Icíar Bollaín: "Der Olivenbaum"

Der Baum meines Großvaters

Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín bei der Präsentation ihres Films "El Olivo" am 3.5.2016 in Madrid
Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín spricht über ihren Film "Der Olivenbaum". © imago / Agencia EFE
Regisseurin Icíar Bollaín im Gespräch mit Patrick Wellinski |
In dem spanischen Film "Der Olivenbaum" will eine junge Spanierin den nach Deutschland verkauften, uralten Olivenbaum der Familie für ihren Großvater zurückholen. Ein Interview mit Regisseurin Icíar Bollaín über starke weibliche Hauptrollen, die Natur und die Wirtschaftskrise in Spanien.
Patrick Wellinski: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film über einen entführten Olivenbaum zu drehen und nicht zum Beispiel über eine Eiche oder eine Tanne?
Icíar Bollaín: Die Originalidee stammt vom Drehbuchautor Paul Laverty. Wir hatten zusammen "Und dann der Regen" gemacht; und haben uns - nachdem das so gut lief - gesagt, lass uns noch einen Film zusammen machen. Paul kann man nicht einfach sagen, worüber er schreiben soll. Er muss immer seine eigene Idee finden. Er las einen kleinen Artikel in der Zeitung über einen Oliven-Baum, der ausgerissen, entwurzelt und dann zu einem Garten in Nordeuropa geschickt wurde. Er war schockiert.
Wie kann ein Baum, der vielleicht schon 2000 Jahre alt ist, der gepflegt wurde und der den Menschen an seinem Standort in Spanien Öl gegeben hat, einfach so in einen Garten oder in die Mitte eines Gebäudes gestellt werden, nur weil jemand Geld hat?
Filmszene aus "El Olivo - der Olivenbaum"
Alma macht sich auf die Suche nach dem 2000 Jahre Olivenbaum, den ihr Vater verkauft hat. © Marino Scandurra/ Piffl Medien
Er empfand das als eine bemerkenswerte Metapher dafür, was in Spanien passiert. Zunächst mit dem Wirtschafts-Boom vor zehn, 15 Jahren und danach mit der Krise und ihren Folgen. So konnte man über die Natur sprechen, irgendwie auch über den Kapitalismus - in dem man fast alles kaufen kann, sogar einen uralten Baum. Er erzählte mir davon und ich fand, das ist eine tolle Idee, eine gute Herangehensweise für einen Film. Paul entwickelte ein Skript und was mir daran wirklich gefallen hat, war, dass es von der Krise in Spanien erzählt und von heftigen Begleitumständen, aber auf eine sehr emotionale Art und Weise und mit viel Humor. Das war sehr originell, auch die Protagonisten waren sehr originell, und ich konnte mich sehr gut mit dieser starken jungen weiblichen Hauptfigur identifizieren, die das ganze Abenteuer voranbringt. Deshalb wollte ich daran weiterarbeiten.
Wellinski: Jetzt ist der Baum an sich ja auch eine Hauptrolle in dem Film. Haben Sie den "gecastet" oder wo haben sie den gefunden? Der ist ja wunderschön. Man kann ihn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise benutzen. Es wird ja auch gezeigt, wie die kleine Alma ihn benutzt hat mit ihrem Großvater.
Bollaín: Ja, wir haben "gecastet". Wenn man einen Film macht mit dem Titel "Der Olivenbaum", dann muss man auch fragen, "wer spielt diesen Olivenbaum"? Es muss ein außergewöhnlicher Baum sein. In der Gegend, in der wir gedreht haben, in Castellón, zwischen Valencia und Barcelona, gibt es die meisten dieser uralten Olivenbäume. Also sind wir dorthin gefahren.
Unsere künstlerische Leiterin hat Hunderte davon gesehen und dann 60 in die engere Wahl genommen. Wir sind also eine Woche lang rumgefahren und ich wurde ganz besoffen vom Bäume-Gucken. Wir haben uns dann für den entschieden, der im Film zu sehen ist. Normalerweise sind diese Bäume nicht sehr hoch, weil man ja Zugang zu den Oliven haben muss. Bei starkem Wachstum werden die Stämme oft geteilt, sodass nur eine sehr kleine Baumkrone bleibt. Wir brauchten eine Kombination verschiedener Merkmale und dieser Baum hatte alles: Der Stamm hatte ungefähr acht Meter Durchmesser, unglaublich.
Der 2000 Jahre alten Olivenbaum von Almas Familie wird nach Deutschland verkauft. Seitdem redet ihr Großvater nicht mehr. Sie begibt sich auf die Suche nach dem Baum.
Gecasteter Olivenbaum für den Film "El Olivo".© Jose Haro/ Piffl Medien
Aber es wurde noch besser! Im Skript stand, "das Mädchen und der Großvater entdecken in der Rinde das Gesicht eines Drachen". Wir haben uns also den Baum angesehen und gedacht, ok, wir werden da irgendwo einen Drachenkopf einfügen lassen, unser Art Department wird das schon machen. Vier Tage, nachdem wir den Baum ausgewählt hatten, sind wir wieder hingegangen, und ich stand dann zufällig genau am richtigen Ort und sah ein Gesicht. Man muss an der richtigen Stelle stehen, einen halben Meter weiter sieht man es nicht mehr. Ich sah also plötzlich das Gesicht eines Monsters und dachte, oh mein Gott, wir brauchen keinen Drachen mehr, wir haben schon ein Monstergesicht im Baum. Dieser Baum war also bestimmt dafür, in diesem Film mitzuspielen.
Wellinski: Jetzt geht es im Kern um den Großvater, der diesen Baum verliert, weil Kinder ihn nach Deutschland verkaufen, nach Düsseldorf, und seine Enkelin Alma will ihn wiederholen. Die Frage ist, was bedeutet dieser Baum für den Großvater, der ein sehr guter Olivenbauer war?
Bollaín: Er hat eine besondere Verbindung zu diesem Baum, wir sehen das in Rückblenden mit dem Mädchen. Lustig ist, dass der Mann, der den Großvater spielt, wirklich aus diesem Ort kommt. Er ist gar kein Schauspieler. Wir haben in der Gegend gecastet, weil ich jemanden mit solchen Arbeitshänden wollte, mit lederner Gesichtshaut, weil er sein Leben lang in der Sonne war. Dieser Mann hatte einen Oliven-Hain und erzählte mir, dass er eine ganz besondere Beziehung zu einem bestimmten Baum hatte. Er sagte, dass er auch an Tagen, an denen er gar nicht an diesem Baum arbeiten muss, mit seinem Traktor vorbeifährt, nur um ihn zu sehen.
Er sagte: Ich erzähle Ihnen jetzt mal was: Es ist so, als ob der Baum mit mir spricht. Er redete über den Baum wie über einen Freund - mit Bewunderung. Er sagte: Sie wissen ja gar nicht, was ein Olivenbaum alles sein kann: Er ist ein Haus für Kaninchen, für Mäuse, für Spinnen, für Würmer und für Vögel. Er gibt uns Holz und Öl. Er sprach mit so viel Zuneigung von diesem Baum. Das betrifft also physisch diesen Baum. Dann gibt es noch die Ebene, dass da etwas ist, das schon lange vor einem da war und das noch sehr lange nach einem da sein würde. So lange man lebt, kümmert man sich darum. Aber da ist etwas, das weiterexistiert, es gehört einem nicht. Es ist Landschaft, Naturerbe, nicht einfach nur ein Baum, sondern Teil der Umgebung.
Die kleine Alma und ihr geliebter Opa: Szene aus dem spanischen Film „El Olivo – Der Olivembaum“.
Die kleine Alma und ihr geliebter Opa: Szene aus dem spanischen Film „El Olivo – Der Olivembaum“.© Jose Haro/ Piffl Medien
Wellinski: Ihr Film spricht ja auch von einem Generationenbruch. Der Großvater würde den Baum gerne behalten. Die Kinder verkaufen ihn, Stichwort schnelles Geld. Was ist da passiert zwischen der Generation des Großvaters und der seiner Kinder?
Bollaín: Das ist ein Moment, der viel darüber aussagt, was in den Jahren des Booms in Spanien passiert ist. In ganz Spanien, aber speziell in dieser Gegend, gab es eine Phase des maximalen Wachstums: Überall wurde gebaut, die Leute verkauften ihr Land, sie verkauften alles. Sie wollten auf den Zug des Fortschritts aufspringen. Der Vater und der Onkel im Film sind Teil dieser Generation. Aber es ist nicht alles schwarz-weiß. Sie sind einerseits diejenigen, die dieses ganze Chaos verursachen und die Wunde in der Familie aufreißen, aber sie sind auch Opfer, weil sie alles verlieren und von der Krise einfach wegpustet werden.
Diese Generation hat also einerseits Fehler gemacht, andererseits aber auch einen sehr hohen Preis gezahlt. Da gibt es den Großvater, der sehr eng mit dem Land und der Tradition verbunden ist, und das junge Mädchen von Anfang 20, das ziemlich wütend ist auf die Generation der Eltern. Sie fragt: Was zum Teufel habt ihr getan? Ihr hättet es nicht schlimmer machen können. Und sie hat recht. Sie erbt ein Land in der Krise, das in Scherben liegt.
Sie wächst auf und hört immer wieder von der Krise, und dass es kaum Arbeit für junge Leute gibt. Die Hälfte aller Menschen unter 25 in Spanien ist arbeitslos. Es ist ein Desaster. Ja, es gibt also die alten Leute, die bei diesem Wahnsinn nicht mitgemacht haben, die jungen, die das Desaster geerbt haben, und die mittlere Generation, die es verursacht hat und gleichzeitig dessen Opfer ist.
Wellinski: Also ist Alma ein Mitglied dieser verlorenen Generation, von der man so viel gehört hat. Sie will den Baum für ihren Großvater zurückholen, aber irgendwie dann auch für sich.
Bollaín: Ja, ich denke es ist sowohl eine äußere als auch eine innere Reise. Sie muss mit allem ins Reine kommen, mit ihrer Familie, ihrer Umgebung und mit sich selbst, denn sie ist ja auch ein bisschen selbstzerstörerisch. Sie muss also die Dinge in Bewegung bringen. Zunächst hilft ihr der Baum - und dann ihre Familie, Frieden mit dem zu machen, was passiert ist. Das macht für mich diese weibliche Hauptfigur so bewegend, weil sie im Krieg mit der Welt und mit sich selbst ist. Sie muss weiterkommen - und der Baum hilft ihr dabei.
Wellinski: Der Film ist ja auch ein Roadmovie von Spanien nach Deutschland und wieder zurück. Und in dem Moment, als der Film nach Deutschland kommt, transportieren Sie auch so ein gewisses Deutschlandbild - das fand ich sehr interessant: Als der LKW nach Deutschland fährt, sagt der Fahrer: Wir sind in Deutschland, ich fühle mich jetzt schon sehr klein. Ist das so eine Art spanischer Minderwertigkeitskomplex, der da durchscheint?
Bollaín: Absolut. Wir erzählen das mit Humor und machen uns darüber lustig. Es ist eine sehr alte Beziehung zwischen Spanien und Deutschland, und ich glaube schon, dass es diesen spanischen Minderwertigkeitskomplex gibt. In den 60er-Jahren mussten drei Millionen Spanier auf der Suche nach Arbeit ihr Land verlassen und viele gingen nach Deutschland, in dieses große Land mit der fremden Sprache und der Industrie. Und heute, 50 Jahre später, befindet sich Deutschland im Zentrum der Politik der Troika, Merkel, Schäuble - sie bilden tatsächlich den Kern der Politik, die den Lauf unserer Wirtschaft diktiert. Aber im Film gibt es auch Solidarität aus Deutschland mit Spanien, nicht nur dieses Verhältnis des großen und des kleinen Landes. Es gibt auch eine Beziehung auf gleicher Ebene, es kommt viel Sympathie, wie von den Leuten, die Alma unterstützen.
Wir mussten uns für den Film halt ein Land aussuchen, es hätte überall sein können. China zum Beispiel, weil auch Bäume nach China geliefert wurden. Aber das ist zu weit weg und innerhalb Europas dachten wir, dass Deutschland am meisten auslöst in uns - positiv wie negativ, und es ermöglicht uns ein wenig, über uns selber und unseren Minderwertigkeitskomplex zu lachen und auch ein bisschen über die Deutschen. Es geschieht also in bester Absicht und mit einem guten Humor, hoffe ich.
Wellinski: Wenn man sich alle ihre Filme ansieht, die Sie gemacht haben, dann fällt auf, dass Sie sehr gerne simple Geschichten über simple Menschen erzählen. Das ist etwas sehr Tolles. Was reizt Sie gerade an diesen Geschichten?
Bollaín: Ich weiß nicht, ob es simple Leute sind, es sind einfach Menschen, denke ich. Sie sind nicht besonders abgehoben, keine aus der Oberschicht; wahrscheinlich, weil die meisten Leute um uns herum einfach Leute sind, und ich mag es, mich mit den Figuren auf der Leinwand zu identifizieren. Über die Jahre habe ich gemerkt, dass es vielen so geht. Es gibt viele Filme über erfolgreiche Anwälte oder sonstige Überflieger, aber normale Menschen zu sehen, die sich abstrampeln, um ihre Lebenssituation zu verbessern, um glücklich zu sein oder mit ihrer Umwelt klar zu kommen, das ist einem viel näher. In diesem Boot sitzen wir alle. Und ich denke, es gibt ein Publikum, das auch normale Leute auf der Leinwand sehen möchte, die vielleicht besondere Dinge machen, aber sie bleiben normale Menschen.
Wellinski: Das andere, was die Filme verbindet - das finde ich auch interessant - ist, dass Sie gerne Frauengeschichten erzählen, also Frauen in den Hauptrollen zeigen, aber auch von der Natur erzählen. Gehört das beides für Sie irgendwie zusammen?
Bollaín: Das ist lustig, weil ich das mit der Natur nicht bewusst gemacht habe, auch das mit den Frauen passierte anfangs nicht bewusst. Als das dann immer weiter ging, habe ich mich selber gefragt: Warum suchst Du Dir immer diese weiblichen Protagonisten aus? - Von da an geschah das bewusster. Aber bei der Natur ist das nicht so, ich meine ich bin mir der Landschaft schon bewusst, ich weiß, wo ich lebe, ich kenne die Unterschiede, es ist nicht das Gleiche, in Zentralspanien zu wohnen wie in Deutschland zu leben, wir sind Teil der Landschaft und Folge davon. Aber ich denke, das mit den weiblichen Figuren geschieht bewusster.
Ich sehe gerne Frauen auf der Leinwand - und ich sehe nicht so viele. Vor allem nicht so viele als komplexe Hauptfiguren - und ich denke, Frauen sind genauso komplex wie Männer. Dieses Skript wurde allerdings von Paul Laverty geschrieben, es war also nicht meine Wahl: Er hat mir diese sehr starke weibliche Figur gegeben.
Wellinski: Weil Sie ihn gerade erwähnen - was schätzen Sie denn an seiner Art, Geschichten zu erzählen?
Bollaín: Ich finde er hat einen großartigen Blick für kurze Geschichten, die er dann komplex gestaltet. Das hier ist ganz anders als "Und dann der Regen", aber in beiden Fällen sind es anspruchsvolle Drehbücher, sehr originell.
Früher habe ich für meine Filme selber die Geschichten geschrieben. Aber solche wie die jüngsten hätte ich nie geschrieben. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, nach Bolivien zu gehen und einen Film über Kolumbus zu drehen, gemischt mit aktuellen Auseinandersetzungen um Wasser. Und sogar die Idee mit dem Olivenbaum, der ja Teil meiner Heimat ist: Ich hätte so etwas nicht erzählen können - aber Paul kann das.
Ich dachte nur, was für eine faszinierende Geschichte und was für eine tolle Metapher für so viele Dinge. Paul ist ein brillanter Autor und er erzählt alles mit Originalität und Humor. Seine Geschichten haben diese verschiedenen Schichten, sie sehen erst einfach aus, aber wenn man näher hinguckt, sieht man viele Dinge, die da passieren. Es gibt nie schlichte Charaktere, alle sind dreidimensional. Ich empfinde es als Luxus, auf Paul Laverty zählen zu können.
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