Im Gefängnis der Emotionen

Von Bernd Sobolla |
In seinem Debütfilm "Michael" gibt Markus Schleinzer Einblick in das Seelenleben eines pädophilen Mannes. Der Entführungsfall von Natascha Kampusch und das Drama um die Familie Fritzl waren Anlass für die Geschichte, die letztes Jahr für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde.
Der Mann, Ende 30, fährt einen unscheinbaren Wagen in die Garage eines kleinen Hauses am Rande einer Stadt. Hinter dem Auto geht das Garagentor runter, kurz darauf schließen auch die Jalousien unter leisem Surren. Dann wird das Essen zubereitet, und schließlich geht er in den Keller. Dort bleibt er vor einer großen blauen Tür stehen, schließt das Schloss auf, schiebt die Verriegelung weg - und öffnet die Tür.

"Na komm! Jetzt komm! ... Na, komm!"

In der nächsten Einstellung sitzen der Mann und ein etwa zehnjähriger Junge am Tisch und essen. Im Hintergrund läuft der Fernseher.

Gesprochen wird in dem Film "Michael" kaum. Ja, man weiß noch nicht einmal, wer eigentlich Michael heißt. Ist es der Mann oder der Junge? Aber Namen spielen bei der Geschichte ohnehin keine Rolle.

Regisseur Markus Schleinzer hat weder versucht, den Entführungsfall von Natascha Kampusch nachzuspielen, noch das Drama um die Familie Fritzl von Amstetten. Vielmehr hat er diese Fälle nur als Ausgangspunkt benutzt, um das Drama eines pädophilen Mannes zu erzählen, der ein Gebilde äußerlicher Normalität inszeniert, um das Martyrium eines Jungen zu verschleiern; beziehungsweise - und das ist ebenso erschreckend - der jenseits seiner sexuellen Neigung scheinbar normal ist. Ein pünktlicher, arbeitsamer Versicherungsangestellter, von dem die Schwester glaubt, er habe eine Freundin in Deutschland und die anderen nur wissen, dass er freundlich grüßt. Und der eines Tages am Rande einer Gokart-Rennbahn für seinen Jungen im Keller einen "Spielkameraden" sucht.

"Aber mein Papa sagt, ich darf selber fahren, wenn ich größer bin."

"Ja, bei der darf man erst ab 1.50 Meter fahren."

"Mein Papa sagt, vielleicht in zwei Jahren."

"Ich kenne ein, wo man schon früher fahren darf."

"Ich habe Zuhause ein Auto mit einer Fernbedienung, mit dem kann ich auch ganz schnell fahren."

"Super, so eins habe ich auch."

Markus Schleinzer zeigt den missbrauchten Jungen, setzt den sexuellen Missbrauch jedoch nie visuell, sondern nur assoziativ in Szene. Und vor allem schildert er einen Mann im Gefängnis seiner eigenen Emotionen. Ein kühl inszenierter, aber aufwühlender Film jenseits von Voyeurismus und Boulevard-Sensationen.

"Da schau her! Weißt du, was das ist? Das ist dein Brief. Deine Eltern wollten ihn nicht mal lesen. Und du sollst keine mehr schreiben. ... Die wollen nichts mehr von dir wissen. ... Und sie haben gesagt, du sollst brav sein und tun, was ich sage."