"Ihr beeindruckt uns nicht!"
In zahlreichen Publikationen ist die Politikerin und Seelsorgerin Antje Vollmer bereits für eine Versöhnung zwischen dem Staat und den RAF-Terroristen eingetreten. In Analogie dazu plädiert sie auch angesichts der internationalen Gefahr des islamischen Terrorismus dafür, auf Dialog bereite Kräfte in den jeweiligen Gesellschaften zu setzen und so "die Bomben in den Köpfen zu demontieren".
Jürgen König: Es ist an der Zeit, ein Kapitel zu beenden, schrieb die Seelsorgerin, Publizistin, Politikerin, unter anderem frühere Bundestagsvizepräsidentin, schrieb Antje Vollmer immer in der "Süddeutschen Zeitung" und meinte damit den Terrorismus der RAF und die Auseinandersetzung damit. Die deutsche Öffentlichkeit wie auch die deutsche Politik könnten sich gratulieren, dieses Thema Terrorismus mit Klugheit, Maß, Umsicht und demokratischem Mut richtig beendet zu haben, schrieb Frau Vollmer. Aber im Sinne eines humanen Friedens sei noch etwas abzuschließen, etwas aus einer längst vergangenen Epoche, die aber heute im globalisierten Rahmen wieder hoch aktuell sei. Wie dieses Kapitel RAF beendet werden könnte, das soll jetzt unser Thema sein, Antje Vollmer ist zu Gast. Ich freue mich sehr. Guten Tag!
Antje Vollmer: Guten Tag!
König: Frau Vollmer, diesen Artikel schrieben Sie, als Bundespräsident Köhler über die Begnadigung Christian Klars noch nachdachte. Diese Begnadigung wurde dann abgelehnt, was Sie in mehreren Interviews als Fehler bezeichnet haben. Im Sinne eines humanen Friedens sei noch etwas abzuschließen – was genau ist da noch abzuschließen?
Vollmer: Letztendlich der Punkt, der sagt, diese Demokratie, die von diesem Terrorismus der RAF bis auf die Grundfeste erschüttert war, und diese Gesellschaft, die durchaus ihre Schwierigkeiten hatte, das nicht zu einem Mythos werden zu lassen, die hat beides geschafft. Und es gibt eigentlich gerade bei so traumatischen politischen Ereignissen nichts wichtigeres, als irgendwann einmal sagen zu können, es ist wirklich vorbei, und dann in dem Sinne auch für alle Beteiligten. Ich meine auch, die Haftzeiten für die RAF-Täter sind im Vergleich zu anderen Hafttaten für andere politisch motivierte Verbrechen beachtlich gewesen.
König: Das heißt, wie könnte dieses Kapitel beendet werden – indem man die Begnadigungen ausspricht aller jetzt noch Inhaftierten und die Debatte irgendwie zum Schluss führt?
Vollmer: Es sind ja nicht mehr viele. Es sind ja nur noch zwei. Und ich hätte mir damals gewünscht, dass Herr Köhler diese letzten Begnadigungen auch vollzogen hätte und es zum Anlass genommen hätte dann zu sagen, wie ist diese Gesellschaft mit diesem früheren Terrorismus umgegangen und was können wir auch daraus lernen im Umgang mit dem Problem, was uns heute beschäftigt, nämlich dieser weltweite Terrorismus, der nun weltweit alle Gesellschaften abgrundtief erschreckt hat. Gesellschaften können auch in permanente Gewaltzustände abdriften, und man muss wirklich sehr aufpassen, dass man selbst, wenn man ein positives Beispiel hat, daraus auch die richtigen Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zieht.
König: Lassen Sie uns ein wenig zurückblicken. Sie haben ja immer der Idee misstraut, allein mit effektiven Verfolgungsmethoden den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen zu wollen. Sie haben von 1985 an bis zur Auflösung der RAF 1998 immer wieder mit Terroristen der RAF gesprochen, haben Briefe geschrieben, das alles im Sinne einer Versöhnung zwischen dem Staat und den Terroristen. Nun bestand ja die Stärke, man könnte auch sagen die Härte, der RAF darin, dass sie ein eisernes Kollektiv bildete, kein Individuum redete, es gab nur Erklärungen des Kollektivs. Erzählen Sie uns von diesen Gesprächen. Wie funktionierte das und wie gelang es, dass dieser Panzer dann durchbrochen werden konnte und diese Individuen zum Reden gebracht wurden?
Vollmer: Darf ich eins noch sagen, ich glaube, den Begriff Versöhnung habe ich eigentlich sehr selten benutzt. Mir ging es immer um eine intelligente politische Lösung. Und die muss die andere Seite, die sie überwinden will, die sie überwinden muss, auch sehr genau studieren. Dafür habe ich mich damals mit allen persönlichen Biografien dieser Terroristen äußerst intensiv beschäftigt, sodass ich eine Ahnung hatte, warum jeder Einzelne von denen in diesen Teufelskreis hineingekommen ist, und da eine Vermutung hatte, wie man sie herauslösen kann. Da war aber das aller, allerwichtigste, dass man sie aus dem Kollektiv herauslöst. Ich habe immer die These vertreten, einmal Terrorist, immer Terrorist. Das stimmt nicht. Jeder Einzelne ist individuell hereingekommen und es gibt deswegen vielleicht auch eine Chance, ihn individuell wieder persönlich verantwortlich zu machen für seine Geschichte, auch für seine Taten, und ihm dann aber auch zu sagen, übernimm diese Verantwortung, dann gibt es für dich auch einen Weg zurück in die Gesellschaft! Terrorismus ist immer Kollektivmaschine, aufgeblasen mit einem fast mythischen Selbstbild, das aber immer das Bild von Selbstmordattentätern ist. Das heißt, wenn die Gesellschaft diese Kriegserklärung der Terroristen annimmt, erfüllt sie eine tiefe Sehnsucht, nämlich so wichtig, so bedeutend zu sein, dass sich eine ganze Gesellschaft auf diesen Kampf einlässt. Und das ist eine Frage auch der mentalen Überlegenheit demokratischer Gesellschaften, sich in diesen Strudel nicht hineinziehen zu lassen und auch dieses innere Wunschbild von Terroristen nicht zu erfüllen. Und da ist der erste Satz: Wir fürchten euch nicht! Das darf man nie aufgeben. Egal was passiert, muss man selbst an die Überlegenheit und dann auch an die Versöhnungs- und Integrationsfähigkeit von demokratischen Gesellschaften glauben.
König: Das heißt Dialogbereitschaft gerade als Waffe im Kampf gegen den Terrorismus, gerade der weiche Staat – in Anführungszeichen – der also Straferleichterung auch gewährt, der Begnadigungen aussprechen kann...
Vollmer: Genau.
König: ... als Waffe, um diesem Teufelskreis zu entkommen.
Vollmer: Der Dialog ist nie die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, sondern für den Zeitraum des Dialogs muss man die Gesetze des Krieges außer Kraft setzen. Darin aber eröffnen sich dann auch Veränderungsmöglichkeiten. Und ich wusste immer, gerade weil Terrorismus die Gesellschaften so schockiert, weil sie so hysterisch und panisch reagieren können, deswegen ist es außerordentlich wichtig, das vernünftige, humane, angemessene Handeln gerade in einer solchen Zeit hochzuhalten.
König: Wäre dieses Mittel der Dialogbereitschaft auch ein Mittel im Kampf gegen die heutigen Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, die ja doch deutlich anderer Natur eigentlich sind?
Vollmer: Auf jeden Fall ist der Versuch der Individualisierung außerordentlich wichtig. Also nichts ist dümmer, als zu sagen, es gibt ein weltweit zentral gesteuertes Terroristenkollektiv und schlagen wir den Kopf ab, dann haben wir sozusagen die ganze Gruppe. Im Gegenteil, auch da muss man Land für Land, Gruppe für Gruppe, Persönlichkeit für Persönlichkeit versuchen, die Bomben, die sie in ihren Köpfen haben, zu demontieren. Und das passiert meistens mit selber draufbomben am allerwenigsten. Ich glaube, dass es sogar in der ersten Phase des Terrorismus, der ja besonders traumatisch ist, besser gelingen kann, als später. Denn die erste Generation von Terroristen sind meistens hochintelligente Ideologen, Söhne und Töchter aus sehr gutem Hause, in westlichen Gesellschaften ausgebildet und dann also mit dieser Art von Ideologie motiviert. Die kann man noch Intellektuell begreifen, und man muss das versuchen, um zu begreifen, wie sind sie überhaupt dahin gekommen. Die zweite und dritte Generation und dann die vierte und fünfte ist absolut anonym, kommt nie wieder heraus aus der Gruppe und sind oft, siehe Kolumbien, dann nur noch schlichte, aber äußerst brutale Berufskriminelle, die dann sehr schwer zu erreichen sind für solche Initiativen, zu sagen, stellt euch doch mal der Welt, in der ihr wirklich lebt, und ihr sitzt einer Obsession auf mit euren Feindbildern. Aber dann darf man selber eben nicht auch obsessiv reagieren, sondern man muss fast mit einer kalten Unerschütterlichkeit an den eigenen Prinzipien festhalten.
König: Sehen Sie jemanden, von dem Sie sich vorstellen könnten, dass er mit wem auch immer solche Dialoge führen könnte, dieses sich einlassen auf das Individuum?
Vollmer: Also damals in Bezug auf die RAF hatten wir gesagt, es müssen gestandene, erfahrene Mitglieder der Gesellschaft sein, die nicht hassen in dieser Situation des Dialogs, die aber auch in der Lage sind zu sagen, also ihr beeindruckt uns nicht, auch nicht mit eurer Opferbereitschaft, auch nicht mit euren hysterischen Weltbildern. Heute in der Auseinandersetzung mit den Islamischen Terroristen glaube ich, dass wir nicht darum herum kommen, die Kräfte aus den eigenen Gesellschaften zu nutzen. Und die sind ganz unterschiedlich. In Algerien zum Beispiel, das hatte der Westen lange allein gelassen in der Auseinandersetzung mit den Islamisten, waren es vor allen Dingen die Frauen, die mit einer unglaublichen Entschlossenheit ihre Söhne und ihre Männer zur Raison gerufen haben und gesagt haben, bis hierher und nicht weiter. In anderen Gesellschaften, Marokko zum Beispiel, ist es ein aufgeklärter König. Man muss also auch die islamischen Gesellschaften erst mal auseinander differenzieren und gucken, wo sind da die positiven Kräfte, die diese Art von unerschütterlichem inneren Widerstand leisten können. Ich bin aber davon überzeugt, dass danach zu suchen und die zu unterstützen sehr viel erfolgreicher ist, als jetzt eine weltweite Kriegserklärung anzunehmen und selber auszusprechen.
König: Kommen wir noch mal zurück zur RAF. Man hat ja lange Zeit den Vorwurf erhoben, es werde mehr über die Täter als über die Opfer geredet. Das hat sich in letzter Zeit etwas geändert. Es sind viele Opfer im Fernsehen, in anderen Medien aufgetreten, haben ihre Belange geäußert. Haben Sie den Eindruck, dass die Opfer, die Angehörigen der Opfer in angemessener Weise in die Debatte hineingekommen sind, sodass auch da eine Möglichkeit besteht, zu dem Punkt zu finden, bei dem wir unser Gespräch begonnen haben, nämlich ein Ende zu machen dieses Kapitels.
Vollmer: Also ehrlich gesagt, sehe ich das im Augenblick viel skeptischer. Ich glaube, wir sind im Moment nach der ersten Phase, die große gesellschaftliche Angst und Trauma bedeutete, nach der zweiten Phase, wo die RAF fast zu so etwas wie ein Mythos geworden ist und Legendenbildung praktiziert wurde, sind wir jetzt in der Phase der Vermarktung. Und ich fürchte, dass das auch vor den Tränen der Angehörigen nicht Halt gemacht hat. Denn sich um die Opfer zu kümmern, hatte auch die "Bild"-Zeitung und der "Spiegel" und alle viele, viele Jahre Zeit. Und dieses Nicht-Wissenwollen des Kummers, dieses Nicht-Mitgefühl zeigen, das ist wirklich eine sehr schlimme Begleiterscheinung dieser Zeit gewesen. Aber jetzt, heute, wenn es darum geht, ob jemand 24 oder 26 Jahre noch im Gefängnis sitzt zu sagen, darüber sollen jetzt die Angehörigen entscheiden, das ist erstens für die Angehörigen eine richtige persönliche Zumutung und zweitens auch nicht rechtsstaatsgemäß. Der Rechtsstaat braucht die dritte Instanz, die nicht in diesem tiefen Kummer eingebunden ist.
König: Kommen wir noch mal zurück zum Anfang. Dieses Abschließen, im Sinne eines humanen Friedens ist noch etwas Abzuschließen, ein Kapitel ist zu beenden. Wer könnte das jetzt konkret wodurch einleiten.
Vollmer: Also ehrlich gesagt wüsste ich das jetzt nicht mehr, also in diesem Sinne so ein kleines politisches Meisterwerk. Diese Republik hat die Herausforderung angenommen, bestanden und human beendet. Das wird es jetzt nicht mehr geben nach diesem Votum des Bundespräsidenten. Es wird das geben, was die ganze Zeit über doch auch wirksam war, einzelne Gespräche, einzelne, die sich herausgelöst haben, einzelne Ministerpräsidenten oder Bundespräsidenten, die ganz still das ihre getan haben, und hoffentlich eine Gesellschaft, die manchmal zurückdenkt und nicht denkt, da ist noch was nachzusiegen und nachzurächen, sondern die sagt, Gott sei dank, wir haben diese doch härteste Probe der damaligen Bundesrepublik überstanden und eine Menge daraus gelernt – vielleicht auch dafür, wie man neuen Herausforderungen einer solchen Art von Bedrohung mit innerer Souveränität gegenübertritt.
König: Es ist an der Zeit ein Kapitel zu beenden. Die Seelsorgerin, Publizistin und Politikerin Antje Vollmer im Gespräch, vielen Dank!
Antje Vollmer: Guten Tag!
König: Frau Vollmer, diesen Artikel schrieben Sie, als Bundespräsident Köhler über die Begnadigung Christian Klars noch nachdachte. Diese Begnadigung wurde dann abgelehnt, was Sie in mehreren Interviews als Fehler bezeichnet haben. Im Sinne eines humanen Friedens sei noch etwas abzuschließen – was genau ist da noch abzuschließen?
Vollmer: Letztendlich der Punkt, der sagt, diese Demokratie, die von diesem Terrorismus der RAF bis auf die Grundfeste erschüttert war, und diese Gesellschaft, die durchaus ihre Schwierigkeiten hatte, das nicht zu einem Mythos werden zu lassen, die hat beides geschafft. Und es gibt eigentlich gerade bei so traumatischen politischen Ereignissen nichts wichtigeres, als irgendwann einmal sagen zu können, es ist wirklich vorbei, und dann in dem Sinne auch für alle Beteiligten. Ich meine auch, die Haftzeiten für die RAF-Täter sind im Vergleich zu anderen Hafttaten für andere politisch motivierte Verbrechen beachtlich gewesen.
König: Das heißt, wie könnte dieses Kapitel beendet werden – indem man die Begnadigungen ausspricht aller jetzt noch Inhaftierten und die Debatte irgendwie zum Schluss führt?
Vollmer: Es sind ja nicht mehr viele. Es sind ja nur noch zwei. Und ich hätte mir damals gewünscht, dass Herr Köhler diese letzten Begnadigungen auch vollzogen hätte und es zum Anlass genommen hätte dann zu sagen, wie ist diese Gesellschaft mit diesem früheren Terrorismus umgegangen und was können wir auch daraus lernen im Umgang mit dem Problem, was uns heute beschäftigt, nämlich dieser weltweite Terrorismus, der nun weltweit alle Gesellschaften abgrundtief erschreckt hat. Gesellschaften können auch in permanente Gewaltzustände abdriften, und man muss wirklich sehr aufpassen, dass man selbst, wenn man ein positives Beispiel hat, daraus auch die richtigen Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zieht.
König: Lassen Sie uns ein wenig zurückblicken. Sie haben ja immer der Idee misstraut, allein mit effektiven Verfolgungsmethoden den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen zu wollen. Sie haben von 1985 an bis zur Auflösung der RAF 1998 immer wieder mit Terroristen der RAF gesprochen, haben Briefe geschrieben, das alles im Sinne einer Versöhnung zwischen dem Staat und den Terroristen. Nun bestand ja die Stärke, man könnte auch sagen die Härte, der RAF darin, dass sie ein eisernes Kollektiv bildete, kein Individuum redete, es gab nur Erklärungen des Kollektivs. Erzählen Sie uns von diesen Gesprächen. Wie funktionierte das und wie gelang es, dass dieser Panzer dann durchbrochen werden konnte und diese Individuen zum Reden gebracht wurden?
Vollmer: Darf ich eins noch sagen, ich glaube, den Begriff Versöhnung habe ich eigentlich sehr selten benutzt. Mir ging es immer um eine intelligente politische Lösung. Und die muss die andere Seite, die sie überwinden will, die sie überwinden muss, auch sehr genau studieren. Dafür habe ich mich damals mit allen persönlichen Biografien dieser Terroristen äußerst intensiv beschäftigt, sodass ich eine Ahnung hatte, warum jeder Einzelne von denen in diesen Teufelskreis hineingekommen ist, und da eine Vermutung hatte, wie man sie herauslösen kann. Da war aber das aller, allerwichtigste, dass man sie aus dem Kollektiv herauslöst. Ich habe immer die These vertreten, einmal Terrorist, immer Terrorist. Das stimmt nicht. Jeder Einzelne ist individuell hereingekommen und es gibt deswegen vielleicht auch eine Chance, ihn individuell wieder persönlich verantwortlich zu machen für seine Geschichte, auch für seine Taten, und ihm dann aber auch zu sagen, übernimm diese Verantwortung, dann gibt es für dich auch einen Weg zurück in die Gesellschaft! Terrorismus ist immer Kollektivmaschine, aufgeblasen mit einem fast mythischen Selbstbild, das aber immer das Bild von Selbstmordattentätern ist. Das heißt, wenn die Gesellschaft diese Kriegserklärung der Terroristen annimmt, erfüllt sie eine tiefe Sehnsucht, nämlich so wichtig, so bedeutend zu sein, dass sich eine ganze Gesellschaft auf diesen Kampf einlässt. Und das ist eine Frage auch der mentalen Überlegenheit demokratischer Gesellschaften, sich in diesen Strudel nicht hineinziehen zu lassen und auch dieses innere Wunschbild von Terroristen nicht zu erfüllen. Und da ist der erste Satz: Wir fürchten euch nicht! Das darf man nie aufgeben. Egal was passiert, muss man selbst an die Überlegenheit und dann auch an die Versöhnungs- und Integrationsfähigkeit von demokratischen Gesellschaften glauben.
König: Das heißt Dialogbereitschaft gerade als Waffe im Kampf gegen den Terrorismus, gerade der weiche Staat – in Anführungszeichen – der also Straferleichterung auch gewährt, der Begnadigungen aussprechen kann...
Vollmer: Genau.
König: ... als Waffe, um diesem Teufelskreis zu entkommen.
Vollmer: Der Dialog ist nie die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, sondern für den Zeitraum des Dialogs muss man die Gesetze des Krieges außer Kraft setzen. Darin aber eröffnen sich dann auch Veränderungsmöglichkeiten. Und ich wusste immer, gerade weil Terrorismus die Gesellschaften so schockiert, weil sie so hysterisch und panisch reagieren können, deswegen ist es außerordentlich wichtig, das vernünftige, humane, angemessene Handeln gerade in einer solchen Zeit hochzuhalten.
König: Wäre dieses Mittel der Dialogbereitschaft auch ein Mittel im Kampf gegen die heutigen Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, die ja doch deutlich anderer Natur eigentlich sind?
Vollmer: Auf jeden Fall ist der Versuch der Individualisierung außerordentlich wichtig. Also nichts ist dümmer, als zu sagen, es gibt ein weltweit zentral gesteuertes Terroristenkollektiv und schlagen wir den Kopf ab, dann haben wir sozusagen die ganze Gruppe. Im Gegenteil, auch da muss man Land für Land, Gruppe für Gruppe, Persönlichkeit für Persönlichkeit versuchen, die Bomben, die sie in ihren Köpfen haben, zu demontieren. Und das passiert meistens mit selber draufbomben am allerwenigsten. Ich glaube, dass es sogar in der ersten Phase des Terrorismus, der ja besonders traumatisch ist, besser gelingen kann, als später. Denn die erste Generation von Terroristen sind meistens hochintelligente Ideologen, Söhne und Töchter aus sehr gutem Hause, in westlichen Gesellschaften ausgebildet und dann also mit dieser Art von Ideologie motiviert. Die kann man noch Intellektuell begreifen, und man muss das versuchen, um zu begreifen, wie sind sie überhaupt dahin gekommen. Die zweite und dritte Generation und dann die vierte und fünfte ist absolut anonym, kommt nie wieder heraus aus der Gruppe und sind oft, siehe Kolumbien, dann nur noch schlichte, aber äußerst brutale Berufskriminelle, die dann sehr schwer zu erreichen sind für solche Initiativen, zu sagen, stellt euch doch mal der Welt, in der ihr wirklich lebt, und ihr sitzt einer Obsession auf mit euren Feindbildern. Aber dann darf man selber eben nicht auch obsessiv reagieren, sondern man muss fast mit einer kalten Unerschütterlichkeit an den eigenen Prinzipien festhalten.
König: Sehen Sie jemanden, von dem Sie sich vorstellen könnten, dass er mit wem auch immer solche Dialoge führen könnte, dieses sich einlassen auf das Individuum?
Vollmer: Also damals in Bezug auf die RAF hatten wir gesagt, es müssen gestandene, erfahrene Mitglieder der Gesellschaft sein, die nicht hassen in dieser Situation des Dialogs, die aber auch in der Lage sind zu sagen, also ihr beeindruckt uns nicht, auch nicht mit eurer Opferbereitschaft, auch nicht mit euren hysterischen Weltbildern. Heute in der Auseinandersetzung mit den Islamischen Terroristen glaube ich, dass wir nicht darum herum kommen, die Kräfte aus den eigenen Gesellschaften zu nutzen. Und die sind ganz unterschiedlich. In Algerien zum Beispiel, das hatte der Westen lange allein gelassen in der Auseinandersetzung mit den Islamisten, waren es vor allen Dingen die Frauen, die mit einer unglaublichen Entschlossenheit ihre Söhne und ihre Männer zur Raison gerufen haben und gesagt haben, bis hierher und nicht weiter. In anderen Gesellschaften, Marokko zum Beispiel, ist es ein aufgeklärter König. Man muss also auch die islamischen Gesellschaften erst mal auseinander differenzieren und gucken, wo sind da die positiven Kräfte, die diese Art von unerschütterlichem inneren Widerstand leisten können. Ich bin aber davon überzeugt, dass danach zu suchen und die zu unterstützen sehr viel erfolgreicher ist, als jetzt eine weltweite Kriegserklärung anzunehmen und selber auszusprechen.
König: Kommen wir noch mal zurück zur RAF. Man hat ja lange Zeit den Vorwurf erhoben, es werde mehr über die Täter als über die Opfer geredet. Das hat sich in letzter Zeit etwas geändert. Es sind viele Opfer im Fernsehen, in anderen Medien aufgetreten, haben ihre Belange geäußert. Haben Sie den Eindruck, dass die Opfer, die Angehörigen der Opfer in angemessener Weise in die Debatte hineingekommen sind, sodass auch da eine Möglichkeit besteht, zu dem Punkt zu finden, bei dem wir unser Gespräch begonnen haben, nämlich ein Ende zu machen dieses Kapitels.
Vollmer: Also ehrlich gesagt, sehe ich das im Augenblick viel skeptischer. Ich glaube, wir sind im Moment nach der ersten Phase, die große gesellschaftliche Angst und Trauma bedeutete, nach der zweiten Phase, wo die RAF fast zu so etwas wie ein Mythos geworden ist und Legendenbildung praktiziert wurde, sind wir jetzt in der Phase der Vermarktung. Und ich fürchte, dass das auch vor den Tränen der Angehörigen nicht Halt gemacht hat. Denn sich um die Opfer zu kümmern, hatte auch die "Bild"-Zeitung und der "Spiegel" und alle viele, viele Jahre Zeit. Und dieses Nicht-Wissenwollen des Kummers, dieses Nicht-Mitgefühl zeigen, das ist wirklich eine sehr schlimme Begleiterscheinung dieser Zeit gewesen. Aber jetzt, heute, wenn es darum geht, ob jemand 24 oder 26 Jahre noch im Gefängnis sitzt zu sagen, darüber sollen jetzt die Angehörigen entscheiden, das ist erstens für die Angehörigen eine richtige persönliche Zumutung und zweitens auch nicht rechtsstaatsgemäß. Der Rechtsstaat braucht die dritte Instanz, die nicht in diesem tiefen Kummer eingebunden ist.
König: Kommen wir noch mal zurück zum Anfang. Dieses Abschließen, im Sinne eines humanen Friedens ist noch etwas Abzuschließen, ein Kapitel ist zu beenden. Wer könnte das jetzt konkret wodurch einleiten.
Vollmer: Also ehrlich gesagt wüsste ich das jetzt nicht mehr, also in diesem Sinne so ein kleines politisches Meisterwerk. Diese Republik hat die Herausforderung angenommen, bestanden und human beendet. Das wird es jetzt nicht mehr geben nach diesem Votum des Bundespräsidenten. Es wird das geben, was die ganze Zeit über doch auch wirksam war, einzelne Gespräche, einzelne, die sich herausgelöst haben, einzelne Ministerpräsidenten oder Bundespräsidenten, die ganz still das ihre getan haben, und hoffentlich eine Gesellschaft, die manchmal zurückdenkt und nicht denkt, da ist noch was nachzusiegen und nachzurächen, sondern die sagt, Gott sei dank, wir haben diese doch härteste Probe der damaligen Bundesrepublik überstanden und eine Menge daraus gelernt – vielleicht auch dafür, wie man neuen Herausforderungen einer solchen Art von Bedrohung mit innerer Souveränität gegenübertritt.
König: Es ist an der Zeit ein Kapitel zu beenden. Die Seelsorgerin, Publizistin und Politikerin Antje Vollmer im Gespräch, vielen Dank!