„Die wortverliebten Schmierfinken in den Gazetten sprechen so gern von der öffentlichen Meinung, eine reine Erfindung, die ihnen zupasskommt, denn bei uns gibt es Derartiges überhaupt nicht, das ist Schall und Rauch, mein Liebster. Was die Menschen meinen, das bestimmen wir. Sie glauben an das, was wir ihnen vorsetzen, und wer nichts zu melden hat, der behält seine Meinung für sich.“
Ilja Trojanow „Das Buch der Macht“
© Die Andere Bibliothek (Verlag)
Die Strategie der Autokraten

Ilija Trojanow
Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässtDie Andere Bibliothek, Berlin 2025276 Seiten
48,00 Euro
Ilija Trojanow verwandelt Stojan Michailowskis unübersetztes Großgedicht von 1897 in eine Prosa-Erzählung. Begleitet von Zitaten großer Denker wie Aristoteles, Machiavelli und Arendt entsteht so eine Reflexion über Herrschaft, Macht und ihre Gefahren.
Man sollte sich von dem Ton eines orientalischen Märchens nicht täuschen lassen. Der in Wien lebende Autor Ilija Trojanow hat die 1897 erschienene politische Satire „Buch für das bulgarische Volk“ des Juristen, Politikers und Dichters Stojan Michailowski nicht ohne Grund dem Vergessen entrissen.
Je länger man seine freie Nacherzählung des Großgedichts liest, desto mehr versteht man, was ihn an der Geschichte gereizt hat. Hier unterweist ein greiser Wesir seinen Nachfolger, wie er mit Hilfe von Unterdrückung und Gewalt zu regieren habe. Dazu gehöre auch die Notwendigkeit, keine freie Presse zuzulassen.
Stojan Michailowski schwebte eine Abrechnung mit Hierarchie, Ausbeutung und Korruption vor. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt. Zwanzig Jahre zuvor errang Bulgarien seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, unterstützt von der russischen Armee.
Genre des „Fürstenspiegels“
Als Spielball der europäischen Mächte bekam das junge Land ein monarchisches System aufgesetzt. Oligarchen und aus Deutschland importierte Könige hatten von nun an das Sagen. Der weltgewandte Intellektuelle griff in dieser desillusionierenden Situation auf das Genre des „Fürstenspiegels“ zurück und erfand die universelle Kunstfigur des menschenverachtenden osmanischen Wesirs Abdulrahman Pascha.
„Nein, ohne Blutvergießen würde niemand seine Stirn zu Boden beugen, niemand sklavisch grüßen, ohne Schläge auf den wunden Rücken gäbe es keine Hymnen, keine Huldigungen, keine Triumphbögen. Und wer nicht gelegentlich einige Knochen brechen lässt, der wird nie zu Lebzeiten von den Dichtern wortgewandt gepriesen und nach seinem Ableben von den Bildhauern in Bronze konterfeit.“
Aktuelle Bezüge zu Autokraten
Trojanow stellt Michailowskis Epos einen vielstimmigen Chor beiseite, allen voran Machiavellis „Der Fürst“. Napoleon hatte sich mit dem einflussreichen Klassiker ebenso beschäftigt wie Lenin. Weitere Kenner kommen auf den linken Buchseiten zu Wort, von Aristoteles bis Voltaire, über indische Dichter und persische Philosophen, bis zu Denkerinnen wie Simone Weil oder Hannah Arendt - auch wenn man diese Stimmen nicht wirklich braucht, um die aktuellen Bezüge zur rücksichtslosen Politik eines Wladimir Putin, Donald Trump oder Viktor Orbán zu erkennen. In dieser Gesellschaft erscheint der Wesir wie ein erstaunlicher Manipulator.
„In den letzten dreißig Jahren habe ich mit zielstrebiger Beharrlichkeit Gift in das Maul der Öffentlichkeit gegossen, ein Gemisch aus Lügen, Verleumdungen und Unterstellungen. Nicht weil ich schlecht gelaunt war oder aus Missmut, nicht weil ein innerer Dämon mich dazu gedrängt hätte, […] sondern systematisch und wohlüberlegt, mit wissenschaftlicher Präzision geradezu, um die Köpfte zu verdrehen und die Herzen zu entstellen.“
Die Weisheiten des Wesirs illustrieren eine Denkschule, der viele gegenwärtiger Machthaber und Tech-Mogule anhängen. Alleinherrschaft ist dabei positiv besetzt, Kooperation nur etwas für Schwache. Ihnen geht es nicht um das Wohl des Volkes, sondern um den eigenen Profit. Lüge, Rechtsbruch und Verfolgung Andersdenkender sind dabei notwendige Instrumente. Finesse paart sich beim Wesir deshalb mit Grobschlächtigkeit, wenn er voll des zynischen Lobs für das Militär, die Polizei und seine loyalen Anhänger ist, die stets bereit sind, den Weg zu einer freien Gesellschaft zu verhindern.
„Im Schlammbad der Regierungsgeschäfte tummeln sich Unfähige, Unnütze, Unbrauchbare in großer Zahl, und es gilt, die Seelen, die sich mir verschrieben haben, weiterhin zu schwärzen und zu vergiften, einzig und allein mit dem Ziel, dass sie die Bereitschaft in sich tragen, mir jeglichen Gefallen zu erweisen, jeglichen meiner Befehle zu befolgen.“
Kampf gegen Kultur
Michailowskis bissige Satire macht keinen Halt vor der Demokratie. Eine das Allgemeinwohl berücksichtigende Politik erscheint in seinen Augen fast unmöglich, denn ein Nutzen, in dessen Genuss alle kämen, wäre kontraproduktiv für die absolute Macht einzelner, ebenso wie eine funktionierende Kulturlandschaft.
„Der Staat braucht keine Kultur. Töte die Kultur, denn sie entspringt dem gemeinnützigen Geist und dem allgemeinen Gewissen. Die Idealisten wollen uns weismachen, wir sollten auf den moralischen Fortschritt vertrauen. Humbug! Wenn es etwas Verlässliches auf Erden gibt, dann ist dies die menschliche Gier. So lauten die menschlichen Gesetze, heute wie auch schon vor sechstausend Jahren.“
Trojanows Zitatteppich ist klug gewählt, der Wechsel von Kommentar, Anekdote, Realpolitik und Polemik erfrischt und ernüchtert. Nach vier Jahrzehnten neoliberaler Politik, schreibt er im Nachwort, hat der Verlust sicherer Arbeitsplätze sowie die wachsende Ungleichheit zu einem hohen Maß an Angst geführt, so dass die Vorstellung eines starken Führers für eine wachsende Zahl von Menschen attraktiv erscheine.
Zugleich stelle die Entwicklung der KI dringende Fragen nach der Machtverteilung. Antworten darauf, was gegen die gegenwärtige Machtkonzentration zu tun sei, hat das überaus lesenswerte „Buch der Macht“ nicht parat. Es seziert die autokratische Logik in einer erhellenden Dialogkonstruktion und bietet sich als Einladung zu Gegenmeinung und Widerstand an. Es kommt zweifellos zur rechten Zeit.