Timothy Snyder: "Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand. Illustrierte Ausgabe"
Mit Illustrationen von Nora Krug
C.H.Beck 2021
128 Seiten, 20 Euro
Illustratorin Nora Krug zu "Über Tyrannei"
Nora Krug und Timothy Snyder kannten sich bereits von der Zusammenarbeit für Krugs Buch „Heimat: Ein deutsches Familienalbum“. © picture alliance/dpa/Barbara Munke
"Es gibt immer Möglichkeiten, Widerstand zu leisten"
12:47 Minuten
Nora Krug hat Timothy Snyders Buch „Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ aufwändig illustriert. Auch aus einem persönlichen Verantwortungsgefühl heraus, sagt sie. Denn was wir heute alle sind, habe auch mit der Vergangenheit zu tun.
Maike Albath: Widerstand ist heute unser Thema in der "Lesart" im Deutschlandfunk Kultur, und dazu passt ein Buch des Historikers Timothy Snyder, der viel über die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts geforscht hat. Von ihm gibt es einen Leitfaden für mündige Bürger, "Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand" lautet der Titel. Genau diese Lektionen hat sich die Illustratorin und Autorin Nora Krug vorgenommen und daraus ein neues Buch gemacht, also Timothy Snyders Text Bilder zur Seite gestellt. Nora Krug ist Professorin für Illustration an der Parsons School of Design New York.
Snyders Buch ist ja von 2017. Wie sind Sie denn überhaupt darauf gestoßen?
Nora Krug: Ich kannte Herrn Snyder und seine Arbeit schon vorher, und er kannte auch meine Arbeit, weil er einen Kommentar für mein früheres Buch "Heimat: Ein deutsches Familienalbum" geschrieben hatte, und er hat mich dann daraufhin auch angesprochen und direkt gefragt, ob ich sein Buch "On Tyranny" gerne illustrieren möchte.
Albath: Gibt es für Sie denn eine ganz zentrale Botschaft, die Sie mitnehmen aus diesem Band über Tyrannei von Timothy Snyder mit diesen verschiedenen Möglichkeiten aufzubegehren?
Albath: Gibt es für Sie denn eine ganz zentrale Botschaft, die Sie mitnehmen aus diesem Band über Tyrannei von Timothy Snyder mit diesen verschiedenen Möglichkeiten aufzubegehren?
Krug: Die ganzen Lektionen sind natürlich wichtig auf ihre eigene Weise. Manche sprechen vom Mut, sogar das eigene Leben zu riskieren, aber es gibt eben auch Lektionen, die davon handeln, dass man auch im Kleinen Veränderungen schaffen kann. Da fallen mir jetzt zwei ein: Eine Lektion, in der es darum geht, dass man auf seine Sprache achtet, also dass man respektvoll mit Sprache umgeht. Das erinnert mich dann auch ganz stark an manche Worte, die zum Teil während der Nazizeit verwendet wurden, die aber auch jetzt zum Teil in politischen Kreisen wieder kursieren, so Worte wie 'Schwein', das Bezugnehmen auf politische Gegner. Da fängt Gewalt schon an. Gewalt in der Sprache deutet natürlich immer auch auf eine physische Gewaltbereitschaft hin, und deswegen sind auch die Lektionen in Herrn Snyders Buch so wichtig, bei denen es um diese kleinen Dinge geht, auf die man ganz aufmerksam achten muss, also Sprache oder auch Bilder.
In einem anderen Kapitel geht es darum, dass man Bilder des Hasses entfernen soll, also wenn man zum Beispiel irgendwo ein Hakenkreuz an einer Wand sieht, dass man das übermalen soll, dass man schon bei solchen kleinen Dingen darauf achten muss, dass man die Wurzeln der Gewalt nicht zulässt. Das fand ich eben auch inspirierend, weil, glaube ich, doch auch viele denken, auch wenn man jetzt an die Zeit der Nazis zurückdenkt, dass man dann oft das Gefühl hat, man hatte keine Wahl, also man selber hätte auch nicht gewusst, was man hätte tun können. In Wirklichkeit hat man immer eine Wahl, es gibt immer Möglichkeiten, Widerstand zu leisten – im Großen, aber eben auch im Kleinen. Und das ist, glaube ich, eine wichtige Lektion.
"Für mich war das natürlich als Illustratorin ein Traumprojekt"
Albath: "Zwanzig Lektionen", so lautet ja der Untertitel. Man denkt unweigerlich an abstrakte Leitsätze. Wieso schien Ihnen und Herrn Snyder dann ja offenkundig auch genau das geeignet für eine Graphic Novel?
Krug: Weil natürlich Bilder oft auch manches eindrücklicher machen können als ein reiner Text – das war, glaube ich, das Hauptanliegen von Herrn Snyder, dass vielleicht eine andere Generation auch noch mal einen neuen Zugang findet. Gleichzeitig sollen die Bilder aber auch dem Text eine gewisse Tiefe verleihen und eine gewisse Dreidimensionalität, also nicht nur zum Vereinfachen, sondern auch zum Vertiefen des Textes waren die Illustrationen gedacht.
Albath: Wie haben Sie denn dann gearbeitet? Hat Herr Snyder auch zwischendurch die Bilder gesehen, oder waren Sie da ganz frei und haben erst einmal für sich ausprobiert, was nach Ihrem Eindruck zum Text dazugehörte?
Krug: Ja, also er war sehr großzügig, er und der Verlag haben mich eigentlich alles machen lassen, was ich machen wollte. Er hat mir einfach so einen Vertrauensvorschuss gegeben, vielleicht auch aufgrund meines vorherigen Buchs, und hat einfach gesagt, jetzt schauen wir mal, was daraus wird. Ich habe dann auch ganz ohne Skizzen gearbeitet, weil es für mich meistens natürlicher ist, und hab einfach mich Seite für Seite durch das ganze Buch durchgearbeitet, von vorne bis hinten, und hab dann ihm und dem Verlag immer wieder so ungefähr 15 Seiten auf einmal geschickt, und er hat dann auch eigentlich nichts dazu gesagt, hat alles so durchgewunken, was für mich natürlich als Illustratorin ein Traumprojekt war.
"Hier geht es um Probleme in der ganzen Welt"
Albath: Das ist ja auch sehr ermutigend. Das Bemerkenswerte an dem Band ist Ihre Art der Illustration. Es gibt ja großflächige Bilder, dann aber auch Fotografien oder kleinteiligere Bilder. Welche Aspekte wollten Sie besonders bebildern? Wie verlief da der Prozess, denn einzelne Sätze haben dann ja zum Teil auch ganz große Bilder?
Krug: Ich habe immer mir die jeweiligen Seiten angeschaut – ich wusste, dass ich pro getippte Seite praktisch eine illustrierte Seite machen kann, und hab dann immer überlegt, welche Paragrafen für mich so eine besonders wichtige Bedeutung angenommen haben. Ich habe mir dann überlegt, was für ein Bild ich dazu setzen kann, und habe deswegen einen collagenhaften Charakter aus verschiedenen Materialien verwendet. Zum einen, um damit auch was über die Fragilität der Geschichtswahrnehmung zu sagen, Fragilität und Komplexität der Erinnerung, aber auch deswegen, weil ich damit unterstreichen wollte, dass Tyrannei zeitlos und universell ist. Ich habe auch grafische Bilder, also Fotografien und auch andere Dokumente, grafische Dokumente eingebaut aus verschiedenen Kulturen und verschiedenen Zeiten, um eben zu zeigen: Hier geht es nicht nur um Amerika, sondern hier geht es eigentlich um Probleme in der ganzen Welt, die veranschaulicht werden müssen.
Albath: Wo finden Sie dann Ihre Materialien, auch auf Flohmärkten oder in anderen Büchern? Gerade die Fotografien hat man ja nicht unbedingt zur Hand.
Krug: Schon als ich an meinem Buch "Heimat" gearbeitet hab, bin ich praktisch jedes Jahr, als ich in Deutschland war, auf Flohmärkte in Deutschland gegangen und in Wohnungsauflösungsgeschäfte und habe da nach Materialien vor allem aus dem Zweiten Weltkrieg geschaut, vor allem aber nicht propagandistische Materialien, sondern ganz persönliche Dinge wie Fotos aus Alben von Soldaten oder Gegenstände, die jemand vielleicht bei sich getragen hat, um diese Zeit aus einer persönlichen Perspektive und einer physischen Perspektive besser verstehen zu können.
Aus diesem Fundus habe ich auch geschöpft für das neue Buch über Tyrannei. Weil Herr Snyder ja auch viel über Nazideutschland schreibt, konnte ich aus meiner Privatsammlung vieles verwenden. Gleichzeitig habe ich mich aber auch auf Archive bezogen, vor allem auf das Library-of-Congress-Archiv hier in Amerika, das auch eine ganz riesige Sammlung von historischen Fotografien hat.
Krug: Schon als ich an meinem Buch "Heimat" gearbeitet hab, bin ich praktisch jedes Jahr, als ich in Deutschland war, auf Flohmärkte in Deutschland gegangen und in Wohnungsauflösungsgeschäfte und habe da nach Materialien vor allem aus dem Zweiten Weltkrieg geschaut, vor allem aber nicht propagandistische Materialien, sondern ganz persönliche Dinge wie Fotos aus Alben von Soldaten oder Gegenstände, die jemand vielleicht bei sich getragen hat, um diese Zeit aus einer persönlichen Perspektive und einer physischen Perspektive besser verstehen zu können.
Aus diesem Fundus habe ich auch geschöpft für das neue Buch über Tyrannei. Weil Herr Snyder ja auch viel über Nazideutschland schreibt, konnte ich aus meiner Privatsammlung vieles verwenden. Gleichzeitig habe ich mich aber auch auf Archive bezogen, vor allem auf das Library-of-Congress-Archiv hier in Amerika, das auch eine ganz riesige Sammlung von historischen Fotografien hat.
Albath: Eine Seite, die mir jetzt gerade einfällt, ist kleinteiliger gestaltet, das ist die Geschichte einer jungen Frau im Warschauer Ghetto, die den Gefangenen, den Internierten im Warschauer Ghetto hilft, in den Widerstand zu gehen. War das so ein Beispiel, da haben Sie gedacht, da brauche ich so eine Art Bildgeschichte, die besonders deutlich macht, was dort passiert ist, oder wie verlief da der Prozess, ausgerechnet diese Geschichte rauszugreifen?
Krug: Genau, da geht es um die Biografie von Teresa Prekerowa, die Menschenleben gerettet hat aus dem Warschauer Ghetto und ihr Leben dabei natürlich selber riskiert hat, und das hat Herr Snyder als eines von vielen Beispielen genannt, wie man eben als Individuum Mut aufbringen kann, um Tyrannei zu bekämpfen. Es war aber auch eine der wenigen sehr lang beschriebenen persönlichen Leben, die er da beschrieben hat. Es war eine eigentlich in sich abgeschlossene biografische Geschichte, und das wollte ich damit zum Ausdruck bringen, mit diesem Format, also aus kleinen Kästchen, da wollte ich einfach ihre Geschichte und ihr Leben damit hervorheben und zeigen, das ist jetzt eine abgeschlossene Geschichte, die innerhalb der größeren Geschichte im Buch erzählt wird.
Der emotionale Einfluss illustrierter Bücher
Albath: Obwohl der Band so vielfältig ist und so viele verschiedene Ebenen hat, wirkt er grafisch sehr ruhig und sehr stimmig, in sich geschlossen. Wie viel analoge und viel digitale Arbeit steckt eigentlich darin? Ist es überhaupt am Computer entstanden, oder haben Sie doch sehr viel am Zeichentisch gemacht?
Krug: Meistens zeichne ich alles erst mal per Hand – das ist mir ganz wichtig, dieser Kontakt zwischen dem Material, dem Stift und dem Papier. Ich zeichne hauptsächlich mit Bleistiften und Buntstiften, habe aber auch mit Wasserfarbe gearbeitet. Und dann scanne ich das meistens ein und kombiniere es eventuell auch noch mit anderen grafischen Elementen im Computer direkt. Was natürlich auch ganz wichtig ist, ist der Text – meine Seiten sind alle so angelegt, dass der Text vollkommen mit eingebettet ist in die Illustrationen.
Es handelt sich also nicht um ein Textbuch, in das zwischenrein Bilder gefügt sind, sondern ich habe mich entschieden, dass ich das Ganze als ein grafisches Element darstelle, Text und Bild in einer direkten Verbindung stehend. Deswegen muss ich dann natürlich auch immer am Computer schauen, wie viel Text kommt auf diese Seite und wo soll der genau stehen, und gewisse grafische Elemente müssen dann auch verkleinert oder vergrößert werden.
Albath: Es gibt Bezüge auf die Gegenwart auch in dem ursprünglichen Band von Timothy Snyder von 2017, sie schwingen aber eigentlich mehr mit, bei Ihnen ist das sehr viel deutlicher, war mein Eindruck. Wollten Sie das so gestalten, und ging es vielleicht auch darum, mit diesem Band jetzt eine ganz neue Zielgruppe zu erreichen, also jenseits derjenigen, die auf so ein Buch sowieso neugierig sind, auch wenn es nur als ganz plan gestalteter Text daherkommt?
Albath: Es gibt Bezüge auf die Gegenwart auch in dem ursprünglichen Band von Timothy Snyder von 2017, sie schwingen aber eigentlich mehr mit, bei Ihnen ist das sehr viel deutlicher, war mein Eindruck. Wollten Sie das so gestalten, und ging es vielleicht auch darum, mit diesem Band jetzt eine ganz neue Zielgruppe zu erreichen, also jenseits derjenigen, die auf so ein Buch sowieso neugierig sind, auch wenn es nur als ganz plan gestalteter Text daherkommt?
Krug: Ich glaube, Herr Snyders Verlag in Amerika, dem war es wichtig, auch eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Natürlich ist es auch Herrn Snyder wichtig, auch aufgrund der politischen Situation in den USA, dass die jüngere Generation auch noch mal ganz aktiv nachdenkt, was wir tun können, um eben solche Präsidenten wie Herrn Trump in Zukunft nicht mehr begrüßen zu müssen. Das war, glaube ich, schon der Hauptgedanke, aber wen es am Schluss anspricht, ist natürlich erst klar, wenn das Buch dann auch gekauft und gelesen wird.
Es ist ja so, dass, glaube ich, die Illustration als Medium oft fälschlicherweise mit ausschließlich Kinderbüchern oder Jugendbüchern in Verbindung gebracht wird, obwohl wir als Erwachsene natürlich auch ganz stark visuell geprägt sind. Die Illustration, wenn man jetzt die Geschichte dieses Mediums betrachtet, hatte ja schon immer das Ziel, Menschen in ihrem Denken politisch und gesellschaftlich, also das Denken zu beeinflussen oder zu verändern. Manchmal auch in propagandistischem Sinne. Aber die Illustration hat für alle Altersgruppen schon immer diese Funktion gehabt und hat sie, glaube ich, auch heute. Ich glaube, das darf man auch nicht unterschätzen, wie sehr auch Erwachsene emotional durch illustrierte Bücher angesprochen werden können.
"Müssen uns immer wieder mit der Geschichte konfrontieren"
Albath: Als Sie das Buch zuerst gelesen haben, was hat Sie dann bewogen, das zu machen? Das ist ja auch ein größeres Unterfangen. Worin lag die Herausforderung, ausgerechnet diesem Buch auch eine grafische Handschrift verpassen zu wollen?
Krug: Das Buch ist natürlich sehr bedeutungsvoll, weil es eben, wie Sie vorhin gesagt haben, in 20 Kapiteln ganz klar darlegt, was man tun kann als Einzelperson. Das war für mich persönlich ganz wichtig, weil auch in meinem Buch "Heimat" das Ziel gewesen ist, zu überlegen, wie kann man aus der Geschichte lernen, wie kann man die Geschichte auf die Gegenwart beziehen, wie kann man auch dem Leser verinnerlichen, dass wir aus der Geschichte bestehen, also dass wir aus der Geschichte, aus dem Stoff der Geschichte gemacht sind und uns auch immer wieder mit der Geschichte konfrontieren müssen und eine Verantwortung tragen müssen. Das ist auch das Ziel von Timothy Snyder, und das hat mich eben ganz besonders angesprochen, und das war auch für mich dann mit ein Hauptgrund, warum ich das Buch auch rein aus Verantwortungsgefühl illustrieren wollte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.