsächlich keinerlei Auswirkungen auf den Verkauf von tatsächlichen Spielen. Insgesamt gesehen findet es die Branche, glaube ich, aber sehr gut, kulturell anerkannt zu werden.
Zum Beispiel der Deutsche Computerspielpreis, der ja ebenfalls bereits erwähnt wurde, in dessen Jury ich auch sitze, der ja von der Bundesregierung und von der Industrie gemeinsam vergeben wird, das ist ja tatsächlich auch eine Ehrung gewesen, dass man sozusagen versucht, nicht nur durch härteren Jugendschutz und durch ähnliche Maßnahmen Computerspiele sozusagen zu reglementieren, sondern auch auszuzeichnen und auch dementsprechend wirtschaftlich zu fördern.
Pokatzky: Heiko Gogolin begleitet die Computerspielszene schon seit Jahren als Journalist und sitzt jetzt im Ü-Wagen auf der "Gamescom" in Köln. Herr Gogolin, bewegen sich manchmal vielleicht die Experten, die Menschen, die also diese Computerspiele entwickeln, oder auch die wenigen Journalisten, die darüber berichten, zu sehr auch in ihrer eigenen Szene und vermeiden es so ein bisschen, sich so mit den anderen Szenen zu durchmischen?
Gogolin: Ich glaube, das fängt zuallererst mal bei den Computerspielen selbst an. Denn Computerspiele waren früher unglaublich selbstreferenziell. Die hatten natürlich technisch noch nicht so viel zu bieten in früheren Jahren und haben dementsprechend einen sehr eingeschränkten Kosmos gehabt. Da waren die Sounds naiver und die Grafiken reduzierter und das hatte noch gar nicht so viele realweltliche Anknüpfungspunkte.
Mittlerweile hat man ja audiovisuell unglaubliche Möglichkeiten, und es kommt immer mehr zum Aufgreifen von realweltlichen Themen, von Zeiten. Also man hat interaktive Zeitreisen in die 80er-Jahre, indem man im Bereich der "Serious Games", der sogenannten ernsten Spiele auch Spiele mit pädagogischem Hintergrund aufgreift. Das heißt, tatsächlich ist das jetzt vielleicht oftmals auch erst möglich oder interessant für die Szene außerhalb der Spiele hinaus.
Pokatzky: Sind sie also künstlerisch wertvoll geworden?
Gogolin: Ja und nein. Also, ich würde schon sagen, Computerspiele befinden sich auf einem sehr, sehr guten Weg, interessante Themen aufzugreifen, aber dieser Weg ist lang und steinig. Und wir haben es in Deutschland ja auch immer mit dieser Zweiteilung zwischen Spiel und Ernst zu tun. Und das ist auch noch mal ein Grund für die mangelnde kulturelle Wertschöpfung, dass das, was Spiel ist, in Deutschland kein Ernst sein kann und dementsprechend nicht toll sein kann.
Pokatzky: Dann sagen Sie doch mal eines Ihrer Lieblingsspiele, wo Sie wirklich sagen würden, das ist toll, das ist künstlerisch wertvoll, das ist hochwertig.
Gogolin: Ich mag aus der letzten Zeit das Spiel "Journey" sehr gerne, das ist ein Spiel aus Amerika beziehungsweise Japan, und das ist ein Spiel, das dauert nur drei Stunden …
Pokatzky: Nur …
Gogolin: Das spielt man tatsächlich in einem einzelnen Rutsch durch. Und man befindet sich in einer Welt, die aus sehr viel Sand besteht und aus sehr vielen mystischen Symbolen. Und man weiß überhaupt nicht, was passiert. Und man fühlt sich unglaublich klein. Normale Spiele lassen einen ja sich groß fühlen, indem man Waffen in der Hand hat und alles Mögliche zerstört, aber dieses Spiel lässt einen klein sein.
Man sieht riesengroße Gebäude, man läuft durch ganz einsame Landschaften, und ab und an trifft man andere Spieler, die weltweit von irgendwoher kommen, aber man weiß nicht, von wo. Und man weiß auch nicht, wer das war. Das wird einem erst am Ende, nach diesen drei Stunden, verraten, wem man begegnet ist. Und dann läuft man gemeinsam durch diese sehr komischen Sandwelten und tritt so seltsam in Interaktion miteinander, ohne dass man direkt sprechen kann und man macht so Gesten. Und das persönlich ist eine emotional sehr reife Produktion.
Pokatzky: Aber Herr Gogolin, wenn Sie jetzt sagen, nur drei Stunden, was ist denn dann die, ich sage mal, Durchschnittslänge und was ist die Maximallänge eines Computerspiels ansonsten?
Gogolin: Das kann man nicht allgemein sagen. Es gibt Spiele, die dauern 30 Sekunden, die spielt man in der Bahn. Aber es gibt auch Spiele, die kann man 100 bis 150 Stunden spielen. Das sind dann Onlinerollenspiele, sehr, sehr komplexe Sachen, die natürlich auch sehr repetitiv sind, wo man sehr lange an irgendetwas arbeitet. Generell lässt sich feststellen, Spiele werden kürzer. Das liegt auch daran, dass Gamer wie ich älter werden und natürlich Spiele noch schätzen, aber auch nicht mehr so viel Zeit dafür haben. Das heißt, so eine Form von Kurzunterhaltung, ähnlich wie ein Spielfilm von der Länge her, die man abends einfach mal durchspielt, die nehmen Spielehersteller auch schon rein aus kommerziellen Gesichtspunkten immer mehr in den Blick.
Pokatzky: Geht denn überhaupt dieser Kommerz, gehen die kommerziellen Gesichtspunkte mit dem künstlerischen Anspruch, also mit dem künstlerisch wertvoll, geht das überhaupt zusammen?
Gogolin: Also das erwähnte Spiel "Journey" war tatsächlich sehr erfolgreich. Ansonsten ist der Mainstream, also das, was sich in den Charts befindet, in der Regel, sag ich mal, nicht sonderlich interessant. Das ist aber trotzdem so, dass viele dieser künstlerischen Spiele digitale Distributionsmethoden nutzen, also sprich, die kann man sich runterladen aus dem Netz oder auf die Konsole und so weiter. Und das hilft der Verbreitung von so kleinen Geschichten ungemein, weil man muss sie nicht mehr in irgendwelchen Spezialistenshops suchen, sondern durch Spiele, die man umsonst anspielen kann, kommen auch Leute damit in Berührung, die sich sonst vielleicht gar kein künstlerisches Spiel kaufen würden, können es umsonst antesten und spielen es dann. Also ich würde sagen, die Zeit ist gerade momentan sehr gut für solche Spiele.
Pokatzky: Die Spieleforscherin Natascha Adamowsky hat einmal in einem Zeitungsinterview gesagt: Ich habe keine Utopie für Spiele. Heiko Gogolin, haben Sie Utopien für Spiele?
Gogolin: Also ich – das Wort Utopie ist ein sehr schwieriges, finde ich. Ich sag mal, tatsächlich …
Pokatzky: Träume. Dann frage ich: Träume?
Gogolin: Also ich persönlich hätte gerne sehr, sehr erwachsene Spiele, Spiele als Unterhaltung, vergleichbar mit einem interaktiven Film. Das klingt jetzt sehr wie eine Platitüde, weil das die Spieleindustrie selber auch als Marketinginstrument gerne mal rausholt. Aber ich persönlich glaube, die Entwicklung von Spielen wird in den nächsten Jahren noch enorm zunehmen, und ich wünsche mir sehr viel erwachsene, reife Unterhaltung, die mich auf eine Gefühlswelt schickt, die kein anderes Medium so gut umsetzen kann wie Computerspiele. Das ist auch so ein Punkt, wieso vielleicht die Wertschöpfung, den Gedanken möchte ich noch mal kurz zu Ende bringen, so schwierig ist, weil es um Emotionen geht. Computerspiele schicken einen auf so eine Achterbahn der Emotionen, und die ist halt schwieriger zu objektivieren als jetzt, sag ich mal, die Aussage in einem Theaterstück.
Pokatzky: Und deshalb lieben Sie Computerspiele?
Gogolin: Deshalb finde ich Computerspiele immer wieder großartig. Ich finde sie oftmals auch ganz ehrlich total langweilig, und ich möchte jetzt hier auch nicht Computerspiele in den Himmel loben, aber ich finde es auch als Journalist tatsächlich das spannendste Medium, was man beobachten kann, weil sich da einfach wahnsinnig viel tut und immer wieder es zu sehr, sehr neuen Entwicklungen kommt.
Pokatzky: Danke, Heiko Gogolin nach Köln, und viel Spaß noch auf der "Gamescom"!
Gogolin: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dennoch steht es um den Ruf von Computerspielen ähnlich wie früher um den der Comics: Sie werden begleitet vom Vorurteil des Trashs, sie werden reduziert auf das Klischee primitiver Ballerspiele, und sie werden in den Feuilletons bis heute kaum wahrgenommen. Auf der Messe "Gamescom 2012" begrüße ich nun in Köln, im Ü-Wagen, den Journalisten und Computerspielkenner Heiko Gogolin. Guten Tag nach Köln!
Heiko Gogolin: Hallo, schönen guten Tag!
Pokatzky: Heiko Gogolin, woher rühren diese hartnäckigen Vorurteile?
Gogolin: Ja, es handelt sich natürlich zuallererst auch um einen Generationskonflikt, das muss man leider so sagen. Denn das, was als Hochkultur wahrgenommen wird, oder das, was als Hochkultur gilt, hängt oftmals nicht vom Kulturgut selbst ab, sondern davon, ob etwas über Jahrzehnte hinweg in Universitäten diskutiert wird, auf Lehrplänen in der Schule sich befindet oder in Magazinen wie dem Ihrem diskutiert wird. Und das ist letztendlich ein Transformationsprozess sozusagen, also Spiele wandern mit der Zeit höher in der Kultur. Das hat für mich das Wort Hochkultur auch in sich. Und da sind Spiele, trotz dieser offiziellen Ehrung als Kulturgut, die Sie bereits angesprochen haben, noch nicht angekommen.
Pokatzky: Das heißt, die Professoren und die Lehrer und die Journalisten, die, als sie klein waren, erleben mussten, dass ihre Eltern die Comics auf den Müll geworfen haben, die machen jetzt das sozusagen, geben das weiter an die Jungen heute, die mit Computern spielen?
Gogolin: Ganz genau, ja.
Pokatzky: Das ist aber reichlich absurd.
Gogolin: Das ist auf jeden Fall absurd, und es ändert sich natürlich. Weil mittlerweile so eine Generation, der ich jetzt auch angehöre, ich bin 38, gehöre also zur ersten Generation, die mit kommerziellen Videospielen aufgewachsen ist. Das ist so, die ersten kommerziellen Spiele gab es Ende der 70er. Und wir befinden uns mittlerweile in der Situation, dass wir selber Magazine machen können, dass wir selber eben jetzt als Experten im Rundfunk auftreten oder an der Uni Seminare geben und so weiter.
Insofern ist jetzt gerade auch eine Zeit, in der sich das Ganze ändert. Aber es dauert tatsächlich. Auch im angesprochenen Printfeuilleton der großen überregionalen Tageszeitungen ist es letztendlich auch so, dass Spiele auch mittlerweile ab und an sogar auftauchen und dort nicht nur dem Aspekt irgendwelcher Gewaltverherrlichung diskutiert werden, sondern auch um die Frage, wieso sind die eigentlich so erfolgreich oder was macht dieses Medium so faszinierend.
Pokatzky: In der Regel muss ich dann Fachzeitschriften kaufen, wenn ich mich über Computerspiele wirklich sachkundig informieren will. Fehlen den Zeitungen, den wichtigen Zeitungen in den Feuilletons die entsprechend ausgebildeten Redakteure? Müsste es da vielleicht auf den Journalistenschulen oder in der Ausbildung von Journalisten so einen kleinen Bereich Computerspiele oder überhaupt digitale Welt vielleicht geben?
Gogolin: Also ich kenne sehr viele Menschen, die auch für überregionale Tageszeitungen zum Beispiel schreiben, die sich sehr gut damit auskennen. Es ist einfach eine Frage der kulturellen Wertigkeit, inwiefern man eine relevante Theateraufführung, ein neues relevantes Buch, einen akademischen Sammelband bespricht oder halt ein Computerspiel, dem immer noch dieses halt negative Image anhaftet.
Pokatzky: Hat es ja der Computerspielbranche denn überhaupt geholfen, dass es vor vier Jahren diese offizielle Anerkennung durch den Kulturrat gab? Oder ist das weitgehend verrauscht?
Gogolin: Ja und nein. Also ich sage mal, kommerziell ist der Branche das Feuilleton oder diese Ehrung, glaube ich, relativ egal. So, das hat tatsächlich keinerlei Auswirkungen auf den Verkauf von tatsächlichen Spielen. Insgesamt gesehen findet es die Branche, glaube ich, aber sehr gut, kulturell anerkannt zu werden.
Zum Beispiel der Deutsche Computerspielpreis, der ja ebenfalls bereits erwähnt wurde, in dessen Jury ich auch sitze, der ja von der Bundesregierung und von der Industrie gemeinsam vergeben wird, das ist ja tatsächlich auch eine Ehrung gewesen, dass man sozusagen versucht, nicht nur durch härteren Jugendschutz und durch ähnliche Maßnahmen Computerspiele sozusagen zu reglementieren, sondern auch auszuzeichnen und auch dementsprechend wirtschaftlich zu fördern.
Pokatzky: Heiko Gogolin begleitet die Computerspielszene schon seit Jahren als Journalist und sitzt jetzt im Ü-Wagen auf der "Gamescom" in Köln. Herr Gogolin, bewegen sich manchmal vielleicht die Experten, die Menschen, die also diese Computerspiele entwickeln, oder auch die wenigen Journalisten, die darüber berichten, zu sehr auch in ihrer eigenen Szene und vermeiden es so ein bisschen, sich so mit den anderen Szenen zu durchmischen?
Gogolin: Ich glaube, das fängt zuallererst mal bei den Computerspielen selbst an. Denn Computerspiele waren früher unglaublich selbstreferenziell. Die hatten natürlich technisch noch nicht so viel zu bieten in früheren Jahren und haben dementsprechend einen sehr eingeschränkten Kosmos gehabt. Da waren die Sounds naiver und die Grafiken reduzierter und das hatte noch gar nicht so viele realweltliche Anknüpfungspunkte.
Mittlerweile hat man ja audiovisuell unglaubliche Möglichkeiten, und es kommt immer mehr zum Aufgreifen von realweltlichen Themen, von Zeiten. Also man hat interaktive Zeitreisen in die 80er-Jahre, indem man im Bereich der "Serious Games", der sogenannten ernsten Spiele auch Spiele mit pädagogischem Hintergrund aufgreift. Das heißt, tatsächlich ist das jetzt vielleicht oftmals auch erst möglich oder interessant für die Szene außerhalb der Spiele hinaus.
Pokatzky: Sind sie also künstlerisch wertvoll geworden?
Gogolin: Ja und nein. Also, ich würde schon sagen, Computerspiele befinden sich auf einem sehr, sehr guten Weg, interessante Themen aufzugreifen, aber dieser Weg ist lang und steinig. Und wir haben es in Deutschland ja auch immer mit dieser Zweiteilung zwischen Spiel und Ernst zu tun. Und das ist auch noch mal ein Grund für die mangelnde kulturelle Wertschöpfung, dass das, was Spiel ist, in Deutschland kein Ernst sein kann und dementsprechend nicht toll sein kann.
Pokatzky: Dann sagen Sie doch mal eines Ihrer Lieblingsspiele, wo Sie wirklich sagen würden, das ist toll, das ist künstlerisch wertvoll, das ist hochwertig.
Gogolin: Ich mag aus der letzten Zeit das Spiel "Journey" sehr gerne, das ist ein Spiel aus Amerika beziehungsweise Japan, und das ist ein Spiel, das dauert nur drei Stunden …
Pokatzky: Nur …
Gogolin: Das spielt man tatsächlich in einem einzelnen Rutsch durch. Und man befindet sich in einer Welt, die aus sehr viel Sand besteht und aus sehr vielen mystischen Symbolen. Und man weiß überhaupt nicht, was passiert. Und man fühlt sich unglaublich klein. Normale Spiele lassen einen ja sich groß fühlen, indem man Waffen in der Hand hat und alles Mögliche zerstört, aber dieses Spiel lässt einen klein sein.
Man sieht riesengroße Gebäude, man läuft durch ganz einsame Landschaften, und ab und an trifft man andere Spieler, die weltweit von irgendwoher kommen, aber man weiß nicht, von wo. Und man weiß auch nicht, wer das war. Das wird einem erst am Ende, nach diesen drei Stunden, verraten, wem man begegnet ist. Und dann läuft man gemeinsam durch diese sehr komischen Sandwelten und tritt so seltsam in Interaktion miteinander, ohne dass man direkt sprechen kann und man macht so Gesten. Und das persönlich ist eine emotional sehr reife Produktion.
Pokatzky: Aber Herr Gogolin, wenn Sie jetzt sagen, nur drei Stunden, was ist denn dann die, ich sage mal, Durchschnittslänge und was ist die Maximallänge eines Computerspiels ansonsten?
Gogolin: Das kann man nicht allgemein sagen. Es gibt Spiele, die dauern 30 Sekunden, die spielt man in der Bahn. Aber es gibt auch Spiele, die kann man 100 bis 150 Stunden spielen. Das sind dann Onlinerollenspiele, sehr, sehr komplexe Sachen, die natürlich auch sehr repetitiv sind, wo man sehr lange an irgendetwas arbeitet. Generell lässt sich feststellen, Spiele werden kürzer. Das liegt auch daran, dass Gamer wie ich älter werden und natürlich Spiele noch schätzen, aber auch nicht mehr so viel Zeit dafür haben. Das heißt, so eine Form von Kurzunterhaltung, ähnlich wie ein Spielfilm von der Länge her, die man abends einfach mal durchspielt, die nehmen Spielehersteller auch schon rein aus kommerziellen Gesichtspunkten immer mehr in den Blick.
Pokatzky: Geht denn überhaupt dieser Kommerz, gehen die kommerziellen Gesichtspunkte mit dem künstlerischen Anspruch, also mit dem künstlerisch wertvoll, geht das überhaupt zusammen?
Gogolin: Also das erwähnte Spiel "Journey" war tatsächlich sehr erfolgreich. Ansonsten ist der Mainstream, also das, was sich in den Charts befindet, in der Regel, sag ich mal, nicht sonderlich interessant. Das ist aber trotzdem so, dass viele dieser künstlerischen Spiele digitale Distributionsmethoden nutzen, also sprich, die kann man sich runterladen aus dem Netz oder auf die Konsole und so weiter. Und das hilft der Verbreitung von so kleinen Geschichten ungemein, weil man muss sie nicht mehr in irgendwelchen Spezialistenshops suchen, sondern durch Spiele, die man umsonst anspielen kann, kommen auch Leute damit in Berührung, die sich sonst vielleicht gar kein künstlerisches Spiel kaufen würden, können es umsonst antesten und spielen es dann. Also ich würde sagen, die Zeit ist gerade momentan sehr gut für solche Spiele.
Pokatzky: Die Spieleforscherin Natascha Adamowsky hat einmal in einem Zeitungsinterview gesagt: Ich habe keine Utopie für Spiele. Heiko Gogolin, haben Sie Utopien für Spiele?
Gogolin: Also ich – das Wort Utopie ist ein sehr schwieriges, finde ich. Ich sag mal, tatsächlich …
Pokatzky: Träume. Dann frage ich: Träume?
Gogolin: Also ich persönlich hätte gerne sehr, sehr erwachsene Spiele, Spiele als Unterhaltung, vergleichbar mit einem interaktiven Film. Das klingt jetzt sehr wie eine Platitüde, weil das die Spieleindustrie selber auch als Marketinginstrument gerne mal rausholt. Aber ich persönlich glaube, die Entwicklung von Spielen wird in den nächsten Jahren noch enorm zunehmen, und ich wünsche mir sehr viel erwachsene, reife Unterhaltung, die mich auf eine Gefühlswelt schickt, die kein anderes Medium so gut umsetzen kann wie Computerspiele. Das ist auch so ein Punkt, wieso vielleicht die Wertschöpfung, den Gedanken möchte ich noch mal kurz zu Ende bringen, so schwierig ist, weil es um Emotionen geht. Computerspiele schicken einen auf so eine Achterbahn der Emotionen, und die ist halt schwieriger zu objektivieren als jetzt, sag ich mal, die Aussage in einem Theaterstück.
Pokatzky: Und deshalb lieben Sie Computerspiele?
Gogolin: Deshalb finde ich Computerspiele immer wieder großartig. Ich finde sie oftmals auch ganz ehrlich total langweilig, und ich möchte jetzt hier auch nicht Computerspiele in den Himmel loben, aber ich finde es auch als Journalist tatsächlich das spannendste Medium, was man beobachten kann, weil sich da einfach wahnsinnig viel tut und immer wieder es zu sehr, sehr neuen Entwicklungen kommt.
Pokatzky: Danke, Heiko Gogolin nach Köln, und viel Spaß noch auf der "Gamescom"!
Gogolin: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.