Im Alltag höchst anregend

Rezensiert von Hazel Rosenstrauch |
Nicht ein Historiker erzählt hier von den Deutschen, sondern ein Liebhaber. Doch Simon Winders Reise kreuz und quer durch die Jahrhunderte nervt schnell, weil alles und jeder lächerlich gemacht wird.
Dieses Buch will lustig sein und es soll eine Geschichte der Deutschen sein: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Das Mittelalter liegt dem in Deutschland vernarrten Engländer besonders am Herzen, "die hirnrissige deutsche Manie im neunzehnten Jahrhundert, sich zu sehr mit dem Mittelalter zu identifizieren", findet er jedoch lächerlich.

Einerseits, andererseits mit vielen Wiederholungen und saloppen Bemerkungen wie: "Gegen Ende des 16. Jahrhunderts scheint mit Deutschland etwas gewaltig schiefzugehen." Die Kapitelüberschriften erinnern an "Shakespeares Sämtliche Werke in zwei Stunden". Auf Seite 327 erfährt man, dass der Autor ein Anliegen hat: Angesichts des Schicksals der Juden im Nationalsozialismus sei man "immer geneigt, die davorliegende deutsche Geschichte als Vorspiel dazu oder als Paradies der Ahnungslosen zu sehen. Dem zu widerstehen, was schwierig, aber notwendig ist, ist Anliegen dieses Buches, sofern es überhaupt eines hat".

Hat es oder hat es keins? Jedenfalls möchte er, ein katholisch erzogener Engländer, der auf protestantische Schulen ging und seit vielen Jahren deutsche Städte bereist, den Komplex beladenen Deutschen endlich Liebe zu ihrem Land ermöglichen.

Zu den Lieblingsvokabeln des Autors beziehungsweise seiner Übersetzerinnen gehören: schräg, komisch, irrsinnig, infantil, idiotisch, nervig. Sein Leitfaden sind Besuche in kleinstädtischen Museen oder Spaziergänge durch den deutschen Wald. Wir rasen von Tacitus bis zur aufgelösten DDR, von der Gegenwart ins Mittelalter, begleitet von angestrengten Sottisen des Autors, alles ist sehr komplex, man wisse eben sehr wenig und könne nur spekulieren.

Der Verlag betont, dass es sich nicht um die Darstellung eines Historikers handelt, hier ist ein Liebhaber am Werk, der munter zwischen 13. und 19. Jahrhundert, von den Kreuzzügen zu Napoleon hüpft, sich nicht scheut, als "Zeugnis" für das 14. Jahrhundert Hermann Hesse und Ingmar Bergmann zu nutzen, und immer wieder bei den Kulten der Nazis landet, die er "lächerlich" findet. Seine Rundumschläge zeugen allerdings mehr von der Selbstüberschätzung des Verfassers als von dem versprochenen frischen Blick auf die deutsche Geschichte. Winder hat viel Material verarbeitet, liebt abseitige Fundstücke und argumentiert immer wieder gegen nicht näher bezeichnete Historiker, die irgendetwas meinen, das er dann widerlegt. Was einschließt, dass man die deutsche Geschichte doch recht gut kennen muss, um seine angestrengt originelle Darstellung zu verstehen.

Es ist ja mittlerweile gang und gäbe, Geschichtsschreibung und Literatur, Daten und persönliche Meinung zu mischen. Heiligenfiguren rund um Jesus bezeichnet er oder die Übersetzerinnen als "lose Mädels", die "weibisch-katholischen" Habsburger mag er nicht, welche Rolle der Buchdruck für die Verbreitung von Luthers Ideen gespielt hat sei schwer zu entscheiden, Das Leben im 17. Jahrhundert "muss sowohl wissenschaftlich wie im Alltag höchst anregend gewesen sein."
Max Webers Untersuchung zur protestantischen Ethik nennt er ein "berühmt närrisches Werk". Man merkt, es geht Winder vor allem darum, originell oder, wie es in der Überschrift heißt, eigensinnig zu sein. Die Übersetzerinnen haben sich um Nachahmung englischer Lässigkeit bemüht, der Humor funktioniert im Deutschen nicht; die großartige Geste, mit der alles und jeder lächerlich gemacht wird, nervt schnell und die gut gemeinten und politisch absolut korrekten Seitenhiebe auf Gelehrte, Kaiser und vor allem Nazis retten das Werk nicht.

Nach dem 14. Kapitel, auf Seite 423, im Jahr 1933 angekommen steht die Überschrift "Ende" und der Satz: "Anekdoten erzählen und Herumwitzeln geht jetzt nicht mehr, und ich höre hier auf". Er hört allerdings nicht auf. Es gibt noch drei Kapitel, in denen Halberstadt und Schwäbisch Gmünd, Ludwig Gleim und die Vertriebenen abgehandelt werden, und ganz am Schluss ein Besuch im Münchener Hofbräuhaus mit der überraschenden Erkenntnis: "Plötzlich war mir klar, wie die Deutschen durch Arbeit, Kultur und Nachdenken Schicht auf Schicht auf ihre schreckliche Vergangenheit gehäuft haben und dass man im Chaos des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts sitzen und feststellen kann, dass jeden Tag etwas passiert […] so dass eine neue Welt entsteht, in der München mehr als nur die Wiege des Nationalsozialismus ist."

Simon Winder: Germany, oh Germany. Ein eigensinniges Geschichtsbuch
Deutsch von Sigrid Ruschmeier, Grete Osterwald und Heike Steffen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2010
464 Seiten, 19, 95 Euro
Cover: "Simon Winder: Germany, oh Germany”
Cover: "Simon Winder: Germany, oh Germany”© Rowohlt-Verlag
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