"Wenn wir fragen, ob jemand Rassist, Sexist oder Antisemit war, konzentriert sich das auf die Person und suggeriert, dass es sich um Verfehlungen Einzelner handelt. Tatsächlich aber stehen diese Personen in Traditionen. Rassismus, Sexismus und Antisemitismus sind traditionsbildend über Zeiten hinweg und reichen bis in die Gegenwart. Es ist also kein individuelles Problem, sondern ein Problem von Gesellschaften und von geschichtlicher Entwicklung."
Rassismus bei deutschen Philosophen
Mit seinen rassistischen Äußerungen stand Immanuel Kant im Kontext seiner Zeit, sagt die Philosophin Andrea Esser. © imago-images / epd
"Verstrickung in problematische Denkmuster"
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Vor 200 Jahren formulierte Immanuel Kant rassistische Positionen - und stand damit in einer Tradition. Ein Projekt untersucht nun solche Denkmuster in der deutschen Philosophie. Ihre Wirkung reiche in die Gegenwart hinein, sagt Leiterin Andrea Esser.
Die Universität Jena hat ein Forschungsprojekt zu Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in Werken der klassischen deutschen Philosophie gestartet. Projektleiterin Andrea Esser will mit ihrem Team Schriften von u.a. Fichte, Hegel, Schelling und auch Immanuel Kant hinsichtlich solcher Positionen und ihrer Wirkung bis in die Gegenwart untersuchen.
Bei allen Genannten gebe es "de facto einen Anfangsverdacht", so Esser, die gleichsam betont, dass das Projekt nicht als "Gerichtsprozess" konzipiert sei. Ziel sei es, die Verstrickungsgeschichte exemplarischer Texte in problematische Denkmuster zu rekonstruieren und sich darüber auch klar zu werden, wie man heutzutage mit diesem Erbe umgehen kann.
Rassismus war traditionsbildend
Dass Kant sich rassistisch geäußert habe, stehe außer Frage, sagt Esser. Damit habe er im Kontext seiner Zeit gestanden. Ob er aber dadurch auch ein Rassist gewesen sei, sei nicht die dringlichste Frage.
Forschungsarbeit im Austausch mit der Öffentlichkeit
Bei ihrer Forschungsarbeit liege der Schwerpunkt auf dem deutschen Idealismus, "also sozusagen unserem philosophisch-kulturellen Erbe." Dabei versuche man nicht aus dem gegenwärtigen Diskurs "Rückprojektionen" anzustellen, sondern problematische Äußerungen aus ihrer Zeit heraus zu verstehen.
Esser will im Austausch mit der Öffentlichkeit arbeiten und nicht "diese als ein aufzuklärendes Objekt begreifen". Das bedeute, auch Formate zusammen mit der Öffentlichkeit zu entwickeln.
"Wir wollen an philosophischen Instituten und an Schulen Programme entwickeln, in denen man Irritationserfahrungen macht, also nicht nur belehrt wird, sondern bemerkt, wie in einem selber ein rassistisches, sexistisches und antisemitisches Wissen wohnt. Auch wenn man sich selber davon distanziert."
(rja mit Material von KNA)