Im Schatten der Vorfahren

Almudena Grandes, geboren 1960 in Madrid, ist in schwerer Zeit groß geworden, in der Spätphase der Franco-Diktatur. Ein Pakt des Schweigens herrschte, mit strengen Auflagen: Der Staatsstreich von 1936 hieß "Nationale Erhebung", Franco galt als Retter des Landes, das Leid linker Opfer war tabu. Nach Francos Tod 1975 erlebte der Pakt eine Neuauflage. Erst seit gut zehn Jahren wird in Spanien nun heftig über die Vergangenheit gestritten.
Almudena Grandes studierte Geschichte, mit Ende zwanzig schrieb sie ihr erstes Buch, "Lulú", einen erotischen Skandal-Bestseller. Es folgten blumig-larmoyante Gesellschaftsromane, die genauso erfolgreich waren wie die Verfilmungen.

Auch "Das gefrorene Herz" wurde in Spanien schon hunderttausendfach verkauft und mehrfach prämiert. Der Titel ist eine Metapher auf den Schock junger Leute von heute, die erstmals von den rechten Untaten ihrer Vorfahren hören. Das Buch verfolgt die Geschichte zweier Familien aus demselben Ort über drei Generationen hinweg. Die Fernández waren anno 1936 wohlhabende linke Republikaner; nach der Niederlage im Bürgerkrieg wurden zwei Männer der Familie hingerichtet, Patriarch Ignacio ging nach Frankreich ins Exil. Die Leitfigur der anderen Sippe - Julio Carrión, Sohn eines Hirten, als junger Mann Sozialist - wechselte nach dem Zusammenbruch der Republik die Fronten, er wurde Falange-Mitglied. In Franco-Spanien machte er Karriere als Immobilientycoon. Den Grundstock seines Reichtums aber bildeten das Vermögen des Flüchtlings Ignacio Fernández. 2005, am Anfang der Erzählung, wird Julio Carrión beerdigt. Sohn Álvaro – ein Physik-Professor, an Geschäften nicht interessiert - sieht auf dem Friedhof eine geheimnisvolle junge Frau. Gemeinsam mit Álvaro erfahren wir: Die schöne Fremde - Raquel Fernández, studierte Bankkauffrau, als Enkelin von Ignacio in Frankreich aufgewachsen – kannte den alten Julio. (War sie seine letzte Geliebte?) Nun erhebt sie Anspruch auf das verlorene Erbe. Álvaro ist entsetzt über die Flecken in der Familienchronik. Aber: Álvaro und Raquel finden zueinander, der Feindschaft ihrer Großväter zum Trotz.

Was für ein Werk, ein Bilderbogen mit knapp drei Dutzend Figuren: die Romeo-und-Julia-Story in neuem Gewand, eine Geschichte über Verrat, Rache, Schuld und Sühne. Die Autorin wagte sich an ein großes Thema - die Spaltung der spanischen Gesellschaft. Im Text wie auch in Interviews attackiert sie das rechtslastige Geschichtsbild und den Pakt des Schweigens. Almudena Grandes hat löbliche Intentionen, doch im Roman übertreibt sie. Das Buch verherrlicht das andere Lager des alten Konflikts, ganz so, als habe es den linken Bruderzwist der Dreißiger, stalinistischen Wahn oder die Gemetzel an Arbeitern im Namen der Republik nicht gegeben. Für sie war da nur ein Krieg zwischen "bösen Faschisten" und "guten Demokraten".

Auch aus anderen Gründen mag man bei fortschreitender Lektüre enttäuscht sein. Figurenzeichnung, Story und Stil sind von Klischees geprägt. Es gibt viel theatralisches Leid, viel Pathos, es gibt Satzgirlanden von zweifelhafter Konstruktion und furchteinflößender Länge.

Das Buch, so hat es die Autorin angekündigt, soll den Anfang einer Trilogie bilden über die Folgen der Diktatur. Andere spanische Autoren haben sich diesem Thema längst zugewandt. Rafael Chirbes zum Beispiel ergründet das spanische Trauma seit Mitte der 90er. Er tut es erschöpfend und mit großer literarischer Präzision.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Almudena Grandes: Das gefrorene Herz
Roman
Aus dem Spanischen von Roberto de Hollanda
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009
960 Seiten, 24,90 Euro