Im Gespräch mit dem Pianisten und Musikhistoriker Tomi Mäkelä

Friedrich Wiecks Welt

Von Christine Anderson |
Im Jahre des 200. Geburtstags von Clara Schumann rückt auch ihr Vater und Lehrer Friedrich Wieck in den Focus. Die neue Ausgabe seiner Schriften zeigt ihn als international wirkenden Musikkritiker und reformerischen Klavierpädagogen.
Zu Gast im Studio ist der Pianist und Musikwissenschaftler Prof. Tomi Mäkelä. Er ist Herausgeber einer neuen, hervorragend kommentierten Ausgabe der Schriften von Friedrich Wieck, die in diesem Jahr erschienen ist (Verlag Peter Lang, 2019). Neben der wichtigsten Veröffentlichung Friedrich Wiecks, "Clavier und Gesang" von 1852 finden sich in diesem reichhaltigen Band zahlreiche vermischte kleinere Aufsätze und Kritiken sowie Dokumente der Wieck-Rezeption, so auch die Kritik Carl Maria von Webers an einigen Liedern Wiecks.
In seinen Schriften zeigt sich Wieck als wacher Zeitgenosse, der am Musikleben seiner Zeit lebhaft teilnimmt, durch Korrespondenz vielen Köpfen seiner Epoche verbunden ist, und mit seinen Meinungen nicht hinter dem Berg hält. Wiecks Stil ist literarisch ambitioniert, essayistisch, manchmal sogar polemisch. Er greift auch zu Formen des fiktiven Dialogs, um nicht als Gelehrter sondern als Praktiker zu wirken.
Friedrich Wieck wuchs als Kaufmannssohn in der zwischen Torgau und Wittenberg gelegenen Kleinstadt Pretzsch an der Elbe auf.
Das Geburtshaus von Friedrich Wieck in Pretzsch (Elbe)
Das Geburtshaus von Friedrich Wieck in Pretzsch (Elbe)© Moritz Rakow
Nach nur kurzem Besuch der Leipziger Thomasschule ging er auf das Gymnasium in Torgau und studierte im Anschluss Theologie in Wittenberg.
Seine musikalische Ausbildung war höchst unsystematisch. Nach der obligatorischen Probepredigt in Dresden strebte er kein Pfarramt an, sondern wurde Hauslehrer. Die folgenden neun Jahre verbrachte er bei verschiedenen Adelsfamilien in Thüringen. Wieck war ein gewissenhafter und guter Lehrer; er wandte fortschrittliche Erziehungslehren wie diejenigen von Rousseau, Basedow und Pestalozzi bei seinen Schülern an. Wann und wo Wieck Komposition studierte, ist bis heute nicht geklärt. Um 1815 sandte er jedoch einige Lieder an Carl Maria von Weber, der die Kompositionen eingehend kritisierte. Daraufhin ließ Wieck die Werke drucken.
Friedrich Wieck um 1830, Gemälde im Robert-Schumann-Haus Zwickau
Friedrich Wieck um 1830, Gemälde im Robert-Schumann-Haus Zwickau© Robert-Schumann-Haus Zwickau
Mit 30 Jahren gab Wieck seine Stellung als Hauslehrer auf und sah sich nach einem neuen Betätigungsfeld um. Er ließ sich mit finanzieller Unterstützung eines Freundes vor 1815 als Klavierlehrer und Inhaber einer Klavier- und Musikwarenhandlung in Leipzig nieder. Der ehrgeizige Friedrich Wieck führte seine Firma bis zu seinem Weggang nach Dresden 1840; er vermietete, stimmte, reparierte und verkaufte Klaviere. Außerdem verkaufte und verlieh er Musikalien, Musikbücher und Zeitschriften. Von 1820 an reiste Wieck regelmäßig nach Wien, um Klaviere zu kaufen, und befreundete sich mit den Klavierbauern Conrad Graf und Andreas Stein. Er korrespondierte mit dem Pianisten Carl Czerny und machte die Bekanntschaft von Ludwig van Beethoven.
1816 schloss Wieck die Ehe mit Mariane Tromlitz, mit der er bis 1825 verheiratet war. Für die gemeinsame Tochter Clara verfolgte er von Anfang an das Ziel einer Konzertkarriere als Klaviervirtuosin. Dank seiner pädagogischen Fähigkeiten gelang es ihm auch, Clara zu einer berühmten Pianistin heranzubilden. Ähnlichen Erfolg konnte er mit der pianistischen Ausbildung von Marie Wieck, seiner Tochter aus der 2. Ehe, verzeichnen.
1828 heiratete Friedrich Wieck die 23jährige Clementine Fechner (1805–1893). Während Friedrich Wieck in den 1830er Jahren monatelang mit Clara auf Konzertreise war, kümmerte sich Clementine um die Kinder, den Haushalt und das Geschäft.
Seit 1830 lebte Robert Schumann im Hause Wieck und nahm Klavierunterricht bei Friedrich Wieck, der den jungen Mann durchaus schätzte. Als Schwiegersohn wollte er Schumann jedoch partout nicht akzeptieren und so mussten Clara und Robert ihre Heiratserlaubnis per Gericht erwirken. Für Clara bedeuteten die Jahre vor der Eheschließung einen Kampf zwischen der Liebe zu ihrem Vater, dem sie ihre Ausbildung und Karriere verdankte und Robert Schumann. Letztlich kam es zum Bruch mit dem Vater und trotz einer späteren Versöhnung wurde das Verhältnis nicht wieder wie vorher. Friedrich Wieck konzentrierte sich auf die Ausbildung von Claras Halbschwester Marie zur Pianistin und hatte weitere erfolgreiche Schüler wie Hans von Bülow.
1840 übersiedelte Friedrich Wieck nach Dresden und studierte bei Johann Miksch noch Gesangs-Methodik, um sein pädagogisches Wirken zu erweitern. Seine erfolgreichste Gesangsschülerin war Minna Schulz. Als Krönung seines musikpädagogischen Wirkens empfand Friedrich Wieck die von seinen Schülern zu seinem 86. Geburtstag gegründete "Friedrich-Wieck-Stiftung" zur Förderung der mittellosen, musisch begabten Jugend. Das klavierpädagogische Werk Wiecks führten seine Kinder Alwin und Marie fort. Im Jahr 1873 verstarb Friedrich Wieck in Loschwitz bei Dresden.
Clara Schumann, geborene Wieck, auf einer zeitgenössischen Darstellung am Klavier sitzend.
Clara Schumann, geborene Wieck, auf einer zeitgenössischen Darstellung.© picture alliance / dpa / Ullstein
Clara Schumann war ihrem Vater zeitlebens sehr dankbar für das, was dieser für sie getan hatte und nahm ihn gegen ungerechte Kritik in Schutz. Nach seinem Tod schrieb sie in ihr Tagebuch:
"Seine Natur hatte etwas Großartiges, von Kleinlichkeit wußte er nichts; wo er nützen konnte, war er stets bereit; mehr als das, er suchte die Gelegenheiten dazu, er interessirte sich aufs lebhafteste, wo er Talent zu finden glaubte und frug dann nie, ob er Lob und Dank haben würde."
Der Schriftstellerin La Mara gegenüber schilderte Clara Schumann in einem Brief die Erziehung ihres Vaters, der nicht nur Wert auf die künstlerische Ausbildung, sondern auch auf die körperliche geachtet hatte und mit Clara mehrere Stunden täglich spazieren gegangen war – eine Gewohnheit, die sie zeit ihres Lebens beibehielt. Clara Schumann äußerte:
"Zu meinem Schmerze muß ich es sagen, daß mein Vater nie erkannt worden ist, wie er es verdiente! Ich danke ihm Zeit meines Lebens für alle die sogenannten Grausamkeiten. Wie hätte ich der Ausübung der Kunst bei all den schweren Schicksalen, die mir auferlegt waren, wohl so fort leben könne, wenn durch meines Vaters Sorge meine Constitution nicht eine so gesunde und kräftige gewesen wäre?"
1894 schrieb sie an einen Dr. Wilkinson über die Sorgen, die sie sich über die Klavierschülerin Ilona Eibenschütz machte. Insbesondere ging es ihr um deren Gesundheit und in diesem Zusammenhang kam sie auf ihren Vater zu sprechen:
[…] es fehlt ihr ein verständiger Vater zur Seite, so wie ich das Glück hatte, ihn zu besitzen, der über ihre Gesundheit wachte, sorgte, daß sie tüchtig spazieren ginge, nie in späte Gesellschaften Einladungen annähme, nie zu viel hintereinander übte, nie am Nachmittag vor einem Abendconcerte anderes thäte als ruhete, kurz, der sie bewachte. Die Leute würden ihn freilich einen Tyrannen nennen, wie es mein Vater sich gefallen lassen mußte, – ich danke es ihm aber noch täglich; die Frische, die mir bis in’s hohe Alter geblieben ist, (in der Kunst wenigstens) dies danke ich ihm!"
(Julia M. Nauhaus, Robert-Schumann-Haus Zwickau)

Literaturtipp:
Friedrich Wieck
Gesammelte Schriften über Musik und Musiker
Aufsätze und Aphorismen über Geschmack, Lebenswelt, Virtuosität, Musikerziehung und Stimmbildung
mit Kommentaren und einer historischen Einführung
hg. von Tomi Mäkelä, Christoph Kammertöns und Lena Esther Ptasczynski
387 Seiten
Verlag Peter Lang Berlin u.a. 2019

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