Ideen aus der rechten Hirnhälfte

Der Autor Daniel H. Pink hat auf die Frage, wie wir auf den wirtschaftlichen Wandel in der globalisierten Welt reagieren können, eine Antwort aus dem Geist der kreativen rechten Hirnhälfte parat. Dabei komme es auf sechs "Sinne" an.
Nein, dieses ist kein Buch über schnöde Gehirnforschung. Es ist ein kompletter Zukunfts-, Gesellschafts- und sogar Wirtschaftsentwurf für die westliche Welt und besonders die USA - aber eben aus dem Geist der kreativen rechten Hirnhälfte. Außerdem ist es ein Ratgeber für besseres Leben, Anleitung zur Spiritualität, ironische Zeitgeistanalyse.

Der US-amerikanische Sachbuchautor Daniel H. Pink nimmt in "Unsere kreative Zukunft" die rechte Hirnhälfte vor allem als Metapher, um das "Konzeptionszeitalter" auszurufen, das dem Informationszeitalter nun folgen soll. Auf sechs "Sinne" (Fähigkeiten) komme es dabei an: Design, Erzählkunst, Symphonie, Empathie, Spiel und Sinn als solcher. Pinks Werk hat oft den Charakter einer flotten Utopie. Wer nicht jede Zeile bierernst nimmt, dem verschafft das intelligente Sach-, Ratgeber- und Unterhaltungsbuch viel Spaß und sogar Inspiration.

Die rechte Gehirnhälfte liegt seit einiger Zeit im Trend. Während die linke Gehirnhälfte eher das logische, sequentielle, computerähnliche Denken verantwortet, das man mit Schachspiel und klassischem IQ verbindet, wird die rechte vor allem für holistische, intuitive und non-lineare Fähigkeiten zuständig gemacht. Deren Bedeutung steigt nach Meinung (nicht nur) von Daniel Pink derzeit immens an, weil die meisten Menschen in den USA und der westlichen Welt mit "Überfluss, Asien und der Automatisierung" konfrontiert sind.

Gemeint ist, dass der westliche Wohlstand Zeit für immaterielle Sehnsüchte und transzendente Anliegen freisetzt; dass die Verlagerung klassischer Wissensarbeit (am PC) an billigere Standorte wie etwa Indien den Westen zum Erreichen neuer Produktionslevel zwingt, dass viele Tätigkeiten ohnehin längst an den Computer delegiert worden sind, weshalb die Menschen sich generell auf die Dinge besinnen müssten, die Computer nicht können.

Während im Informationszeitalter die analytischen "Linkshirn-gesteuerten" Menschen dominierten, sind laut Pink im "Konzeptionszeitalter", das angebrochen ist bzw. anbrechen soll, die schöpferischen "Rechtshirn-gesteuerten" Menschen am wichtigsten: die mit dem "High-Touch". Der Autor beobachtet eine entsprechende Verwandlung des amerikanischen Marktes (viele Firmen suchen Künstler; Unis bieten "narrative Medizin" an, TV-Zeitschriften sprechen vom "transzendentalen Fernsehen"), meint aber, dass sich die wichtigsten Veränderungen "in unseren Herzen und Seelen" abspielen.

Es ist nicht weniger als ein neuer Menschentypus – einfühlsam, sozial, ideenreich, ganzheitlich –, auf den Pink mit "High-Konzept" abzielt. Dabei mischt er munter hirnphysiologische, volkswirtschaftliche, soziologische und anthropologische Argumente zusammen – stets so nassforsch und witzig, dass man die bisweilen wackelige Gesamtkonstruktion lieber weiterverfolgt, als sich intellektuellen Bedenken hinzugeben.

Im zweiten Teil des Buches erläutert Pink die "sechs Sinne", das heißt, sechs exemplarisch verdichtete Fähigkeiten, die im neuen Zeitalter besonders gefragt sind, und erklärt, wie man diese Fähigkeiten trainieren kann. An den Nachweis, dass Design als "klassische Ganzhirntätigkeit" immer wichtiger wird, schließen sich Empfehlungen wie "Besuchen Sie ein Designermuseum" an. Weil Erzählkunst nach wie vor zu den großen menschlichen Vermögen gehört, heißt es: "Schreiben Sie eine Mini-Saga". Und so weiter.

Zum Sinn selbst lauten die ultimativen Tipps: "Begehen Sie ein Labyrinth" und "Sehen Sie sich mit neunzig Jahren". Das Buch, das gelegentlich mit dem Niveau wissenschaftlicher Sachbücher kokettierte, wird endgültig zum Alltagshelferlein. Man nimmt es Daniel H. Pink aber nicht übel. "Unsere kreative Zukunft" ist ein übermütiger, jedoch sympathischer Wurf. Zu befürchten steht, dass die Zukunft des Westens durchaus beschwerlicher wird, als Pink imaginiert. Aber ein goldenes Zeitalter im Zeichen von Kunst, guten Ideen und Mitmenschlichkeit, von Sinn und von Spiel - das lässt man sich gern einmal ausmalen.

Rezensiert von Arno Orzessek

Daniel H. Pink: Unsere kreative Zukunft. Warum und wie wir unser Rechtshirnpotential entwickeln müssen
aus dem Amerikanischen von Rita Höner,
Riemann Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2008,
304 Seiten, 19,00 Euro