Idee der Berliner S-Bahn

Atonale Musik zur Vergrämung Obdachloser?

Berliner S-Bahn fährt auf dem Bahnhof Potsdamer Platz ein.
Juliana Hodkinson: "Ich würde gerne mal die Playlist sehen." © picture alliance / dpa / Ingo Schulz
Juliana Hodkinson im Gespräch mit Timo Grampes |
Die Deutsche Bahn plant, mittels unharmonischer Musik unliebsame Gäste von Berliner S-Bahnhöfen zu vertreiben. Die Initiative Neue Musik hält heute mit einem Konzert dagegen. Die Komponistin Juliana Hodkinson fordert, die Bahn solle sich das gut überlegen!
Die Deutsche Bahn will die Aufenthaltsqualität an Berliner Verkehrsknotenpunkten wie dem S-Bahnhof Hermannstraße in Neukölln verbessern. Das bedeutet offensichtlich auch, Menschen wie Junkies und Obdachlose zu verscheuchen, die ein gepflegtes Bild stören könnten. Gelingen soll das, so die kursierende Idee, durch disharmonische Musik.
Komponistin Juliana Hodkinson
Juliana Hodkinson: "Diese Musik steht für eine Befreiung von allen möglichen Hierarchien." © Deutschlandradio / Stefan Ruwoldt

"Würde gern mal die Playlist sehen"

Als Reaktion darauf veranstaltet die Initiative Neue Musik heute das musikalische Fest "Atonale Musik für alle" am S-Bahnhof Hermannstraße mit disharmonischer, atonaler Musik. Die Komponistin Juliana Hodkinson, die daran teilnimmt, sagt zu den Plänen der Deutschen Bahn:
"Ich weiß nicht, was für eine Playlist die Deutsche Bahn hat, die würde ich sehr gerne sehen. Aber wenn man den Begriff atonale Musik hört und liest, dann wollen wir unsere Musik nicht mit diesem Vorhaben identifizieren."

Schimpfwort der Musikkritik

Der Begriff "atonale Musik" sei ursprünglich eine Beschimpfung der konservativen Musikkritik gewesen, erklärt Juliana Hodkinson. Pioniere wie Arnold Schönberg hätten mit diesem Konzept auch eine politische Vision verbunden:
"Diese Musik stand für Schönberg und steht für die jetzigen Kollegen für eine Befreiung von allen möglichen Hierarchien. Es fing an mit der Befreiung von tonalen Hierarchien und von den Tongeschlechtern Dur und Moll. Es ist sehr interessant, dass die Deutsche Bahn aus einem konservativen Kunstverständnis diese Musik benutzen will, um die Klassenunterschiede von Besser- und Schlechtergestellten weiterzutreiben."

"Wir wollen niemanden vertreiben"

Zu der Kunstaktion am Berliner S-Bahnhof Hermannstraße heute Abend sagt sie:
"Wir laden alle zu einer friedlichen Protestaktion ein, wo wir unsere Musik vorführen. Wir wollen zeigen, dass wir eine Kunst machen, die für alle ist. Wir wollen niemand mit irgendetwas vertreiben und dazu anregen, dass sich die Deutsche Bahn das nochmal überlegt."
(cosa)
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