Ilona Haberkamp: "Plötzlich Hip(p)"
© Wolke Plötzlich Hip(p). Das Leben der Jutta Hipp zwischen Jazz und KunstWolke, Hofheim am Taunus 2022
Die vergessene Jazz-Legende Jutta Hipp
06:23 Minuten
224 Seiten
28,00 Euro
Jutta Hipp war in der Nachkriegszeit ein Star. Die Jazz-Pianistin spielte auf den Bühnen New Yorks, bis sie über Nacht ihre Karriere beendete. In „Plötzlich Hip(p)“ zeichnet Ilona Haberkamp eine hoffnungsvolle und tragische Emanzipationsgeschichte.
Diese Geschichte lässt aufhorchen. Jutta Hipp war in den 50er-Jahren ein Star. Die 1925 geborene Leipzigerin floh im März 1946 mit fast keiner Habe in die bayrische Provinz, begann als Pianistin durch amerikanische GI-Clubs zu tingeln und schaffte in der Band von Hans Koller den Durchbruch.
Mit ihrem eigenen Quintett wurde sie eine bundesdeutsche Sensation, sodass auch der einflussreiche US-Impresario Leonard Feather auf sie aufmerksam wurde und Ende 1955 nach New York holte.
Dort nahm sie drei Platten bei „Blue Note“ auf, heimste Kritikersätze wie „Jutta’s Piano is really Hipp“ oder „Hipp! Hipp! Hurray“ ein – und hörte nach kurzer Zeit plötzlich mit dem Jazz auf. Sie beginnt im Frühjahr 1958 in einer Kleiderfabrik in Queens als Zuschneiderin zu arbeiten, wird schnell vergessen und stirbt im April 2003 allein in ihrer Wohnung. Was genau ist da passiert?
Als Jazz-Pianistin in einer damals fast reinen Männerdomäne
Die Saxofonistin Ilona Haberkamp hat sich um die Wiederentdeckung Jutta Hipps sehr verdient gemacht. Jetzt legt sie eine Biografie vor, die endgültig Licht in das Dunkel dieser geheimnisvollen Künstlerin bringt. Was die Autorin recherchieren konnte, ist ein wichtiger Beitrag zur neueren Kultur- und Künstlerinnengeschichte. Es geht dabei um die Rolle einer Frau in einer damals fast reinen Männerdomäne.
Maßgeblich für Jutta Hipps Abschied vom Jazz dürften die Probleme gewesen sein, die sie als attraktive Musikerin in der Machowelt der Bars und Kellerclubs hatte. Ilona Haberkamp enthüllt, dass ihr Förderer Leonard Feather sie von Anfang an auch sexuell bedrängte. Als Weiße geriet sie zudem auf verquere Weise in die Emanzipationsbestrebungen der schwarzen Musiker hinein.
So wurde es zu einem traumatischen Erlebnis, als Art Blakey sie einmal, als sie schon einiges getrunken hatte, spontan und unabgesprochen auf die Bühne holte und sie als schlechte Musikerin vorzuführen versuchte. Unsicherheit, Selbstzweifel und die zynische Kommerzialisierung des Jazz führten schließlich zu Alkoholsucht und Zusammenbruch.
Jutta Hipp war ihrer Zeit voraus
Dieses Buch zeigt minutiös auf, wie eine künstlerisch vielseitig ambitionierte Frau, von deren grafischen Arbeiten und pointierten Karikaturen einige abgebildet sind, ihrer Zeit voraus war und genau daran scheiterte. Man kann Parallelen zu einer Schriftstellerin wie Ingeborg Bachmann erkennen, die auf ähnliche Weise ein Leben als selbstbestimmte Frau zu leben versuchte, als man Wörter wie „Emanzipation“ noch gar nicht kannte und die gesellschaftlichen Möglichkeiten dafür fehlten.
Jutta Hipp verschrieb sich der Kunst und wollte dabei unabhängig bleiben, ohne Rücksichten auf Familie und Konventionen zu nehmen. Ihre abgebrochene Karriere wirkt wie ein Menetekel. Und wenn man die Aufnahmen von Jutta Hipp hört, ahnt man, dass die Geschichte mit anderen, heute eher normalen Rahmenbedingungen ganz anders hätte laufen können.