Ein afrodeutsches Leben in der Nachkriegszeit
1947 wurde Ika Hügel-Marshall in einem Dorf bei Nürnberg geboren. Sie gehört zu den fast 5.000 afrodeutschen Kindern, die unter teilweise sehr erschwerten Bedingungen im Westdeutschland der 50er-Jahre aufwuchsen. Die Suche nach ihrer Identität hat sie lange beschäftigt.
"My dear father" schreibt Ika Hügel-Marshall als 18-jährige an den Mann, der sie zwar gezeugt, den sie aber noch nie gesehen hat, weil er noch vor ihrer Geburt in die USA zurückkehrte. Ihre Mutter hatte eine Liebesbeziehung zu einem schwarzen US-Soldaten, und deshalb kam Erika - genannt Ika - Hügel-Marshall 1947 als uneheliches Kind auf die Welt. Ihre Mutter wurde als "Negerhure" beschimpft und durfte über das Schicksal ihres Kindes nicht selbst entscheiden. Der Grund: Laut damals geltendem Gesetz** übernahm das Jugendamt automatisch die Vormundschaft für nichteheliche Kinder. Und dieses Amt entschied: Erika muss in ein Heim. So kam die fast Siebenjährige gegen den Willen ihrer Mutter in die so genannte "Kinderheimat Gotteshütte" in Hückeswagen bei Köln.
"Man wollte uns einfach auch nicht haben, man wollte uns nicht sehen. .. Es gab ja auch viele Kinder, die von weißen Soldaten waren. An uns hat man halt gesehen, dass Deutschland den Krieg verloren hat, dass die Schwarzen, … eben auch die Befreier waren. Man wollte uns eigentlich nicht haben in Deutschland."
Im Heim sollte ihr der Teufel ausgetrieben werden
Auch heute noch fällt es der fast 70-jährigen Hügel-Marshall schwer, über die Jahre in dem von einer evangelischen Freikirche geführten Heim zu sprechen. Unter den zehn Kindern in dem Heim hatte sie als Einzige eine dunklere Hautfarbe und wurde deshalb schlechter behandelt: Ihr wurde "der Teufel ausgetrieben", sie musste ihr Erbrochenes essen, nachts wurden ihre Hände gefesselt. Sie dachte: 'Ich habe das so verdient. Und dann fängt man an, sich selbst zu hassen.'
Ika Hügel-Marshall durfte nicht aufs Gymnasium gehen, stattdessen machte sie eine Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete mehrere Jahre in einem Kinderheim. Anschließend studierte sie Sozialpädagogik, arbeitete als Dozentin und psychologische Beraterin.
Vor allem der Kontakt zur afrodeutschen Community und die Begegnung mit ihrem Vater führten zu einer inneren Heilung. Sie war bereits 47, als sie zum ersten Mal ihrem "Dad" und ihren Geschwistern in den USA begegnete. "Ein sehr sehr warmer Empfang", schwärmt sie. Ihre Autobiografie veröffentlicht sie 1998 unter dem Titel "Daheim unterwegs. Ein deutsches Leben". Auch das Aufschreiben ihrer Lebensgeschichte hat Hügel-Marshall geholfen, mit der Vergangenheit besser fertig zu werden. Gesellschaftlich hat sich in den vergangenen Jahren zwar einiges zum Positiven entwickelt:
"Es gibt heute sehr viele weiße Deutsche, die sich auch gegen Rassismus einsetzen, und dafür auch kämpfen, das hat es zu meiner Zeit eben nicht gegeben, auch nicht damals in der Frauenbewegung. Da war ihnen Rassismus völlig egal. Das hat sich natürlich schon verändert, aber für mich war es einfach so, wie ich aufgewachsen bin, dass ich einfach im Rückblick damals auch erkennen musste, dass für mich Weiße eben Rassisten sind, solange sie sich nicht wirklich auseinandersetzen. Und das tun halt nicht alle."
** Erst 1970 wurde das Gesetz in Westdeutschland reformiert und unter anderem geregelt, dass das uneheliche Kind unter der "elterlichen Gewalt" der Mutter steht und damit die bisherige Amtsvormundschaft entfällt.
Erstsendedatum: 7. Februar 2017