Das Geschäft mit dem Müll
Ausgediente Farbfernseher landen in Nigeria, kaputte Kühlschränke in Afghanistan und alte Kunststoffe in China: Jeden Tag sind zehntausende Mülltransporte auf unseren Straßen unterwegs - nicht selten ohne entsprechende Genehmigungen.
Die Polizeikollegen reagieren blitzschnell, als Gernot Hülser, ein energischer Endfünfziger in neongrüner Warnweste, die Hand hebt. Der rote Containersattelzug, der den Rasthof Resser Mark bei Gelsenkirchen gerade wieder in Richtung A2 verlassen wollte, wird gestoppt. Zwar trägt der LKW keine ausgeklappte Tafel mit einem "A" am Kühlergrill – so müssen Abfalltransporte gekennzeichnet sein -, doch Kontrolleur Hülser hatte mit dieser Spedition schon häufiger zu tun. In der Vergangenheit ist sie bereits mehrmals negativ aufgefallen, die Kontrolleure hatten dort einige Treffer oder TEDs, wie sie es nennen.
"Ja, das ist ein Bekannter. Da habe ich schon mehrere TEDS, sagen wir, gehabt. Dann nehmen wir die einfach auch prophylaktisch schon mal raus. Ich mache das jetzt schon seit 19 Jahren und im Münsterland sagt man: Der Bauer erkennt die Schweine schon am Gang. Und das ist auch mit diesen Fahrzeugen so, dass man einen guten Riecher hat und sagt: das könnte was sein."
Die Bezirksregierung Münster führt in ihrem Zuständigkeitsgebiet nahezu wöchentlich Abfalltransportkontrollen durch. Als Behörde mit der meisten Erfahrung organisiert sie daneben einmal im Jahr eine länderübergreifende Großkontrolle, bei der Gernot Hülser vom Dezernat für Abfallwirtschaft den Einsatz leitet. An diesem regnerischen Tag arbeiten Müllexperten aus NRW, Thüringen, Rheinland-Pfalz und den Niederlanden zusammen mit dem Bundesamt für Güterverkehr auf dem Rastplatz. Unterstützt von Zoll und Polizei inspizieren sie zwei Tage lang Lastkraftwagen, die möglicherweise Abfall geladen haben. Auch der rote LKW, den Gernot Hülser an der Weiterfahrt nach Holland gehindert hat, wird jetzt genau unter die Lupe genommen.
"Was haben Sie geladen?"
"Hackschnitzel."
"Hackschnitzel? Also, Holz oder?"
"Hackschnitzel."
"Hackschnitzel? Also, Holz oder?"
Quer durch Europa
"Da werden wir jetzt erstmal einen kleinen Test machen, weil die niederländischen Kollegen sind auch mit auf dem Platz. Kleinen Moment."
Während der Kollege die Papiere kontrolliert, klettert Hülser auf die Ladefläche. Tatsächlich: saubere, fein gehackte Holzschnitzel, die den Frachtpapieren nach direkt wieder in die Möbelproduktion gehen sollen. Also: kein Abfall. Der Kontrolleur tippt kurz an den Schirm seiner Fleece-Mütze, der Fahrer darf unbehelligt weiter fahren.
Die A2 gilt als Ost-West-Achse des Mülltourismus. Dass Abfälle, auch gefährliche Abfälle, zur Entsorgung über weite Strecken und sogar Ländergrenzen hinweg transportiert werden, ist Alltag in Europa – obwohl das Basler Abkommen festlegt, dass Müll in dem Staat entsorgt werden soll, in dem er erzeugt wird. Kaputte Kühlschränke werden nach Afghanistan verschifft, alte Farbfernseher landen in Nigeria und Kunststoff wird immer häufiger nach China exportiert. Um Wertstoffe zu erhalten, wird der Müll dort oft unter einfachsten Bedingungen ausgeschlachtet, ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesundheit. Doch auch die Zahl der Abfälle, die nach Deutschland importiert wird, steigt.
Der Mülltourismus wächst
"Wo das meiste Geld erzielt wird, da wird hingefahren. Mit Abfall ist das so, dass weltweit mit Abfall das meiste Geld verdient wird, nach Waffen und Drogen kommt Abfall. Das hat die Konsequenzen, dass die Zahl der Transporte zunimmt, dass es viel mehr illegale Transporte gibt, die eigentlich nicht wie vorgesehen, dahin fahren, was vorher ausgemacht und papiermäßig dargelegt worden ist. Sie können sich vorstellen, je mehr mit Abfall verdient wird, desto mehr kommen kriminelle Elemente vor."
An diesem Tag auf dem Rastplatz an der A2 erfüllt etwa jeder fünfte kontrollierte LKW nicht die Anforderungen. Ein Transport ist z.B. dann illegal, wenn die Genehmigung dafür fehlt oder – und das kommt am häufigsten vor – gar nicht drin ist, was drauf steht.
"Das heißt, die sagen einfach: Da sind Putzlappen drin und letztlich sind die so ölgetränkt, dass es ein gefährlicher Abfall geworden ist. Dann gibt es die Container, die vorne mit nicht-gefährlichem Abfall geladen sind und in der Mitte ist dann das große Problem. Dann ist für uns das Problem, festzustellen – und dafür haben wir ja unser Landesamt für Natur- und Umweltschutz hier, mit der Abteilung für die Untersuchung der Abfälle – dass wir nicht feststellen können, was es ist. Und außerdem kommen die auch immer wieder auf neue Ideen, wie sie uns hinters Licht führen können."
Gernot Hülser wird zu einem anderen Transporter gerufen. Der Container ist bereits geöffnet, bis unters Dach wurden hier Säcke mit Altkleidern gestopft, einzelne Schuhe quellen hervor, Bettlaken, schmutzige Gardinen. Der Einsatzleiter der Abfallkontrolle geht rüber zu seiner Kollegin vom Thüringer Landesverwaltungsamt - Ursula Dorfmann.
"Ursula, was ist denn jetzt das Problem?"
"Wir haben Abfälle hier, die notifizierungspflichtig sind, er hat aber kein Notifizierungsverfahren beantragt. Notifizierung heißt Genehmigung. Das ist in dem Moment eine illegale Verbringung, wenn ich dieses Verfahren nicht durchlaufe. Es gibt eine grüne Abfallliste, da steht drin, dass nur Altkleider/Textilien verbracht werden dürfen und das heißt, sie müssen sortiert sein. Also, ich habe hier alles durcheinander. Teppich dazwischen, Folie dazwischen, auch verschmutzte kaputte Sachen. Die Fälle sind nicht immer so eindeutig, aber hier ist es mal relativ einfach."
Kontrolleure fordern höhere Strafen
Ein Verstoß, der dafür sorgt, dass der LKW seine Fahrt nicht fortsetzen darf. Was am Ende auf das Transportunternehmen zukommt, entscheidet der Staatsanwalt. Verstöße gegen die Verbringungsvorschriften können mit Bußgeldern oder bis zu fünf Jahre Haft geahndet werden. Doch oft genug, hat Gernot Hülser erlebt, werden die Transportsünder mit nur geringen Strafen belegt oder die Verfahren gar eingestellt. Eine frustrierende Erfahrung, die dazu geführt hat, dass Kontrolleur Hülser sich höhere Strafen wünscht.
"Ich empfinde das so, dass die Bußgelder nicht hoch genug sind an der Stelle, weil immer wieder Leute auffällig werden, die es eigentlich wissen müssten. Wenn ich die französischen Kollegen sehe, da ist es ein hartes Brot für die Fahrer, weil ich schätze, in manchen Bereichen haben die das Zehnfache an Bußgeldern als wir – und das ist schon ein krasser Unterschied Spanien ebenso, Portugal, in Polen sind die höher, in Schweden ist es sehr, sehr teuer. Da geht es sogar so weit, dass der beschlagnahmt wird, der LKW. Also die haben die Befugnisse, wir haben die nicht in Deutschland an der Stelle."