Im Schatten der Geschichte
Wer Bram Stokers "Dracula" auch als politische Parabel und als Prophetie der europäischen Horrorregime des 20. Jahrhunderts liest, hält einen Schlüssel in der Hand zum Verständnis der obszönen Kohabitation des Hochadels (nicht nur des deutschen) mit Hitler und seiner Höllencrew.
Der bisherigen wissenschaftlichen Erforschung des Nationalsozialismus entzog sich dieses Milieu weitgehend, weil der Forschung keinen freien Zugang zu seinen Archiven gewährt - weder das englische (eng mit dem deutschen Hochadel verbundene) Königshaus, das Hitler bis zum Kriegsausbruch umwarb, noch die Hohenzollern, die Wittelsbacher, die Habsburger. Wer Akteneinsicht gewähren möchte, würde unverzüglich als Nestbeschmutzer verunglimpft.
Dem angesehenen amerikanischen Historiker Jonathan Petropoulos ist jetzt das schier Unmögliche gelungen.
Oxford University Press hatte ihn damit beauftragt, ein Buch zu schreiben über die Rolle, die der deutsche Hochadel unter Hitler spielte. 2001 hatte er von der Alexander von Humboldt Stiftung ein Stipendium erhalten für seine Recherchen zum Thema Adel im Dritten Reich. Als er den Landgrafen Moritz von Hessen bat, Einsicht in das Archiv der Familie von Hessen zu bekommen, wurde ihm höflich und bestimmt mitgeteilt, dass das nicht ginge, da die Akten im Hausarchiv noch nicht erfasst seien - was zumindest bei Prinz Christoph nicht überzeugt, kam er doch 1943 bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Unter Hitler hatten Prinz Christoph und sein Bruder Philipp Schlüsselpositionen inne und sind deshalb für die Geschichtsforschung von zentralem Interesse.
In Wiesbaden stieß Petropoulos aber auf die pralle Entnazifizierungsakte von Philipp von Hessen und fand dort unter anderem Briefe von Göring. Genug Material für sein Buchprojekt. Daraufhin bekam er Zugang zu Rainer von Hessen, den Sohn des 1943 umgekommenen Christoph von Hessen, der in der Nähe von Paris lebt und seit den 68er-Jahren daran interessiert ist, Licht in das Dunkel seiner Familie zu werfen. So konnte Petropoulos Wichtiges aus der Nazivergangenheit derer von Hessen in sein Buch einarbeiten.
Mit der Präzision des Wissenschaftlers und dem psychologischen Feingefühl eines großen Romanciers zeigt Petropoulos auf, wie es zu der "dracula-artigen" Liaison zwischen dem Hochadel und Hitler kommen konnte. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs sah der Hochadel seine Felle davonschwimmen. Deshalb klammerte er sich an die Illusion, Hitler könne für die Überlebensstrategien des Hochadels instrumentalisiert werden. Hitler durchschaute den Hochadel und seine Motive und hielt in der Weimarer Zeit der alten Machtelite gelegentlich die Karotte vor die Nase, er werde eines Tages die Monarchie wieder einführen. Um sich beim Volk als hoffähiger Führer zu legitimieren, brauchte Hitler den Hochadel.
Das SS-Mitglied Prinz Christoph von Hessen leitete das bisher kaum von der Forschung wahrgenommene Forschungsamt, eine Reichsinstitution, die alle Telefonate, Fernschreiben und Telegramme überwachte und somit Beweismaterial für die Eliminierung von Regimegegnern lieferte. Sein Bruder Prinz Philipp hatte über Jahre jederzeit Zugang zu Hitler und war sein wichtigster Beschaffer von Topkunstwerken aus Italien. Er war auch Hitlers Kontaktmann zu Mussolini und dem italienischen König, der sein Schwiegervater war.
Zu Papst Pius XII. hatte er ein bis heute ungeklärtes enges Verhältnis, das auch in seinem Entnazifizierungsprozess zur Sprache kam. Direkt verantwortlich war Prinz Philipp für die Ermordung von 4.000 Behinderten der Anstalt Hadamar, die ihm als Oberpräsident von Hessen-Nassau mit Sitz in Kassel unterstellt war. Da er viel in Italien gewesen sei, habe er davon nichts gewusst, behauptete er – was ihm aber niemand ernsthaft glauben konnte.
Petropoulos bewertet die Achse Hochadel - Hitler differenziert und fair. Er legt die Motive offen, aus denen heraus der Hochadel Hitler hörig wurde und er sieht die Tragik des internationalen Adels-Verbundes, der seine eigenen Ideale auf dem Altar von Hitlers abgrundböser Menschenverachtung geopfert hat und sich noch heute vor der Therapie scheut - der Benennung und Aufarbeitung der Schuld seiner Vorfahren.
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Jonathan Petropoulos: Royals and the Reich - The Princes von Hessen in Nazi Germany
Oxford University Press, Oxford 2009
524 Seiten, 12,99 Pfund
Dem angesehenen amerikanischen Historiker Jonathan Petropoulos ist jetzt das schier Unmögliche gelungen.
Oxford University Press hatte ihn damit beauftragt, ein Buch zu schreiben über die Rolle, die der deutsche Hochadel unter Hitler spielte. 2001 hatte er von der Alexander von Humboldt Stiftung ein Stipendium erhalten für seine Recherchen zum Thema Adel im Dritten Reich. Als er den Landgrafen Moritz von Hessen bat, Einsicht in das Archiv der Familie von Hessen zu bekommen, wurde ihm höflich und bestimmt mitgeteilt, dass das nicht ginge, da die Akten im Hausarchiv noch nicht erfasst seien - was zumindest bei Prinz Christoph nicht überzeugt, kam er doch 1943 bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Unter Hitler hatten Prinz Christoph und sein Bruder Philipp Schlüsselpositionen inne und sind deshalb für die Geschichtsforschung von zentralem Interesse.
In Wiesbaden stieß Petropoulos aber auf die pralle Entnazifizierungsakte von Philipp von Hessen und fand dort unter anderem Briefe von Göring. Genug Material für sein Buchprojekt. Daraufhin bekam er Zugang zu Rainer von Hessen, den Sohn des 1943 umgekommenen Christoph von Hessen, der in der Nähe von Paris lebt und seit den 68er-Jahren daran interessiert ist, Licht in das Dunkel seiner Familie zu werfen. So konnte Petropoulos Wichtiges aus der Nazivergangenheit derer von Hessen in sein Buch einarbeiten.
Mit der Präzision des Wissenschaftlers und dem psychologischen Feingefühl eines großen Romanciers zeigt Petropoulos auf, wie es zu der "dracula-artigen" Liaison zwischen dem Hochadel und Hitler kommen konnte. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs sah der Hochadel seine Felle davonschwimmen. Deshalb klammerte er sich an die Illusion, Hitler könne für die Überlebensstrategien des Hochadels instrumentalisiert werden. Hitler durchschaute den Hochadel und seine Motive und hielt in der Weimarer Zeit der alten Machtelite gelegentlich die Karotte vor die Nase, er werde eines Tages die Monarchie wieder einführen. Um sich beim Volk als hoffähiger Führer zu legitimieren, brauchte Hitler den Hochadel.
Das SS-Mitglied Prinz Christoph von Hessen leitete das bisher kaum von der Forschung wahrgenommene Forschungsamt, eine Reichsinstitution, die alle Telefonate, Fernschreiben und Telegramme überwachte und somit Beweismaterial für die Eliminierung von Regimegegnern lieferte. Sein Bruder Prinz Philipp hatte über Jahre jederzeit Zugang zu Hitler und war sein wichtigster Beschaffer von Topkunstwerken aus Italien. Er war auch Hitlers Kontaktmann zu Mussolini und dem italienischen König, der sein Schwiegervater war.
Zu Papst Pius XII. hatte er ein bis heute ungeklärtes enges Verhältnis, das auch in seinem Entnazifizierungsprozess zur Sprache kam. Direkt verantwortlich war Prinz Philipp für die Ermordung von 4.000 Behinderten der Anstalt Hadamar, die ihm als Oberpräsident von Hessen-Nassau mit Sitz in Kassel unterstellt war. Da er viel in Italien gewesen sei, habe er davon nichts gewusst, behauptete er – was ihm aber niemand ernsthaft glauben konnte.
Petropoulos bewertet die Achse Hochadel - Hitler differenziert und fair. Er legt die Motive offen, aus denen heraus der Hochadel Hitler hörig wurde und er sieht die Tragik des internationalen Adels-Verbundes, der seine eigenen Ideale auf dem Altar von Hitlers abgrundböser Menschenverachtung geopfert hat und sich noch heute vor der Therapie scheut - der Benennung und Aufarbeitung der Schuld seiner Vorfahren.
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Jonathan Petropoulos: Royals and the Reich - The Princes von Hessen in Nazi Germany
Oxford University Press, Oxford 2009
524 Seiten, 12,99 Pfund