Im Westen nichts Neues
Am 4. Dezember 1930 hat Lewis Milestones Film "Im Westen nichts Neues" in Berlin seine viel beachtete Premiere. Eine Woche später verbietet ihn die Filmoberprüfstelle des Deutschen Reiches. Fortan wird er in vielen Ländern entweder gar nicht mehr, oder stark zensiert, beschnitten und verstümmelt gezeigt. Erst 1984 gelingt eine vollständige Rekonstruktion.
Berlin, Nollendorfplatz. Ein Verkehrsknotenpunkt. Breite Straßen, eilige Menschen, Autos, Busse, drei U-Bahnlinien. Dass der Verkehr hier schon vor 75 Jahren so stürmisch war, ist durchaus wahrscheinlich.
Am 4. Dezember 1930 fand im Mozartsaal des großen Gründerzeitgebäudes, das wir jetzt als Metropol kennen, eine besondere Filmpremiere statt. Es war die Uraufführung des Films "All quiet on the western front", die amerikanische Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque "Im Westen nichts Neues".
Die liberale Vossische Zeitung meldete am nächsten Tag:
"Die fast sensationelle Spannung, die vor Beginn das Theater füllte, wandelte sich sehr schnell während des Abrollens in tiefe Erschütterung. Das Publikum, das noch in der Mitte des Films einigen Dialogen, die sich gegen den Krieg richteten, demonstrativ Beifall gespendet hatte, verließ zum Schluss das Haus still und im Innersten aufgewühlt, unfähig Beifall zu äußern. Noch nie hat ein Filmwerk so unmittelbar auf die Zuschauer gewirkt. "
Das Premierenpublikum war prominent. Demonstrativ waren die sozialdemokratischen Minister Preußens für Inneres und Kultur erschienen, der Botschafter der USA, gleich drei Reichskanzler a. D., Wilhelm Marx, Hermann Müller und Philipp Scheidemann und sogar der Chef des kommunistischen Pressekonzerns Kosmos-Verlag GmbH, der Reichstagsabgeordnete Willi Münzenberg. Auch die kulturelle Elite zeigte Flagge: Alfred Döblin, Carl Zuckmayer, George Grosz und Egon Erwin Kisch waren gekommen. Die Vossische Zeitung schrieb:
"Die deutsche Uraufführung des von den Amerikanern hergestellten Films "Im Westen nichts Neues" wurde seit Wochen bereits mit großer Spannung erwartet. Um so mehr als der Film von gewissen politischen Kreisen in Deutschland aufs heftigste angegriffen worden war. "
Das konnte nicht verwundern: Nur zwei Jahre zuvor, 1928, hatte bereits das Erscheinen des Romans eine beispiellose Debatte über die Stellung zum Krieg in Deutschland vom Zaun gebrochen. Die damals politisch noch weitgehend einflusslose NSDAP hatte in Remarque schnell den Hauptfeind ihrer Anschauungen ausgemacht. Der NS-Barde Werner Zöberlein schrieb im Völkischen Beobachter:
"Das ganze Buch ist eine krampfhafte Betrachtung des Krieges durch die Abortbrille. Der Krieg war keine seichte Moritat mit Sauglockengebimmel. Das schreien wir, solange wir können – und man wird uns hören müssen. "
Eine erfolglose Polemik. Das Buch wurde zum Weltbestseller. Zwei Jahre später aber waren die Nazis unüberhörbar. Bei den Reichstagswahlen im Mai 1930 wurde die NSDAP zweitstärkste Partei. Ihr Berliner Gauleiter Josef Goebbels sah die Zeit gekommen, die Standfestigkeit der Institutionen der verhassten Weimarer Republik zu testen. Waren die Zuschauer nach der Premiere noch ruhig, aber bedrückt von der geschilderten Kriegsrealität nach Hause gegangen, meldete die Deutsche Tagszeitung am 6. Dezember 1930:
"Bei der Uraufführung des Films im Berliner Mozartsaal, bei der zum ersten Male das Publikum frei zugelassen war, kam es zu schweren Demonstrationen. Nachdem die ersten Szenen ohne Störung verlaufen waren, erhob sich, als zum ersten Mal das Heulen und Kreischen der Freiwilligen im Unterstand gezeigt wurde, ein Proteststurm des Publikums, der die Theaterleitung zur Unterbrechung der Vorführung zwang. Es entwickelten sich schwere Schlägereien. Bald wiederholten sich die stürmischen Proteste, so dass sich die Leitung entschließen musste, die Vorführung abzubrechen. Die Direktion forderte Polizei an, die das Theater räumte. "
Was war geschehen? Goebbels hatte im kleinen Kreis Aktionen vorbereitet, die weitere Aufführungen unmöglich machen sollten und schließlich auf ein Verbot des Films wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zielten. Im Völkischen Beobachter ließ er jedoch am 7. Dezember im bekannten Jargon verlautbaren:
"Die Aufführung des Films der jüdisch-bolschewistischen Unterwelt muss abgebrochen werden. Anlässlich der Aufführung des skandalösen Films kam es schon nach den ersten Bildern zu Protestrufen. Besonders wenn es sich um die widerwärtigen Szenen widerwärtig dargestellter deutscher Soldaten handelte, kam es zu empörten Rufen: "Schluss", "Solche Judenfrechheit müssen wir uns nicht gefallen lassen". Daraufhin versuchten anwesende Marxisten über die Nationalsozialisten herzufallen, so dass eine Schlägerei entstand, in deren Verlauf Stinkbomben geworfen wurden und plötzlich weiße Mäuse ausgesetzt wurden.
Vor dem Mozartsaal hatten sich unterdessen große Menschenmassen angesammelt, darunter sehr viele Kommunisten, die versuchten, die Nationalsozialisten zu überfallen. "
Die Verfilmung von Remarques Roman "Im Westen nichts Neues" traf die NS-Ideologie tatsächlich ins Mark.
Der Film zeigt eindringlich Bilder des Tötens und Sterbens von anonym bleibenden, aufeinander losgehenden Soldatenhorden, Bilder des Dahinsiechens im Lazarett, des psychischen Zusammenbruchs im Trommelfeuer. Doch nicht nur die Brutalität des Krieges provozierte die Nazis, die einem Bild vom edlen Soldaten huldigten.
Den unmenschlichen Leiden, den Verstümmelungen, dem Tod wird kein Sinn gegeben. Nichts legitimiert das Sterben auf dem Schlachtfeld.
Von zentraler Bedeutung ist die so genannte Kaiserszene, in der sich die Soldaten ihre eigenen subversiven, so gar nicht vaterländischen Gedanken über die Weltpolitik machen.
Und dabei hatte der amerikanische Verleiher Universal Picture den Film für Deutschland bereits entschärft. Doch die Taktik der Nationalsozialisten hatte Erfolg. Wenige Tage später wurden die Filmaufführungen verboten und nach einer Reichstagsdebatte lediglich für interne Veranstaltungen freigegeben. Auch für andere Länder gab es angepasste Versionen.
Dazu der amerikanische Filmforscher John Chambers, Professor an der Rutgers University von New Jersey:
"Meiner Meinung nach war dieser Film der Universal Pictures der beste Kriegsfilm. Die deutschen Empfindlichkeiten waren bereits in den Reaktionen auf das Buch deutlich geworden. Konsequenterweise enthielt die von Universal vorbereitete, deutsch synchronisierte Fassung mit Remarques Zustimmung einige Schnitte, um die Freigabe durch die Berliner Filmoberprüfstelle sicherzustellen. Diese Schnitte bezogen sich nicht auf Aspekte, die in anderen Ländern kontrovers waren – wie der Gebrauch des Soldatenjargons oder die Latrinenszenen, die angedeutete Bettszene zwischen Paul und einem französischen Mädchen oder die Szene, in der Paul einen französischen Soldaten ersticht –, sondern auf das Bild Deutschlands und der deutschen Armee. So wurden einige Szenen herausgeschnitten. "
Remarque hatte den Schnitten zugestimmt, sich aber sonst während der Arbeiten am Film zurückgehalten. Der Leiter des Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück, Thomas Schneider, sagt, das Besondere an diesem Film…
"…liegt vor allen Dingen natürlich darin, dass er einer der ersten Tonfilme für ein breites Publikum war und in der Verwendung eines Kamerakrans, was ebenfalls für die damalige Zeit eine besondere Neuerung war, und der Regisseur Lewis Milestone hat diese beiden Elemente, den Tonfilm einerseits, aber eben auch die Mobilität der Kamera geschickt eingesetzt, um seine Ziele, die er mit dem Film verbunden hat, zu verwirklichen.
Die Auswahl der Schauspieler für den Film ist in der Hinsicht bemerkenswert, dass ursprünglich Pläne bestanden haben, Remarque als Paul Bäumer einzusetzen, was Remarque aber abgelehnt hat, weil er sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, durch den Erfolg des Buches "Im Westen nichts Neues" dann noch mit dem Film zusätzlichen Gewinn zu machen. Also sozusagen auf dem Rücken der Kriegstoten Kasse zu machen. "
Remarque schrieb 1958, quasi als späten Kommentar zum Film, den lesenswerten Essay "Das Auge ist ein starker Verführer".
Hier kann man Erstaunliches zur Rezeptionsgeschichte finden, aber auch Begründungen für die Zurückhaltung des Romanciers, die er stets gegenüber den Verfilmungen seiner Werke einnahm – und das sind zahlreiche.
"Der letzte, der einen Film nach einem Buch beurteilen kann, ist vermutlich der Erzähler des Buches selbst. Als ich vor 28 Jahren zum ersten Mal den Film "Im Westen nichts Neues" sah, hinterließ er gemischte Gefühle bei mir. Ich bewunderte die Regie der Schlachtszenen, - aber die Darsteller schienen mir Fremde zu sein, die ich nicht mit den Personen in meiner Erinnerung identifizieren konnte. Sie waren anders, sie hatten andere Gesichter, und sie verhielten sich anders.
Heute geschieht das Gegenteil. Durch eine seltsame Alchemie hat sich die Kraft des Films zwischen meine Erinnerung und die Personen des Buches geschoben. Er hat die Darsteller und die Personen, an die ich mich erinnerte, vermengt, und meine Erinnerung kommt oft erst an zweiter Stelle. Wenn ich nun an die Figuren in dem Buch denke, sehe ich zuerst die Gesichter der Darsteller im Film, und nur, wenn ich etwas in meiner dunklen Erinnerung geforscht habe, die Menschen von früher, wie sie wirklich waren. Der Film ist lebendiger. Das Auge ist ein starker Verführer. "
Wie der Roman wurde auch der Film ein Welterfolg. Bei vier Nominierungen ging je ein Oscar an den Regisseur Lewis Milestone und den aus Deutschland stammenden Gründer der Universal Studios als Produzent. Gelobt wird der Film vor allem wegen seiner ästhetischen Qualität und der realistischen Darstellung des Grabenkrieges. Als bedeutender Teil der Filmgeschichte, der Amerikaner John Chambers spricht von dem klassischen Anti-Kriegsfilm, hat er Bilder des Krieges entworfen, die noch heute zitiert bzw. imitiert werden.
"Im Westen nichts Neues" war auch ein phänomenaler finanzieller Erfolg für die Universal Pictures, nicht zuletzt, da der Film sein Publikum weltweit fand. Doch ebenso weltweit gab es Verbote, Kürzungen und Verstümmelungen. Verboten war er zeitweise unter anderem in China, Japan, Jugoslawien und der Türkei. Und nicht zuletzt beim Kriegsgegner Frankreich. Daran erinnert der Hamburger Historiker Rainer Bendick:
"Die Verbotsgeschichte vom Film "Im Westen nichts Neues" ist in Frankreich ganz anders verlaufen als in Deutschland. Als der Film 1930 in die Kinos kam, lief er in Frankreich zunächst auch mit einem gewissen Erfolg. Verboten wurde er aber erst fast zehn Jahre später, 1939, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In Frankreich hatte man sich ja zuvor bemüht, mit dem nationalsozialistischen Deutschland irgendwie friedlich auszukommen. Als die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, das Rheinland remilitarisiert wurde, Österreich angeschlossen wurde, hat Frankreich nichts unternommen. Und als dann schließlich Polen angegriffen wurde, war klar, dass man mit Deutschland nicht mehr friedlich auskommen kann. In diesem Zusammenhang ist es eben undenkbar, einen Film in Kinos zu zeigen, der zeigt, wie sinnlos, wie mörderisch und wie zerstörerisch Krieg ist. Da hatte sich für die Franzosen die durchaus vorhandene pazifistische Stimmung seit Ende der 20er Jahre völlig umgeschlagen. 1939, nach Kriegsausbruch, gab es in Frankreich ein commissariat de information. Dieses commissariat hat dann die Verbote von vielen Filmen durchgesetzt. Nicht nur "Im Westen nichts Neues" sondern auch "Meuterei auf der Bounty" wurde verboten, weil es ja auch um Insubordination ging, um nicht Akzeptieren von Autorität. Da ist es wichtig für uns zu wissen, dass das Verbot 1939 ausgesprochen wurde, also noch von der 3. Republik, nicht vom Vichy-Regime, nicht von Petain, und darum ist das Verbot auch nicht nach der Befreiung 1944 aufgehoben worden, wie alle anderen Gesetze und Verfügungen des Vichy-Regimes. "
Erstaunlich genug: Erst 1963 wurde der Film in Frankreich durch eine Entscheidung der Zensurkommission wieder zugelassen, denn die Befreiung 1944 bedeute für die Franzosen nicht unbedingt Frieden. Fortan fochten sie in blutigen Kolonialkriegen, die erst mit dem Algerienkrieg 1962 zu Ende gingen.
Und ein weiteres Datum ist hier wichtig: 1963 schlossen Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland den Elysée-Vertrag, der die Aussöhnung zwischen den Völkern befestigen sollte. Nun konnten auch deutsche Soldaten wieder positiv in französischen Kinos gezeigt werden.
Dass der Film auch in unserem östlichen Nachbarland Polen ein großes Publikum fand, berichtet Professor Roman Dziergwa von der Universität Poznań:
"Es war so in den in dreißiger Jahren in Polen, wie eigentlich wie jetzt, dass wir Anschluss an das Weltkino und dass die ausländischen Produktionen wie jetzt dieser Film also ein Produkt der amerikanischen Filmindustrie blitzschnell auf die Kinoleinwände in Polen gekommen ist
Wurde in den Hauptstädten gespielten Warschau u. a., in Posen, in Krakau und in anderen Großstädten, eigentlich auch in den kleineren Städten. Ich habe sogar einmal meine Tante danach gefragt, die ein begeisterter Kinofan ist, und sie hat sich erinnert, dass sie im Jahr 30 den Film "Im Westen nichts Neues" von Milestone in Radom gesehen hat, einer kleinen Stadt bei Warschau gesehen hat. Natürlich gab es auch Rezeption. Es gab Artikel, Rezensionen, in allen großen Tageszeitungen. Wir hatten aber auch eine Situation wie in Deutschland, dass der Film ziemlich stark zensiert wurde, zahlreiche Sequenzen wurden einfach herausgeschnitten, z.B. die Szene mit den französischen Mädchen. "
Die USA waren beim Umgang mit dem Film pragmatischer. Hier lief "Im Westen nichts Neues" über alle Epochen hinweg, allerdings stets angepasst an die jeweiligen politischen Realitäten. Während des Zweiten Weltkrieges bekam er einen dokumentarischen Vorspann und während des Korea-Krieges wurde dem Film eine Swingmusik unterlegt.
Nach 1945 verdrängten die gerade erst zurückliegenden Ereignisse verständlicherweise die Erinnerung an die Schrecken des Ersten Weltkrieges. Unverständlich ist, warum der Film weiterhin auf dem Index der Alliierten blieb. Erst 1952 wurde er in der Bundesrepublik wieder für die Kinos freigegeben. Es war eine Art historischer Rehabilitation, dass es noch im gleichen Jahr im Westberliner Kino Delphi eine würdige Wiederaufführung, gleichsam eine zweite Premiere gab.
Doch was für eine Version konnte man eigentlich zeigen? Verstreut in den Archiven fanden sich nur unvollständige, verstümmelte Kopien. Diese Frage beschäftigte 1952 allerdings zunächst weniger, wichtig war das Symbol, denn in konservativen Kreisen der Bundesrepublik galt Erich Maria Remarque noch immer, genau wie seine zeitweilige Lebensgefährtin Marlene Dietrich, als Verräter. Erst 1967, drei Jahre vor seinem Tod, wurde er auch offiziell geehrt. Er erhielt das große Bundesverdienstkreuz.
In der DDR war die Angelegenheit – wie so oft – etwas undurchsichtiger. Verboten wurde der Film offiziell nicht, doch um Kunstwerke zu verbannen, bedurfte es im Osten Deutschlands nicht unbedingt eines ministeriellen Aktes. Hier galt Remarque natürlich nicht als Verräter, hier war sein überzeugter Pazifismus verdächtig. Die im Filmarchiv der DDR vorhandene, ebenfalls unvollständige Kopie wurde aber trotzdem, wenn auch selten, in den Studiokinos größerer Städte gezeigt. Zudem konnte der Film von Institutionen für geschlossene Veranstaltungen bestellt werden. Von unerwarteten Problemen in diesem Zusammenhang erzählt die Berliner Literaturwissenschaftlerin Monika Melchert.
"Wir hatten damals im Oktober 1989 an der Humboldt-Universität eine internationale wissenschaftliche Tagung zum Thema Krieg und Frieden in der Literatur, und im Begleitprogramm dieser Konferenz wollten wir die Verfilmung von Remarques "Im Westen nichts Neues" vorführen. Dazu hatten wir uns ans staatliche Filmarchiv der DDR gewandt, vor den Toren Berlins gelegen im Wald, und als ich den Film abholen wollte, sagte man mir schon am Telefon, am besten, Sie kommen mit einem großen Wäschekorb. Und ich sagten, wieso Wäschekorb? Ja, es war gar nicht so einfach, so etwas zu transportieren. Es waren lauter Metallbüchsen, große Filmbüchsen, mindestens ein Dutzend, die natürlich durcheinander rollten, und so habe ich sie im Wäschekorb in die Uni gebracht, wo der Film vor dem Konferenzpublikum und vielen Studenten aufgeführt wurde. "
Es war schon etwas Besonderes und auch ein Zeichen deutsch-deutscher Annäherung, dass es bei der vom Zweiten Deutschen Fernsehen in den 80er Jahren veranlassten Rekonstruktion des Films zu einer engen Zusammenarbeit von Archiven in Ost und West kam. Nach dreijähriger mühevoller Arbeit wurde der Film am 18. November 1984 ausgestrahlt. Es war eine aus verschiedenen Kopiefragmenten hergestellte Fassung von 135 Minuten, die vorher so nie existierte. Heute ist es die gültige Version.
Die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten auch gegen die Kultur hatte auf lange Zeit gesehen keinerlei Erfolg. Heute steht der Roman "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque weltweit in zahllosen Bibliotheken, privaten wie öffentlichen. Den Film von gibt es als Kassette und auf DVD. Und vor einigen Jahren hatte die gleichnamige Oper der amerikanischen Komponistin Nancy van de Vate Premiere.
"Im Westen nichts Neues" gilt heute als Klassiker des Anti-Kriegsfilms. Doch was ist eigentlich ein Anti-Kriegsfilm? In Deutschland gehen wir heute gemeinhin davon aus, ein Film, der den Krieg thematisiert, sei natürlich ein Anti-Kriegsfilm. In anderen Ländern, beispielsweise in den USA, aber auch in Russland, ist dies keineswegs selbstverständlich.
Schneider: "Die Diskussion darüber, ob ein Film ein Anti-Kriegsfilm oder ein Pro-Kriegsfilm ist, ist, denk ich, auch so alt wie das Genre Kriegsfilm insgesamt. Denn die Kritiker können sich meistens nicht darüber einigen, ob es bereits ausreicht, die Schrecken des Krieges zu zeigen, um eine kriegskritische Haltung auszulösen. Und vielfach dreht es sich dann eben auch darum dass das Zeigen der Schrecken des Krieges auch ein gewisses Faszinosum beinhaltet oder den Krieg möglicherweise dann auch als Abenteuer darstellt. "
Mühl-Benninghaus: "Schaut man sich Filme an wie "Apokalypse now" zum Beispiel, gilt allgemein als Anti-Kriegsfilm, man kann ihn aber auch durchaus interpretieren als den klassischen Kriegsfilm. Ich lehn den Begriff Kriegsfilm und Anti-Kriegsfilm von vornherein ab, weil das immer suggeriert, dass man bei der Herstellung genau sagen kann, wie die Zuschauer empfinden. "
Melchert: "Anti-Kriegsfilm, aber auch der Begriff Kriegsfilm könnte unter dem Strich dasselbe bedeuten, nämlich den Krieg zu zeigen, um gegen ihn Stellung zu beziehen, aber genau weiß ich’s auch nicht, ob es dabei einen Unterschied gibt. "
Köppen: "Jeder Anti-Kriegsfilm muss erst mal ein guter Kriegsfilm sein. Also er muss durch seine Kriegsaction auch zu überzeugen wissen und insofern ist die Grenze zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm kaum zu beschreiben. "
So kompetent Kultur- und Medienwissenschaftler bei der Bewertung und Analyse der historischen Leistung von Anti-Kriegsfilmen sind, so unsicher sind sie beim Blick auf die Gegenwart. Hier wird, was Friedensarbeit betrifft, in der Tradition von "Im Westen nichts Neues" weiterzudenken sein – von Pädagogen und Politikern, Wissenschaftlern und uns als Kinogängern. Thomas Schneider vom Remarque-Friedenszentrum in dessen Geburtsstadt Osnabrück resümiert:
Schneider: "Dass Im Westen nichts Neues sozusagen die Zeiten überdauert hat, hat sicherlich vielfältige Gründe, einerseits im innovativen Einsatz, im künstlerisch außerordentlich gelungenen Einsatz der neuen technischen Möglichkeiten, die dem Regisseur Milestone zur Verfügung standen. Zu nennen ist hier vor allem die berühmte Schlachtsequenz, die mittlerweile in der Filmgeschichte zahlreiche Nachahmer, z.B. Stephen Spielberg in Saving Private Ryan gefunden hat. Eine andere Bedeutung des Films ist eher in seiner Aussage zu sehen, dass der Film zwar vom Ersten Weltkrieg handelt wie das Buch, aber eben wie das Buch die kriegskritische Aussage auf jeden anderen beliebigen Krieg übertragbar ist. Und da dieser Film offen in dieser Hinsicht ist, ist es quasi schon fast die Regel, dass wenn ein Krieg droht in westlichen Kulturen, in denen dieser Film noch im kulturellen Gedächtnis ist, dass dann der Film wieder ins Programm genommen wird, zum Teil auch kurzfristig. Das ist in den USA so gewesen, bei Beginn des Golfkrieges, er ist in Deutschland zum Zeitpunkt des ersten Golfkrieges 1991 gezeigt worden, dann auch während der Balkankonflikte. Immer wenn es darum geht, dass Deutschland oder die Bundeswehr involviert sein könnte, wurde von kriegskritischen Medien dieser Film ins Programm genommen. "
Am 4. Dezember 1930 fand im Mozartsaal des großen Gründerzeitgebäudes, das wir jetzt als Metropol kennen, eine besondere Filmpremiere statt. Es war die Uraufführung des Films "All quiet on the western front", die amerikanische Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque "Im Westen nichts Neues".
Die liberale Vossische Zeitung meldete am nächsten Tag:
"Die fast sensationelle Spannung, die vor Beginn das Theater füllte, wandelte sich sehr schnell während des Abrollens in tiefe Erschütterung. Das Publikum, das noch in der Mitte des Films einigen Dialogen, die sich gegen den Krieg richteten, demonstrativ Beifall gespendet hatte, verließ zum Schluss das Haus still und im Innersten aufgewühlt, unfähig Beifall zu äußern. Noch nie hat ein Filmwerk so unmittelbar auf die Zuschauer gewirkt. "
Das Premierenpublikum war prominent. Demonstrativ waren die sozialdemokratischen Minister Preußens für Inneres und Kultur erschienen, der Botschafter der USA, gleich drei Reichskanzler a. D., Wilhelm Marx, Hermann Müller und Philipp Scheidemann und sogar der Chef des kommunistischen Pressekonzerns Kosmos-Verlag GmbH, der Reichstagsabgeordnete Willi Münzenberg. Auch die kulturelle Elite zeigte Flagge: Alfred Döblin, Carl Zuckmayer, George Grosz und Egon Erwin Kisch waren gekommen. Die Vossische Zeitung schrieb:
"Die deutsche Uraufführung des von den Amerikanern hergestellten Films "Im Westen nichts Neues" wurde seit Wochen bereits mit großer Spannung erwartet. Um so mehr als der Film von gewissen politischen Kreisen in Deutschland aufs heftigste angegriffen worden war. "
Das konnte nicht verwundern: Nur zwei Jahre zuvor, 1928, hatte bereits das Erscheinen des Romans eine beispiellose Debatte über die Stellung zum Krieg in Deutschland vom Zaun gebrochen. Die damals politisch noch weitgehend einflusslose NSDAP hatte in Remarque schnell den Hauptfeind ihrer Anschauungen ausgemacht. Der NS-Barde Werner Zöberlein schrieb im Völkischen Beobachter:
"Das ganze Buch ist eine krampfhafte Betrachtung des Krieges durch die Abortbrille. Der Krieg war keine seichte Moritat mit Sauglockengebimmel. Das schreien wir, solange wir können – und man wird uns hören müssen. "
Eine erfolglose Polemik. Das Buch wurde zum Weltbestseller. Zwei Jahre später aber waren die Nazis unüberhörbar. Bei den Reichstagswahlen im Mai 1930 wurde die NSDAP zweitstärkste Partei. Ihr Berliner Gauleiter Josef Goebbels sah die Zeit gekommen, die Standfestigkeit der Institutionen der verhassten Weimarer Republik zu testen. Waren die Zuschauer nach der Premiere noch ruhig, aber bedrückt von der geschilderten Kriegsrealität nach Hause gegangen, meldete die Deutsche Tagszeitung am 6. Dezember 1930:
"Bei der Uraufführung des Films im Berliner Mozartsaal, bei der zum ersten Male das Publikum frei zugelassen war, kam es zu schweren Demonstrationen. Nachdem die ersten Szenen ohne Störung verlaufen waren, erhob sich, als zum ersten Mal das Heulen und Kreischen der Freiwilligen im Unterstand gezeigt wurde, ein Proteststurm des Publikums, der die Theaterleitung zur Unterbrechung der Vorführung zwang. Es entwickelten sich schwere Schlägereien. Bald wiederholten sich die stürmischen Proteste, so dass sich die Leitung entschließen musste, die Vorführung abzubrechen. Die Direktion forderte Polizei an, die das Theater räumte. "
Was war geschehen? Goebbels hatte im kleinen Kreis Aktionen vorbereitet, die weitere Aufführungen unmöglich machen sollten und schließlich auf ein Verbot des Films wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zielten. Im Völkischen Beobachter ließ er jedoch am 7. Dezember im bekannten Jargon verlautbaren:
"Die Aufführung des Films der jüdisch-bolschewistischen Unterwelt muss abgebrochen werden. Anlässlich der Aufführung des skandalösen Films kam es schon nach den ersten Bildern zu Protestrufen. Besonders wenn es sich um die widerwärtigen Szenen widerwärtig dargestellter deutscher Soldaten handelte, kam es zu empörten Rufen: "Schluss", "Solche Judenfrechheit müssen wir uns nicht gefallen lassen". Daraufhin versuchten anwesende Marxisten über die Nationalsozialisten herzufallen, so dass eine Schlägerei entstand, in deren Verlauf Stinkbomben geworfen wurden und plötzlich weiße Mäuse ausgesetzt wurden.
Vor dem Mozartsaal hatten sich unterdessen große Menschenmassen angesammelt, darunter sehr viele Kommunisten, die versuchten, die Nationalsozialisten zu überfallen. "
Die Verfilmung von Remarques Roman "Im Westen nichts Neues" traf die NS-Ideologie tatsächlich ins Mark.
Der Film zeigt eindringlich Bilder des Tötens und Sterbens von anonym bleibenden, aufeinander losgehenden Soldatenhorden, Bilder des Dahinsiechens im Lazarett, des psychischen Zusammenbruchs im Trommelfeuer. Doch nicht nur die Brutalität des Krieges provozierte die Nazis, die einem Bild vom edlen Soldaten huldigten.
Den unmenschlichen Leiden, den Verstümmelungen, dem Tod wird kein Sinn gegeben. Nichts legitimiert das Sterben auf dem Schlachtfeld.
Von zentraler Bedeutung ist die so genannte Kaiserszene, in der sich die Soldaten ihre eigenen subversiven, so gar nicht vaterländischen Gedanken über die Weltpolitik machen.
Und dabei hatte der amerikanische Verleiher Universal Picture den Film für Deutschland bereits entschärft. Doch die Taktik der Nationalsozialisten hatte Erfolg. Wenige Tage später wurden die Filmaufführungen verboten und nach einer Reichstagsdebatte lediglich für interne Veranstaltungen freigegeben. Auch für andere Länder gab es angepasste Versionen.
Dazu der amerikanische Filmforscher John Chambers, Professor an der Rutgers University von New Jersey:
"Meiner Meinung nach war dieser Film der Universal Pictures der beste Kriegsfilm. Die deutschen Empfindlichkeiten waren bereits in den Reaktionen auf das Buch deutlich geworden. Konsequenterweise enthielt die von Universal vorbereitete, deutsch synchronisierte Fassung mit Remarques Zustimmung einige Schnitte, um die Freigabe durch die Berliner Filmoberprüfstelle sicherzustellen. Diese Schnitte bezogen sich nicht auf Aspekte, die in anderen Ländern kontrovers waren – wie der Gebrauch des Soldatenjargons oder die Latrinenszenen, die angedeutete Bettszene zwischen Paul und einem französischen Mädchen oder die Szene, in der Paul einen französischen Soldaten ersticht –, sondern auf das Bild Deutschlands und der deutschen Armee. So wurden einige Szenen herausgeschnitten. "
Remarque hatte den Schnitten zugestimmt, sich aber sonst während der Arbeiten am Film zurückgehalten. Der Leiter des Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück, Thomas Schneider, sagt, das Besondere an diesem Film…
"…liegt vor allen Dingen natürlich darin, dass er einer der ersten Tonfilme für ein breites Publikum war und in der Verwendung eines Kamerakrans, was ebenfalls für die damalige Zeit eine besondere Neuerung war, und der Regisseur Lewis Milestone hat diese beiden Elemente, den Tonfilm einerseits, aber eben auch die Mobilität der Kamera geschickt eingesetzt, um seine Ziele, die er mit dem Film verbunden hat, zu verwirklichen.
Die Auswahl der Schauspieler für den Film ist in der Hinsicht bemerkenswert, dass ursprünglich Pläne bestanden haben, Remarque als Paul Bäumer einzusetzen, was Remarque aber abgelehnt hat, weil er sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, durch den Erfolg des Buches "Im Westen nichts Neues" dann noch mit dem Film zusätzlichen Gewinn zu machen. Also sozusagen auf dem Rücken der Kriegstoten Kasse zu machen. "
Remarque schrieb 1958, quasi als späten Kommentar zum Film, den lesenswerten Essay "Das Auge ist ein starker Verführer".
Hier kann man Erstaunliches zur Rezeptionsgeschichte finden, aber auch Begründungen für die Zurückhaltung des Romanciers, die er stets gegenüber den Verfilmungen seiner Werke einnahm – und das sind zahlreiche.
"Der letzte, der einen Film nach einem Buch beurteilen kann, ist vermutlich der Erzähler des Buches selbst. Als ich vor 28 Jahren zum ersten Mal den Film "Im Westen nichts Neues" sah, hinterließ er gemischte Gefühle bei mir. Ich bewunderte die Regie der Schlachtszenen, - aber die Darsteller schienen mir Fremde zu sein, die ich nicht mit den Personen in meiner Erinnerung identifizieren konnte. Sie waren anders, sie hatten andere Gesichter, und sie verhielten sich anders.
Heute geschieht das Gegenteil. Durch eine seltsame Alchemie hat sich die Kraft des Films zwischen meine Erinnerung und die Personen des Buches geschoben. Er hat die Darsteller und die Personen, an die ich mich erinnerte, vermengt, und meine Erinnerung kommt oft erst an zweiter Stelle. Wenn ich nun an die Figuren in dem Buch denke, sehe ich zuerst die Gesichter der Darsteller im Film, und nur, wenn ich etwas in meiner dunklen Erinnerung geforscht habe, die Menschen von früher, wie sie wirklich waren. Der Film ist lebendiger. Das Auge ist ein starker Verführer. "
Wie der Roman wurde auch der Film ein Welterfolg. Bei vier Nominierungen ging je ein Oscar an den Regisseur Lewis Milestone und den aus Deutschland stammenden Gründer der Universal Studios als Produzent. Gelobt wird der Film vor allem wegen seiner ästhetischen Qualität und der realistischen Darstellung des Grabenkrieges. Als bedeutender Teil der Filmgeschichte, der Amerikaner John Chambers spricht von dem klassischen Anti-Kriegsfilm, hat er Bilder des Krieges entworfen, die noch heute zitiert bzw. imitiert werden.
"Im Westen nichts Neues" war auch ein phänomenaler finanzieller Erfolg für die Universal Pictures, nicht zuletzt, da der Film sein Publikum weltweit fand. Doch ebenso weltweit gab es Verbote, Kürzungen und Verstümmelungen. Verboten war er zeitweise unter anderem in China, Japan, Jugoslawien und der Türkei. Und nicht zuletzt beim Kriegsgegner Frankreich. Daran erinnert der Hamburger Historiker Rainer Bendick:
"Die Verbotsgeschichte vom Film "Im Westen nichts Neues" ist in Frankreich ganz anders verlaufen als in Deutschland. Als der Film 1930 in die Kinos kam, lief er in Frankreich zunächst auch mit einem gewissen Erfolg. Verboten wurde er aber erst fast zehn Jahre später, 1939, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In Frankreich hatte man sich ja zuvor bemüht, mit dem nationalsozialistischen Deutschland irgendwie friedlich auszukommen. Als die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, das Rheinland remilitarisiert wurde, Österreich angeschlossen wurde, hat Frankreich nichts unternommen. Und als dann schließlich Polen angegriffen wurde, war klar, dass man mit Deutschland nicht mehr friedlich auskommen kann. In diesem Zusammenhang ist es eben undenkbar, einen Film in Kinos zu zeigen, der zeigt, wie sinnlos, wie mörderisch und wie zerstörerisch Krieg ist. Da hatte sich für die Franzosen die durchaus vorhandene pazifistische Stimmung seit Ende der 20er Jahre völlig umgeschlagen. 1939, nach Kriegsausbruch, gab es in Frankreich ein commissariat de information. Dieses commissariat hat dann die Verbote von vielen Filmen durchgesetzt. Nicht nur "Im Westen nichts Neues" sondern auch "Meuterei auf der Bounty" wurde verboten, weil es ja auch um Insubordination ging, um nicht Akzeptieren von Autorität. Da ist es wichtig für uns zu wissen, dass das Verbot 1939 ausgesprochen wurde, also noch von der 3. Republik, nicht vom Vichy-Regime, nicht von Petain, und darum ist das Verbot auch nicht nach der Befreiung 1944 aufgehoben worden, wie alle anderen Gesetze und Verfügungen des Vichy-Regimes. "
Erstaunlich genug: Erst 1963 wurde der Film in Frankreich durch eine Entscheidung der Zensurkommission wieder zugelassen, denn die Befreiung 1944 bedeute für die Franzosen nicht unbedingt Frieden. Fortan fochten sie in blutigen Kolonialkriegen, die erst mit dem Algerienkrieg 1962 zu Ende gingen.
Und ein weiteres Datum ist hier wichtig: 1963 schlossen Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland den Elysée-Vertrag, der die Aussöhnung zwischen den Völkern befestigen sollte. Nun konnten auch deutsche Soldaten wieder positiv in französischen Kinos gezeigt werden.
Dass der Film auch in unserem östlichen Nachbarland Polen ein großes Publikum fand, berichtet Professor Roman Dziergwa von der Universität Poznań:
"Es war so in den in dreißiger Jahren in Polen, wie eigentlich wie jetzt, dass wir Anschluss an das Weltkino und dass die ausländischen Produktionen wie jetzt dieser Film also ein Produkt der amerikanischen Filmindustrie blitzschnell auf die Kinoleinwände in Polen gekommen ist
Wurde in den Hauptstädten gespielten Warschau u. a., in Posen, in Krakau und in anderen Großstädten, eigentlich auch in den kleineren Städten. Ich habe sogar einmal meine Tante danach gefragt, die ein begeisterter Kinofan ist, und sie hat sich erinnert, dass sie im Jahr 30 den Film "Im Westen nichts Neues" von Milestone in Radom gesehen hat, einer kleinen Stadt bei Warschau gesehen hat. Natürlich gab es auch Rezeption. Es gab Artikel, Rezensionen, in allen großen Tageszeitungen. Wir hatten aber auch eine Situation wie in Deutschland, dass der Film ziemlich stark zensiert wurde, zahlreiche Sequenzen wurden einfach herausgeschnitten, z.B. die Szene mit den französischen Mädchen. "
Die USA waren beim Umgang mit dem Film pragmatischer. Hier lief "Im Westen nichts Neues" über alle Epochen hinweg, allerdings stets angepasst an die jeweiligen politischen Realitäten. Während des Zweiten Weltkrieges bekam er einen dokumentarischen Vorspann und während des Korea-Krieges wurde dem Film eine Swingmusik unterlegt.
Nach 1945 verdrängten die gerade erst zurückliegenden Ereignisse verständlicherweise die Erinnerung an die Schrecken des Ersten Weltkrieges. Unverständlich ist, warum der Film weiterhin auf dem Index der Alliierten blieb. Erst 1952 wurde er in der Bundesrepublik wieder für die Kinos freigegeben. Es war eine Art historischer Rehabilitation, dass es noch im gleichen Jahr im Westberliner Kino Delphi eine würdige Wiederaufführung, gleichsam eine zweite Premiere gab.
Doch was für eine Version konnte man eigentlich zeigen? Verstreut in den Archiven fanden sich nur unvollständige, verstümmelte Kopien. Diese Frage beschäftigte 1952 allerdings zunächst weniger, wichtig war das Symbol, denn in konservativen Kreisen der Bundesrepublik galt Erich Maria Remarque noch immer, genau wie seine zeitweilige Lebensgefährtin Marlene Dietrich, als Verräter. Erst 1967, drei Jahre vor seinem Tod, wurde er auch offiziell geehrt. Er erhielt das große Bundesverdienstkreuz.
In der DDR war die Angelegenheit – wie so oft – etwas undurchsichtiger. Verboten wurde der Film offiziell nicht, doch um Kunstwerke zu verbannen, bedurfte es im Osten Deutschlands nicht unbedingt eines ministeriellen Aktes. Hier galt Remarque natürlich nicht als Verräter, hier war sein überzeugter Pazifismus verdächtig. Die im Filmarchiv der DDR vorhandene, ebenfalls unvollständige Kopie wurde aber trotzdem, wenn auch selten, in den Studiokinos größerer Städte gezeigt. Zudem konnte der Film von Institutionen für geschlossene Veranstaltungen bestellt werden. Von unerwarteten Problemen in diesem Zusammenhang erzählt die Berliner Literaturwissenschaftlerin Monika Melchert.
"Wir hatten damals im Oktober 1989 an der Humboldt-Universität eine internationale wissenschaftliche Tagung zum Thema Krieg und Frieden in der Literatur, und im Begleitprogramm dieser Konferenz wollten wir die Verfilmung von Remarques "Im Westen nichts Neues" vorführen. Dazu hatten wir uns ans staatliche Filmarchiv der DDR gewandt, vor den Toren Berlins gelegen im Wald, und als ich den Film abholen wollte, sagte man mir schon am Telefon, am besten, Sie kommen mit einem großen Wäschekorb. Und ich sagten, wieso Wäschekorb? Ja, es war gar nicht so einfach, so etwas zu transportieren. Es waren lauter Metallbüchsen, große Filmbüchsen, mindestens ein Dutzend, die natürlich durcheinander rollten, und so habe ich sie im Wäschekorb in die Uni gebracht, wo der Film vor dem Konferenzpublikum und vielen Studenten aufgeführt wurde. "
Es war schon etwas Besonderes und auch ein Zeichen deutsch-deutscher Annäherung, dass es bei der vom Zweiten Deutschen Fernsehen in den 80er Jahren veranlassten Rekonstruktion des Films zu einer engen Zusammenarbeit von Archiven in Ost und West kam. Nach dreijähriger mühevoller Arbeit wurde der Film am 18. November 1984 ausgestrahlt. Es war eine aus verschiedenen Kopiefragmenten hergestellte Fassung von 135 Minuten, die vorher so nie existierte. Heute ist es die gültige Version.
Die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten auch gegen die Kultur hatte auf lange Zeit gesehen keinerlei Erfolg. Heute steht der Roman "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque weltweit in zahllosen Bibliotheken, privaten wie öffentlichen. Den Film von gibt es als Kassette und auf DVD. Und vor einigen Jahren hatte die gleichnamige Oper der amerikanischen Komponistin Nancy van de Vate Premiere.
"Im Westen nichts Neues" gilt heute als Klassiker des Anti-Kriegsfilms. Doch was ist eigentlich ein Anti-Kriegsfilm? In Deutschland gehen wir heute gemeinhin davon aus, ein Film, der den Krieg thematisiert, sei natürlich ein Anti-Kriegsfilm. In anderen Ländern, beispielsweise in den USA, aber auch in Russland, ist dies keineswegs selbstverständlich.
Schneider: "Die Diskussion darüber, ob ein Film ein Anti-Kriegsfilm oder ein Pro-Kriegsfilm ist, ist, denk ich, auch so alt wie das Genre Kriegsfilm insgesamt. Denn die Kritiker können sich meistens nicht darüber einigen, ob es bereits ausreicht, die Schrecken des Krieges zu zeigen, um eine kriegskritische Haltung auszulösen. Und vielfach dreht es sich dann eben auch darum dass das Zeigen der Schrecken des Krieges auch ein gewisses Faszinosum beinhaltet oder den Krieg möglicherweise dann auch als Abenteuer darstellt. "
Mühl-Benninghaus: "Schaut man sich Filme an wie "Apokalypse now" zum Beispiel, gilt allgemein als Anti-Kriegsfilm, man kann ihn aber auch durchaus interpretieren als den klassischen Kriegsfilm. Ich lehn den Begriff Kriegsfilm und Anti-Kriegsfilm von vornherein ab, weil das immer suggeriert, dass man bei der Herstellung genau sagen kann, wie die Zuschauer empfinden. "
Melchert: "Anti-Kriegsfilm, aber auch der Begriff Kriegsfilm könnte unter dem Strich dasselbe bedeuten, nämlich den Krieg zu zeigen, um gegen ihn Stellung zu beziehen, aber genau weiß ich’s auch nicht, ob es dabei einen Unterschied gibt. "
Köppen: "Jeder Anti-Kriegsfilm muss erst mal ein guter Kriegsfilm sein. Also er muss durch seine Kriegsaction auch zu überzeugen wissen und insofern ist die Grenze zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm kaum zu beschreiben. "
So kompetent Kultur- und Medienwissenschaftler bei der Bewertung und Analyse der historischen Leistung von Anti-Kriegsfilmen sind, so unsicher sind sie beim Blick auf die Gegenwart. Hier wird, was Friedensarbeit betrifft, in der Tradition von "Im Westen nichts Neues" weiterzudenken sein – von Pädagogen und Politikern, Wissenschaftlern und uns als Kinogängern. Thomas Schneider vom Remarque-Friedenszentrum in dessen Geburtsstadt Osnabrück resümiert:
Schneider: "Dass Im Westen nichts Neues sozusagen die Zeiten überdauert hat, hat sicherlich vielfältige Gründe, einerseits im innovativen Einsatz, im künstlerisch außerordentlich gelungenen Einsatz der neuen technischen Möglichkeiten, die dem Regisseur Milestone zur Verfügung standen. Zu nennen ist hier vor allem die berühmte Schlachtsequenz, die mittlerweile in der Filmgeschichte zahlreiche Nachahmer, z.B. Stephen Spielberg in Saving Private Ryan gefunden hat. Eine andere Bedeutung des Films ist eher in seiner Aussage zu sehen, dass der Film zwar vom Ersten Weltkrieg handelt wie das Buch, aber eben wie das Buch die kriegskritische Aussage auf jeden anderen beliebigen Krieg übertragbar ist. Und da dieser Film offen in dieser Hinsicht ist, ist es quasi schon fast die Regel, dass wenn ein Krieg droht in westlichen Kulturen, in denen dieser Film noch im kulturellen Gedächtnis ist, dass dann der Film wieder ins Programm genommen wird, zum Teil auch kurzfristig. Das ist in den USA so gewesen, bei Beginn des Golfkrieges, er ist in Deutschland zum Zeitpunkt des ersten Golfkrieges 1991 gezeigt worden, dann auch während der Balkankonflikte. Immer wenn es darum geht, dass Deutschland oder die Bundeswehr involviert sein könnte, wurde von kriegskritischen Medien dieser Film ins Programm genommen. "