Imbolo Mbue: Das geträumte Land
Aus dem Amerikanischen von Maria Hummitzsch
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 424 Seiten, 22,- EUR
Der Banker und sein afrikanischer Chauffeur
Die USA in der Finanzkrise 2008: "Das geträumte Land" ist ein Einwanderer-Roman über Krisenangst und Aufstiegshoffnung in New York. Das Debüt der US-Autorin Imbolo Mbue ist der ideale Kommentar zur heutigen Lage unter Präsident Trump.
Für Amerika war 2008 ein Jahr der Extreme – zwischen Finanzkrise, Bankrott der Lehman-Bank und der Wahl Barack Obamas, zwischen Absturz und Aufbruch, Angst und Hoffnung. Genau in diese Krisen- und Übergangszeit platziert Imbolo Mbue, eine US-Autorin mit Wurzeln im westafrikanischen Kamerun, ihren ersten Roman. Gleichwohl wird sofort klar: "Das geträumte Land" ist der denkbar triftigste literarische Kommentar zur heutigen Lage, das überzeugende Gegen-Narrativ zu Donald Trumps Hasstiraden und Abwehrmaßnahmen gegen Immigranten.
Imbolo Mbue lässt zwei konträre Welten in New York aufeinanderprallen: die Familie eines Investment-Bankers bei Lehman Brothers und die eines afrikanischen Einwanderers. Weniger der Rassen- als vielmehr der Klassen-Gegensatz interessiert die Autorin. Hier das hektische Glamour-Leben der Familie Edwards zwischen Wall Street, Manhattans Upper East Side und dem Sommerhaus in den Hamptons. Dort, in einer finsteren, von Kakerlaken verseuchten Zwei-Zimmer-Wohnung in Harlem, das mühsame Durchwursteln der Immigranten-Familie Jonga, die es mit großen Hoffnungen, aber nur provisorischem Aufenthaltsstatus aus einem Dorf in Kamerun nach Amerika geschafft hat.
Doch Imbolo Mbue entgeht jeder Gefahr fader Oben-unten-Klischees, weil sie die Immigranten-Mühsal aus eigenem Erleben genau kennt, weil sie differenzieren, Denkschablonen vermeiden und Erwartungen düpieren kann. Die Lebenssphären der Edwards und der Jongas berühren (und verheddern) sich, als Vater Jende Jonga den Job als Fahrer des Bankmanagers Edwards ergattert.
Schwankender Boden im Finanzdistrikt
Fortan chauffiert Jende seinen Arbeitgeber, dessen Frau und Söhne von früh bis nachts durch New York, hört deren Gespräche und Telefonate mit und wird zum diskreten Mitwisser ihrer Geheimnisse und privaten Kümmernisse. Seine Frau Neni rackert sich indessen vierfach ab, mit Haushalt, Job, Studium und einer neuen Schwangerschaft. Doch sie ist wild entschlossen, es in Amerika aus eigener Kraft zu schaffen. Sie arbeitet schwarz als Altenpflegerin und als Nanny bei den Edwards und büffelt in Abendkursen für einen College-Abschluss, um Apothekerin zu werden. Nichts kann ihren Glauben an das Glücksversprechen Amerikas erschüttern.
Doch insgeheim knirscht es. Der Boden schwankt, im Finanzdistrikt Wall Street genauso wie im Zuwanderer-Ghetto Harlem. Alle haben heimlich Angst. Edwards fürchtet den Zusammenbruch seiner Bank und seine Frau den Zusammenbruch ihrer Ehe. Beides trifft prompt ein. Edwards verliert den Job bei Lehman und Jende den Job bei Edwards. Der Lehman-Kollaps lässt bei beiden Familien die Fundamente einstürzen.
Bei den Jongas kommt hinzu, dass sie die amerikanischen Einwanderungsbehörden fürchten müssen, in deren Mühlen sie prompt geraten. Jendes Asylantrag wird abgelehnt, er verliert Arbeitserlaubnis und Bleiberecht. Der Hinhalte-Kampf gegen die Abschiebung beginnt und zieht sich hin. Er ist zermürbend und droht die Familie zu zerreißen, denn Jende will aufgeben, doch Neni will bleiben. Immer verzweifelter erscheinen die Auswege, auf die Neni verfällt, um nicht ausgewiesen zu werden und ihrem Sohn doch noch eine amerikanische Ausbildung zu ermöglichen. Alle Anpassungsmühen dieser aufstiegsgläubigen und opferwilligen Immigranten, ihre Bereitschaft, fürs Bleiberecht auch die miesesten Arbeiten zu verrichten, sind vergeblich und gehen an Amerikas harten Einwanderungsgesetzen zuschanden.
Was vielen Immigranten in Trumps Amerika bald real drohen könnte - in diesem Roman ist es bereits als Blaupause geschildert.