Im Würgegriff der Schreckensbilder

Von Stefan Keim |
Junge Dramatiker aus Deutschland haben Israel bereist, angehende Theaterautoren der Universität Tel Aviv kamen im Gegenzug nach Deutschland. Ihre Aufgabe: Sie sollten "szenische Momentaufnahmen" schreiben, die nun in Düsseldorf und Tel Aviv auf die Bühne kommen.
Über die "dritte Generation" in Israel nach dem Holocaust gab es schon ein Projekt an der Berliner Schaubühne. Da brachten Palästinenser, Israelis und Deutsche die Klischees, die sie voneinander im Kopf haben, mit viel schwarzem Humor, Selbstironie und Mut zu politischer Unkorrektheit auf die Bühne. In Düsseldorf fehlen die Palästinenser, in "Reality Check" geht es um die Beziehungen zwischen Israelis und Deutschen, im Schatten des Holocaust.

Vier junge Dramatiker aus Deutschland haben Israel bereist, vier Studenten des Drama Departments der Universität Tel Aviv kamen nach Deutschland. Ihre Aufgabe: Sie sollten "szenische Momentaufnahmen" schreiben, die ungefähr zeitgleich in Düsseldorf und Tel Aviv auf die Bühne kommen. Das Düsseldorfer Schauspielhaus arbeitet in der letzten Spielzeit der Intendantin Amelie Niermeyer eng mit dem Habimah Nationaltheater in Tel Aviv zusammen. Neben den Kurzstücken wird die israelische Regisseurin Dedi Baron die Filmadaption "Lemon Tree" am Rhein inszenieren.

Die Erinnerung an den Holocaust schwebt über allen Begegnungen. In mehreren Texten des Israelis gibt es Verweise, dass sie schon im Kindergarten mit den Schreckensbildern bombardiert wurden und sie ihnen nie ganz aus den Köpfen gehen. Das Grauen und die Angst unterfüttern alle Begegnungen von Deutschen und Israelis.

Wie diese Bilder fremder Erinnerungen eine Beziehung untergraben, zeigt Yariv Gottlieb in seinem Stück "Tikun". Psychologisch genau skizziert er ein junges Paar, das an seinen Traumata und ihrem Unverständnis zerbricht. Wenn es allerdings spannend werden könnte, hört der Text schon wieder auf.

"Posttrauma" heißt ein Stück von Tal Schiff: Ein junger Mann spricht eine Frau an. Ihr Freund schreitet ein, schlägt zu, bis Blut spritzt. Die Frau und ihr Gefährte sind Israelis auf Deutschlandbesuch. Immer wieder haben sie zu Hause die Bilder des Holocaust gesehen und gehört, dass Deutsche Antisemiten, Verbrecher, Unmenschen sind. Wer ist in diesem Fall Täter und wer Opfer?

Vor allem die israelischen Autoren beschäftigen sich mit Schmerzpunkten, bleiben aber in der Benennung der Probleme stecken. Ratlosigkeit steht oft am Ende der zum Teil sehr braven Texte. Und man hat den schon zum Klischee gewordenen Dramaturgensatz im Ohr, Theater sei dazu da, um Fragen zu stellen. Manchmal hätte man allerdings schon gern den Versuch einer Antwort.

Bedeutend wohler fühlen sich deutsche wie israelische Autoren, wenn sie den Grenzbereich zur Comedy berühren. Über deutsche Schuldkomplexe hat Thomas Melle einen sprachlich präzisen Sketch geschrieben. Ein Musikjournalist macht mit Gattin Urlaub in Israel. Und der beim Hotelfrühstück salopp hingeworfene Satz "Du hasst doch Jazz" löst einen paranoiden Schub aus. Das könne man doch so nicht sagen, jetzt denken doch alle, er, der Musikjournalist wolle alle Jazzmusiker vernichten, ganz im Gegenteil habe auch Adorno faschistische Züge in der Jazzmusik fest gestellt. Immer weiter verstrickt sich der Mann in irrwitzigen Ängsten und Argumentationen, bis er in einer bernahrdesken Schimpfkanonade explodiert. Rainer Galke gibt der grotesken Figur darstellerisches Format, da kämpft einer um sein Leben, der überhaupt nicht bedroht ist.

In Noa Lazar-Kenans Einakter "Das Gedenkschauspiel" probiert ein Regisseur mit zwei Schauspielern einen Beitrag für eine große Holocaust-Erinnerungsveranstaltung. Die Szene steht noch überhaupt nicht. In wenigen Minuten ist der Auftritt, und die Darstellerin ist bekifft. In einer hinreißend durchgeknallten Groteske parodiert Lazar-Kenan KZ-Kitsch ebenso wie die inhaltliche Beliebigkeit mancher performativen Theaterformen. Am Ende hat ein jüdischer Schauspieler gegen den Reichstag gepinkelt, ein deutscher Polizist geweint, und alle finden sich in einem Bild des Schweigens.

Für die verschiedenen Stücke findet die junge Regisseurin Kerstin Krug ein überzeugendes Bild. Die Studiobühne des Central-Theaters steht voller Holzstühle, das Ensemble tritt in weißer Unterwäsche auf. In den aufklappbaren Sitzen der Stühle liegen Kostüme, Hemd und Hose zusammen hängend mit einem Reißverschluss am Rücken, die sich blitzschnell anziehen lassen. Das hat Eleganz und Witz, Krug hat überhaupt die vielfältigen Texte sehr pointiert in den Griff gekriegt. Der Abend endet mit einem Blick auf den Wahnsinn der Gegenwart.

"Meeting people" von Nora Mansmann ist eine wilde Zitatencollage, Bomben explodieren, die Menschen stürzen sich in eine hysterische Melange aus Lebensgier, Angst und Perversität. Am Ende steht die totale Vernichtung. Dieses Stück wird in der israelischen Inszenierung nicht gezeigt, weil die Theatermacher dort fürchten, dass ihr Publikum nichts damit anfangen kann. Wenn Düsseldorf im Karneval versinkt, reist das Ensemble nach Tel Aviv, um seine Aufführung dort zu zeigen.

Ende März folgt dann der Gegenbesuch mit der israelischen Perspektive. Den schmerzhaften, erhellenden Witz, den Yael Ronens Schaubühnenabend "Die dritte Generation" entwickelte, erreicht "Reality Check" nur zum Teil. Doch auch dieses Projekt zeigt, wie die Menschen aus beiden Ländern immer noch am Holocaust und an der notwendigen Erinnerung an den Völkermord leiden. Und dass Normalität weit entfernt ist, obwohl man sich in vielen Punkten doch verblüffend ähnlich ist.

Weitere Vorstellungen am 11., 14., 15., 24.,25. und 26. März; Gastspiel aus Israel am 26. und 27. März.

Infos: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de