Gute Aussichten für deutsche Orgelkunst
Deutschland möchte seine Orgeltradition als weltweites immaterielles Kulturerbe gewürdigt sehen. Als Vorsitzender des Kulturausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission sieht Wolfgang Kaschuba gute Chancen für die Aufnahme in die Liste.
Orgelbau und Orgelmusik, das klinge auch im Ausland "ein bisschen typisch deutsch", sagte der Vorsitzende des Kulturausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission, Wolfgang Kaschuba, im Deutschlandfunk Kultur. "Da wird auch gleich an Bach und Konsorten gedacht."
Fast ein Selbstläufer
Er glaubt, es könnte gelingen, dass die deutsche Orgeltradition als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkannt wird. Gerade trifft sich das zuständige Komitee in Südkorea, um über die vorliegenden Anträge zu entscheiden. Kaschuba sieht da für die deutsche Bewerbung sehr gute Chancen: "Das ist sicherlich im Unterschied zum letzten Jahr mit dem Genossenschaftswesen, wenn alles normal geht und gut geht, fast ein Selbstläufer."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Mittelmeerküche, das japanische Kabuki-Theater, aber auch die Prozession der tanzenden Teufel, die immer an Fronleichnam in Venezuela stattfindet, all das gehört zum immateriellen kulturellen Erbe der Menschheit. Ab heute trifft sich das zuständige UNESCO-Komitee in Südkorea, um über weitere Anträge auf Aufnahme zu beraten. Deutschland möchte, dass Orgelbau und Orgelmusik gewürdigt werden.
Im vergangenen Jahr hatte sich die deutsche Delegation für die Genossenschaft und die Falknerei stark gemacht. Wolfgang Kaschuba ist Vorsitzender des Kulturausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission und natürlich auch bekannt als profilierter Direktor des Berliner Instituts für Migrationsforschung. Guten Morgen, Herr Kaschuba!
Wolfgang Kaschuba: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Welche Chancen sehen Sie denn für Orgelbau und Orgelmusik? Schafft es Deutschland damit auf die Liste?
Kaschuba: Ich glaube, da sehen wir ganz gute Chancen. Orgelbau und Orgelmusik, das klingt natürlich auch in den Ohren von Menschen, die sich für deutsche Kultur außerhalb Deutschlands interessieren, na ja, so ein bisschen typisch deutsch. Da wird auch gleich an Bach und Konsorten gedacht. Das ist sicherlich im Unterschied zum letzten Jahr mit dem Genossenschaftswesen, wenn alles normal geht und gut geht, fast ein Selbstläufer.
Schwierige Definition
Welty: Nach welchen Kriterien wird denn überhaupt entschieden, was aufgenommen wird und was nicht? Wobei es ja genaugenommen drei Listen gibt. Aber wir wollen uns an dieser Stelle mal auf die sogenannte repräsentative Liste konzentrieren.
Kaschuba: Man muss dazu eben einfach sagen, dieses immaterielle Kulturerbe ist in mancher Hinsicht ja auch eine Antwort der asiatischen und afrikanischen Staaten auf die europäische Tradition des Kulturerbes in Gestalt von Schlössern und Gärten und Architektur. Und von Anfang an war die Definition, was ist denn geistiges, immaterielles, nicht fassbares Kulturerbe, natürlich nicht so einfach. Aber der Verweis kam natürlich gerade auch aus den Gesellschaften außerhalb Europas.
Wir haben eben sehr viele Traditionen, die mit Wissen, mit handwerklichen Fertigkeiten, mit Ritual, mit Fest und anderen Dingen zu tun haben, die bei uns mindestens so wertgeschätzt werden wie bei euch eure ja doch vielfach Zeugnisse der feudalen Zeit oder eben jetzt der Moderne. Und deswegen ist es ein ständiger Prozess, in hohem Maße wird darunter zunächst natürlich etwas verstanden, was bei uns vielleicht Goethe und Schiller wäre, aber in anderen Ländern eben viel mit Tanz, mit Theater, mit Ritualen, mit kollektiven Traditionen zu tun hat. Entscheidend ist eben, dass klargemacht wird, was ist das für eine Tradition, woher kommt sie, wer übt sie aus, und gibt es sie heute noch, oder ist das nur eine museale Einrichtung. Und die entscheidende Frage ist natürlich in der Tat die nach der Lebendigkeit.
Das kann man dann eben auch an den deutschen Beispielen sehen. Als wir die Genossenschaft als Idee und als Bewegung eingereicht haben, haben wir natürlich listigerweise auch versucht, dieses Programm auch ein wenig zu politisieren, denn das Genossenschaftswesen in Europa reicht von der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts bis heute zu jungen Familien, die sich in Großstädten zusammentun und Baugenossenschaften bilden, weil sie sich sonst keine Wohnung mehr leisten können. Das war dann auch sehr umstritten, aber wir haben dann mit großer Unterstützung etwa aus Indien – die dortigen Delegierten haben gesagt, ja, Genossenschaften haben wir Hunderttausende hier, ist ganz wichtig. So haben wir es dann eben durchgeboxt. Aber es ist immer eine Verhandlungsfrage.
Deutschland hat 50.000 Orgeln
Welty: Inwieweit kann es auch helfen, dass ein Ritual oder ein Handwerk nach allgemeinem Verständnis besonders exotisch ist und auch nicht von besonders vielen Menschen praktiziert wird? Wenn Sie schon mit den Tricks arbeiten?
Kaschuba: Man wird immer darüber nachdenken, auch natürlich mit Blick auf die Zukunft, was für eine Perspektive hat so etwas. Was in diesem Jahr nominiert ist, der Orgelbau, das ist eben eine interessante Frage. Das wird für die meisten Leute vielleicht nicht so ganz alltäglich, wenn sie nicht in die Kirche gehen. Aber Deutschland hat 50.000 Orgeln. Deutschland hat 400 Orgelbaubetriebe, und jede Orgel ist ein Unikat, die wird sozusagen auf die spezielle Kirche oder den entsprechenden Raum zugeschnitten, auf die Gemeinde und vor allem natürlich auf die Praxis. Und die Praxis heißt Chorsingen in Deutschland.
Also wir haben da im Grunde genommen eine Verbindung einer Handwerkstradition, das Wissen, die Züge, die Pfeifen, die da gemacht werden, das ist eine Mischung aus altem Wissen und Hightech. Wir haben religiöse Traditionen, das hat sich aber geöffnet, es gibt auch ganz weltliche Chöre, und wir haben im Grunde die Lebendigkeit. Für andere Augen ist es vielleicht auch durchaus exotisch, die Orgeln kennt man außerhalb Europas nicht so breit.
Und auch für manche, wie gesagt, die nicht in der Kirche sind, vielleicht auch. Aber wenn man dann darüber nachdenkt, wird man dann doch wahrscheinlich eben feststellen, das ist in der Tat eine Tradition, die uns jetzt gerade an Weihnachten ja auch wieder sehr bewusst wird. Überall ertönt Orgelmusik zu Weihnachten.
Kein Museum der vergangenen Dinge
Welty: Jetzt unterliegt Kultur ja permanenten Veränderungen. Ist es dann nicht auch ein natürlicher Prozess, dass manche Dinge verschwinden, weil sie heutzutage eben nicht mehr gebraucht werden? Auf La Gomera benutzt man eben auch inzwischen Mobiltelefone und nicht mehr die Pfeifsprache, um sich über größere Entfernungen zu verständigen.
Kaschuba: Ja, das ist völlig richtig. Wir wollen natürlich hier kein Weltmuseum der untergegangenen Traditionen einrichten, und deshalb bemühen wir uns auch vor allem vonseiten der deutschen UNESCO-Kommission, dass wir eben auch jetzt nicht nur traditionelle, eher ländliche Dinge sozusagen und Traditionen in die Liste hineinbringen, sondern dass eben auch berücksichtigt wird, wir sind inzwischen städtische Gesellschaften, wir sind inzwischen migrantische Gesellschaften, und da sind manche Traditionen eben nicht jahrhundertealt, sondern eben vielleicht nur Jahrzehnte oder auch nur Jahre.
Und so haben wir zum Beispiel eben in der deutschen Nationalliste eben jetzt nicht nur alte Tänze oder alte Feste, sondern eben auch Poetry Slam oder andere Moderne, deutsche Theater- und Orchesterlandschaft. Wir überlegen gerade, ob wir den Ausdruckstanz, den modernen Ausdruckstanz für die Weltliste in den nächsten Jahren nominieren. Also, wir wollen da natürlich in der Tat eine Verbindung zur Gegenwart schaffen und kein Museum der vergangenen Dinge.
Welty: Wie lässt sich denn immaterielles Kulturerbe wirksam schützen?
Kaschuba: Am besten natürlich durch Tun, dadurch, dass diese Formen, die irgendwann entstanden sind, in heutigen Gesellschaften noch eine Funktion haben. Wir sehen das ja in hohem Maße etwa bei der ganzen Feier- und Festkultur, die wir haben. Dazu braucht es einen Anlass. Man muss ja immer in Deutschland legitimieren, dass man auch feiern darf, und da ist nichts besser als irgendeine Tradition. Und die Zahl der lokalen und regionalen und nationalen Feste geht ja in die Zehntausende.
Also da sehen wir einfach, dass ein bestimmtes kulturelles Verständnis, das in einer Tradition gebunden ist – wir feiern unser Stadtjubiläum, wir feiern eine bestimmte regionale Tradition, eine religiöse Tradition, dass das sehr hilfreich ist eben auch, wenn wir unseren ganz aktuellen Fest- und Feierkalender einrichten. Und wir wissen ja heute, nichts ist gerade auch in den Städten heute mehr gesucht als das gemeinsame Ausgehen, Feiern und Draußen sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.