Im Irrgarten
Von der Minotaurus-Höhle auf Kreta bis zu den Gartenanlagen in Versailles: Wie sich das Motiv des Labyrinths in der Kulturgeschichte gewandelt hat, das zeigt eine Ausstellung im Centre de Cultura Contemporània in Barcelona.
Geradezu Ehrfurcht gebietend wird der Besucher in dieser Ausstellung empfangen, mit geistlicher Musik und einer fast originalgetreuen Nachbildung jenes begehbaren Labyrinths, das sich auf dem Fußboden der Kathedrale im französischen Amiens befindet. Gleich daneben liegen in einer Vitrine zwei vom British Museum ausgeliehene Münzen aus Kreta aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., die als Prägung das sogenannte klassische Labyrinth in runder und quadratischer Form zeigen.
Und wenn auch mit römischen Fußboden-Mosaiken, antiken Wandtafeln, zahlreichen wertvollen Stichen und Buchausgaben so etwas wie eine archäologische Ernsthaftigkeit nicht geleugnet wird, liegt der Geist dieser Ausstellung doch woanders, wie Kurator Ramón Espelt andeutet.
"In einigen französischen Kirchen, zum Beispiel in Reims, wurden ab dem 16., 17. Jahrhundert die Labyrinthe entfernt, weil die Kinder darauf spielten! Was als ein Ort der religiösen Einkehr und des Betens angelegt war, wurde schlicht zum Spielgerät umfunktioniert. Allerdings hätte man das wissen können, denn schon Plinius hatte beschrieben, wie die Kinder in den Labyrinthen spielen. Eine Sache ist, wer wo und zu welchem Zweck ein Labyrinth anlegt, eine andere Sache, wofür es später tatsächlich genutzt wird. In heutiger Zeit werden Labyrinthe vorwiegend als ein spielerisches Element wahrgenommen."
Eine allen Ernstes betriebene spielerische Reflexion könnte man diese Ausstellung nennen, ganz so, wie sich an der Decke ein weiß leuchtender Ariadnefaden entlangschlängelt, auch wenn man den zur Orientierung in diesem Teil der Ausstellung eigentlich nicht braucht. Aber er illustriert eines der vielen Rätsel, die sich um das Labyrinth ranken: Denn nach allem, was bisher bekannt ist, hätte Theseus, als er ins Labyrinth stieg, um den Minotaurus zu töten, den Faden der Ariadne gar nicht gebraucht. Sämtliche Darstellungen von klassischen Labyrinthen zeigen einwegige Varianten, das heißt, sie haben einen Eingang und einen Weg, der ins Zentrum führt. Und natürlich wieder zurück. Ein Verirren ist in ihnen schlicht unmöglich!
Dass ihm eine reale Vorlage fehlte, das scherte indes diesen Mythos in seiner Wirkungsmächtigkeit auf die Künste keineswegs. Ein etruskischer Krug aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. belegt dies in der Ausstellung ebenso wie sein eifriges Aufgreifen durch die Surrealisten, eine Choreografie von Martha Graham oder Friedrich Dürrenmatts von ihm selbst illustrierte Minotaurus-Ballade. Gleichsam als "nachgeholte Vorlage" entstand im 15. Jahrhundert erst das stoffliche mehrwegige Labyrinth als eine Metapher der Verwirrung, des Zweifels, der Unwägbarkeit.
"Der Venezianer Giovanni Fontana präsentiert in seinem 1420 erschienenen Buch zwei Labyrinthe und sagt: Ich verstehe nicht, warum die Labyrinthe immer nur mit einem einzigen Weg gezeichnet werden. Wenn man sich in einem Labyrinth verirren können soll, muss es mehrere Möglichkeiten geben. Wir haben dieses Buch – als Faksimile – hier regelrecht inszeniert, damit dem Besucher tatsächlich auffällt, dass hier ein historischer Umbruch stattfindet, dass alles, was er bisher gesehen hat, nur einwegige Labyrinthe waren."
Mit der Renaissance beginnt die Lösung von Dogmen, beginnt das Denken in Alternativen, beginnen begierige Wissenschaften, das Welten-Labyrinth zu erkunden. Die Ausstellung reflektiert diesen Umschlag auf zweifache Weise: Der weiß leuchtende und geschwungene Ariadnefaden an der Decke weicht einem grün leuchtenden Geflecht mit Knotenpunkten, an denen dem Besucher im nunmehr labyrinthischen Gefüge der Gänge jeweils Alternativen offenstehen. Und mit kühnen Exponaten wie einem lebendigen Ameisenhügel, weil diese Wesen, wenn sie ausziehen zur Futtersuche, sich tatsächlich in einem Welt-Labyrinth bewegen müssen. Wie sie zurückfinden zu ihrem Hügel? Mit ihrem Ariadnefaden: einem Sekret, das sie aussondern, während sie losziehen, und das ihnen auf dem Rückweg Orientierung bietet.
Es ist ein Moment, in dem Labyrinthe als Irrgärten ihre Schwere verlieren und zwischen Versailles und Köthen Inspirationen vermitteln wie Johann Sebastian Bach zu seinem meditativen "Kleinen Harmonischen Labyrinth". Angeregt von Da Vincis Spiegelkabinett durchschreitet man ein irritierendes Spiegel-Labyrinth, um schließlich – das durfte bei dieser multidisziplinären Ausstellung nicht fehlen – beim Film zu landen. Sequenzen aus 60 Filmklassikern, die sich dem Labyrinth-Motiv nähern, beschließen dieses einzigartige Projekt.
Und wenn auch mit römischen Fußboden-Mosaiken, antiken Wandtafeln, zahlreichen wertvollen Stichen und Buchausgaben so etwas wie eine archäologische Ernsthaftigkeit nicht geleugnet wird, liegt der Geist dieser Ausstellung doch woanders, wie Kurator Ramón Espelt andeutet.
"In einigen französischen Kirchen, zum Beispiel in Reims, wurden ab dem 16., 17. Jahrhundert die Labyrinthe entfernt, weil die Kinder darauf spielten! Was als ein Ort der religiösen Einkehr und des Betens angelegt war, wurde schlicht zum Spielgerät umfunktioniert. Allerdings hätte man das wissen können, denn schon Plinius hatte beschrieben, wie die Kinder in den Labyrinthen spielen. Eine Sache ist, wer wo und zu welchem Zweck ein Labyrinth anlegt, eine andere Sache, wofür es später tatsächlich genutzt wird. In heutiger Zeit werden Labyrinthe vorwiegend als ein spielerisches Element wahrgenommen."
Eine allen Ernstes betriebene spielerische Reflexion könnte man diese Ausstellung nennen, ganz so, wie sich an der Decke ein weiß leuchtender Ariadnefaden entlangschlängelt, auch wenn man den zur Orientierung in diesem Teil der Ausstellung eigentlich nicht braucht. Aber er illustriert eines der vielen Rätsel, die sich um das Labyrinth ranken: Denn nach allem, was bisher bekannt ist, hätte Theseus, als er ins Labyrinth stieg, um den Minotaurus zu töten, den Faden der Ariadne gar nicht gebraucht. Sämtliche Darstellungen von klassischen Labyrinthen zeigen einwegige Varianten, das heißt, sie haben einen Eingang und einen Weg, der ins Zentrum führt. Und natürlich wieder zurück. Ein Verirren ist in ihnen schlicht unmöglich!
Dass ihm eine reale Vorlage fehlte, das scherte indes diesen Mythos in seiner Wirkungsmächtigkeit auf die Künste keineswegs. Ein etruskischer Krug aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. belegt dies in der Ausstellung ebenso wie sein eifriges Aufgreifen durch die Surrealisten, eine Choreografie von Martha Graham oder Friedrich Dürrenmatts von ihm selbst illustrierte Minotaurus-Ballade. Gleichsam als "nachgeholte Vorlage" entstand im 15. Jahrhundert erst das stoffliche mehrwegige Labyrinth als eine Metapher der Verwirrung, des Zweifels, der Unwägbarkeit.
"Der Venezianer Giovanni Fontana präsentiert in seinem 1420 erschienenen Buch zwei Labyrinthe und sagt: Ich verstehe nicht, warum die Labyrinthe immer nur mit einem einzigen Weg gezeichnet werden. Wenn man sich in einem Labyrinth verirren können soll, muss es mehrere Möglichkeiten geben. Wir haben dieses Buch – als Faksimile – hier regelrecht inszeniert, damit dem Besucher tatsächlich auffällt, dass hier ein historischer Umbruch stattfindet, dass alles, was er bisher gesehen hat, nur einwegige Labyrinthe waren."
Mit der Renaissance beginnt die Lösung von Dogmen, beginnt das Denken in Alternativen, beginnen begierige Wissenschaften, das Welten-Labyrinth zu erkunden. Die Ausstellung reflektiert diesen Umschlag auf zweifache Weise: Der weiß leuchtende und geschwungene Ariadnefaden an der Decke weicht einem grün leuchtenden Geflecht mit Knotenpunkten, an denen dem Besucher im nunmehr labyrinthischen Gefüge der Gänge jeweils Alternativen offenstehen. Und mit kühnen Exponaten wie einem lebendigen Ameisenhügel, weil diese Wesen, wenn sie ausziehen zur Futtersuche, sich tatsächlich in einem Welt-Labyrinth bewegen müssen. Wie sie zurückfinden zu ihrem Hügel? Mit ihrem Ariadnefaden: einem Sekret, das sie aussondern, während sie losziehen, und das ihnen auf dem Rückweg Orientierung bietet.
Es ist ein Moment, in dem Labyrinthe als Irrgärten ihre Schwere verlieren und zwischen Versailles und Köthen Inspirationen vermitteln wie Johann Sebastian Bach zu seinem meditativen "Kleinen Harmonischen Labyrinth". Angeregt von Da Vincis Spiegelkabinett durchschreitet man ein irritierendes Spiegel-Labyrinth, um schließlich – das durfte bei dieser multidisziplinären Ausstellung nicht fehlen – beim Film zu landen. Sequenzen aus 60 Filmklassikern, die sich dem Labyrinth-Motiv nähern, beschließen dieses einzigartige Projekt.