Im Krieg verloren
Rund ein Drittel seiner ägyptischen Sammlung hat das Kestner Museum im Zuge der Kriegswirren und durch Plünderungen verloren. Die rund 730 vermissten Objekte will das Museum nun auf der Internet-Plattform "Lost Art" bekannt machen.
Der Anblick ist erschreckend, denn die Ausstellungsfläche wird in voller Länge von einer riesigen Fotoinstallation beherrscht: einem Panorama mit Hannovers Trümmerlandschaft bei Kriegsende.
Durch Löcher in dieser Fotofläche schaut der Besucher auf die Abbildung von jeweils einem verlorenen Stück der ägyptischen Sammlung. Und gegenüber sind an den Wänden unzählige Karteikarten zu eben diesen Objekten angebracht. Auf ihnen findet sich der Nachkriegsstempel "Durch Feindeinwirkung vernichtet".
Das klingt nicht nur nach alter Ideologie, sondern täuscht auch über den wahren Sachverhalt hinweg. Denn es ist fraglich, ob diese Statuetten und Reliefs tatsächlich zerstört wurden. Und dass dem Museum damals gleich 730 seiner Stücke verloren gingen, hatte mit deren Auslagerung 1943 in das Salzbergwerk Grasleben bei Helmstedt zu tun. Bevor die Briten das Gebiet übernahmen, hatten die Amerikaner für ein paar Wochen die Oberhoheit inne. In dieser kurzen Zeit ist es zu Plünderungen gekommen. Wer hat die Kisten in diesem Bergwerk aufgebrochen? Christian Loeben, Kurator der hannoverschen Ausstellung:
"Dort war es höchstwahrscheinlich die Bevölkerung, die in der Nähe war beziehungsweise auch die Zwangsarbeiter, die dort arbeiten mussten im ‚Dritten Reich‘. Das ist die Spekulation, der man nachgeht. Eine Gewissheit werden wir am Ende nie haben."
Rund ein Drittel seiner ägyptischen Sammlung hat das Museum auf diese Weise verloren. Unter den gestohlenen Kostbarkeiten befanden sich auch größere Teile einer 1500 Stücke umfassenden, herausragenden Privatsammlung, die das Museum erst 1935 angekauft hatte. Das Publikum von heute kann das Ausmaß all der Verluste nur erahnen:
"Ein schwerer Verlust ist ein ganz kleines Objekt, eine nur zwei Zentimeter große Glasperle. Aber sie trug den Namen der berühmten ägyptischen Königin Hatschepsuth - und wäre damit eines der ältesten, sicher datierten Glasobjekte der Weltgeschichte."
Kunstplünderung in unübersichtlicher Zeit. Der Kurator schlägt einen kühnen Bogen in die jüngste Geschichte, wagt Vergleiche mit dem Irak und mit Ägypten:
"Die Plünderung unserer Objekte ist geschehen, weil gleich nach dem Krieg eine Zentralgewalt in Deutschland nicht vorhanden war, die sich um den Schutz von Kulturgütern hätte kümmern können. Und das ist genau das Gleiche, was 2003 im Irak passiert ist, die Plünderung des Museums dort. Und in Ägypten haben wir es im Februar 2011 ebenfalls erlebt, dass eine Zentralgewalt und eine zentrale Polizei nicht vorhanden waren, die das ägyptische Museum vor Plünderungen hätten schützen können."
Von internationaler Bedeutung ist die Ägyptensammlung des Museums August Kestner nach wie vor. An einigen Stellen der Schau aber wird deutlich, wie gut das Verlorene in die Präsentation der heutigen Kollektion gepasst hätte.
Museumsdirektor Wolfgang Schepers über seine Gefühle beim Gang durch die Ausstellung "Lost!":
"Das ist natürlich sehr betrüblich. Andererseits reizt es den kriminalistischen Spürsinn von Kunsthistorikern: Das haben wir gelernt, bestimmte Dinge herauszufinden und zu erforschen. Da wechselt also die Trauer über die Verluste mit dem Wunsch und der Hoffnung, bestimmte Dinge wiederzufinden. Und da haben wir heute, im Zeichen elektronischer Datenbanken, ganz andere Möglichkeiten als wir sie in den 80er- und 90er-Jahren hatten."
Die rund 730 vermissten Objekte will das Museum nun auf der Internet-Plattform "Lost Art" und auch durch das Register "Art Loss" bekannt machen und zudem den fundierten Katalog eifrig verschicken. Besteht wirklich Hoffnung, dass Sammlungsteile wieder auftauchen? Christian Loeben:
"Die Hoffnung besteht immer, aber natürlich nicht für 730 Objekte. Der Katalog soll den Kollegen helfen, sie sollen blättern und vergleichen. Vielleicht finden sie das eine oder andere, und dann besteht die Chance, dass es hierher ins Museum August Kestner zurückkommt."
Das Museum August Kestner rühmt sich, als erstes Haus in Deutschland die Verluste der eigenen ägyptischen Sammlung in dieser Form dargestellt zu haben. Es handelt sich eben nicht nur um spröde Listen, sondern mit der nicht sehr großen, aber inhaltsschweren Ausstellung und dem detaillierten Katalog ist eine historische Dokumentation gelungen – 66 Jahre nach Kriegsende. Wolfgang Schepers:
"Es ist in der Tat so, dass man sich mit der eigenen Geschichte erst in der letzten Zeit beschäftigt. Man hat sich direkt nach dem Krieg auf den Wiederaufbau und die Rekonstruktion von Sammlungen konzentriert. Und hat seit den 80er-Jahren verstärkt Sonderausstellungen konzipiert, weil man zurecht von uns erwartet, dass wir unsere Schätze zeigen und thematisch bestimmte Botschaften an unsere Besucher bringen. Und darüber hat man die Beschäftigung mit der eigenen Museumsgeschichte vergessen. Das holt man nun nach."
Die Geschichte der eigenen Sammlung aufzuarbeiten, liege im Trend, glauben die Ausstellungsmacher. Der "Provenienzforschung", die inzwischen an vielen Häusern betrieben wird, tritt eine genaue Recherche der Kriegsverluste zur Seite.
Durch Löcher in dieser Fotofläche schaut der Besucher auf die Abbildung von jeweils einem verlorenen Stück der ägyptischen Sammlung. Und gegenüber sind an den Wänden unzählige Karteikarten zu eben diesen Objekten angebracht. Auf ihnen findet sich der Nachkriegsstempel "Durch Feindeinwirkung vernichtet".
Das klingt nicht nur nach alter Ideologie, sondern täuscht auch über den wahren Sachverhalt hinweg. Denn es ist fraglich, ob diese Statuetten und Reliefs tatsächlich zerstört wurden. Und dass dem Museum damals gleich 730 seiner Stücke verloren gingen, hatte mit deren Auslagerung 1943 in das Salzbergwerk Grasleben bei Helmstedt zu tun. Bevor die Briten das Gebiet übernahmen, hatten die Amerikaner für ein paar Wochen die Oberhoheit inne. In dieser kurzen Zeit ist es zu Plünderungen gekommen. Wer hat die Kisten in diesem Bergwerk aufgebrochen? Christian Loeben, Kurator der hannoverschen Ausstellung:
"Dort war es höchstwahrscheinlich die Bevölkerung, die in der Nähe war beziehungsweise auch die Zwangsarbeiter, die dort arbeiten mussten im ‚Dritten Reich‘. Das ist die Spekulation, der man nachgeht. Eine Gewissheit werden wir am Ende nie haben."
Rund ein Drittel seiner ägyptischen Sammlung hat das Museum auf diese Weise verloren. Unter den gestohlenen Kostbarkeiten befanden sich auch größere Teile einer 1500 Stücke umfassenden, herausragenden Privatsammlung, die das Museum erst 1935 angekauft hatte. Das Publikum von heute kann das Ausmaß all der Verluste nur erahnen:
"Ein schwerer Verlust ist ein ganz kleines Objekt, eine nur zwei Zentimeter große Glasperle. Aber sie trug den Namen der berühmten ägyptischen Königin Hatschepsuth - und wäre damit eines der ältesten, sicher datierten Glasobjekte der Weltgeschichte."
Kunstplünderung in unübersichtlicher Zeit. Der Kurator schlägt einen kühnen Bogen in die jüngste Geschichte, wagt Vergleiche mit dem Irak und mit Ägypten:
"Die Plünderung unserer Objekte ist geschehen, weil gleich nach dem Krieg eine Zentralgewalt in Deutschland nicht vorhanden war, die sich um den Schutz von Kulturgütern hätte kümmern können. Und das ist genau das Gleiche, was 2003 im Irak passiert ist, die Plünderung des Museums dort. Und in Ägypten haben wir es im Februar 2011 ebenfalls erlebt, dass eine Zentralgewalt und eine zentrale Polizei nicht vorhanden waren, die das ägyptische Museum vor Plünderungen hätten schützen können."
Von internationaler Bedeutung ist die Ägyptensammlung des Museums August Kestner nach wie vor. An einigen Stellen der Schau aber wird deutlich, wie gut das Verlorene in die Präsentation der heutigen Kollektion gepasst hätte.
Museumsdirektor Wolfgang Schepers über seine Gefühle beim Gang durch die Ausstellung "Lost!":
"Das ist natürlich sehr betrüblich. Andererseits reizt es den kriminalistischen Spürsinn von Kunsthistorikern: Das haben wir gelernt, bestimmte Dinge herauszufinden und zu erforschen. Da wechselt also die Trauer über die Verluste mit dem Wunsch und der Hoffnung, bestimmte Dinge wiederzufinden. Und da haben wir heute, im Zeichen elektronischer Datenbanken, ganz andere Möglichkeiten als wir sie in den 80er- und 90er-Jahren hatten."
Die rund 730 vermissten Objekte will das Museum nun auf der Internet-Plattform "Lost Art" und auch durch das Register "Art Loss" bekannt machen und zudem den fundierten Katalog eifrig verschicken. Besteht wirklich Hoffnung, dass Sammlungsteile wieder auftauchen? Christian Loeben:
"Die Hoffnung besteht immer, aber natürlich nicht für 730 Objekte. Der Katalog soll den Kollegen helfen, sie sollen blättern und vergleichen. Vielleicht finden sie das eine oder andere, und dann besteht die Chance, dass es hierher ins Museum August Kestner zurückkommt."
Das Museum August Kestner rühmt sich, als erstes Haus in Deutschland die Verluste der eigenen ägyptischen Sammlung in dieser Form dargestellt zu haben. Es handelt sich eben nicht nur um spröde Listen, sondern mit der nicht sehr großen, aber inhaltsschweren Ausstellung und dem detaillierten Katalog ist eine historische Dokumentation gelungen – 66 Jahre nach Kriegsende. Wolfgang Schepers:
"Es ist in der Tat so, dass man sich mit der eigenen Geschichte erst in der letzten Zeit beschäftigt. Man hat sich direkt nach dem Krieg auf den Wiederaufbau und die Rekonstruktion von Sammlungen konzentriert. Und hat seit den 80er-Jahren verstärkt Sonderausstellungen konzipiert, weil man zurecht von uns erwartet, dass wir unsere Schätze zeigen und thematisch bestimmte Botschaften an unsere Besucher bringen. Und darüber hat man die Beschäftigung mit der eigenen Museumsgeschichte vergessen. Das holt man nun nach."
Die Geschichte der eigenen Sammlung aufzuarbeiten, liege im Trend, glauben die Ausstellungsmacher. Der "Provenienzforschung", die inzwischen an vielen Häusern betrieben wird, tritt eine genaue Recherche der Kriegsverluste zur Seite.