Im Sound der Wendezeit

In Los Angeles hat DJ Darky den "perfekten Beat", ein hypnotisches Tanzstück, kreiert. Mit dieser Aufnahme kommt er ins Westberlin der Wendezeit, um dort den legendären, verschollen gegangenen Freejazzer Schwa zu finden.
Wäre der Titel nicht schon für William Faulkners Familienepos vergeben, müsste das Buch "Schall und Wahn" heißen. Was Paul Beatty in seinem zweiten Roman zusammenmixt, das ist so außerordentlich musikalisch und dabei von derart wilder Assoziationskraft, dass man von einem Soundtextdelirium sprechen kann.

Der Sound, das ist eine Qualität dieses Textes und auch sein Thema (insofern ist das Form-Inhalt-Problem bei diesem Buch gelöst wie in wenigen anderen US-Romanen der letzten Zeit). Im Zentrum dieses Prosastrudels aus popmusikalischen Exkursen und Einlassungen zur amerikanischen beziehungsweise deutschen Geschichte steht der schwarze Plattensammler und -aufleger DJ Darky.

In Los Angeles hat er den "perfekten Beat", ein hypnotisches Tanzstück, kreiert. Mit dieser Aufnahme kommt er ins Westberlin der Wendezeit, um dort den legendären, verschollen gegangenen Freejazzer Schwa zu finden.

Dass dem Erzähler der entscheidende Hinweis auf diesen Musiker ausgerechnet von einem Stasi-Beamten mit Hang zu Free Jazz und Tierpornografie zugespielt wird, ist eine der vielen genialen Volten in diesem sich mit Ideen überschlagenden Text. Ideologische Kampflinien werden hier nämlich in jeder Hinsicht zerspielt: die politischen zwischen Ost und West ebenso wie die popkulturellen zwischen Klassik und Pop, Rock und Jazz, Techno und Hip-Hop.

Mit dem Freejazzer Schwa wird der Erzähler am Ende eine Klangmauer quer durch das wiedervereinigte Berlin errichten - mit einer Performance, die Karl-Heinz Stockhausen ebenso vor Neid erblassen ließe wie Miles Davis oder Ornette Coleman.

Vorher verdingt sich DJ Darky allerdings als Jukebox-Sommelier im titelgebenden "Slumberland", einer Westberliner Pinte, in der weiße Frauen schwarze Männer abschleppen und weiße Männer ihnen dabei zusehen.

Er hat Affären mit teutonischen Kneipendiven und schwarzen femme fatales, studiert die Westberliner Mentalität und erkennt im wiedervereinigten Deutschland eine ironische Spiegelung seiner eigenen Heimat: "Nach dem Fall der Mauer erinnerte mich das Land an Amerika nach dem Sezessionskrieg, mit dem ganzen Gesindel aus Spekulanten, Lynchmob und wehklagenden Gelynchten."

Paul Beatty hat schon in seinem Romanerstling "Der Sklavenmessias" das Schwarzsein einem messerscharfen satirischen Blick unterzogen. In "Slumberland" werden Fragen nach der ethnischen Zugehörigkeit und den damit verbundenen kulturellen Implikationen nun endgültig zum Kreiseln und Tanzen gebracht. Und das im Herzen des wendeberauschten Berlin! Da gibt es Neonazis mit außerordentlichem Gespür fürs schwarze Kulturerbe; schwarze Deutsche, die an einer Allergie gegen alles Weiße zugrunde gehen und natürlich den Schwa, jenes nach dem Zwischenvokal benannte, die Dekonstruktion selbst verkörpernde Soundgenie: "Undefinierbar, aber wenn man ihn hört, weiß man Bescheid."

Undefinierbar und verwegen, das ist auch dieser Roman. Sein Takt ist rasant, sein Mix aus Spekulation und Narration berauschend. Durchs gepflegte Einerlei des bürgerlichen Prosa-Mainstreams brettert dieser Autor mit hochgezogenen Reglern.

Besprochen von Daniel Haas

Paul Beatty: Slumberland
Übersetzt von Robin Detje
Verlag Blumenbar, München 2009
319 Seiten, 19,90 Euro