Im Schatten des toten Geliebten
Er war das Idol ihrer Schulzeit. Eine Frau verliebt sich in einen alternden Musiker, der nach zehn Jahren Beziehung mit ihr stirbt. In ihrem Debüt "Die Stille nach dem Gesang" erzählt die Berliner Autorin Katharina Döbler davon, was bleibt, wenn ein Leben ausgeklungen ist.
Jeder schleppt seine Toten mit sich. Als Erinnerung ans eigene Leben, als Memento mori – und manchmal als Last. Die schöne Alexandra lebt sieben Jahre nach dem Tod ihres Freundes und Geliebten in einer Art traumatischer Lethargie. Falk Margraf, der Mann, der in ihrem Bett, in ihrer gemeinsamen Wohnung nach dem Liebesakt starb, mit dem sie zehn Jahre zusammen war, und der ihr als Vermächtnis jene Wohnung und eine alte Blechkiste mit Erinnerungsstücken hinterließ, klingt nicht nur nach in ihrem Leben, sondern übertönt es.
Seine Stimme war seit Teeniezeiten in ihrem Kopf: Falk Margraf war Alexandras Idol, seit er mit seiner Band "Eckstein" für den düster-neuromantischen Soundtrack ihrer Schulzeit und Generation gesorgt hat. Als er seinen Popstarzenit längst überschritten hat, die Band aufgelöst ist, trifft sie ihn als junge Gesangsstudentin in Berlin und man beginnt eine Affäre. Junge Frau, älterer Mann, daraus erwächst eine ungleiche Beziehung, in der Alexandra stets hübsches, etwas gelangweiltes Anhängsel bleibt. Selbst nach seinem Tod, als sich ihr Bauch wie aus Trotz gegenüber der Vergänglichkeit noch rundet, hat sie keine Chance, als Partnerin des aus der alten Bayreuther Großbürgerfamilie stammenden Mannes akzeptiert zu werden. Für die Tochter Wanda kann sie kein Erbe erstreiten – obwohl der überaus dezimierte Margraf-Clan mit seinen zusehends verdorrenden Familienadern diesen unehelichen Nachwuchs dringend benötigen würde.
Die Figuren dieses Romans sind allesamt zu bemitleiden: die unselbstständige Frau, die nicht mehr aus dem Schatten des toten Geliebten findet, der alternde 80er-Jahre Musiker, der als Punkrocker begann und schließlich schwülstige Filmmusiken schreibt, seine Mutter, Wagnerianerin und verbohrtes erratisches Familienoberhaupt, das all seine vielversprechenden Kinder an den Tod oder die Popmusik verlor. Traurige Protagonisten, mit denen die Autorin aber doch liebevoll und fein umgeht. Sie führt sie nicht vor, sondern beschützt sie während ihrer Szenen durch Einblicke in ihre Gedankenwelt und ihre jeweiligen Sehnsüchte.
Im Mittelpunkt stehen Falk und Alexandra, deren Geschichte sich der Roman in linear verwobener Struktur nähert. Man springt zwischen zwei voranschreitenden Ebenen: dem 19. Oktober 1993, dem letzten Tag im Leben Falk Margrafs, und dem Winter und Frühling des Jahres 2001. Man folgt den beiden in die nach Putzmitteln stinkende Wohnung in Madrid, in das Nachwende-Westberlin, das 1993 angesichts des schon vibrierenden Ostens auf seinen Abgesang wartet, und in den verdunkelten Salon der alten Margraf, in dem es nach Kerzenwachs und bitterem Parfüm riecht.
Katharina Döbler ist von Haus aus Journalistin, Literaturkritikerin, dieser Roman ein Debüt – Umstände, denen schon einige schlechte Bücher zu verdanken sind. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Autorin findet einen eigenen Ton und spielt sicher auf einer literarischen und historischen Verweisklaviatur. "Die Stille nach dem Gesang" erzählt von vielen Stillen. Von der nach dem Liebesakt, dem kleinen Tod, dessen Nachhall hier einen echten Tod provoziert. Von der Stille, die entsteht, wenn eine Sippe wie die Margrafs ausstirbt.
Was bleibt, wenn ein Menschenleben ausgeklungen ist, die Musik verebbt? Falk, der immer davon sprach, endlich ein Werk zu vollenden, eine meisterhafte Oper – am Schluss ist es seine kitschige Punkrock-Hymne, die noch ab und an aus dem Radio dudelt. Dass der Nachhall nicht zu planen, wenig zu steuern ist, und meist dort am intensivsten, wo man es am wenigsten vermutet hat – das ist eine philosophische Conclusio, die man sich gerne auf diese literarische Weise erzählen lässt.
Besprochen von Katrin Schumacher
Katharina Döbler, Die Stille nach dem Gesang.
Galiani Verlag, Berlin 2010, 271 Seiten, 18,95 Euro
Seine Stimme war seit Teeniezeiten in ihrem Kopf: Falk Margraf war Alexandras Idol, seit er mit seiner Band "Eckstein" für den düster-neuromantischen Soundtrack ihrer Schulzeit und Generation gesorgt hat. Als er seinen Popstarzenit längst überschritten hat, die Band aufgelöst ist, trifft sie ihn als junge Gesangsstudentin in Berlin und man beginnt eine Affäre. Junge Frau, älterer Mann, daraus erwächst eine ungleiche Beziehung, in der Alexandra stets hübsches, etwas gelangweiltes Anhängsel bleibt. Selbst nach seinem Tod, als sich ihr Bauch wie aus Trotz gegenüber der Vergänglichkeit noch rundet, hat sie keine Chance, als Partnerin des aus der alten Bayreuther Großbürgerfamilie stammenden Mannes akzeptiert zu werden. Für die Tochter Wanda kann sie kein Erbe erstreiten – obwohl der überaus dezimierte Margraf-Clan mit seinen zusehends verdorrenden Familienadern diesen unehelichen Nachwuchs dringend benötigen würde.
Die Figuren dieses Romans sind allesamt zu bemitleiden: die unselbstständige Frau, die nicht mehr aus dem Schatten des toten Geliebten findet, der alternde 80er-Jahre Musiker, der als Punkrocker begann und schließlich schwülstige Filmmusiken schreibt, seine Mutter, Wagnerianerin und verbohrtes erratisches Familienoberhaupt, das all seine vielversprechenden Kinder an den Tod oder die Popmusik verlor. Traurige Protagonisten, mit denen die Autorin aber doch liebevoll und fein umgeht. Sie führt sie nicht vor, sondern beschützt sie während ihrer Szenen durch Einblicke in ihre Gedankenwelt und ihre jeweiligen Sehnsüchte.
Im Mittelpunkt stehen Falk und Alexandra, deren Geschichte sich der Roman in linear verwobener Struktur nähert. Man springt zwischen zwei voranschreitenden Ebenen: dem 19. Oktober 1993, dem letzten Tag im Leben Falk Margrafs, und dem Winter und Frühling des Jahres 2001. Man folgt den beiden in die nach Putzmitteln stinkende Wohnung in Madrid, in das Nachwende-Westberlin, das 1993 angesichts des schon vibrierenden Ostens auf seinen Abgesang wartet, und in den verdunkelten Salon der alten Margraf, in dem es nach Kerzenwachs und bitterem Parfüm riecht.
Katharina Döbler ist von Haus aus Journalistin, Literaturkritikerin, dieser Roman ein Debüt – Umstände, denen schon einige schlechte Bücher zu verdanken sind. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Autorin findet einen eigenen Ton und spielt sicher auf einer literarischen und historischen Verweisklaviatur. "Die Stille nach dem Gesang" erzählt von vielen Stillen. Von der nach dem Liebesakt, dem kleinen Tod, dessen Nachhall hier einen echten Tod provoziert. Von der Stille, die entsteht, wenn eine Sippe wie die Margrafs ausstirbt.
Was bleibt, wenn ein Menschenleben ausgeklungen ist, die Musik verebbt? Falk, der immer davon sprach, endlich ein Werk zu vollenden, eine meisterhafte Oper – am Schluss ist es seine kitschige Punkrock-Hymne, die noch ab und an aus dem Radio dudelt. Dass der Nachhall nicht zu planen, wenig zu steuern ist, und meist dort am intensivsten, wo man es am wenigsten vermutet hat – das ist eine philosophische Conclusio, die man sich gerne auf diese literarische Weise erzählen lässt.
Besprochen von Katrin Schumacher
Katharina Döbler, Die Stille nach dem Gesang.
Galiani Verlag, Berlin 2010, 271 Seiten, 18,95 Euro