Im Hotel zu Hause
Das Zimmermädchen Lynn ist eine Art Lebens-Vampir. Sie partizipiert an der Intimität der Gäste, indem sie sich heimlich unter ihr Bett legt. Sie untersucht ihre Kulturbeutel und ist doch auf der Suche nach sich selbst. Markus Orths wurde für Auszüge aus "Das Zimmermädchen" bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt prämiert.
Was für ein seltsamer Ort ist doch ein Hotelzimmer! Ein intimer Raum, den Blicken der Außenwelt entzogen wie das eigene Zuhause, doch zugleich auch ein Ort für jedermann. Hotelzimmer bieten Intimität auf Zeit, eine serielle und wahllose Intimität, die jedem zur Verfügung steht, der dafür bezahlt. Sie sind, um es drastisch zu sagen, die Huren unter den Räumen. Ihre Sauberkeit ist nicht nur eine Frage der Hygiene. Es geht um die Spuren der Anderen. Sie müssen gelöscht werden, damit ein Hotelzimmer funktioniert, wie es soll: als eine Sphäre, die man für die eigene hält, trotz all der Fremdheit, die sich dort abgelagert hat.
Ein Hotel ist der ideale Ort für die Heldin des neuen Romans von Markus Orths. Linda Maria Zapatek, 1975 geboren, 165 Zentimenter groß, Augenfarbe grün, Haarfarbe braun, ist Zimmermädchen im Hotel Eden, und zwar ein ziemlich ungewöhnliches. Denn Linda, die sich Lynn nennt, macht die Arbeit Spaß. Sie putzt mit Leidenschaft und vollem Körpereinsatz, robbt auf Knien, kriecht unter Betten, lässt sich extra den Daumennagel wachsen, um jederzeit ein Instrument zum Schaben und Kratzen zur Hand zu haben. Am liebsten würde sie auch noch die Fliesen von den Wänden nehmen, um das letzte bisschen Dreck zu erwischen, das sich dahinter versteckt. Normal ist das nicht, das merkt der Leser bald, dem diese Lynn gleichermaßen sympathisch wie unheimlich ist.
Lynn partizipiert an der Intimität der Gäste, sie ist eine Art Lebens-Vampir, delektiert sich an jeder Spur, die der Hotelgast hinterlässt. Und sie zieht ihre Schlüsse. "Pantoffeln? Längerer Aufenthalt. Geplünderte Minibar? Maßlosigkeit. Kein Schlafanzug im Bett? Der Gast hat nackt geschlafen, nein, der Schlafanzug findet sich im Schrank, er hat ihn reingepfeffert." Selbst Unterhosen schaut sie sich an, untersucht Kulturbeutel und kippt sie aus, um sie gründlich zu reinigen.
Was ist los mit dieser Frau? Markus Orths will ganz offensichtlich kein Etikett auf die Störung kleben, zu deren Behandlung Lynn in einer psychiatrischen Klinik war. Es fällt das Stichwort "Konfrontationstherapie", und es gibt Hinweise darauf, sie könnte eine Kleptomanin sein. Sie hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter. Weder Berührungen noch ernsthafte Gespräche sind zwischen den beiden möglich, dafür bräuchten sie einen "Gefühlsdolmetscher".
Doch eines Tages begegnet ihr Chiara, zunächst nur ihre Stimme, die wie ein Cello klingt. Denn Lynn liegt unter dem Bett eines Hotelgastes (einer Leidenschaft, der sie jeden Dienstag frönt) und wird Zeugin, wie dieser sich mit der Prostituierten vergnügt. Sie klaut deren Visitenkärtchen und ruft bei ihr an. Und zum ersten Mal erfährt Lynn so etwas wie Nähe, "ist nur noch Körper, der spürt und die Kontrolle verliert".
Doch sie liegt weiterhin einmal pro Woche unterm Bett irgendeines Hotelgastes, ein Ort, an dem sie sich geborgen fühlt, ganz nah an der Existenz eines Fremden. Und sie empfindet das sogar als eine Art Liebesdienst. Am Schluss wünscht sie sich, im atemlosen Präsens, in dem der ganze Roman erzählt ist, wenigstens einmal möge jemand unter ihrem Bett liegen, "ich möchte, dass einmal nur jemand meinem Leben horcht". Was für andere Menschen ein Albtraum wäre, scheint für diese Frau das reinste Glück zu sein.
Markus Orths hat für Auszüge aus "Das Zimmermädchen" soeben den Telekom Austria Preis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt erhalten. Ganz zu Recht. Allerdings überzeugt der Roman weniger als Porträt einer Frau denn als Spiegel unserer Ängste. Er legt den Finger auf die Wunde der mobilen Dienstleistungsgesellschaft und zeigt uns, dass wir gesehen und gehört werden: von all den Helfern, die uns das Leben erleichtern und deren Blick und Gehör wir vergessen müssen, um den erkauften Komfort zu genießen.
Rezensiert von Meiße Feßmann
Markus Orths: Das Zimmermädchen. Roman.
Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2008.
144 Seiten, 16,90 €.
Ein Hotel ist der ideale Ort für die Heldin des neuen Romans von Markus Orths. Linda Maria Zapatek, 1975 geboren, 165 Zentimenter groß, Augenfarbe grün, Haarfarbe braun, ist Zimmermädchen im Hotel Eden, und zwar ein ziemlich ungewöhnliches. Denn Linda, die sich Lynn nennt, macht die Arbeit Spaß. Sie putzt mit Leidenschaft und vollem Körpereinsatz, robbt auf Knien, kriecht unter Betten, lässt sich extra den Daumennagel wachsen, um jederzeit ein Instrument zum Schaben und Kratzen zur Hand zu haben. Am liebsten würde sie auch noch die Fliesen von den Wänden nehmen, um das letzte bisschen Dreck zu erwischen, das sich dahinter versteckt. Normal ist das nicht, das merkt der Leser bald, dem diese Lynn gleichermaßen sympathisch wie unheimlich ist.
Lynn partizipiert an der Intimität der Gäste, sie ist eine Art Lebens-Vampir, delektiert sich an jeder Spur, die der Hotelgast hinterlässt. Und sie zieht ihre Schlüsse. "Pantoffeln? Längerer Aufenthalt. Geplünderte Minibar? Maßlosigkeit. Kein Schlafanzug im Bett? Der Gast hat nackt geschlafen, nein, der Schlafanzug findet sich im Schrank, er hat ihn reingepfeffert." Selbst Unterhosen schaut sie sich an, untersucht Kulturbeutel und kippt sie aus, um sie gründlich zu reinigen.
Was ist los mit dieser Frau? Markus Orths will ganz offensichtlich kein Etikett auf die Störung kleben, zu deren Behandlung Lynn in einer psychiatrischen Klinik war. Es fällt das Stichwort "Konfrontationstherapie", und es gibt Hinweise darauf, sie könnte eine Kleptomanin sein. Sie hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter. Weder Berührungen noch ernsthafte Gespräche sind zwischen den beiden möglich, dafür bräuchten sie einen "Gefühlsdolmetscher".
Doch eines Tages begegnet ihr Chiara, zunächst nur ihre Stimme, die wie ein Cello klingt. Denn Lynn liegt unter dem Bett eines Hotelgastes (einer Leidenschaft, der sie jeden Dienstag frönt) und wird Zeugin, wie dieser sich mit der Prostituierten vergnügt. Sie klaut deren Visitenkärtchen und ruft bei ihr an. Und zum ersten Mal erfährt Lynn so etwas wie Nähe, "ist nur noch Körper, der spürt und die Kontrolle verliert".
Doch sie liegt weiterhin einmal pro Woche unterm Bett irgendeines Hotelgastes, ein Ort, an dem sie sich geborgen fühlt, ganz nah an der Existenz eines Fremden. Und sie empfindet das sogar als eine Art Liebesdienst. Am Schluss wünscht sie sich, im atemlosen Präsens, in dem der ganze Roman erzählt ist, wenigstens einmal möge jemand unter ihrem Bett liegen, "ich möchte, dass einmal nur jemand meinem Leben horcht". Was für andere Menschen ein Albtraum wäre, scheint für diese Frau das reinste Glück zu sein.
Markus Orths hat für Auszüge aus "Das Zimmermädchen" soeben den Telekom Austria Preis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt erhalten. Ganz zu Recht. Allerdings überzeugt der Roman weniger als Porträt einer Frau denn als Spiegel unserer Ängste. Er legt den Finger auf die Wunde der mobilen Dienstleistungsgesellschaft und zeigt uns, dass wir gesehen und gehört werden: von all den Helfern, die uns das Leben erleichtern und deren Blick und Gehör wir vergessen müssen, um den erkauften Komfort zu genießen.
Rezensiert von Meiße Feßmann
Markus Orths: Das Zimmermädchen. Roman.
Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2008.
144 Seiten, 16,90 €.