Im Auszeichnungsrausch
Eine ernst gemeinte Auszeichnung dient dazu, jemanden durch die Ehrung der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Die bekanntesten Politiker der Welt zu preisen, ist so widersinnig wie bergauf fließendes Wasser, meint unser Kommentator.
So wie Wasser stets bergab fließt, so wirkt Prominenz immer in eine Richtung: der Starruhm strahlt auf die weniger Berühmten ab, wenn sie dem Star nur nahe genug stehen. Deswegen machen Firmen für ihre Produkte Reklame mit bekannten Filmschauspielern und Fernsehmoderatoren, und deswegen möchten viele Leute mit einem Promi befreundet sein. Prominenz ist ein Marktwert, manchmal ist derjenige einer Person, manchmal der einer Institution höher: Es gibt zum Beispiel Zeitungen, die profitieren davon, dass ein berühmter Autor für sie schreibt, meistens aber ist ein Autor froh, wenn er in einer berühmten Zeitung publizieren kann.
Genauso verhält es sich mit den Literaturpreisen, von denen es in Deutschland schätzungsweise anderthalb Tausend gibt. Wenn etwa Günter Grass den Koblenzer oder den Zwickauer Literaturpreis zuerkannt bekäme, man wüsste schon, wer sich damit wichtig machen will. Dergleichen kommt vor, auch außerhalb der Literatur.
Einer der krachendsten Fälle von Prominenzkaperung ist der sogenannte Deutsche Medienpreis, der von einem pfiffigen, in der Touristikbranche zum Multimillionär gesottenen Ex-Radiomoderator gegründet und im Lauf der letzten fast 20 Jahre an jeden Staats- oder Regierungschef, dem das nicht zu blöde war, verliehen wurde: Helmut Kohl, François Mitterrand, Bill Clinton, Gerhard Schröder, Boris Jelzin, Angela Merkel und so weiter.
Jeder, der schon mal einen Preis bekommen hat, kennt das Gefühl einer disproportionalen Freude, das die Aussicht auf Ehrung auslöst. Die Ehre ist zwar ein im gängigen Gerede vernachlässigter Begriff, aber offenbar doch eine weiche Stelle in unserem Persönlichkeitspanzer. Man fühlt sich erwählt, meist von Leuten, die man gar nicht kennt, und das schmeichelt der Seele.
Ungefähr so wird auch Wladimir Putin reagiert haben, als ihn die Nachricht erreichte, dass er von einem Berliner Verein namens Werkstatt Deutschland mit einem Preis namens Quadriga ausgezeichnet werden solle: eine Ehrung mehr für einen der mächtigsten und verdächtigsten Herrscher auf der Welt.
Der nach nationaler Bastelstube klingende Verein hat es allerdings in sich: Er ist eine Ausgeburt der provinziellen Sehnsucht nach Glanz und Gloria, eine Versammlung von Printenbäckern, Werbefuzzis, Müllverwertern und Konzernmanagern, flankiert von einem Kuratorium aus politischen und medialen Netzwerkern, deren gemeinsamer Nenner in einem rührenden republikanischen Hang zu Berliner Bombast besteht. So veranstaltet dieser Verein zum Beispiel eine Tafelrunde, bei der zugelassene Bürger mit dem Bundespräsidenten Suppe essen und ihm ein paar Fragen stellen dürfen.
Auf genau derselben obrigkeitlichen Peinlichkeitshöhe befindet sich der vom selben Verein vergebene Quadriga-Preis mit seiner ranschmeißerischen Werbetext-Anmutung: mit Floskeln wie "Dynamik der Hoffnung", "Kraft der Wahrhaftigkeit" und "United we care", aber auch "Brücken des Respekts", "Wagnis der Zäsur" und "Mut der Beharrlichkeit" wurde in fast 20 Jahren fast genau derselbe Kreis von Politpromis wie in Baden-Baden bedacht: Kohl, Schröder, Gorbatschow, Barroso, Erdoğan und Juncker.
Man saß beisammen und wärmte sich an der mondänen Mischung aus Macht und Medien. Stalin ließ sich einst noch Dichteroden darbringen, ihm war an der Kultur gelegen. Wer sich für den Herrscherkult nicht zur Verfügung stellte, lebte gefährlich. Heute geht es gesitteter zu: die gemeinnützige GmbH, die den Festakt ausrichtet, bezahlt die Beteiligten ordentlich, und die Laudatoren sprechen meist aus Überzeugung.
Wer immer jedoch eine Lobrede auf Wladimir Putin als – so wörtlich in der Preisbegründung – "Weichensteller in Richtung Zukunft" gehalten hätte, es wäre damit eine Grenze überschritten worden – eine Grenze des politischen Anstands, die die Verantwortlichen des Quadriga-Preises offenbar längst aus den Augen verloren haben.
Was hat sie geblendet? Der Rausch, eine Rolle zu spielen, im Rampenlicht zu stehen und etwas vom verteilten Ruhm selber abzubekommen? Oder die Chance, Geschäftsbeziehungen zu knüpfen und Bussi-Bussi-Politik zu machen? Eine ernst gemeinte Auszeichnung dient dazu, jemanden durch die Ehrung der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Die bekanntesten Politiker der Welt zu preisen, ist so widersinnig wie bergauf fließendes Wasser.
Burkhard Müller-Ullrich, freier Publizist, geboren 1956 in Frankfurt am Main. Studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie. Schreibt für alle deutschsprachigen Rundfunkanstalten und viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war Redakteur beim Abendstudio des Schweizer Radios, beim Schweizer Buchmagazin "Bücherpick" und Leiter der Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk. Mitglied der Autorengruppe "Achse des Guten", deren Website www.achgut.de laufend aktuelle Texte publiziert.
Genauso verhält es sich mit den Literaturpreisen, von denen es in Deutschland schätzungsweise anderthalb Tausend gibt. Wenn etwa Günter Grass den Koblenzer oder den Zwickauer Literaturpreis zuerkannt bekäme, man wüsste schon, wer sich damit wichtig machen will. Dergleichen kommt vor, auch außerhalb der Literatur.
Einer der krachendsten Fälle von Prominenzkaperung ist der sogenannte Deutsche Medienpreis, der von einem pfiffigen, in der Touristikbranche zum Multimillionär gesottenen Ex-Radiomoderator gegründet und im Lauf der letzten fast 20 Jahre an jeden Staats- oder Regierungschef, dem das nicht zu blöde war, verliehen wurde: Helmut Kohl, François Mitterrand, Bill Clinton, Gerhard Schröder, Boris Jelzin, Angela Merkel und so weiter.
Jeder, der schon mal einen Preis bekommen hat, kennt das Gefühl einer disproportionalen Freude, das die Aussicht auf Ehrung auslöst. Die Ehre ist zwar ein im gängigen Gerede vernachlässigter Begriff, aber offenbar doch eine weiche Stelle in unserem Persönlichkeitspanzer. Man fühlt sich erwählt, meist von Leuten, die man gar nicht kennt, und das schmeichelt der Seele.
Ungefähr so wird auch Wladimir Putin reagiert haben, als ihn die Nachricht erreichte, dass er von einem Berliner Verein namens Werkstatt Deutschland mit einem Preis namens Quadriga ausgezeichnet werden solle: eine Ehrung mehr für einen der mächtigsten und verdächtigsten Herrscher auf der Welt.
Der nach nationaler Bastelstube klingende Verein hat es allerdings in sich: Er ist eine Ausgeburt der provinziellen Sehnsucht nach Glanz und Gloria, eine Versammlung von Printenbäckern, Werbefuzzis, Müllverwertern und Konzernmanagern, flankiert von einem Kuratorium aus politischen und medialen Netzwerkern, deren gemeinsamer Nenner in einem rührenden republikanischen Hang zu Berliner Bombast besteht. So veranstaltet dieser Verein zum Beispiel eine Tafelrunde, bei der zugelassene Bürger mit dem Bundespräsidenten Suppe essen und ihm ein paar Fragen stellen dürfen.
Auf genau derselben obrigkeitlichen Peinlichkeitshöhe befindet sich der vom selben Verein vergebene Quadriga-Preis mit seiner ranschmeißerischen Werbetext-Anmutung: mit Floskeln wie "Dynamik der Hoffnung", "Kraft der Wahrhaftigkeit" und "United we care", aber auch "Brücken des Respekts", "Wagnis der Zäsur" und "Mut der Beharrlichkeit" wurde in fast 20 Jahren fast genau derselbe Kreis von Politpromis wie in Baden-Baden bedacht: Kohl, Schröder, Gorbatschow, Barroso, Erdoğan und Juncker.
Man saß beisammen und wärmte sich an der mondänen Mischung aus Macht und Medien. Stalin ließ sich einst noch Dichteroden darbringen, ihm war an der Kultur gelegen. Wer sich für den Herrscherkult nicht zur Verfügung stellte, lebte gefährlich. Heute geht es gesitteter zu: die gemeinnützige GmbH, die den Festakt ausrichtet, bezahlt die Beteiligten ordentlich, und die Laudatoren sprechen meist aus Überzeugung.
Wer immer jedoch eine Lobrede auf Wladimir Putin als – so wörtlich in der Preisbegründung – "Weichensteller in Richtung Zukunft" gehalten hätte, es wäre damit eine Grenze überschritten worden – eine Grenze des politischen Anstands, die die Verantwortlichen des Quadriga-Preises offenbar längst aus den Augen verloren haben.
Was hat sie geblendet? Der Rausch, eine Rolle zu spielen, im Rampenlicht zu stehen und etwas vom verteilten Ruhm selber abzubekommen? Oder die Chance, Geschäftsbeziehungen zu knüpfen und Bussi-Bussi-Politik zu machen? Eine ernst gemeinte Auszeichnung dient dazu, jemanden durch die Ehrung der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Die bekanntesten Politiker der Welt zu preisen, ist so widersinnig wie bergauf fließendes Wasser.
Burkhard Müller-Ullrich, freier Publizist, geboren 1956 in Frankfurt am Main. Studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie. Schreibt für alle deutschsprachigen Rundfunkanstalten und viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war Redakteur beim Abendstudio des Schweizer Radios, beim Schweizer Buchmagazin "Bücherpick" und Leiter der Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk. Mitglied der Autorengruppe "Achse des Guten", deren Website www.achgut.de laufend aktuelle Texte publiziert.