Kant reloaded

Hoffnung, dass das Blöde nicht gewinnt

Portrait von Immanuel Kant - darauf steht die Frage "Was darf ich hoffen"
Der Autor Wolf Lotter hofft auf ein bisschen Vernunft, das uns jedes Jahr ein bisschen mündiger macht. © picture alliance
Gedanken von Wolf Lotter · 29.12.2022
Was darf ich hoffen? So lautet die dritte der vier philosophischen Grundfragen Immanuel Kants. Angesichts von zahlreichen scheinbar ausweglosen Krisen ist sie schwer zu beantworten. Wirtschaftspublizist Wolf Lotter setzt trotzdem auf die Hoffnung.
Was darf ich hoffen? Was ist realistisch? Was hätte Immanuel Kant wohl zu dieser Nummer drei seiner vier Fragen gedacht und geschrieben, wäre ihm zu seiner Zeit, zu Ende des 18. Jahrhunderts, ein Streamingdienst über den Weg gelaufen – oder wenigstens eine DVD, damals in Königsberg, am besten mit einer Folge der amerikanischen Serie „West Wing“.
In dieser gibt es einen fiktiven Präsidenten, der Bartlet heißt: ein guter Mensch, dem aber angesichts des schweren Amtes der Mut verlässt. Am Ende einer dieser harten Tage fragt der Präsident seinen Sekretär, ob er denn den Unterschied zwischen einem Pessimisten und einem Optimisten kenne? „Ich denke doch, Sir“, sagt der Assistent. Aber ohne sich das genauer erklären zu lassen, fängt Bartlet mit seiner Version an: "Also passen Sie mal auf: Der Pessimist sagt, schlimmer kann es nicht werden. Der Optimist hingegen weiß: Doch, das geht!"

Gute Hoffnungen gibt es viele

Doch, das geht. Das ist „Wir schaffen das“ – nur jetzt mal andersrum. Am Ende eines harten, jedenfalls krisenhaften Jahres fragen wir uns untereinander zu Recht, was wir hoffen dürfen?
Auf Frieden, klar! Auf die Niederlage des Aggressors, auch klar. Das ist gute Hoffnung. Und hoffen wir gleich auch, dass sich damit Putin, Pandemie und Inflation in Luft auflösen, dass Bürokraten verstehen lernen, dass nur gelöste Probleme die Menschheit weiterbringen – und ihnen ihren regelmäßigen Lohn aufs Konto. Hoffen wir auch, dass wir unterscheiden lernen zwischen berechtigter Sorge und grundloser Panik, zwischen rationaler Einsicht und apokalyptischer Verzweiflung. Hoffen wir, dass die Züge wieder pünktlich fahren! Hoffen wir, dass die Transformation nicht nur im deutschen Karneval eine Rolle spielt.

Zuversicht ist nüchtern, aber wirksam

Und – nicht zuletzt – hoffen wir, dass uns all jene Zweckoptimisten erspart bleiben, die selbst Opa und Oma noch erklären, dass die besten Jahre noch vor uns liegen, wenn wir ihnen ihre Visionen und Utopien abkaufen. Zweckoptimismus ist das Pfeifen im finsteren Walde, das braucht niemand.
Die Aufklärung hingegen, der Kant angehörte, die will das Licht anmachen, damit jeder seinen Weg findet und nicht naiv, auf der Suche nach ewigem Glück, einfach so vor sich hin stolpert. Denn die Hoffnung, die ist nicht dumm oder naiv. Sie steht mit beiden Beinen im Leben. Zuversicht ist keine Gefühlswallung. Sie ist nüchtern. 

Wir können aus Fehlern lernen

Das klingt dieser Tage ein wenig merkwürdig, ich weiß, nicht nur rund um Silvester. Aber Nüchternheit – das heißt ja nichts anderes, als dass wir auf die Aufgeklärten setzen und nicht auf die Besoffenen, die vor lauter Visionen nicht mehr den Weg zum Arzt finden, sondern irgendwo im öffentlichen Raum landen, wo sie dann querliegen und auch so denken.
Was wir hoffen dürfen ist, dass das Blöde nicht gewinnt, weil das immer zum Bösen führt, das die Blöden braucht “wie der Sonnenkönig das Solarium”, wie es der große Roger Willemsen so schön sagte. Was wir nüchtern betrachtet hoffen dürfen, das ist, dass der alte Kant und der alte Ernst Bloch recht hatten. Von Ernst Bloch kennen wir das „Prinzip Hoffnung“.
Dabei geht es darum, sagt Bloch, dass wir aufhören, immer nur übers Scheitern zu reden, und lieber anfangen sollten, uns ins Gelingen zu verlieben. Nicht zweckoptimistisch ist das, sondern realistisch. Weil es tatsächlich so ist, dass wir aus Fehlern lernen können – langsam, aber doch! Weil es tatsächlich so ist, dass das bisschen Vernunft, das wir haben, uns ein klein wenig mündiger macht, jedes Jahr ein bisschen mehr, auch wenn das manchmal nur ganz, ganz schwer zu sehen ist. Was wir hoffen dürfen ist: Doch, das geht! Im Guten. Und dafür: Alles Gute!

Wolf Lotter ist Autor mit dem Schwerpunkt Transformation und Innovation, schreibt Kolumnen für "tazFutur2", Standard, Spiegel und Wirtschaftswoche, war Gründungsmitglied und langjähriger Leitessayist des Wirtschaftsmagazins „brand eins“ und Autor von Bestsellern. Zuletzt „Strengt euch an: Warum Leistung wieder lohnen muss“ (2021) und „Unterschiede: Wie aus Vielfalt Gerechtigkeit wird“ (2022).

Wolf Lotter: Ein Mann mit Brille und kurzen Haaren schaut in die Kamera.
© Katharina Lotter
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