Ikone des Journalismus
Ohne Rudolf Augstein und dessen "Spiegel" wäre die Bundesrepublik heute wahrscheinlich ein andere. Peter Merseburger setzt mit seiner Biographie dem einflussreichen Verleger und Journalisten ein Denkmal.
Er war ein Mann mit vielen Gesichtern, wechselnden Überzeugungen und mindestens zwei Namen, Rudolf Augstein alias Jens Daniel. Seine Begabungen waren groß, aber wie immer im Leben, gehörte zu jeder Sonnenseite auch eine Schattenseite: Zur scharfen Intelligenz die schneidende Polemik, zur Analyse die Bloßstellung, zum gerechten Zorn die ungerechte Verbissenheit, zur persönlichen Schüchternheit die Arroganz des Umgangs mit Menschen.
Peter Merseburgers große neue Biographie ist wahrhaftig ein "Life and Times", sie beschreibt einen Mann in seiner Zeit und aus seiner Zeit, der nicht nur den "Spiegel" zum Erfolgsmodell machte – fast zu sehr, weil im Erfolg auch die Versuchung lag, Kampagnen zu machen, Kreuzzüge und Vernichtungskriege – weit über jede Berichtspflicht der Medien hinaus. Augstein hatte Macht und er wollte Macht und alles, was damit einhergeht wie Reichtum, Prominenz, Bewunderung, elegante Frauen, schöne Häuser, einflussreiche Freunde - und verstand es doch zugleich, sich als Messias der deutschen Demokratie darzustellen, als linksliberalen Überzeugungstäter, manchmal zu Recht, sehr oft zu Unrecht.
Henri Nannen, der noch bei den Nazis das Handwerk gelernt hatte, errang mit dem "Stern" ähnlichen Erfolg, wenngleich für ein anderes Publikum. Allein Axel Springer, der Zeitungsgründer und Großunternehmer, spielte in derselben Liga wie Augstein, was Prägungen und Wirkungen anlangt. Die Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik ist ohne den Spannungsbogen zwischen Augstein und Springer nicht zu verstehen. Beide haben auf unterschiedliche, zumeist gegensätzliche Weise Geschichte gemacht.
"Am Ende war er eine Ikone, zwei Jahre vor seinem Tod zum … ‚Journalisten des Jahrhunderts’ gewählt. Wie kein anderer der schreibenden Zunft hat Rudolf Augstein den Deutschen nach dem Krieg seinen Stempel aufgedrückt. Die Bundesrepublik wäre anders ohne ihn und seinen ‚Spiegel’."
So Merseburger bei der einleitenden Vorstellung seines Helden. Er stellt Augstein dar als Inbegriff der skeptischen Generation, von Krieg und Niederlage geprägt und vom Zusammenbruch alles dessen, was einmal Werte und Maßstäbe gewesen waren. Augstein, der der Laune eines britischen Panzermajors im zerbombten Hannover die Lizenz zum Zeitungmachen verdankte – sie wurde ihm auch zur Lizenz zum Gelddrucken - leitete daraus die Pflicht ab, jede Autorität unter Generalverdacht zu stellen, manchmal mit Prüfung und meistens ohne. Merseburger, wie es einem Biographen zukommt, versucht Sympathie und Distanz zu wahren. Aber er gehört zur selben Generation, er gibt Augstein, dessen polemische Wege er durch die Landschaften der deutschen Politik sorgsam nachzeichnet, viel Kredit, und in entscheidenden Fragen zuviel. Denn der Nationalsozialismus war ja nicht Ursache der Umwertung aller Werte und der moralischen tabula rasa, sondern noch mehr ihr Produkt seit Ende der 1920er Jahre.
Auch Demokratie braucht Führung und Autorität, und sie lebt von Werten, die sie selbst nicht schaffen kann: In diesem wesentlichen Punkt besteht zu viel stille Übereinstimmung zwischen Subjekt und Objekt, Merseburger und Augstein. Merseburger lässt den Zynismus, den Machthunger, die wilde Polemik und die politischen Kampagnen Augsteins und seiner Leute zu leicht davonkommen. Am deutlichsten wird das in der sogenannten Spiegelkrise des Herbstes 1962, die den Spiegel-Mythos in letztinstanzliche moralische Höhen hob, die Republik erschütterte und doch Ursachen hatte, die viel mehr in der bipolaren Konfrontation des Kalten Krieges lagen und im Wandel der nuklearen Strategie beider Weltmächte, als in den Aspirationen und Ehrgeizen des Franz Josef Strauß. Der "Spiegel" hatte eine Titelgeschichte gebracht über die jüngste Stabsrahmenübung der Bundeswehr, überschrieben "Bedingt abwehrbereit". Konrad Adenauer nannte das Ganze einen Abgrund von Landesverrat, der Bundesanwalt wurde tätig, ein Zittern ging durchs Land – und durch die Hamburger Redaktion. Augstein aber machte keine gute Figur:
"Zunächst verteidigt er sich damit, dass er die Titelgeschichte vor Erscheinen überhaupt nicht gekannt hat. Dann behauptet er, ein Drehschwindel habe ihn gehindert, sie zur Kenntnis zu nehmen. ‚Jedenfalls’, so Erich Böhme, ‚war er nicht der Herausgeber, den die Redakteure sich erhofft hatten: nicht einer, der sich bekannt hätte.’ Die Redaktion wollte einen Volkstribun, aber Augstein versuchte, sich wegzuducken."
Die Spiegelkrise ging in die Geschichte der Bundesrepublik ein als Sieg des Hamburger Magazins, der Demokratie und der Gerechtigkeit. In Wahrheit gab es keine Helden, sondern Intrige, Geheimnisverrat, Opportunismus, Fehler und Maßlosigkeit auf allen Seiten - Intrige auf Spiegelseite, Maßlosigkeit auf Seiten des Bundesministers der Verteidigung, Franz Josef Strauß, der am Ende darüber stürzte. Merseburger beschreibt viel davon, aber streckenweise sieht er den Wald vor Bäumen nicht. Franz Josef Strauß wollte in seinen Memoiren seine eigene Version darstellen: Bevor er dazu kam, starb er im Oktober 1988.
Die wirkliche Geschichte beginnt in der Suezkrise 1956 und der Erkenntnis, dass die amerikanische Abschreckungsmacht Grenzen hatte: England wurde zum nuklearen Juniorpartner der USA, Frankreich suchte die nationale Abschreckungsstreitmacht. Das Entwicklungsprojekt mit den Deutschen wurde durch de Gaulle 1958 beendet. Berlin- und Kubakrise machten deutlich, dass die USA und die Sowjetunion im nuklearen Patt gefangen waren. Die neue nukleare Grand Strategy setzte auf flexible Verteidigung UND nukleare Abschreckung. Strauß aber wollte verhindern, dass Deutschland jemals konventionelles Schlachtfeld werden könnte. Er wollte Atomwaffenträger für ein Land ohne Atomwaffen. Der Führungsstab der Bundeswehr war gespalten: Die Luftwaffe ging mit Strauß, die Panzeroffiziere waren dagegen. Sie wollten, wie Strauß spottete, die Schlacht am Kursker Bogen nachträglich noch gewinnen. Sein Presseoberst veröffentlichte einen Artikel über den Wandel der Apokalypse – gemeint war, nicht nur den konventionellen Krieg zu verhindern, sondern jeden Krieg, Atomkrieg. Das alles setzte sich um in Rüstungsprogramme, Ausbildung, Strategie. Der Artikel "Bedingt Abwehrbereit" kam aus einer Verschwörung zwischen Offizieren des Führungsstabs, die die Unterlagen lieferten, und dem Nachrichtendienst. Der "Spiegel" war Plattform, nicht mehr und nicht weniger. Ziel war es, den Minister zu stürzen und dessen Strategie. Mit Demokratie und ihrer Rettung hatte das Ganze erst zu tun, als Strauß sich in den Mitteln vergriff und dabei ertappt wurde.
Die Fotostrecke in dem Buch zeigt den Wandel vom Weltkrieg-II-Leutnant zum alt gewordenen Verleger mit skeptischem Blick auf sich selbst und den Rest der Welt. Unterschrift:
"Rudolf Augstein 1996: Das Verehrungsverweigerungsgenie hat mit seinem ‚Spiegel’ geholfen, den Deutschen obrigkeitsstaatliches Denken auszutreiben."
Wie viel Spiegel und Spiegelung stecken in einem solchen Satz! Das Genie würdigt sich selbst, fordert Bewunderung und will doch zugleich alle Autorität unterhöhlen, lächerlich machen, stürzen – auch die demokratische. Augstein hat Adenauer heruntergeredet und Strauß bekämpft – und am Ende doch anerkennen müssen, dass jeder auf seine Weise ein Staatsmann war. Darin lag der Widerspruch Augsteins, und darin liegt auch, wegen der inneren Wahlverwandtschaft zweier Generationsgenossen, die Grenze dieses Buches. Um nicht missverstanden zu werden. Dies ist, auf fast 600 Seiten, eine glänzende Analyse, wie politisches Denken und politischer Stil in Nachkriegsdeutschland geformt wurden, kenntnisreich recherchiert und gewandt geschrieben. Dass Merseburger in der Regel zu sehr vom Hauptdarsteller Augstein ausgeht und zu wenig von den Gegebenheiten und Kräften, die ihn trieben, formten, aber auch begrenzten – darin liegt die Versuchung der Biographie, aber auch ihr besonderer Reiz.
Peter Merseburgers große neue Biographie ist wahrhaftig ein "Life and Times", sie beschreibt einen Mann in seiner Zeit und aus seiner Zeit, der nicht nur den "Spiegel" zum Erfolgsmodell machte – fast zu sehr, weil im Erfolg auch die Versuchung lag, Kampagnen zu machen, Kreuzzüge und Vernichtungskriege – weit über jede Berichtspflicht der Medien hinaus. Augstein hatte Macht und er wollte Macht und alles, was damit einhergeht wie Reichtum, Prominenz, Bewunderung, elegante Frauen, schöne Häuser, einflussreiche Freunde - und verstand es doch zugleich, sich als Messias der deutschen Demokratie darzustellen, als linksliberalen Überzeugungstäter, manchmal zu Recht, sehr oft zu Unrecht.
Henri Nannen, der noch bei den Nazis das Handwerk gelernt hatte, errang mit dem "Stern" ähnlichen Erfolg, wenngleich für ein anderes Publikum. Allein Axel Springer, der Zeitungsgründer und Großunternehmer, spielte in derselben Liga wie Augstein, was Prägungen und Wirkungen anlangt. Die Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik ist ohne den Spannungsbogen zwischen Augstein und Springer nicht zu verstehen. Beide haben auf unterschiedliche, zumeist gegensätzliche Weise Geschichte gemacht.
"Am Ende war er eine Ikone, zwei Jahre vor seinem Tod zum … ‚Journalisten des Jahrhunderts’ gewählt. Wie kein anderer der schreibenden Zunft hat Rudolf Augstein den Deutschen nach dem Krieg seinen Stempel aufgedrückt. Die Bundesrepublik wäre anders ohne ihn und seinen ‚Spiegel’."
So Merseburger bei der einleitenden Vorstellung seines Helden. Er stellt Augstein dar als Inbegriff der skeptischen Generation, von Krieg und Niederlage geprägt und vom Zusammenbruch alles dessen, was einmal Werte und Maßstäbe gewesen waren. Augstein, der der Laune eines britischen Panzermajors im zerbombten Hannover die Lizenz zum Zeitungmachen verdankte – sie wurde ihm auch zur Lizenz zum Gelddrucken - leitete daraus die Pflicht ab, jede Autorität unter Generalverdacht zu stellen, manchmal mit Prüfung und meistens ohne. Merseburger, wie es einem Biographen zukommt, versucht Sympathie und Distanz zu wahren. Aber er gehört zur selben Generation, er gibt Augstein, dessen polemische Wege er durch die Landschaften der deutschen Politik sorgsam nachzeichnet, viel Kredit, und in entscheidenden Fragen zuviel. Denn der Nationalsozialismus war ja nicht Ursache der Umwertung aller Werte und der moralischen tabula rasa, sondern noch mehr ihr Produkt seit Ende der 1920er Jahre.
Auch Demokratie braucht Führung und Autorität, und sie lebt von Werten, die sie selbst nicht schaffen kann: In diesem wesentlichen Punkt besteht zu viel stille Übereinstimmung zwischen Subjekt und Objekt, Merseburger und Augstein. Merseburger lässt den Zynismus, den Machthunger, die wilde Polemik und die politischen Kampagnen Augsteins und seiner Leute zu leicht davonkommen. Am deutlichsten wird das in der sogenannten Spiegelkrise des Herbstes 1962, die den Spiegel-Mythos in letztinstanzliche moralische Höhen hob, die Republik erschütterte und doch Ursachen hatte, die viel mehr in der bipolaren Konfrontation des Kalten Krieges lagen und im Wandel der nuklearen Strategie beider Weltmächte, als in den Aspirationen und Ehrgeizen des Franz Josef Strauß. Der "Spiegel" hatte eine Titelgeschichte gebracht über die jüngste Stabsrahmenübung der Bundeswehr, überschrieben "Bedingt abwehrbereit". Konrad Adenauer nannte das Ganze einen Abgrund von Landesverrat, der Bundesanwalt wurde tätig, ein Zittern ging durchs Land – und durch die Hamburger Redaktion. Augstein aber machte keine gute Figur:
"Zunächst verteidigt er sich damit, dass er die Titelgeschichte vor Erscheinen überhaupt nicht gekannt hat. Dann behauptet er, ein Drehschwindel habe ihn gehindert, sie zur Kenntnis zu nehmen. ‚Jedenfalls’, so Erich Böhme, ‚war er nicht der Herausgeber, den die Redakteure sich erhofft hatten: nicht einer, der sich bekannt hätte.’ Die Redaktion wollte einen Volkstribun, aber Augstein versuchte, sich wegzuducken."
Die Spiegelkrise ging in die Geschichte der Bundesrepublik ein als Sieg des Hamburger Magazins, der Demokratie und der Gerechtigkeit. In Wahrheit gab es keine Helden, sondern Intrige, Geheimnisverrat, Opportunismus, Fehler und Maßlosigkeit auf allen Seiten - Intrige auf Spiegelseite, Maßlosigkeit auf Seiten des Bundesministers der Verteidigung, Franz Josef Strauß, der am Ende darüber stürzte. Merseburger beschreibt viel davon, aber streckenweise sieht er den Wald vor Bäumen nicht. Franz Josef Strauß wollte in seinen Memoiren seine eigene Version darstellen: Bevor er dazu kam, starb er im Oktober 1988.
Die wirkliche Geschichte beginnt in der Suezkrise 1956 und der Erkenntnis, dass die amerikanische Abschreckungsmacht Grenzen hatte: England wurde zum nuklearen Juniorpartner der USA, Frankreich suchte die nationale Abschreckungsstreitmacht. Das Entwicklungsprojekt mit den Deutschen wurde durch de Gaulle 1958 beendet. Berlin- und Kubakrise machten deutlich, dass die USA und die Sowjetunion im nuklearen Patt gefangen waren. Die neue nukleare Grand Strategy setzte auf flexible Verteidigung UND nukleare Abschreckung. Strauß aber wollte verhindern, dass Deutschland jemals konventionelles Schlachtfeld werden könnte. Er wollte Atomwaffenträger für ein Land ohne Atomwaffen. Der Führungsstab der Bundeswehr war gespalten: Die Luftwaffe ging mit Strauß, die Panzeroffiziere waren dagegen. Sie wollten, wie Strauß spottete, die Schlacht am Kursker Bogen nachträglich noch gewinnen. Sein Presseoberst veröffentlichte einen Artikel über den Wandel der Apokalypse – gemeint war, nicht nur den konventionellen Krieg zu verhindern, sondern jeden Krieg, Atomkrieg. Das alles setzte sich um in Rüstungsprogramme, Ausbildung, Strategie. Der Artikel "Bedingt Abwehrbereit" kam aus einer Verschwörung zwischen Offizieren des Führungsstabs, die die Unterlagen lieferten, und dem Nachrichtendienst. Der "Spiegel" war Plattform, nicht mehr und nicht weniger. Ziel war es, den Minister zu stürzen und dessen Strategie. Mit Demokratie und ihrer Rettung hatte das Ganze erst zu tun, als Strauß sich in den Mitteln vergriff und dabei ertappt wurde.
Die Fotostrecke in dem Buch zeigt den Wandel vom Weltkrieg-II-Leutnant zum alt gewordenen Verleger mit skeptischem Blick auf sich selbst und den Rest der Welt. Unterschrift:
"Rudolf Augstein 1996: Das Verehrungsverweigerungsgenie hat mit seinem ‚Spiegel’ geholfen, den Deutschen obrigkeitsstaatliches Denken auszutreiben."
Wie viel Spiegel und Spiegelung stecken in einem solchen Satz! Das Genie würdigt sich selbst, fordert Bewunderung und will doch zugleich alle Autorität unterhöhlen, lächerlich machen, stürzen – auch die demokratische. Augstein hat Adenauer heruntergeredet und Strauß bekämpft – und am Ende doch anerkennen müssen, dass jeder auf seine Weise ein Staatsmann war. Darin lag der Widerspruch Augsteins, und darin liegt auch, wegen der inneren Wahlverwandtschaft zweier Generationsgenossen, die Grenze dieses Buches. Um nicht missverstanden zu werden. Dies ist, auf fast 600 Seiten, eine glänzende Analyse, wie politisches Denken und politischer Stil in Nachkriegsdeutschland geformt wurden, kenntnisreich recherchiert und gewandt geschrieben. Dass Merseburger in der Regel zu sehr vom Hauptdarsteller Augstein ausgeht und zu wenig von den Gegebenheiten und Kräften, die ihn trieben, formten, aber auch begrenzten – darin liegt die Versuchung der Biographie, aber auch ihr besonderer Reiz.