"Wir brauchen keine Aufarbeitungsfunktionäre"
Wenn Schüler heute nicht mehr wissen, wer Erich Honecker war, sei das nicht so schlimm, sagt der Historiker und Stasi-Experte Ilko-Sascha Kowalczuk. Bei der Beschäftigung mit der DDR sei es viel wichtiger, den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie deutlich zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Im März 1990 fand in der damaligen DDR die letzte und einzige freie Volkskammerwahl statt. Fast 25 Jahre später wählt der Landtag in Thüringen Bodo Ramelow zum ersten Ministerpräsidenten von der Linkspartei, und Ramelow sagte nach seiner Wahl ausgerechnet gegenüber der "Bild am Sonntag":
"Meine Wahl besiegelt das Ende der DDR. Jetzt können wir in meiner Partei über die Verantwortung und die Fehler in der DDR viel deutlicher reden.“
Ob die Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten in Thüringen tatsächlich das Ende der DDR besiegelt, welche Fragen geklärt sind und was ein Vierteljahrhundert nach der letzten freien Volksammerwahl in der DDR noch aufgearbeitet werden muss, darüber rede ich heute mit Ilko-Sascha Kowalczuk. Er ist Historiker, Buchautor und Projektleiter der Abteilung Bildung und Forschung bei der Stasi-Unterlagenbehörde. Herr Kowalczuk, ganz herzlich willkommen.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Schönen guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Also, Bodo Ramelow sagte nach seiner Wahl im vergangenen Dezember: "Meine Wahl besiegelt das Ende der DDR.“ Jetzt könne seine Partei Die Linke über die Verantwortung und die Fehler in der DDR viel deutlicher reden. – Als Außenstehender frage ich mich: Worüber hat die Partei so lange geschwiegen? Haben Sie eine Antwort?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Na ja, wissen Sie, das ist natürlich auch eine übliche politische Rhetorik von Amtsneulingen, die immer glauben, wenn sie ein Amt übernehmen, in ein Amt gewählt worden sind, nun alles neu zu machen und mit ihnen gewissermaßen die Weltgeschichte neu beginnen würde. Das ist gelinde gesagt natürlich eine erhebliche Übertreibung, von der sich Herr Ramelow da hat treiben lassen.
Deutschlandradio Kultur: Aber er will ja was verändern innerhalb der Partei. Er will was besprechen, was bisher unter dem Teppich lag.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Na ja, wissen Sie, ich bin Historiker. Ich bin auch nicht Mitglied dieser Partei, war es auch nie. Und insofern gehen mich eigentlich innerparteiliche Auseinandersetzungen nur irgendwie begrenzt etwas an. Entscheidend ist doch: Was liegt im Argen in der Geschichte dieser Partei seit 1989/90? Und was wissen wir?
Wir wissen eine ganze Menge. Wir wissen auch viel über die Kontinuitäten, die personellen Kontinuitäten. Da gibt’s eigentlich keinen besonderen Aufklärungsbedarf, außer dass die Linkspartei nun auf einmal zugesteht, dass das, was öffentlich bekannt ist, dass sie das auch akzeptiert. Was wir nicht wissen, ist, immer noch nicht, wo viele Milliarden ihres Parteivermögens hin verschwunden sind.
Wenn Herr Ramelow in diese Richtung tatsächlich sich engagieren würde, dann wäre das ein großer Beitrag zur Aufarbeitung der letzten 25 Jahre, aber, ehrlich gesagt, da habe ich so meine Zweifel, ob er das machen wird, und auch, ob er das überhaupt kann.
Deutschlandradio Kultur: Ich will mit Ihnen auch nicht über die Linke und ihre Vergangenheit ausführlich reden, sondern vielleicht mal was ganz Schönes und Positives nennen. Es gibt eine Studie des Zentrums für Sozialforschung in Halle. Da heißt es, dass für Menschen im Westen wie im Osten mittlerweile die Demokratie als Staatsform hierzulande perfekt sei. Immerhin, in den alten Bundesländern halten 90 Prozent die Demokratie für die beste Staatsordnung, und im Osten sind es mittlerweile auch 82 Prozent. Da kann man eigentlich sagen: Was will man mehr? Das hat doch gut funktioniert.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Na ja, nun bin ich Historiker und Historiker haben in aller Regel so ihre Probleme mit Umfragen. Diese Umfrage, auf die Sie sich beziehen, ist ja noch nicht wirklich veröffentlicht. Die wird erst im September des Jahres veröffentlicht. Das ist ein Extrakt, der jetzt auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Aber in der gleichen Woche ist eine andere Untersuchung hier aus Berlin vorgestellt worden, die uns weismachen will, dass 17 Prozent aller Bundesbürger für linksextremistische Ideen anfällig seien. Da sehen Sie schon, das beißt sich ja beides doch erheblich. Und insofern, ich bin mir da nicht so ganz sicher, inwiefern die eine wie die andere Untersuchung tatsächlich trägt.
Für mich ist viel schlagender die Frage der Wahlbeteiligung und auch, wie und welche Parteien wie abschneiden bei Wahlen. Und da muss man doch schon sagen, da findet man andere Zahlen wieder, Hard Facts gewissermaßen. Und die empfinde ich teilweise schon als bedrohlich.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie meinen die niedrige Wahlbeteiligung und auch die Bereitschaft, an den Rändern zu wählen?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Genau.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht auch Pegida?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Natürlich, auch Pegida, Legida, das sind ja alles, glaube ich, nur Spitzen eines breiten gesellschaftlichen Unmuts, von dem wir ganz offenbar alle noch nicht so richtig wissen, wie wir damit eigentlich umgehen sollen.
Deutschlandradio Kultur: Auch wenn die Studie noch nicht in aller Form veröffentlicht ist, es gibt ja einzelne Auszüge. Und ich nenne mal eine Zahl, die mich auch überrascht hat: 70 Prozent der Ostdeutschen sagen, dass das politische System der DDR eine Diktatur war, 70 Prozent. Aber nur 46 Prozent sagen, die DDR war auch ein Unrechtsstaat. Eine Diktatur, die kein Unrechtsstaat war, geht sowas zusammen?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Also, historisch und auch von der Begrifflichkeit her, ist das natürlich schwer zu erklären. In der Regel ist eine Diktatur ja dadurch gekennzeichnet, dass sie eben unrechtsstaatliche Elemente hat.
Interessant ist zunächst erstmal, 70 Prozent bezeichnen die DDR als eine Diktatur, immerhin fast ein Drittel bezeichnet sie nicht als eine Diktatur. Das muss man auch, glaube ich, zur Kenntnis nehmen. Und darüber sollte man nachdenken.
Dieser Streit, ich wollte nochmal zurückkommen auf diesen Streit oder diese Debatte zwischen Diktatur und Unrechtssystem, das, würde ich sagen, ist einer der großen Erfolge, den die SED, PDS, Linkspartei tatsächlich in den Jahren seit 1989/90 feiern konnte, nämlich dass sie es verstanden hat, in der ostdeutschen Öffentlichkeit zu suggerieren: Wenn man die DDR als SED-Diktatur, als Unrechtsregime, als Verbrechensregime bezeichnet, dass man damit angeblich auch das Leben jedes einzelnen Menschen in diesem System abwerten würde. Und das ist, glaube ich, so ein Reflex darauf, dass viele Leute sagen: Nein, das war kein Unrechtsregime, weil sie fälschlicherweise glauben, dass damit auch ihr eigenes Leben entwertet werden würde.
Ich glaube, hier geht’s eher darum, die Biografie als solche überhaupt zu verteidigen. Und das ist natürlich schon auch eine breite gesellschaftliche Strömung, die ich da ausmache, die mich auch nachdenklich werden lässt, auch über mein eigenes Tun, was habe ich eigentlich in den letzten 25 Jahren dazu beigetragen, dass sich bei den harten politisch-historischen Analysen das SED-Systems viele Leute selbst darin nicht wiederentdecken konnten, was ja deshalb auch für mich eine Frage ist, weil ich ja selbst Teil dieses Systems war, weil ich dort gelebt habe.
Und insofern ist das der politischen Bildung, den Medien, der Wissenschaft, vielen anderen Bereichen einfach nicht gelungen, weil insbesondere in den ersten 15 Jahren ja die DDR-Geschichte vor allen Dingen als Skandalgeschichte dargestellt worden ist und als Kontrastgeschichte zur Bundesrepublik, sozusagen dort das Hehre, das Himmelblaue, das Goldene und das Gegenteil eben davon alles in der Zone hinter der Mauer. Und das hat dann über die Jahre hinweg natürlich Spuren hinterlassen.
Und wie gesagt, mich interessiert auch, welchen Anteil ich selbst persönlich daran habe, da ich ja von Anfang an diesen Auseinandersetzungen und Prozessen beteiligt war.
Deutschlandradio Kultur: Ich will mal einen kleinen Blick zurück werfen. Immerhin ist es 25 Jahre her, dass die erste freie Volkskammerwahl in der DDR stattgefunden hat. Und nach dieser Wahl, bei der Lothar de Maizière mit der "Allianz für Deutschland“ deutlich die Wahl gewonnen hatte, greift Margaret Thatcher zum Telefon. Sie ruft aber nicht in Berlin an, sie ruft nicht bei dem Wahlsieger an, sondern sie ruft in Bonn an, um Helmut Kohl zu dieser Wahl zu gratulieren, obwohl er gar nicht als Kandidat aufgestellt war. Verwählt hat sie sich aber nicht?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Das war die politisch logische Schlussfolgerung aus dem, was sich dort vor unser aller Augen abgespielt hat.
Man muss sich noch einmal vergegenwärtigen, der Ruf nach freien und geheimen demokratischen Wahlen in der Diktatur, in der DDR war kein Ruf, der im Jahr 1989 geboren worden wäre, sondern den es aus Widerstands- und Oppositionskreisen heraus immer gab. Praktisch als Höhe- und Schlusspunkt der ostdeutschen Revolution kamen freie Wahlen. Und in den sechs, acht Wochen zuvor, also eigentlich seit Ende Januar 1990, Anfang Februar 1990 haben wir erleben können, dass die bundesdeutschen Parteien sich massiv in den ja damals noch DDR-Wahlkampf eingemischt haben.
Die West-CDU schluckte die DDR-CDU, die Blockpartei, die bis dahin mehr oder weniger willfährig alles mitmachte, was die SED von ihr verlangt hatte. Und warum schluckte sie sie? Nicht wegen Geld oder wegen der Personen, sondern wegen einer funktionierenden landesweiten Struktur, die die Ost-CDU hatte. Und die konnte dann die West-CDU nutzen.
Die SPD hatte anfangs Schwierigkeiten mit ihrem natürlichen Bündnispartner, der Sozialdemokratie in der DDR. Die aber ging davon aus, dass sie diese Wahlen gewinnen würden. Und was stand nun eigentlich im Mittelpunkt des Wahlkampfes? Es ging nicht mehr um die Frage, ob es zur deutschen Einheit kommt. Es war nicht mehr die Frage, ob die Einheit kommt. Es ging nur noch um eine einzige Frage: Wie?
Da standen sich gegenüber Artikel 23, Anschluss, oder Artikel 46, Wiedervereinigung über die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, so wie es im Grundgesetz vorgesehen war. Und das war gewissermaßen der Knackpunkt. Und dieser Knackpunkt wurde entschieden über die Macht und damit die Geldfrage.
Jede Bundesregierung, die damals an der Macht gewesen wäre, hätte diese Wahlen gewonnen, weil sie das Geld hatte. Und insofern hat die Premierministerin Thatcher das alles, was man damals sehen konnte, sie letztendlich folgerichtig dazu bewegt, in Bonn statt in Ostberlin anzurufen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir nach heute blicken, dann können wir sagen, es gibt eine Frau, die heißt Angela Merkel, die wichtigste Frau der Welt, interessanterweise eine Frau, die ihre Kindheit in einem evangelischen Pfarrhaus in der Uckermark verbracht hat. Und Joachim Gauck ist gelernter Pfarrer aus Rostock, seit drei Jahren Bundespräsident. Dann haben wir noch einen linken Ministerpräsidenten, ebenfalls bekennender Protestant, aus Rhein-Hessen, Bodo Ramelow in Thüringen.
Jetzt könnte man sagen, wenn man diese drei Biografien nimmt, der Prozess der deutschen Einheit ist trotz aller Widerstände, trotz aller Irritationen vor 25 Jahren doch relativ gut geglückt.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Na ja, wissen Sie, vielleicht darf ich nochmal etwas anderes vorwegschicken. Wir werden ja hier von ein paar Leuten gehört. Frau Merkel ist nicht die wichtigste Frau der Welt. Frau Merkel ist die mächtigste Frau der Welt. Für mich zum Beispiel ist meine Frau, meine Mutter und meine Tochter weitaus wichtiger. Und ich glaube, das geht vielen so. Das darf man immer nicht miteinander verwechseln.
Und ich finde, dass Frau Merkel ihren Job ausgesprochen gut macht, so wie auch zum Beispiel Herr Gauck. Aber – und dafür können die beiden nichts – sie vernebeln ein Problem, das nach wie vor existiert, dass es nämlich unter den Eliten in der bundesrepublikanischen Gesellschaft ... ob das in der Wirtschaft ist, ob es in der Wissenschaft ist, ob das in den Verwaltungsinstitutionen ist, ob das unter den Aufsichtsräten ist, egal – Sie können hingucken, wo Sie wollen, dort gibt es keine Ostdeutschen. Nach wie vor nicht, so, wie es in der Wirtschaft sozusagen keine maßgeblichen ostdeutschen Unternehmen gibt, die auch nur ihren Firmensitz in Ostdeutschland hatten. Schauen Sie sich die DAX-Unternehmen an und so weiter.
Insofern haben wir das interessante Phänomen, dass zwei sogenannte Seiteneinsteiger in die Politik es bis in die höchsten Ämter unserer Republik geschafft haben, aber gewissermaßen kein Abbild eines wie auch immer gearteten geglückten Einigungsprozesses in Deutschland ist, weil die Ostdeutschen nach wie vor, und zwar aus historisch gewachsenen Gründen, bestimmte Benachteiligungen in Kauf nehmen müssen – Stichwort zum Beispiel Kapitalbildung. Das ist nach wie vor eines der Grundprobleme, die in Ostdeutschland existieren, was natürlich anders mittlerweile ist als noch vor zehn oder 15 Jahren. Gleichwohl ist es nach wie vor eine der Hauptursachen für das Strukturproblem Ostdeutschlands.
Deutschlandradio Kultur: Ja, es gibt natürlich Mängel auch im ökonomischen Bereich, aber grundsätzlich könnte man doch schon sagen, auch wenn man sich diese Personen vor Augen führt, es ist etwas zusammengewachsen.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Also, ich würde sagen, alles das, was ursprünglich mit der deutschen Einheitsfrage an Problemen sich aufgetürmt hat, das sind Probleme, die gibt’s nicht mehr. So wie Berlin früher immer so ein bisschen Brennglas für den Ost-West-Konflikt war, so verstehe ich Deutschland jetzt eher als ein Abbild der Probleme, die existieren auf dem Zusammenwachsen des gesamten europäischen Kontinents. All das, was wir in Europa beobachten können, an den Rändern teilweise natürlich viel extremer, das können wir in bestimmten Schattierungen eben auch in Deutschland beobachten.
Was, glaube ich, mehr oder weniger nicht zu widerlegen ist, ist auch der Umstand, dass für die jüngeren Menschen in unserem Land, für all diejenigen, die unter 30 sind, diese Eingliederungsprobleme sowieso nicht mehr existieren, dass die in der Regel hier in Berlin kaum wissen, ob sie nun im früheren Osten oder Westen waren.
Und dann darf man eins nicht vergessen: Unsere Gesellschaft besteht zu etwa 20 Prozent aus Personen, die in der ersten oder zweiten Generation keine sogenannten deutschen Wurzeln haben. Da stellen sich sowieso die Probleme ganz anders, nebenbei gesagt, auch in der Frage von Geschichtsaufarbeitung, Geschichtsvermittlung, wissenschaftlicher Forschung, weil das sozusagen natürlich ganz andere Fragen der Vermittlung aufwirft, die meines Erachtens viel komplizierter, aber auch viel interessanter und wichtiger sind als diese ewige deutsch-deutsche Nabelschau.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kowalczuk, Sie sind Historiker. Und ich bin mal in die Archive gegangen und laut Protokoll der 53. Sitzung des Deutschen Bundestages vom November 1993, also vor über 21 Jahren, sagte Helmut Kohl, der viel zitierte Kanzler der Einheit, außerdem auch gelernter Historiker:
"Die Stasi-Akten sind ein Ärgernis. Das sage ich ganz offen, obwohl ich es, dem Rechtsstaat verpflichtet, nicht sagen dürfte. Ein Ärgernis deshalb, weil sie heute die ganze Atmosphäre vergiften und weil niemand genau weiß, was in den Berichten Liebedienerei ist und was den Tatsachen entspricht. So kommt ein ganz übler Geruch hoch.“
Sie beschäftigen sich seit Jahren mit den Akten trotz der üblen Gerüche. Warum eigentlich diese Mühe?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Ich bin Historiker. Und ich beschäftige mich ja nicht nur mit Unterlagen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit, sondern mit Akten, so wie das Historiker und Historikerinnen machen ganz unterschiedlicher Provenienzen, und führe die in meinen Analysen zusammen oder versuche das.
Es war ursprünglich nicht unbedingt mein Plan gewesen, mich mit Zeitgeschichte zu beschäftigen und schon gar nicht mit der DDR-Geschichte. Aber als 1989/90 die Mauer fiel, fielen ja auch viele andere Mauern. Unter anderem fielen auch die Mauern in den Bibliotheken und vor allen Dingen in Archiven. Und ich gehörte damals mit zu den Ersten, die in die bis dahin streng geschlossenen Archive des Macht- und Staatsapparates SED vordringen und damit arbeiten konnten. Das hatte natürlich eine Faszination.
Ich war nicht mal Student, ich fing erst an zu studieren, weil ich in der DDR nicht studiert hatte, und saß nun an diesen Akten als Erster – und das ist für einen Historiker natürlich eine besondere Lust, die sich da entfaltet – und bin dann letztendlich über viele Stationen dabei geblieben.
Das Besondere an den Stasi-Akten liegt ja nicht so sehr darin, dass da der Staat auf eine besondere Art und Weise sich mit ihrer Hilfe darstellen lässt. Die Öffnung der Stasi-Akten, und das ist genau das, was der frühere Bundeskanzler Kohl in diesem Statement eben außen vor lässt, hatte ja eine ganz andere Ursache.
Stellen Sie sich mal vor, wir hätten diese Akten nicht und jemand würde behaupten, Sie sind Spitzel der Stasi gewesen. Sie hätten nie eine Chance gehabt, diesen Vorwurf zu entkräften. Das geht nur mit offenen Akten. Also, das Ganze, diese angebliche Vergiftung der Gesellschaft hat gerade deshalb nicht stattgefunden, weil die Akten offen waren, weil man vieles belegen konnte.
Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass es dabei auch ziemlich viele schlimme Diskussionen gab, gerade in der ersten Zeit insbesondere von den Medien skandalisiert. Aber das gehört nun mal auch zu einem Lernprozess.
Und das Zweite, das man nicht vergessen darf: Wenn man diese Akten damals vernichtet hätte, dann hätten viele Menschen das ihnen zugefügte Unrecht niemals beweisen können. Sie hätten niemals Rentenansprüche stellen können. Sie hätten niemals sagen können, was und wer warum in ihr Leben eingegriffen hat, warum sie jahrelang im Gefängnis, im Zuchthaus gesessen haben, in Lagern, und so weiter und so fort. Insofern war das nicht nur sozusagen ein bloßer Akt der Zivilgesellschaft, diese Akten zu retten, sondern es war für hunderttausende Menschen geradezu existenziell, dass sie an diese Akten kamen, um die Hoheit über ihre eigene Vergangenheit wiederherstellen zu können.
Deutschlandradio Kultur: Aber immer noch müssen heute Stasi-Opfer nachweisen, dass sie Opfer von Misshandlungen waren. Es gibt schon lange die Forderung nach einer Umkehr der Beweislast.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Ja, wissen Sie, ich bin kein Jurist, aber ich stelle mir das ein bisschen schwierig vor mit der Umkehr der Beweislast. Ich kenne unendlich unzählige viele traurige Fälle von Menschen, die mir ihr Schicksal erzählt haben und die das ihnen zugefügte Unrecht anhand der Akten, weil eben auch viel vernichtet wurde, und zwar nicht erst 1989, sondern ganz regulär – in Anführungsstrichen – schon in den Jahren und Jahrzehnten zuvor, denn auch die Stasi hat natürlich nicht alles aufgehoben, sondern hat eben auch so wie jede Institution, wie jede Bürokratie nach einem gewissen Aktenplan Akten aussortiert und vernichtet. Und die können nun das ihnen zugefügte Unrecht nicht mehr belegen.
Aber wie soll das funktionieren? Der Rechtsstaat hat arge Begrenzungen, wenn es darum geht, das Unrecht einer Diktatur aufzuarbeiten, ohne dabei in die Versuchung zu kommen, neues Unrecht zu produzieren. Genau das will ja der Rechtsstaat verhindern, aber er kann es natürlich nicht wirklich verhindern, weil er nicht in jedem Einzelfall Gerechtigkeit herstellen kann.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt ein Buch herausgebracht, das deutlich dokumentiert, wie die Stasi Menschen überwacht hat. Jetzt weiß man eigentlich schon lange, dass es in den Leitungen geknackt hat. Warum nochmal diese Detailarbeit? Was war Ihnen da wichtig?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Na ja, es sind zwei Dinge. Das eine ist, in diesem Buch "Fasse dich kurz“, das ist eine Dokumentation über das Abhören einer speziellen Gruppe Ende der 80er-Jahre in der DDR, über grenzüberschreitenden Telefonverkehr. Normalerweise sind solche Quellen aus datenschutzrechtlichen Gründen gesperrt. Da kommt man nicht ran. Mir haben hunderte Betroffene ihre Einwilligung gegeben, dass ich beziehungsweise mein Kollege Arno Polzin damit arbeiten konnten.
Insofern haben wir hier eine Quelle gehoben, von der zwar jeder wusste, dass es die gibt, aber mit der man nicht arbeiten konnte. Das ist wissenschaftlich schon mal interessant, zumal wir, und das ist der zweite Aspekt, eben im Kontext dieser Forschung auch neue oder eigentlich bestehende Bilder auf die Staatssicherheit relativieren konnten, kontextualisieren, das ist vor allen Dingen unser Wort.
In den 90er-Jahren sind ja sehr viele Fehler passiert. Und ein Fehler war eben, dass man das Ministerium für Staatssicherheit losgelöst vom gesamten Rest des Staates und der Gesellschaft vielfach betrachtet hatte, insbesondere in den Medien durch die Skandalisierung einzelner Fälle. Und erst in den letzten fünf bis zehn Jahren ist insbesondere in der Forschung, in der wissenschaftlich seriösen Forschung immer stärker dazu übergegangen worden, die Stasi eben nicht als losgelösten Teil des Staates zu betrachten, sondern im Kontext von Staat und Gesellschaft, um so auch bestimmte Dinge gewissermaßen besser erklären zu können, um sozusagen Legenden zu entkräften, um eben auch zu zeigen, natürlich hat die Stasi tatsächlich ganz viele Verbrechen begangen, das ist ja gar keine Frage, darum geht’s auch nicht, irgendetwas zu verschleiern oder irgendetwas zu entkräften. Es geht wirklich darum, das zu historisieren, wie wir Historiker sagen, das in einen bestimmten Kontext zu stellen. Und dann gewinnt man halt einen auch neuen Eindruck.
Und mit dem Telefonabhören ist es zum Beispiel so, dass gemeinhin, wenn Sie mal fragen in der Öffentlichkeit "Ja, wie viele Telefone wurden denn abgehört?“, da kriegen Sie dann solche Antworten wie "Na alle. Fast jedes Gespräch“ und so weiter und so fort. Und da muss man als Erstes sagen, na ja, nun gab's ja gar nicht so viele Telefonleitungen in der DDR, das ist das Erste. Das Zweite: Die Stasi war technisch in der Lage, am Ende der 80er-Jahre, gerade mal 4000 Leitungen in der gesamten DDR, also innerhalb der DDR anzuzapfen.
Und das Dritte ist, wenn man fragt "Wen hat die Stasi vorrangig abgehört?", dann war das eine kleine Gruppe von Oppositionellen. Und ansonsten, die Hauptgruppe, die sie abgehört hat, waren die eigenen Leute und waren die Leute aus dem Macht- und Staatsapparat, nämlich um zu gucken, ob die tatsächlich treu und ergeben zur Sache stehen.
Die Behörde, in der ich arbeite, die geht ja gern so durchs Land und sagt, wir haben hier 180 Kilometer Akten oder noch 110 Kilometer Akten, je nach Rechnung. Da muss man aber natürlich sagen: Ja, das stimmt, aber das sind ja nicht alles irgendwie Akten über Opfer. Das sind ja ganz viele andere Akten. Wenn Sie da mal alles rausziehen, was den eigenen Apparat zum Beispiel betrifft, dann fällt da wahrscheinlich erst mal schon ein Drittel der Akten weg, die wirklich sozusagen aus der innerbürokratischen Arbeitsverwaltung heraus entstanden sind, so wie in jeder anderen Bürokratie. Da geht’s nicht darum, was relativieren zu wollen, sondern einen gerechten historischen Blick auch auf solche fürchterlichen Institutionen zu werfen.
Deutschlandradio Kultur: Das ist gelungen. Historische Aufarbeitung, es geht vielleicht auch im Zusammenhang, wie wir es jetzt wieder erlebt haben, Diskussionen zu NSA, Ausspähung, darum zu verstehen, wie solche Systeme funktionieren, um auch sich zu wappnen.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Na ja, wissen Sie, ich bin kein Freund von solchen Losungen. Es gibt ja zum Beispiel so einen Spruch, den manche gerne vor sich hertragen: "Also nur, wer die Diktatur begriffen hat, kann die Demokratie gestalten.“
Deutschlandradio Kultur: Roland Jahn sagt das zum Beispiel. Ich zitiere ihn mal: "Mir ist es wichtig, dass wir begreifen, wie Diktaturen funktionieren, um Demokratie am Ende besser gestalten zu können.“ Das ist natürlich eine ganz große Geschichte.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Ja, die hört sich aber irgendwie größer an als sie, glaube ich, ist. Weil, das ist ja auch ein Ausschlussgedanke, der dahinter steckt. Denn man müsste den Satz dann umdrehen: Wer das Funktionieren einer Diktatur nicht begriffen hat, könne auch eine Demokratie nicht gestalten. Das halte ich für totalen Quatsch. Ich kann nicht jedem 20-Jährigen unterstellen, der im Elsass groß wird oder in Bilbao oder in Cottbus, nur, weil er sich mit einer Diktatur nicht beschäftigt hat und das Funktionieren der Diktatur nicht verstanden hat, dass er deshalb nicht in der Lage ist, eine Demokratie noch besser zu gestalten, als sie jetzt ist.
Ich halte von solchen sozusagen volkspädagogischen Weisheiten überhaupt nichts. Die bringen uns auch wirklich nicht weiter. Und das ist gewissermaßen auch so ein bisschen die Differenz, die man in den letzten Jahren beobachten konnte.
Wissen Sie, ich habe in den 90er-Jahren ja sehr viel auch im Grenzbereich zwischen Politik und Wissenschaft gearbeitet. Ich war ehrenamtliches sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, kenne also sozusagen auch die Seite der politischen Akteure, beobachte aber in den letzten Jahren zunehmend eine immer größere Differenz zwischen den Funktionären der Aufarbeitung, also denjenigen, die als Beauftragte und als Vorständler und als von Parlamenten Gewählte und die aufgrund ihrer Biografie als Opfer durchs Land reisen und immer wieder gewissermaßen das erzählen, was sie seit 25 Jahren erzählen – und immer wieder in dem gleichen Gestus: Jetzt geht’s aber los. Und nun müssen wir also wirklich mal alles erzählen, obwohl alles schon oft erzählt ist.
Und dann sehe ich auf der anderen Seite Wissenschaft, wo in jahrelanger kleiner mühevoller Arbeit Dinge zu Tage gefördert werden, die von diesen Funktionären der Aufarbeitung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werden.
Insofern, ich glaube auch, dass es eine große Frustration mittlerweile in der Aufarbeitungslandschaft gibt, nämlich genau aus diesen Widersprüchen heraus, und dass meines Erachtens die Wissenschaft gut daran tun würde, sich stärker auf die innerwissenschaftlichen Rationalitätskriterien zu besinnen, so wie das eben auch ein Mediävist macht oder ein Frühneuzeitforscher, und nicht so sehr immer danach guckt: Was kommt nun als Nächstes in die Medien? Was kommt als Nächstes in die Zeitung? Unter diesem Druck steht aber eben auch die zeithistorische Forschung.
Und das ist, glaube ich, ein großes Hemmnis. Und das wird aber ebenso lange, glaube ich, leider bestehen bleiben, solange eben diese Aufarbeitungsfunktionäre, die mittels Stiftung, mittels Institution, mittels Parlamenten, letztendlich auch sozusagen mittels der Unterstützung der Politik politische Vorgaben machen und politisch sozusagen immer versuchen zu steuern, was eigentlich in der Wissenschaft zu laufen hat, sich aber gleichzeitig für die Wissenschaftsziele, für die Ergebnisse und für die innerwissenschaftlichen Rationalitätskriterien überhaupt nicht interessieren.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es denn hilfreich, wenn wir vielleicht bald einen Lehrstuhl für DDR-Geschichte hätten?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Also, es gibt ja verschiedene Kritikpunkte, dass immer wieder in den letzten Jahren gesagt wurde, zuletzt von der Stiftung Aufarbeitung, dass es ein Mangel sei, dass es einen solchen Lehrstuhl für DDR-Geschichte nicht gibt. Ich persönlich teile diese Auffassung. Ich halte das auch für ein großes Manko.
Es ist natürlich auch ein Signal. Sie müssen sich vorstellen, es gibt an der Humboldt Universität, und damit sage ich nichts gegen diesen Lehrstuhl, bloß, um die Relation klar zu machen, dort gibt es eine Stiftungsprofessur für die Geschichte Aserbaidschans. Es gibt Lehrstühle für Vietnam in Deutschland usw. Ich halte das alles für total wichtig, finde es aber dennoch skandalös, dass es keinen einzigen Lehrstuhl zur Geschichte der DDR gibt oder wenigstens zur Geschichte des Kommunismus in Europa oder jedenfalls solche Schwerpunkte.
Denn was passiert? Es ist ja nicht nur, dass da sich gewissermaßen der Lehrstuhlinhaber mit seinem Team austoben kann. Wenn man eine Universität verlässt, ohne sachgerecht und fundiert über DDR-Geschichte und Kommunismusgeschichte Vorlesungen gehört zu haben und Seminare belegt zu haben, dann kann man das logischerweise auch nicht in seinen Schulunterricht, und die meisten, die Geschichte studieren, werden Geschichtslehrer, nicht unterrichten. Es bleibt also immer wieder diese große Lücke. Und das ist nun mal ein wichtiger und großer Teil unserer deutschen Geschichte und der europäischen Geschichte.
Fast jedes europäische Land hat auch eine Diktaturgeschichte. Das kommt aber alles in den Curricula nicht vor. Und ich halte das für außerordentlich bedenklich und hoffe, dass das bald sich verändern möge.
Deutschlandradio Kultur: Die Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde, bei der Sie forschen und arbeiten, ist dank des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bis 2019 geregelt. Kann man die Behörde eigentlich danach schließen nach dem Motto: Aufgabe erfüllt?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Der Bundestag hat eine Kommission eingesetzt, die jetzt tagt und die noch etwa vielleicht ein halbes Jahr oder ein Jahr tagen soll und Vorschläge dem Bundestag unterbreiten soll, was dann unter anderem auch aus dieser Behörde werden soll.
Mich persönlich interessiert allerdings, muss ich sagen, etwas anderes, nämlich immer wieder die Frage: Ist dann Aufarbeitung vorbei? Aufarbeitung ist nie vorbei! Man kann weder die Aufarbeitung dekretieren vom Staat noch kann man das Ende gewissermaßen festlegen. Und das wird auch immer weitergehen, ganz unabhängig davon, welche Institutionen existieren und welche nicht.
Deutschlandradio Kultur: 100 Millionen jährlich kostet die Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde. Es gibt Überlegungen, das ganze Material an das Bundesarchiv zu übertragen. Der Präsident des Bundesarchivs ist bereit dazu. Wäre das ein Weg, den Sie mittragen würden? Er sagt, die Einsicht in die Akten könnte man auch weiterhin gewähren.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Ja, wissen Sie, natürlich ist das alles denkbar. Ich würde da wirklich diese Kommission abwarten, sage aber an einer Stelle, was, glaube ich, ein Argument ist, was auch in der Kommission gewiss diskutiert wird: Diese Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen hat in den letzten zwei Jahrzehnten sehr viele Aufgaben erfüllt, ganz viele Dinge gemacht.
Eine Sache ist in Deutschland nicht ganz so präsent von all den Dingen, die diese Institution gemacht hat: die internationale Ausstrahlung. Die internationale Ausstrahlung dieser Behörde ist kaum zu überschätzen. Und das Schleifen dieser Institution einschließlich gewissermaßen Veränderung des Namens hätte höchstwahrscheinlich internationale Auswirkungen für den Aufarbeitungsprozess gerade in jungen Demokratien, gerade in jungen Postdiktaturen, die wir uns eigentlich nicht wünschen dürfen.
Deutschlandradio Kultur: Also stimmt der Satz von Richard Schröder, er ist Vorsitzender des Beirates, er ist Sozialdemokrat, Philosoph und evangelischer Theologe, stimmt der Satz nicht: Er sagt, es wäre zwar kein Unheil, wenn die Behörde weiter existiert, aber wir brauchen sie nicht mehr.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Ich widerspreche Richard Schröder eigentlich ungern, aber das Schöne an dem Satz ist ja, man kann ihn ja auch ins Gegenteil formulieren. Und insofern, das ist eine Aussage, die sozusagen in beiden Richtungen stimmt und auch nicht stimmt. Und insofern warten wir mal ab, was jetzt diese Kommission herausbekommt.
Wissen Sie, was mich an solchen Kommissionen viel eher stört, ist, und das soll jetzt keine Kritik an dem von mir sehr geschätzten Richard Schröder sein oder an Wolfgang Thierse oder an dem früheren Ministerpräsident Böhmer, die dort alle in dieser Kommission sind, da werden immer Kommissionen vom Bundestag und von anderen solchen Gremien zusammengestellt, die über Zukunft entscheiden sollen, über das, was wir in den nächsten zwei, drei, vier Jahrzehnten machen. Und das machen immer Leute am Ende ihres politischen Lebens, gewissermaßen, ich sage das mal so ein bisschen bösartig zugespitzt, die ihre Zukunft schon hinter sich haben.
Und ich halte das immer für so ein bisschen kurz. Ich wünschte mir, dass in solchen Kommissionen doch viel stärker jüngere Leute auch – wie auch immer – in die Kommissionsarbeit eingebunden werden, die keine eigenen Institutionsegoismen haben, denn die anderen, die da drin sind, haben Institutionsegoismen, und Leute, die ihre Zukunft noch in vollen Zügen vor sich haben. Denn um die geht’s ja eigentlich, gerade in Sachen der Aufarbeitung. Aber diese Stimmen, diese Lobby gibt es leider nicht.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kowalczuk, wenn deutsche Schüler in 20 Jahren nicht mehr wissen, wer Erich Honecker war, ist das dann schlimm für jemanden wie Sie?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, auch heute weiß kaum noch wer, wer Erich Honecker war. Ich glaube, wichtig ist, dass Heranwachsende ein Gefühl dafür bekommen sollten, für den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur, gewissermaßen den Wert von Freiheit und Demokratie an sich schätzen. Das sind ja keine Referenzwerte, die man in Absetzung zu anderen Ordnungen oder in Absetzung zu anderen Begriffen definieren soll, sondern die sind ja so stark, die sprechen für sich alleine. Das ist die Kraft von Demokratie und Freiheit.
Und ich persönlich fände das sozusagen weitaus hilfreicher, wenn auch in 20 Jahren die Leute noch den Unterschied zwischen Hitler und Stalin und zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus bestimmen könnten. Und so eine Figur wie Honecker kann wegen mir gewissermaßen von der breiten Öffentlichkeit völlig vergessen werden.