Ideen eines Philosophen

Ein paar Vorschläge für den Umbau der EU

Das Bild zeigt zwei EU-Flaggen, die vor dem Parlament in Straßburg wehen.
Wie bekommen wir das bürokratische Monster in den Griff? © picture-alliance / dpa / Daniel Kalker
Von Stefan Gosepath |
Viele von uns sind in der EU aufgewachsen. Politisch ging es scheinbar nur vorwärts. Die Entscheidung der Briten für den Brexit wirkt daher wie eine politische Erschütterung. Anlass genug, noch einmal über die Grundideen des politischen Gebildes Europäische Union philosophisch nachzudenken.
Vier große philosophisch-politische Leitideen liegen der EU zu Grunde: Frieden, Freiheit, transnationale solidarische Gerechtigkeit und schließlich demokratische Selbstbestimmung.
Martin Schulz' Intervention betrifft vor allem das vierte Motiv und damit die Frage: Bestimmen 'wir' uns tatsächlich selbst innerhalb der EU? Und wer ist dieses europäische Wir?
Weil bürgerliche Freiheit, wie sie die EU für alle garantieren will, auch wesentlich die Freiheit von willkürlicher, nicht gerechtfertigter Herrschaft beinhaltet, gehört als eine der großen Leitideen die demokratische Selbstbestimmung mit zum europäischen Programm. Nun ist diese Idee leider nur in den einzelnen Mitgliedsstaaten voll umgesetzt. Auf der Ebene der EU herrscht ein oft zu Recht beklagtes wesentliches Demokratiedefizit. Zwar haben wir ein gewähltes EU-Parlament. Dessen Rechte aber sind begrenzt. Die eigentlichen Entscheidungsträger in der EU sind hingegen nicht vollständig demokratisch kontrolliert, sondern nur von den nationalen Regierungen bestimmt.

Das bürokratische Monster

Weil sie von den nationalen Regierungen und nicht deren Parlamenten berufen wird, scheut die EU-Kommission aus ihrer bisherigen Logik konsequenterweise davor zurück, die nationalen Parlamente zu beteiligen, man denke an das Ringen um deren Beiteiligung bei den Handelsabkommen CETA und TTIP. Aus diesen und anderen Gründen wirkt die EU heute auf viele wie ein von den Bürgerinnen und Bürgern und deren Interessen zu weit entferntes und dazu noch bürokratisches Monster.
Da die EU nun aber wirklich ein eigenes politisches Gebilde ist und sein soll, das alle wesentlichen Belange jenseits der Einzelstaaten regelt, sollte sich die EU eine eigene demokratische Regierungsstruktur geben, wie wir sie auch aus den Einzelstaaten kennen. Die EU-Regierung könnte dann durch das von uns Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte EU-Parlament eingesetzt und auch ggf. wieder abgesetzt werden.
Das Parlament könnte so wirksamer opponieren und auf die Rechenschaftspflicht der Regierung dringen. Die europäische Bürgerschaft hätte so zumindest einen vermittelten Bezug, zu dem was im Parlament und an der Spitze passiert, und würde sich deshalb vielleicht auch etwas realer anfühlen. Mit solchen Reformen wäre wesentlich mehr Klarheit, Verantwortung und Legitimität in der EU herstellbar.

Bürgernah, föderal, öffentlich

Allerdings gilt es auch hier die Prinzipien der Subsidiarität und des Föderalismus zu berücksichtigen, ohne die eine transnational gerechte politische EU nicht legitim wäre. Denn nicht alles darf eine europäische Regierung, auch wenn sie demokratisch legitimiert ist, an sich reißen. Vieles kann auf untergeordneten, niedrigeren Regierungsebenen in den Ländern und Gemeinden besser und bürgernäher geregelt werden. Um die legitimen Interessen der immerhin ja auch gewählten einzelstaatlichen Regierungen nicht zu übergehen, wäre es deshalb sinnvoll neben einer vom Parlament gewählten und kontrollierten EU-Regierung eine zweite Kammer, eine Staatenkammer, zu schaffen, die von den jeweiligen Regierungen der Mitgliedsstaaten besetzt würde.
Nun lebt eine funktionierende Demokratie nur mit einer öffentlichen Sphäre. Alle europäischen Bürgerinnen und Bürger müssen dazu in der Lage sein, sich über alle Sprach-, Volks- und Staatsgrenzen hinweg tatsächlich eine gemeinsame politische Meinung mit Gründen bilden zu können. Das umzusetzen verlangt viel mehr als die Schaffung einer europäischen Regierung und Staatenkammer. Aber die Einführung einer echten europäischen Regierung, die allen ihren Bürgerinnen und Bürgern gegeben über rechenschaftspflichtig ist, könnte ein wichtiger Schritt genau im Sinne der Herstellung einer genuin europäischen Öffentlichkeit sein.

Stefan Gosepath ist Professor am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin.

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