"Ich ziehe es vor, Optimist zu bleiben"
In seinem Roman "Das Dorf des Deutschen" hat der Algerier Boualem Sansal eine Parallele zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und dem Islam gezogen. Sansals Reise zum Internationalen Schriftstellertreffen nach Jerusalem stieß daher auf viel Kritik.
Sigrid Brinkmann: Sansal, der 2011 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden ist, war in dieser Woche zu Gast beim 3. Internationalen Schriftstellertreffen in Jerusalem. Die Hamas hatte schon Wochen zuvor in gewohnt kriminalisierender Art verbreiten lassen, dass die Teilnahme des 62-jährigen Schriftstellers ein "Verbrechen" gegen Palästinenser unter israelischer Besatzung wie auch "gegen die algerischen Märtyrer" sei, die ihr Leben im Kampf für die Algeriens Unabhängigkeit von Frankreich geopfert hätten. Auch in Algerien haben mehrere Schriftsteller sowie der Direktor der Nationalbibliothek Boualem Sansals Reise als eine "Versündigung an allen Arabern" verurteilt. Sansals Romane dürfen in Algerien nicht erscheinen, und man kann in all den Aufforderungen einen weiteren Versuch sehen, ihn zu isolieren.
Boualem Sansal war fünf Tage in Israel. Zur Zeit ist er in Prag. Ich habe ihn gefragt, ob die Einladung nach Jerusalem für ihn eine Gelegenheit war, auf die er schon länger gewartet hat?
Boualem Sansal: Ich bin mit vielen israelischen Autoren bekannt und treffe sie in Frankreich oder in anderen Ländern, aber es war tatsächlich das erste Mal, dass ich ihnen in Israel begegnet bin. Reisen nach Israel mit einem Tabu zu belegen, das ist doch lächerlich. Algerien befindet sich schließlich nicht im Krieg mit Israel. Warum soll man als Algerier also nicht dorthin reisen und umgekehrt als Israeli nicht nach Algerien? Diese Boykottversuche sind fürchterlich. Ich wollte den Rubikon überschreiten und hoffe wirklich, dass viele Intellektuelle diesen Schritt ebenfalls tun und zwar in beide Richtungen.
Brinkmann: Bei all der Propaganda, die Ihre Reise begleitet hat, dachte ich einen Moment: Voilà, c'est fait: jetzt bereitet sich Boualem Sansal doch auf ein Exil vor?
Sansal:Nein, nein, das steht außer Frage, es sei denn, man würde mich mit Gewalt ins Exil zwingen. Mich in irgendeinem Ort zu verstecken, um Botschaften zu verkünden, das geht gar nicht. Ich lebe in Algerien und stehe zu meinen Positionen. Wir, die Intellektuellen aus Algerien, aus Marokko, aus anderen arabischen Staaten, wir könnten uns doch von der Angst befreien und uns frei ausdrücken. Es ist schwer, sich gegen Regierungspositionen zu behaupten, aber man muss doch danach streben. Frankreich ist ein katholisches Land, aber natürlich kann man dort laut sagen: Ich bin Protestant, Jude, Atheist, homosexuell, was immer. Diese Freiheit, sich zu dem zu bekennen, was man ist, die wünsche ich mir für die arabischen Länder. Dass man diskutiert, dass man frei wählt, und dass das Votum der Mehrheit gilt.
Brinkmann: Mit welchen Autoren haben Sie beim Schriftstellertreffen diskutiert und haben Sie Gemeinsamkeiten entdeckt?
Sansal:Ich habe an vielen Diskussionen teilgenommen, mit David Grossman gesprochen, mit Amos Oz, mit ungarischen, amerikanischen und Schweizer Autoren, mit Literaturwissenschaftlern und mit Abgeordneten der Knesset. Und natürlich mit Lesern. Ich bin wunderbar empfangen worden, denn es war das erste Mal, dass ein Autor aus einem arabischen Land mit ihnen diskutierte. Selbst wenn meine Auftritte etwas ganz Kleines sind, so sind sie doch nicht unbedeutend, und ich hoffe einfach, dass etwas in Gang kommt, dass man fühlt, es ist möglich, miteinander gemeinsam in die Zukunft zu blicken und aufzuhören, unentwegt die Vergangenheit zu zitieren, 5000 Jahre Geschichte zu wälzen. Man muss das Übermorgen zum Thema machen.
Brinkmann: Muslimische Autoren, aber auch Nicht-Muslime, die aus dem Nahen Osten oder Nordafrika kommen, überlegen sich sehr genau, ob sie ihre Bücher ins Hebräische übersetzen lassen, weil es zum Boykott ihrer Bücher in der arabischen Welt kommen könnte. Gab es Gespräche mit israelischen Verlegern, die an einer Übersetzung Ihrer Romane interessiert sind?
Sansal:Ich habe schon einen israelischen Verleger, der "Das Dorf des Deutschen" herausgebracht hat. Diesen Roman kennen viele, weil es darin um den Holocaust geht. Dass ein muslimischer, arabischer Schriftsteller über die Schoah geschrieben hat, verblüffte sie. Mein Verleger wird wohl auch meinen jüngsten Roman "Rue Darwin" publizieren. In Israel zirkulieren auch Übersetzungen meiner Artikel, die in Frankreich und Deutschland gedruckt wurden, in Zeitungen und im Internet. Und vielleicht wird das, was wir gerade besprechen, morgen schon auf Hebräisch im Netz stehen und Israelis kommentieren es.
Brinkmann: Sie sind einer der wenigen Autoren, die in einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft groß geworden sind und sich öffentlich, in Form von Literatur, mit dem Holocaust auseinandersetzen, mit der Katastrophe selber wie dem Nachwirken in arabischen Ländern - dazu gehört die Leugnung -: warum stehen Sie so allein da neben Najem Wali aus dem Irak oder einigen Geschichtswissenschaftlern, die mit Verzerrungen brechen?
Sansal:Ich denke nicht, dass ich so allein da stehe. Wie die meisten Intellektuellen interessiere ich mich für vieles, aber in das eine oder andere Thema dringt man tiefer ein. Bei mir war das die Schoah. Wenn man sich mit dem 20. Jahrhundert befasst, kommt man einfach nicht drum herum. Überhaupt all die Toten, die der zwei Weltkriege, die des stalinistischen Terrors. Wenn man dann noch die Kolonialkriege dazu nimmt und die Opfer, die auch die Befreiung kostete, dann sind das hundert Millionen. Allein in Algerien beklagen wir fast 200.000 Menschen, die in den 90er-Jahren von fanatischen Islamisten getötet wurden. Ich glaube, es sollte heute unser vorrangiges Ziel sein, zu erkennen, was im 21. Jahrhundert Gewaltbewegungen auslösen wird. Es geht um Verschmutzung, um Wasserknappheit, Erderwärmung und Überbevölkerung. Unser Jahrhundert könnte um vieles furchtbarer werden, und wir sind gezwungen, Mechanismen zu entwickeln, die diese Verheerungen verhindern.
Brinkmann: Sie sind jetzt noch in Prag auf Zwischenstation, reisen dann nach Helsinki und Paris weiter. Denken Sie, dass man Ihnen bei der Rückkehr nach Algerien weiter vorwirft, sich den "zionistischen Feinden" anzudienen?
Sansal:Jaja, das liest man in der algerischen Presse, aber ich ziehe es vor, Optimist zu bleiben. Ich glaube nicht, dass die algerische Regierung so dumm ist, mich weiter zu bedrängen. Dass sie ihren Propagandadiensten Anweisung gibt, mich zu beleidigen oder von der Rückkehr abzuhalten, damit rechne ich, aber ich glaube nicht, dass sie weiter geht. Die Regierung hat dermaßen viele Probleme mit der hohen Arbeitslosigkeit. Sie hat Angst vor dem arabischen Frühling, und die Islamisten halten nicht still. Sie dachten, die Wahlen zu gewinnen, aber es gab Betrug, und man hat sie an den Rand gedrängt. Dennoch breiten die Islamisten sich aus. Ich lebe im Landesinnern, in einer kleinen Stadt, und sehe, dass sie Zulauf haben. Aber was mich betrifft, so glaube ich doch, dass sie es nur bei Beschimpfungen belassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Brinkmann: Bei all der Propaganda, die Ihre Reise begleitet hat, dachte ich einen Moment: Voilà, c'est fait: jetzt bereitet sich Boualem Sansal doch auf ein Exil vor?
Sansal:Nein, nein, das steht außer Frage, es sei denn, man würde mich mit Gewalt ins Exil zwingen. Mich in irgendeinem Ort zu verstecken, um Botschaften zu verkünden, das geht gar nicht. Ich lebe in Algerien und stehe zu meinen Positionen. Wir, die Intellektuellen aus Algerien, aus Marokko, aus anderen arabischen Staaten, wir könnten uns doch von der Angst befreien und uns frei ausdrücken. Es ist schwer, sich gegen Regierungspositionen zu behaupten, aber man muss doch danach streben. Frankreich ist ein katholisches Land, aber natürlich kann man dort laut sagen: Ich bin Protestant, Jude, Atheist, homosexuell, was immer. Diese Freiheit, sich zu dem zu bekennen, was man ist, die wünsche ich mir für die arabischen Länder. Dass man diskutiert, dass man frei wählt, und dass das Votum der Mehrheit gilt.
Brinkmann: Mit welchen Autoren haben Sie beim Schriftstellertreffen diskutiert und haben Sie Gemeinsamkeiten entdeckt?
Sansal:Ich habe an vielen Diskussionen teilgenommen, mit David Grossman gesprochen, mit Amos Oz, mit ungarischen, amerikanischen und Schweizer Autoren, mit Literaturwissenschaftlern und mit Abgeordneten der Knesset. Und natürlich mit Lesern. Ich bin wunderbar empfangen worden, denn es war das erste Mal, dass ein Autor aus einem arabischen Land mit ihnen diskutierte. Selbst wenn meine Auftritte etwas ganz Kleines sind, so sind sie doch nicht unbedeutend, und ich hoffe einfach, dass etwas in Gang kommt, dass man fühlt, es ist möglich, miteinander gemeinsam in die Zukunft zu blicken und aufzuhören, unentwegt die Vergangenheit zu zitieren, 5000 Jahre Geschichte zu wälzen. Man muss das Übermorgen zum Thema machen.
Brinkmann: Muslimische Autoren, aber auch Nicht-Muslime, die aus dem Nahen Osten oder Nordafrika kommen, überlegen sich sehr genau, ob sie ihre Bücher ins Hebräische übersetzen lassen, weil es zum Boykott ihrer Bücher in der arabischen Welt kommen könnte. Gab es Gespräche mit israelischen Verlegern, die an einer Übersetzung Ihrer Romane interessiert sind?
Sansal:Ich habe schon einen israelischen Verleger, der "Das Dorf des Deutschen" herausgebracht hat. Diesen Roman kennen viele, weil es darin um den Holocaust geht. Dass ein muslimischer, arabischer Schriftsteller über die Schoah geschrieben hat, verblüffte sie. Mein Verleger wird wohl auch meinen jüngsten Roman "Rue Darwin" publizieren. In Israel zirkulieren auch Übersetzungen meiner Artikel, die in Frankreich und Deutschland gedruckt wurden, in Zeitungen und im Internet. Und vielleicht wird das, was wir gerade besprechen, morgen schon auf Hebräisch im Netz stehen und Israelis kommentieren es.
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Sansal:Ich denke nicht, dass ich so allein da stehe. Wie die meisten Intellektuellen interessiere ich mich für vieles, aber in das eine oder andere Thema dringt man tiefer ein. Bei mir war das die Schoah. Wenn man sich mit dem 20. Jahrhundert befasst, kommt man einfach nicht drum herum. Überhaupt all die Toten, die der zwei Weltkriege, die des stalinistischen Terrors. Wenn man dann noch die Kolonialkriege dazu nimmt und die Opfer, die auch die Befreiung kostete, dann sind das hundert Millionen. Allein in Algerien beklagen wir fast 200.000 Menschen, die in den 90er-Jahren von fanatischen Islamisten getötet wurden. Ich glaube, es sollte heute unser vorrangiges Ziel sein, zu erkennen, was im 21. Jahrhundert Gewaltbewegungen auslösen wird. Es geht um Verschmutzung, um Wasserknappheit, Erderwärmung und Überbevölkerung. Unser Jahrhundert könnte um vieles furchtbarer werden, und wir sind gezwungen, Mechanismen zu entwickeln, die diese Verheerungen verhindern.
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Sansal:Jaja, das liest man in der algerischen Presse, aber ich ziehe es vor, Optimist zu bleiben. Ich glaube nicht, dass die algerische Regierung so dumm ist, mich weiter zu bedrängen. Dass sie ihren Propagandadiensten Anweisung gibt, mich zu beleidigen oder von der Rückkehr abzuhalten, damit rechne ich, aber ich glaube nicht, dass sie weiter geht. Die Regierung hat dermaßen viele Probleme mit der hohen Arbeitslosigkeit. Sie hat Angst vor dem arabischen Frühling, und die Islamisten halten nicht still. Sie dachten, die Wahlen zu gewinnen, aber es gab Betrug, und man hat sie an den Rand gedrängt. Dennoch breiten die Islamisten sich aus. Ich lebe im Landesinnern, in einer kleinen Stadt, und sehe, dass sie Zulauf haben. Aber was mich betrifft, so glaube ich doch, dass sie es nur bei Beschimpfungen belassen.
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