Großfusion in der Chemiebranche
Vor 90 Jahren fusionierten die acht führenden deutschen Chemieunternehmen zur IG Farben. Die Geschichte des damals größten europäischen Industriekonzerns wurde geprägt von der engen Kooperation mit dem NS-Regime und seiner Kriegspolitik.
"Hermann Schmitz, how do you plead to this indictment, guilty or not guilty? – Auf keinen Fall schuldig!"
Nürnberg im August 1947: Vor einem amerikanischen Kriegsverbrechertribunal wird Hermann Schmitz, der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Industriekonzerns, der IG Farben, zusammen mit 22 mitangeklagten Vorständen, Aufsichtsräten und Betriebsführern zur Rechenschaft gezogen. Wie kein anderes deutsches Großunternehmen steht die IG Farben seither für die Verstrickung der deutschen Wirtschaft in die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Zwei Jahrzehnte zuvor hatte die "Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG" – so der vollständige Firmenname - keine Scham, sondern Stolz ausgelöst. Am 2. Dezember 1925 hatten sich die acht wichtigsten deutschen Chemieunternehmen, darunter die Ludwigshafener BASF, die Leverkusener Bayer AG und die Hoechster Farbwerke, zum größten Konzern in Europa und zum weltweit mächtigsten Chemiekonzern zusammengeschlossen. Außenminister Gustav Stresemann, der in der deutschen Wirtschaftskraft das wichtigste außenpolitische Kapital des Reiches erblickte, sagte 1927 zum Vorstandsmitglied der IG Farben Georg von Schnitzler:
"Welche Trümpfe habe ich denn auszuspielen, außer Ihnen, der IG und den Kohleleuten?"
Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, schwenkte die Unternehmensspitze rasch um. Da in der Weltwirtschaftskrise wichtige Exportmärkte, insbesondere für die gewinnstarke Stickstoffsparte, einbrachen und die vom Vorstandsvorsitzenden Carl Bosch stur vorangetriebene Verflüssigung von Kohle zu Benzin angesichts des Ölpreisverfalls finanziell zum Desaster geriet, suchte die IG die Hilfe des Staates. Mit Erfolg: Die Regierung sagte die Abnahme von 350.000 Tonnen synthetischem Benzin jährlich zu einem guten Preis zu.
Auschwitz ist das dunkelste Kapitel
Das Interesse Adolf Hitlers an der Unabhängigkeit von Rohstoffimporten führte auch zur engen Kooperation zwischen der IG Farben und dem NS-Staat bei der Ersetzung des Kautschuks durch synthetisches Gummi, das sogenannte Buna. Der Pionier der deutschen Gummiforschung, Professor Fritz Hofmann, berichtete 1942 im Rundfunk über die Buna-Produktion:
"Damit Deutschland auch auf diesem Sondergebiete frei werde, befahl Reichsmarschall Göring den unverzüglichen Bau großer leistungsfähiger Buna-Werke durch die IG Farbenindustrie. Mochte man auch im feindlichen Auslande zunächst darüber spötteln, heute hat man dort das Lachen verlernt."
Mit der Buna-Produktion ist das dunkelste Kapitel in der Firmengeschichte der IG Farben verknüpft: 1941 begann die IG in Monowitz bei Auschwitz mit dem Bau riesiger Fabrikationsstätten und betrieb dazu ein firmeneigenes Konzentrationslager. Die SS sorgte für unablässigen Nachschub jüdischer Häftlinge und für deren Bewachung. Mindestens 23.000 von ihnen fanden in Monowitz den Tod oder wurden wegen Auszehrung ins benachbarte Lager Auschwitz-Birkenau überstellt und dort in den Gaskammern ermordet. Auch daran verdiente die IG Farben: Eine Tochtergesellschaft lieferte das Giftgas Zyklon B nach Auschwitz.
Nur fünf der 23 Angeklagten wurden 1948 im IG-Farben-Prozess wegen der "Versklavung" der KZ-Insassen zu Haftstrafen verurteilt. Acht weitere erhielten wegen der "Plünderung" ausländischer Firmen nach 1939 geringfügige Gefängnisstrafen, zehn wurden freigesprochen. Die Verurteilten wurden wegen guter Führung vorzeitig entlassen, viele bekleideten danach wieder hohe Posten in der westdeutschen Chemieindustrie.
Der IG-Farben-Konzern wurde 1952 entflochten, die westdeutschen Werke wurden auf die Ursprungsgesellschaften aufgeteilt. Rechtlich existierte der wirtschaftlich entkernte Konzern aber unter dem Namen "IG Farben in Liquidation" weiter, in erster Linie, um die Nachfolgeunternehmen vor Entschädigungsforderungen zu schützen. Erst 2012 wurde die IG Farben AG aus dem Handelsregister gestrichen.