Im entscheidenden Moment am richtigen Platz
Zunächst soll George Washington ein militärischer Versager gewesen sein. Aber er hatte Ehrgeiz und tat sein Bestes, um nach oben zu kommen. Schließlich wurde er der erste Präsident der Vereinigten Staaten. Lesenswert an "Seine Exzellenz George Washington" ist, wie Joseph J. Ellis ohne Idealismus den Durchblick behält.
"Erster im Krieg, Erster im Frieden und Erster in den Herzen seiner Landsleute – "
Mit diesem Satz, der aus dem Nachruf eines Zeitgenossen stammt, wird George Washington noch heute gern beschrieben. Er hat als General die Kolonien von der Herrschaft durch den englischen König befreit, er hat das Land durch die Wirren der Gründerjahre geführt, die Hauptstadt, die er selbst errichtet hat, trägt seinen Namen.
Washington, der Übervater – an ihm haben sich schon viele Historiker versucht. Was nur normal ist, denn jede Generation legt sich ihre Erinnerung und ihre Helden neu zurecht.
"Meine Beziehung zu George Washington begann früh."
Joseph Ellis wuchs in der Nähe von Mount Vernon, dem Landsitz George Washingtons, auf.
"Unsere Nähe zu Mount Vernon veranlasste die Nonnen, die uns unterrichteten, nicht selten dazu, Wallfahrten mit uns zu jener historischen Stätte zu unternehmen, die vom Geist des größten säkularen Heiligen Amerikas beseelt war. Ich erinnere mich nicht, dass man damals überhaupt von Sklaverei gesprochen hat."
Aus dem kleinen Joseph ist mittlerweile ein mit Preisen bedachter Geschichtsprofessor geworden: Seine Biographie von Thomas Jefferson wurde ausgezeichnet und auch das Buch über die Gründungsväter der USA, das auf deutsch unter dem Titel "Sie schufen Amerika" erschienen ist. Nun also Washington.
"Er war mindestens 1 Meter 88 groß und somit einen Kopf größer als der Durchschnittsmann der damaligen Zeit. Seine Erscheinung war athletisch, wohlproportioniert und adrett."
Washingtons Jugendjahre waren ein Abenteuerleben an den Grenzen der Zivilisation. Seine Sozialisation erlebte er im Krieg der verbündeten Franzosen und Indianer gegen die Besiedlung durch die englischsprachigen Kolonisten. Schon früh sah er im Wortsinn Mord und Totschlag und Szenen von barbarischer Grausamkeit, aber das schien ihm zu gefallen. Joseph Ellis zitiert aus einem Brief an den Bruder.
"Ich hörte die Kugeln pfeifen, und glaube mir, dieser Ton hatte etwas Reizvolles."
Mag sein, aber zunächst war Washington ein militärischer Versager. Allerdings - er hatte Ehrgeiz. Er wollte Karriere machen im englischen Kolonialsystem und tat sein Bestes, sich nach oben zu schleimen. Gleichzeitig war er stets bemüht, seine privaten Güter zu mehren. Wie Ellis es beschreibt, war Landbesitz Washingtons Obsession. Und zugleich die Wurzel seines späteren Widerstandes gegen die Engländer, denn Washington sah in der Kolonialgesellschaft seinen persönlichen Besitz untergehen.
Und schon das ist etwas, was Ellis’ Buch lesenswert macht – wie er völlig ohne Idealismus und Mythenstickerei den Durchblick behält. Washingtons Freiheitsdurst hatte sehr viel mit privater Habgier zu tun, er jagte keine Ideale, sondern handfeste Vorteile. Damit schildert Ellis pars pro toto die Entstehung der Unabhängigkeitsbewegung, die mindestens ebenso stark aus ökonomischen wie aus ideellen Quellen gespeist wurde – man denkt, die ökonomischen waren die entscheidenden. Wie auch immer - das Spiel zwischen diesen beiden Faktoren bestimmt noch heute amerikanische Politik.
Das Erstaunliche an Gründungsvätern wie Jefferson und Washington, die beide aus der Pflanzeraristokratie Virginias stammten, ist ihre ambivalente Haltung gegenüber der Sklaverei. Einerseits waren sie flammende Redner für die naturrechtliche Freiheit eines jeden Menschen, andererseits mochten sie ihren privaten Gütern die Freilassung der Sklaven nicht zumuten. Es brauchte einen starken Charakter, um diesen Widerspruch auszuhalten, und Washington war so ein starker Charakter. Moralisch war auf Mont Vernon die Sklaverei nicht zu halten, und außerdem war sie ein Verlustgeschäft, aber er brachte es nicht über sich, die Sklaven zu entlassen. In seinem Testament bestimmte er, sie sollten nach dem Tod seiner Frau ihre Freiheit erhalten. Ideell, aber eben nicht faktisch, war er ein Gegner der Sklaverei. Ellis urteilt:
"Wie wir sahen, hatte er um diese Position aus zahlreichen Gründen und über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren gerungen, langsamer, als uns lieb wäre, stetiger als die Mehrzahl seiner Sklavenhalterkollegen in Virginia."
"Langsamer, als uns lieb wäre" – das ist der Blick der heutigen Generation: Joseph Ellis zeichnet nach, wie Washington seinen übrigen Geschäften ruhig und mit Weitblick nachgegangen ist. Und vor allem: Es ist ihm gelungen, jeglichen Versuchungen zur Errichtung einer persönlichen, monarchieähnlichen Herrschaft aus dem Wege zu gehen.
Manches in Joseph Ellis’ Biographie kann man nicht so recht nachvollziehen – zum Beispiel, wie es der General bei seinen jahrelangen Kriegszügen geschafft hat, sein Vermögen zu mehren. Und auch bei dem Parteiengezänk, das seine letzten Lebensjahre überschattete, hätte man sich als Europäer ein paar mehr Hinweise auf die unterschiedlichen Positionen gewünscht, aber auf die gesamte Länge gesehen ist Ellis’ Buch eine farbige, spannende Erzählung des Lebens eines Menschen, der im entscheidenden Moment auf dem richtigen Platz in der Geschichte stand.
"Seine Exzellenz George Washington. Eine Biographie"
Von Joseph J. Ellis
aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer
C.H. Beck 2005
386 Seiten und 10 Tafeln
24,90 €
Mit diesem Satz, der aus dem Nachruf eines Zeitgenossen stammt, wird George Washington noch heute gern beschrieben. Er hat als General die Kolonien von der Herrschaft durch den englischen König befreit, er hat das Land durch die Wirren der Gründerjahre geführt, die Hauptstadt, die er selbst errichtet hat, trägt seinen Namen.
Washington, der Übervater – an ihm haben sich schon viele Historiker versucht. Was nur normal ist, denn jede Generation legt sich ihre Erinnerung und ihre Helden neu zurecht.
"Meine Beziehung zu George Washington begann früh."
Joseph Ellis wuchs in der Nähe von Mount Vernon, dem Landsitz George Washingtons, auf.
"Unsere Nähe zu Mount Vernon veranlasste die Nonnen, die uns unterrichteten, nicht selten dazu, Wallfahrten mit uns zu jener historischen Stätte zu unternehmen, die vom Geist des größten säkularen Heiligen Amerikas beseelt war. Ich erinnere mich nicht, dass man damals überhaupt von Sklaverei gesprochen hat."
Aus dem kleinen Joseph ist mittlerweile ein mit Preisen bedachter Geschichtsprofessor geworden: Seine Biographie von Thomas Jefferson wurde ausgezeichnet und auch das Buch über die Gründungsväter der USA, das auf deutsch unter dem Titel "Sie schufen Amerika" erschienen ist. Nun also Washington.
"Er war mindestens 1 Meter 88 groß und somit einen Kopf größer als der Durchschnittsmann der damaligen Zeit. Seine Erscheinung war athletisch, wohlproportioniert und adrett."
Washingtons Jugendjahre waren ein Abenteuerleben an den Grenzen der Zivilisation. Seine Sozialisation erlebte er im Krieg der verbündeten Franzosen und Indianer gegen die Besiedlung durch die englischsprachigen Kolonisten. Schon früh sah er im Wortsinn Mord und Totschlag und Szenen von barbarischer Grausamkeit, aber das schien ihm zu gefallen. Joseph Ellis zitiert aus einem Brief an den Bruder.
"Ich hörte die Kugeln pfeifen, und glaube mir, dieser Ton hatte etwas Reizvolles."
Mag sein, aber zunächst war Washington ein militärischer Versager. Allerdings - er hatte Ehrgeiz. Er wollte Karriere machen im englischen Kolonialsystem und tat sein Bestes, sich nach oben zu schleimen. Gleichzeitig war er stets bemüht, seine privaten Güter zu mehren. Wie Ellis es beschreibt, war Landbesitz Washingtons Obsession. Und zugleich die Wurzel seines späteren Widerstandes gegen die Engländer, denn Washington sah in der Kolonialgesellschaft seinen persönlichen Besitz untergehen.
Und schon das ist etwas, was Ellis’ Buch lesenswert macht – wie er völlig ohne Idealismus und Mythenstickerei den Durchblick behält. Washingtons Freiheitsdurst hatte sehr viel mit privater Habgier zu tun, er jagte keine Ideale, sondern handfeste Vorteile. Damit schildert Ellis pars pro toto die Entstehung der Unabhängigkeitsbewegung, die mindestens ebenso stark aus ökonomischen wie aus ideellen Quellen gespeist wurde – man denkt, die ökonomischen waren die entscheidenden. Wie auch immer - das Spiel zwischen diesen beiden Faktoren bestimmt noch heute amerikanische Politik.
Das Erstaunliche an Gründungsvätern wie Jefferson und Washington, die beide aus der Pflanzeraristokratie Virginias stammten, ist ihre ambivalente Haltung gegenüber der Sklaverei. Einerseits waren sie flammende Redner für die naturrechtliche Freiheit eines jeden Menschen, andererseits mochten sie ihren privaten Gütern die Freilassung der Sklaven nicht zumuten. Es brauchte einen starken Charakter, um diesen Widerspruch auszuhalten, und Washington war so ein starker Charakter. Moralisch war auf Mont Vernon die Sklaverei nicht zu halten, und außerdem war sie ein Verlustgeschäft, aber er brachte es nicht über sich, die Sklaven zu entlassen. In seinem Testament bestimmte er, sie sollten nach dem Tod seiner Frau ihre Freiheit erhalten. Ideell, aber eben nicht faktisch, war er ein Gegner der Sklaverei. Ellis urteilt:
"Wie wir sahen, hatte er um diese Position aus zahlreichen Gründen und über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren gerungen, langsamer, als uns lieb wäre, stetiger als die Mehrzahl seiner Sklavenhalterkollegen in Virginia."
"Langsamer, als uns lieb wäre" – das ist der Blick der heutigen Generation: Joseph Ellis zeichnet nach, wie Washington seinen übrigen Geschäften ruhig und mit Weitblick nachgegangen ist. Und vor allem: Es ist ihm gelungen, jeglichen Versuchungen zur Errichtung einer persönlichen, monarchieähnlichen Herrschaft aus dem Wege zu gehen.
Manches in Joseph Ellis’ Biographie kann man nicht so recht nachvollziehen – zum Beispiel, wie es der General bei seinen jahrelangen Kriegszügen geschafft hat, sein Vermögen zu mehren. Und auch bei dem Parteiengezänk, das seine letzten Lebensjahre überschattete, hätte man sich als Europäer ein paar mehr Hinweise auf die unterschiedlichen Positionen gewünscht, aber auf die gesamte Länge gesehen ist Ellis’ Buch eine farbige, spannende Erzählung des Lebens eines Menschen, der im entscheidenden Moment auf dem richtigen Platz in der Geschichte stand.
"Seine Exzellenz George Washington. Eine Biographie"
Von Joseph J. Ellis
aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer
C.H. Beck 2005
386 Seiten und 10 Tafeln
24,90 €