Ein Imam in Neukölln
Ansprechpartner in einem Bezirk, wo viele jeden Euro umdrehen müssen: Taha Sabri ist Imam an der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin Neukölln. © Getty Images / Sean Gallup
Predigen im Prekariat
08:50 Minuten
Deutsche Moscheen sind Anlaufstellen für viele Menschen, die prekär arbeiten, anders als die eher bürgerlichen Kirchen. Die Gläubigen bringen auch Geldsorgen mit in die Gemeinde. Bei Taha Sabri, Imam in Berlin-Neukölln, finden sie ein offenes Ohr.
Ein sonniger Freitagnachmittag. Gut 500 Besucher strömen nach dem wöchentlichen Freitagsgebet aus der Dar-Assalam-Moschee zwischen Penny-Supermarkt und Dönerimbissen in Berlin-Neukölln. Drei Männer mit Plastikkisten versuchen, die Gläubigen zu einer Spende zu bewegen, bevor sie nach Hause oder zurück an ihre Arbeitsplätze eilen. "Im Namen Gottes, für die Moschee", rufen sie laut, lassen die Münzen in ihren Kisten klappern.
Miete finanziert aus Spenden
Keine dreißig Minuten später herrscht wieder Stille in der Dar-Assalam-Moschee. Imam Taha Sabri sitzt in einem kleinen Büro, die Spendenkisten neben sich auf einem Tisch.
Der Freitag sei ein wichtiger Tag für die Gemeinde – auch im finanziellen Sinne, sagt er: "Eine Menge Geld musst du durch Freitagsgebete sammeln. Die erste Woche ist immer die entscheidende. Die Leute haben ihre Gehälter bekommen, dann musst du irgendwie was vom Kuchen bekommen, bevor es alles adé und weg ist."
Knapp 3.000 Euro sind bei der heutigen Kollekte zusammengekommen. Mehr als 5.000 Euro monatlich braucht die Moschee allein für Miete, Müllentsorgung, Strom und Gas.
Beim Blick auf die Spendenkisten schüttelt der Imam sorgenvoll mit dem Kopf. Diesen Monat wird es knapp werden: "Man merkt das: seit Corona, dann der Krieg, dann sind die Preise richtig gestiegen, auch Lebensmittelpreise – da merkt man, dass die Leute nicht mehr in der Lage sind zu spenden wie früher. Wenn Ängste da sind, dann sind die Leute beim Geld ausgeben zurückhaltender."
Geldnot kann abhängig machen
Die Kosten der Moschee aber laufen weiter: Die tägliche Reinigung der Toiletten und Waschräume, die Gehälter des Imams und seiner Mitarbeiter und die regelmäßigen Veranstaltungen, für die die Dar-Assalam-Moschee inzwischen auch außerhalb der muslimischen Community Berlins bekannt ist, müssen fast ausschließlich über Spenden gedeckt werden.
Wenn die freitägliche Kollekte dafür nicht ausreicht, geht der Imam zu muslimischen Geschäftsleuten in der Umgebung, bittet sie um Unterstützung: "Es gibt Gott sei Dank hier in Berlin viele Ärzte, viele Geschäftsleute, viele Ingenieure. Es geht ihnen viel besser als den 'normalen Menschen', sage ich mal, und dann gehe ich zu denen: 'Guck mal, Herr Doktor oder Bruder, es fehlt uns Geld in der Moschee'. Und das bringt die Balance wieder ein bisschen ins Gleichgewicht, bevor man irgendwie links oder rechts stürzt."
Aber es sei kein schönes Gefühl, so der Imam, dieses Betteln für die Moschee. Auch möge er die Abhängigkeit nicht, die daraus leicht entsteht: Vor etwa drei Jahren setzte er sich offen für das Projekt "Sicherheit-Geborgenheit-Neukölln" ein, bei dem Läden, Moscheen und Vereine rund um die migrantisch geprägte Sonnenallee mit Aufklebern an Türen und Fenstern Schutz für Opfer von queerfeindlichen Übergriffen anboten.
Kurz darauf verweigerten ihm einige der konservativen, aber wohlhabenden Spender seiner Moschee die Unterstützung. Der Imam zuckt mit den Schultern. Das Projekt unterstützt er bis heute. Auch wenn er es damit nicht immer allen recht machen kann.
Prekäres Arbeiten laugt aus – auch den Imam
Die wichtigste Einnahmequelle bleiben auch deswegen die Freitagspredigten. Die ganze Woche über sammelt der Imam Ideen, mit denen er die Gläubigen erreichen und zum Spenden bewegen kann:
"Das ist eine Herausforderung, immer sich verbessern, Ideen, Taktiken und alles entwickeln", sagt Taha Sabri. "Aber es belastet auch die Gesundheit: ständig eine Sorge, die dich begleitet. Die treibt dich nach vorne, das ist richtig, aber die bohrt sich auch in dich rein. Das ist nicht leicht."
Der Imam lehnt sich kurz in seinem Bürostuhl zurück, schließt die Augen. Seit dem Frühgebet um 4 Uhr morgens ist er auf den Beinen. Bis 22 Uhr ist er jeden Tag für die Gläubigen erreichbar, die nicht nur zum Beten, sondern auch auf der Suche nach Rat und Hilfe in die Moschee kommen.
Seine nahegelegene Einzimmerwohnung nutzt er meist nur zum Schlafen. Urlaub hat er das letzte Mal vor drei Jahren gemacht. "Aber ich liebe es", sagt er. "Ich habe nicht so viele Bedürfnisse. Es ist ganz okay, Gott sei Dank – alhamdullilah, sagt man."
Wer bescheiden lebt, kennt die Nöte der Gläubigen
Und wahrscheinlich wäre Taha Sabri nicht Imam, wenn er nicht auch an dieser Situation etwas Gutes finden würde: Durch die ständigen Geldsorgen fühle er sich seiner Gemeinde auf besondere Art verbunden, sagt der gebürtige Tunesier.
Die Dar-Assalam-Moschee liegt in einem der wirtschaftlich schwächsten Bezirke von Berlin. Zu ihren Besuchern gehören, wie insgesamt zu Neukölln, viele Arbeitslose, Flüchtlinge und Sozialhilfeempfänger.
Auch wenn sie sonst nur ungern von ihrer Situation erzählen – und vor dem Mikrofon einer Reporterin schon gar nicht –, dem Imam vertrauen sie sich an: "Viele Leuten, die ich kenne, die zu mir kommen: Ich brauche 200 Euro bis Ende des Monats. Kannst du mir Geld leihen?", berichtet er. "Ich erlebe das täglich. Dann kommt jemand und sagt, meine Mutter im Libanon ist krank, ich brauche das und das, kannst du bitte helfen? Also, das ist etwas, das ich ständig erlebe, diese Not von Menschen. Und ich wundere mich: Der eine oder andere braucht zehn Euro. Mein Gott, was sind zehn Euro?!"
Statt Geld spenden Gläubige Zeit und Arbeitskraft
In seinem früheren Leben wäre es Taha Sabri schwergefallen, diese Menschen zu verstehen. Bevor er Imam wurde, hatte er bei Daimler in Bremen einen sicheren Job, musste sich keine Gedanken über seine Ausgaben machen, erzählt er.
Dass jemand gegen Ende eines Monats nicht mal mehr zehn Euro aufbringen kann, hätte er sich damals nicht vorstellen können: "Jetzt weiß ich ganz genau, man kommt oft ans Limit. Und es ist immer dieses Gefühl: Du weißt nicht, ob das Geld für die Kosten der Moschee reicht."
Durch die geschlossene Bürotür dringt Staubsaugerlärm in das kleine Büro. Imam Sabri betritt auf Socken den Gebetssaal, begrüßt Abu Alla, den 62-jährigen Hausmeister der Moschee. Gemeinsam freuen sich die beiden Männer über den neuen, leuchtend roten Teppich unter ihren Füßen.
Zwölf Jahre musste der alte Teppich halten. Möglich war das auch dank der vielen ehrenamtlichen Gemeindemitglieder, die immer wieder zum Putzen und Staubsaugen in die Moschee kommen, "Derjenige, der nicht in der Lage ist, Geld zu spenden, spendet seine Zeit und seine Kraft", sagt der Imam. "Und das machen viele."
Unabhängigkeit ist kostbar
Doch auch dieses ehrenamtliche Engagement, auf das die Moscheen so dringend angewiesen sind, gehe in Krisenzeiten spürbar zurück, so Sabri. Viele Gemeindemitglieder erlebe er dieser Tage wie gelähmt. So oft er kann, versucht er, sie im persönlichen Gespräch zu unterstützen. Eine zusätzliche Sozialberatung kann sich die Moschee nicht leisten.
Dass er und seine Moschee keinem großen Verband, wie etwa der DITIB, angehören, mache es ihnen, wie vielen anderen unabhängigen Moscheen in Deutschland auch, in Krisenzeiten besonders schwer.
Und doch überwiegen für ihn auch dann die Vorteile: "Du bist frei. Du gehörst keinem Staat oder keiner Organisation an, die deine religiöse, politische Arbeit hier beschränkt oder festlegt oder Grenzen dafür macht. Unabhängigkeit ist eine kostbare Sache."