Die Doppelschau "Ikonen der Urban Art" und "Richard Hambleton - Der vergessene Schattenmann" gäbe es aktuell im Münchner Museum of Urban and Contemporary Art zu sehen, doch seit dem Ostersonntag sind die Museen in der bayerischen Landeshauptstadt wieder geschlossen.
Banksy und die Schattenmänner
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Banksys Bilder zieren Häuserwände auf der ganzen Welt. In den 1980er-Jahren sorgten Richard Hambletons Schattenmänner an den Fassaden von New York für Aufsehen. Eine Ausstellung in München zeigt Ikonen der Straßenkunst.
Es scheint ein wenig absurd. Warum sollte man Street-Art im Museum zeigen? Eine berechtigte Frage, findet Stephanie Utz, die Mitbegründerin des Museum of Urban and Contemporary Art, kurz MUCA: "Ja, die Street-Art, wie der Name schon sagt, gehört natürlich erst mal auf die Straße, gehört in den Freiraum. So ein bisschen wie die Fragestellung: Darf man den Panther in den goldenen Käfig sperren?"
Doch zum einen entwickelte sich viele Street-Art mit zunehmender Bekanntheit ihrer Erschafferinnen und Erschaffer zu "Urban Art" und wurde dadurch auch galeriefähig. Zum anderen schützt so ein klimatisierter Raum vor Vergänglichkeit. Etwa bei der Street-Art-Künstlerin Swoon, Jahrgang 1977, die meterhohe Papierschnitte mit höchst filigran ausgeschnittenen Gesichtern, Schattierungen, Schraffuren und eiskristallartigen Mustern an die Wand klebt.
Das Museum als Schutz- oder Experimentierraum
"Natürlich wirkt das wundervoll, wenn Sie diese Papierschnitte im öffentlichen Raum vorfinden", sagt Stephanie Utz. "Gleichzeitig ist es aber, wenn Sie ein Lebenswerk präsentieren wollen als Künstlerin, fast unmöglich, das über einen längeren Zeitraum im öffentlichen Raum zu tun. Insofern verstehen wir uns eben nicht als dieser goldene Käfig, sondern eher als Schutzraum oder Experimentierraum, in dem man seine Weiterentwicklung präsentieren kann als Künstler oder Künstlerin – ohne diese Einflüsse, die man letztlich auf der Straße hat: Denken Sie allein an Witterung. Das ist ein großes Problem."
Der Schutzraum hier in der Münchner Innenstadt ist ein umgebautes Umspannwerk in einem Hinterhof, schön dunkel. Das sorgt für ein würdiges Maß urbaner Atmosphäre, um die Geschichte der Street-Art zu zeigen, die ja heute neben der Polizei noch andere Gegner hat.
Vandalismus hinter Plexiglas
"Wenn man sich mal die ganzen Diskussionen um Banksy anschaut, wo ja mittlerweile schon seit vielen Jahren in den Straßen von New York oder natürlich von London die Banksys, die Stencils, an den Wänden mit Plexiglasscheiben verkoffert werden, um sie quasi vor Vandalismus zu schützen. Also, das heißt, der Vandale wird vor Vandalismus geschützt, interessante Entwicklung", meint Stephanie Utz. "Die Frage ist: Wer schützt jetzt eigentlich hier wen?"
Bei Street-Art denken die meisten wahrscheinlich an die Stencils, also die Schablonen-Sprühbilder, des englischen Phantoms Banksy, dessen oder deren bürgerlichen Namen bis heute niemand kennt, auch die Museumsmacherin nicht. Die bekanntesten Motive, wie das Mädchen mit dem roten Luftballon oder den vermummten Aktivisten, der statt Molotowcocktail mit einem Blumenstrauß wirft – sie gibt es hier zu sehen.
Banksys Meerjungfrau aus dem Freizeitpark des Grauens
Doch zur Entwicklung Banksys gehören auch seine Ölgemälde, wie die Satire auf Edward Hoppers Bild "Nighthawks" mit dem Titel "Are You Using That Chair?" Auch hier sind die Nachteulen einsam in einer Bar vereint. Nur die Fensterscheibe hat ein halbnackter englischer Hooligan mit einem Plastikstuhl eingeworfen.
Ebenfalls sehenswert: eine optisch verzerrte Plastikskulptur von Arielle, der Disney-Meerjungfrau, die 2015 Banksys dystopischen Kunstfreizeitpark Dismaland schmückte. So witzig und gut gemacht das alles ist, so wenig wird Banksys Werk die gefühlte Kunststoffschicht los, die es zu kritisieren meint.
Gesichter in Wände und Türen gefräst
Subtileres lässt sich nebenan bei Zeitgenossen finden wie dem etwas jüngeren Alexandre Farto, 34, aus Lissabon, bekannt unter dem Pseudonym Vhils. Er kerbt, fräst, ja sprengt teilweise die Zeichnungen in Haus- oder Plakatwände.
"Diese Haptik und natürlich auch diese Trägermaterialien überhaupt darzustellen – das kann man nur im Kleinen", sagt Stephanie Utz. "Wir haben hier gar nicht die Dimensionen, ganze Hauswände reinzustellen. Das wäre ja auch nicht die Idee, das wäre ja völlig absurd. Aber man kann sehr wohl im Kleinen zeigen, was für unterschiedliche Spielarten es gibt."
Und so tut es auch eine Holztür, auf die Vhils ein melancholisches Gesicht eingemasert hat. Oder nebenan die gerahmte Wellblechwand. Sie hat der Franzose JR mit dem groß gedruckten Fotoporträt des Chinesen Mr. Ma beklebt, der in einem Armenviertel lebt. Bleibt zu hoffen, dass Mr. Ma seine Wellblechwand der Museumswelt wenigstens zu einem guten Preis verkaufen konnte.
Richard Hambleton – der Godfather der Street-Art
Ja, die Straße und der Kunstmarkt, seit Jahrzehnten schon ziehen sie einander an und stoßen einander ab. Und die Sonderausstellung im Keller des MUCA hat dafür ein grandioses Beispiel parat: Das Werk Richard Hambletons, der in den 80ern noch mit Pinsel und schwarzer Farbe durch die Straßen New Yorks zog, um seinen Shadow Man in virtuoser Schnelligkeit an die Wände zu klecksen.
"Ein zu dem Zeitpunkt nicht zuordenbares Motiv", erklärt Stephanie Utz. "Was soll das sagen? Sollte das Schrecken verbreiten, sollte das ein schlechter Scherz sein? Keiner wusste so genau, wie man das einzuordnen hat."
Die schwarze Gestalt, die rennt, tanzt, fliegt, deren Kopf zu explodieren scheint – sie gibt es in vielfachen Posen zu sehen, etwa auf Sperrholzwänden von Baustellen. Utz nennt Hambleton, der stark drogenabhängig 2017 starb, zu Recht den Godfather der Street-Art.
Auch der Kunstmarkt liebte ihn für seine elektrisierenden Schattenzeichnungen aus dem damals so räudigen New York - und er vergaß Hambleton wieder, als dieser plötzlich Landschaften malen wollte: klassischen Expressionismus. Auf Leinwand.