Wo der Milchpudding preiswert ist
Ein Orchester allein aus israelischen Musikern, die in Berlin leben - nichts ist einfacher zusammenzustellen als das. Mit ihnen und vielen anderen hat der Pianist Ohad Ben Ari ein Festival veranstaltet. Das Auftaktkonzert mit dem ID-Festival- Berlin-Orchester senden wir an diesem Abend.
Viele tausende Israelis leben in Berlin - nicht nur solche mit deutschen Vorfahren. Doch die meisten von ihnen sind Künstlerinnen und Künstler, Akademiker - und Kosmopoliten. Besonders viele Musiker sind darunter - die bereichern das Leben der Bundeshauptstadt mit ihren hohen technischen Standards und ihrer Fantasie und Offenheit - nicht zuletzt weil sie in einer Region aufgewachsen sind, in der Kulturen und Anschauungen aufeinanderprallen und Konflikte vorherrschen, die inzwischen der ganzen Welt vertraut sind. Dass sie scharenweise ihr Geburtsland verlassen, nehmen ihnen nationalistische Kreise in Israel übel: Der Internetpost eines jungen Israeli, der alle Landsleute zur Migration nach Berlin aufrief, weil dort der Milchpudding so preiswert sei, sorgte für Empörung.
Die Idee für das ID Festival Berlin hatte der Pianist und Komponist Ohad Ben Ari, der in Tel Aviv und Frankfurt am Main studiert und dann in den USA gelebt und gearbeitet hat und seit fünf Jahren nun in Berlin wohnt. Sein Festival mit Konzerten, Performances, Kunstausstellungen, Filmvorführungen, philosophischem Cabaret und Diskussionsrunden sieht er als Weg, die neuen Traditionen deutsch-israelischer Identität zu ergründen. Deshalb auch der Name des Festivals - ID - Israelisch-Deutsch, Identität, nicht zuletzt ID-Card als englischsprachiger Begriff für Personalausweis.
Für die Leitung des Festival-Orchesters hat er seinen Freund Guy Braunstein, den ehemaligen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, gewinnen können, der inzwischen auf solistischen und dirigentischen Pfaden wandelt. Beide verantworten ja seit Jahren das Programm des Rolandseck-Kammermusikfestivals.
Ausgeprägt israelisch ist das Programm des Orchesterkonzerts nicht. Der Solobratscher der Berliner Philharmoniker, Amihai Grosz, wird das einzige Werk aus dem Nahen Osten spielen - der aus Ungarn nach Palästina geflohene Ödön Partos komponierte nach Ende des 2. Weltkrieges ein äußerst tiefgründiges und bewegendes Werk für Bratsche und Streicher, das die Erinnerung (Yizkor) an die Opfer der Shoa aufrecht erhalten soll.
Ganz klassisch ist der Rest des Abends - Beethoven hat das letzte Wort, Fagott, Flöte und Solovioline präsentieren sich in einschlägigen Werken der Literatur aus Barock, Romantik und Moderne. Die Sängerin Alma Sade schließlich wird Arien aus bekannten Opern singen. Für Musikerinnen und Musiker gehört all das zu ihrer Identität, woher auch immer sie kommen.
ID Festival Berlin
Radialsystem V
Aufzeichnung vom 16. Oktober 2015
Antonio Vivaldi
Konzert für Fagott und Streicher C-Dur RV 472
Konzert für Fagott und Streicher C-Dur RV 472
Camille Saint-Saëns
Havanaise op. 83 für Violine und Orchester
Havanaise op. 83 für Violine und Orchester
Béla Bartók
Suite Paysanne Hongroise für Flöte und Streicher
Suite Paysanne Hongroise für Flöte und Streicher
Arien von Charles Gounod, Gaetano Donizetti und Giacomo Puccini
Ödön Pártos
"Yizkor" für Viola und Streicher
"Yizkor" für Viola und Streicher
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 4 in B-Dur op. 60
Sinfonie Nr. 4 in B-Dur op. 60
Mor Biron, Fagott
Gili Schwarzman, Flöte
Alma Sade, Sopran
Amihai Grosz, Viola
ID-Festival-Berlin-Orchester
Violine und Leitung: Guy Braunstein
Violine und Leitung: Guy Braunstein