Im Wolga der Katastrophe entgegen
"Wolga M24" hieß eine Modellreihe gehobener Sowjetlimousinen, die 1968 in die Produktion ging und konzipiert war für Funktionäre, KGB-Agenten oder Taxifahrer. Jergovic beschreibt in seinem Roman, wie ein solcher Wolga in Jugoslawien einen neuen Besitzer findet, diesem aber nur Unglück bringt.
Gelegentlich verkehrte dieses Auto auch auf den Straßen des sozialistischen Jugoslawien, selbst wenn der einschlägige Kundenkreis dort Citroen, Mercedes oder Volkswagen bevorzugte. Einen "schwarz wie ein Klavier" glänzenden M24 lenkt der kroatische Erzähler Miljenko Jergovic durch seinen Roman "Wolga, Wolga", der auf Deutsch in der Übersetzung von Brigitte Döbert im Schöffling-Verlag erschienen ist.
Jergovics Wolga steht für menschliches Unglück und den Untergang eines ganzen Staats. Zunächst ist er im Besitz von General Karamujic, einem überzeugten Kommunisten mit Partisanenvergangenheit und muslimischer Herkunft. Als Karamujic in den 70er Jahren von der Staatssicherheit entmachtet wird, weil er in Ungnade gefallene kroatische Nationalpolitiker geschützt hat, muss er in Pension und befördert sich kurz darauf freiwillig aus dem Leben.
Zuvor ist der Wolga in die Hände von Karamujiæs Schützling Dželal Pljevljak übergegangen. Pljevljak, die Hauptfigur und über weite Strecken der Erzähler in diesem Buch mit vielen Perspektiven und wenig Gewissheiten, ist wie Karamujic Moslem und im Prinzip loyaler Untertan des Tito-Staats. 35 Jahre arbeitet er als ziviler Chauffeur bei der Armee – ein labiler Charakter, ein einsamer Melancholiker, spätestens seit er seine kleine Tochter durch eine Entführung und seine Frau durch Selbstmord verloren hat.
Jeden Freitag fährt dieser Pljevljak mit dem Wolga von seinem Dienstort an der kroatischen Küste nach Livno. Livno liegt bereits in Bosnien-Herzegowina, dort betet der einsame Armeefahrer in der Moschee und vertraut sich einem undurchsichtigen Imam an. Durch eine Reifenpanne unterwegs findet er überdies Anschluss bei einer muslimischen Familie auf dem Lande. Auf der Suche nach Seelenfrieden versinkt Pljevljak in den phantastischen Geschichten der neuen Freunde vom Dorf und tastet sich durch das wirre Gespinst eigener Erinnerungen, bis Jergoviæ seine Erzählung Ende 1987 abbricht und stattdessen einen Chronisten sprechen lässt.
Mit Hilfe von Zeitzeugen und unter Auswertung der Presse wird eine Legende aufgerollt, welche um das Leben Pljevljaks und eine Katastrophe kreist, die sich mit seinem Namen verbindet. Der aus religiöser Überzeugung stets nüchterne Chauffeur soll am Neujahrstag 1988 mit seinem Wolga volltrunken eine ganze Familie getötet haben. Im dritten Teil des Romans spricht Pljevljak wieder direkt zu uns. Aus dem Gefängnis heraus erklärt er, dass alles ganz anders war und er unschuldig ist. In diesem Augenblick hat der mediale Rummel um das Schicksal des Wolga-Chauffeurs nachgelassen, denn Jugoslawien zerfällt und Bluttaten anderer Dimension drängen in den Vordergrund.
Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt seit den neunziger Jahren in Zagreb. Dort arbeitet er als politischer Kolumnist und Schriftsteller. Seine Person wird in Kroatien geliebt und gehasst, gleichgültig lässt sie kaum jemanden. Pointiert wie kaum ein anderer, ohne nationale Scheuklappen und zugleich auf abenteuerlich verschlungenen Erzählpfaden zeichnet Jergovic den Alltag der jugoslawischen Menschen nach, mit allen Widersprüchen und Merkwürdigkeiten. Einmal mehr ist ihm das in "Wolga, Wolga" auf wunderbare Weise gelungen.
Besprochen von Martin Sander
Miljenko Jergovic: Wolga, Wolga
Roman, aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2011
336 Seiten, 21,95 Euro
Jergovics Wolga steht für menschliches Unglück und den Untergang eines ganzen Staats. Zunächst ist er im Besitz von General Karamujic, einem überzeugten Kommunisten mit Partisanenvergangenheit und muslimischer Herkunft. Als Karamujic in den 70er Jahren von der Staatssicherheit entmachtet wird, weil er in Ungnade gefallene kroatische Nationalpolitiker geschützt hat, muss er in Pension und befördert sich kurz darauf freiwillig aus dem Leben.
Zuvor ist der Wolga in die Hände von Karamujiæs Schützling Dželal Pljevljak übergegangen. Pljevljak, die Hauptfigur und über weite Strecken der Erzähler in diesem Buch mit vielen Perspektiven und wenig Gewissheiten, ist wie Karamujic Moslem und im Prinzip loyaler Untertan des Tito-Staats. 35 Jahre arbeitet er als ziviler Chauffeur bei der Armee – ein labiler Charakter, ein einsamer Melancholiker, spätestens seit er seine kleine Tochter durch eine Entführung und seine Frau durch Selbstmord verloren hat.
Jeden Freitag fährt dieser Pljevljak mit dem Wolga von seinem Dienstort an der kroatischen Küste nach Livno. Livno liegt bereits in Bosnien-Herzegowina, dort betet der einsame Armeefahrer in der Moschee und vertraut sich einem undurchsichtigen Imam an. Durch eine Reifenpanne unterwegs findet er überdies Anschluss bei einer muslimischen Familie auf dem Lande. Auf der Suche nach Seelenfrieden versinkt Pljevljak in den phantastischen Geschichten der neuen Freunde vom Dorf und tastet sich durch das wirre Gespinst eigener Erinnerungen, bis Jergoviæ seine Erzählung Ende 1987 abbricht und stattdessen einen Chronisten sprechen lässt.
Mit Hilfe von Zeitzeugen und unter Auswertung der Presse wird eine Legende aufgerollt, welche um das Leben Pljevljaks und eine Katastrophe kreist, die sich mit seinem Namen verbindet. Der aus religiöser Überzeugung stets nüchterne Chauffeur soll am Neujahrstag 1988 mit seinem Wolga volltrunken eine ganze Familie getötet haben. Im dritten Teil des Romans spricht Pljevljak wieder direkt zu uns. Aus dem Gefängnis heraus erklärt er, dass alles ganz anders war und er unschuldig ist. In diesem Augenblick hat der mediale Rummel um das Schicksal des Wolga-Chauffeurs nachgelassen, denn Jugoslawien zerfällt und Bluttaten anderer Dimension drängen in den Vordergrund.
Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt seit den neunziger Jahren in Zagreb. Dort arbeitet er als politischer Kolumnist und Schriftsteller. Seine Person wird in Kroatien geliebt und gehasst, gleichgültig lässt sie kaum jemanden. Pointiert wie kaum ein anderer, ohne nationale Scheuklappen und zugleich auf abenteuerlich verschlungenen Erzählpfaden zeichnet Jergovic den Alltag der jugoslawischen Menschen nach, mit allen Widersprüchen und Merkwürdigkeiten. Einmal mehr ist ihm das in "Wolga, Wolga" auf wunderbare Weise gelungen.
Besprochen von Martin Sander
Miljenko Jergovic: Wolga, Wolga
Roman, aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2011
336 Seiten, 21,95 Euro