Im Sog des Erzählers
Erzählungen, die süchtig machen: Bernhard Schlink lässt die Figuren und ihre Erlebnisse in den sieben Episoden seines zweiten Geschichtenbandes äußerst glaubwürdig erscheinen - und zeigt sich damit einmal mehr als Meister der Kurzgeschichten.
Spätestens seit seinem Debüt als Krimischriftsteller ist offenkundig, dass Bernhard Schlink ein begnadeter Erzähler ist. Inzwischen ist der Jurist ein renommierter Autor mit Weltruhm, muss nichts mehr beweisen und schreibt offenkundig umso entspannter. Das jedenfalls vermitteln die sieben Erzählungen seines zweiten Geschichtenbandes "Sommerlügen".
Sie sind Musterbeispiele für eine hierzulande seltene Kunst, die in den USA weitaus höher gehandelt wird als bei uns. Short stories dieser Qualität sind eine Rarität. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es ihr Autor versteht, beim Leser erwartungsvolle Spannung zu erzeugen, obwohl es nur um Alltägliches geht, um Liebe und Liebesleid, ent-täuschte Erwartungen, Lebenslügen, Selbstbetrug.
Schlinks Erzählungen beginnen ruhig und gelassen und entwickeln dann einen solchen Sog, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Das liegt vor allem daran, dass sie voll überraschender Wendungen sind, Geheimnisse offenbaren, zeigen, wie Menschen aus ihrem Alltag fallen.
Es sind bisweilen verstörende Erlebnisse wie das des amerikanischen Schriftstellers, der große Anstrengungen unternimmt, um seiner eben-falls schreibenden und erheblich erfolgreicheren Frau zu verheim-lichen, dass sie einen Literaturpreis gewonnen hat. Er will verhindern, dass die Idylle des Hauses im Wald weitab der Städte, in der er mit ihr und seiner Tochter lebt, zerbricht und zerstört so alles. Eine beklemmende Geschichte einer besitzergreifenden Manie.
Mehrfach greift Bernhard Schlink dieses Thema auf: Jemand ist davon überzeugt, im besten Sinne für seinen Partner zu handeln und begreift dabei nicht, dass er ihn damit verstört und vor den Kopf stößt. Es sind Lügen, die schützen sollen, stattdessen aber tief verletzen.
Der Mann, der weiß, dass er bald sterben wird und sich einen Todes-cocktail besorgt, aber seiner Familie sein Vorhaben verschweigt. Statt sie zu schonen, verliert er sie. Die Liebe, die in dem Moment erkaltet, als der Mann einen Seitensprung zugibt, den er nicht begangen hat, um das permanente Misstrauen seiner Freundin endlich zum Schweigen zu bringen. Der Musiker, dem seine reiche Musikerfreundin eine Zukunft in Luxus anbietet, ohne zu begreifen, wie sehr er sein bisheriges Leben liebt.
Die alte Frau, der, als sie erkrankt, gegen ihren Willen eine Enkelin als Pflegerin geschickt wird. Doch dann überredet die Wiedergenesene ihre Hüterin zu einem Ausflug in den Süden. Der endet überraschend in der Wohnung ihres ersten Geliebten. Sie begreift plötzlich, dass sie sich ein Leben lang belogen hat. Nicht er, sondern sie hat damals die Beziehung scheitern lassen.
Nichts ist so, wie es anfangs scheint. Es ist nicht zuletzt die Kunst Bernhard Schlinks, seine Figuren und ihre Erlebnisse so glaubwürdig, so überzeugend echt wirken zu lassen, dass man sich bisweilen fragt, ob sie nicht doch der Wirklichkeit entsprungen sind, statt Ergebnis schriftstellerischer Fantasie zu sein. Nach solchen Erzählungen kann man süchtig werden.
Besprochen von Johannes Kaiser
Bernhard Schlink: Sommerlügen
Diogenes Verlag, Zürich 2010
279 Seiten, 19,90 Euro
Sie sind Musterbeispiele für eine hierzulande seltene Kunst, die in den USA weitaus höher gehandelt wird als bei uns. Short stories dieser Qualität sind eine Rarität. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es ihr Autor versteht, beim Leser erwartungsvolle Spannung zu erzeugen, obwohl es nur um Alltägliches geht, um Liebe und Liebesleid, ent-täuschte Erwartungen, Lebenslügen, Selbstbetrug.
Schlinks Erzählungen beginnen ruhig und gelassen und entwickeln dann einen solchen Sog, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Das liegt vor allem daran, dass sie voll überraschender Wendungen sind, Geheimnisse offenbaren, zeigen, wie Menschen aus ihrem Alltag fallen.
Es sind bisweilen verstörende Erlebnisse wie das des amerikanischen Schriftstellers, der große Anstrengungen unternimmt, um seiner eben-falls schreibenden und erheblich erfolgreicheren Frau zu verheim-lichen, dass sie einen Literaturpreis gewonnen hat. Er will verhindern, dass die Idylle des Hauses im Wald weitab der Städte, in der er mit ihr und seiner Tochter lebt, zerbricht und zerstört so alles. Eine beklemmende Geschichte einer besitzergreifenden Manie.
Mehrfach greift Bernhard Schlink dieses Thema auf: Jemand ist davon überzeugt, im besten Sinne für seinen Partner zu handeln und begreift dabei nicht, dass er ihn damit verstört und vor den Kopf stößt. Es sind Lügen, die schützen sollen, stattdessen aber tief verletzen.
Der Mann, der weiß, dass er bald sterben wird und sich einen Todes-cocktail besorgt, aber seiner Familie sein Vorhaben verschweigt. Statt sie zu schonen, verliert er sie. Die Liebe, die in dem Moment erkaltet, als der Mann einen Seitensprung zugibt, den er nicht begangen hat, um das permanente Misstrauen seiner Freundin endlich zum Schweigen zu bringen. Der Musiker, dem seine reiche Musikerfreundin eine Zukunft in Luxus anbietet, ohne zu begreifen, wie sehr er sein bisheriges Leben liebt.
Die alte Frau, der, als sie erkrankt, gegen ihren Willen eine Enkelin als Pflegerin geschickt wird. Doch dann überredet die Wiedergenesene ihre Hüterin zu einem Ausflug in den Süden. Der endet überraschend in der Wohnung ihres ersten Geliebten. Sie begreift plötzlich, dass sie sich ein Leben lang belogen hat. Nicht er, sondern sie hat damals die Beziehung scheitern lassen.
Nichts ist so, wie es anfangs scheint. Es ist nicht zuletzt die Kunst Bernhard Schlinks, seine Figuren und ihre Erlebnisse so glaubwürdig, so überzeugend echt wirken zu lassen, dass man sich bisweilen fragt, ob sie nicht doch der Wirklichkeit entsprungen sind, statt Ergebnis schriftstellerischer Fantasie zu sein. Nach solchen Erzählungen kann man süchtig werden.
Besprochen von Johannes Kaiser
Bernhard Schlink: Sommerlügen
Diogenes Verlag, Zürich 2010
279 Seiten, 19,90 Euro