Immer auf der richtigen Seite
In seiner Autobiografie "Schweigen heißt lügen" erzählt Howard Zinn von seinem Leben als Friedens- und Bürgerrechtsbewegter. Das Buch ist zugleich das Porträt einer Epoche nach 1945 und ein Stück US-amerikanische Zeitgeschichte.
Wer sich auf den Standpunkt der Gerechtigkeit stellt, wird an der Geschichte der USA viel Himmelschreiendes finden. Howard Zinn stellte sich als Friedens- und Bürgerrechtsbewegter im Kreis von Martin Luther King, Herbert Marcuse und Noam Chomsky konsequent auf diesen Standpunkt, nachdem er im Zweiten Weltkrieg - den "Krieg gegen den Faschismus", bei dem er unbedingt mitmachen wollte - als Bombenschütze im französischen Royan auch Zivilisten mit Napalm getötet hatte. Zinns Autobiografie "Schweigen heißt lügen" ist von der Gewissheit durchdrungen, nach 1945 immer auf der richtigen Seite gestanden zu haben, der Seite der Opfer, der Unterdrückten, der kleinen Leute.
Das Buch erhebt notorisch Anklage gegen die Regierungen in Washington, die Justiz, das FBI, auch pauschal gegen "die Mächtigen", nervt aber weder mit Selbstgerechtigkeit noch Larmoyanz. Denn Howard Zinn, der sich als fröhlicher Mensch mit sozialistischen Idealen zeigt, zog aus seinen Aktivitäten viel Lebensmut und glaubte unverdrossen, dass sich die Verhältnisse von unten ändern lassen.
Weil Zinn meinte, "Gutes tun zu müssen", ging er 1956 als Historiker an ein "Nigger-College" in Georgia und 1963 nach Mississippi ("für die Schwarzen ein Staat, in dem sie jederzeit ermordet werden konnten"). Er agierte als Mitglied des Student Nonviolence Coordinating Committee (SNCC) gegen die Rassentrennung.
Dass Schwarze sich Bücher ausleihen dürfen, dass ihre Wahlregistrierung nicht boykottiert wird, dass sie sich im Café an einen Tisch mit Weißen setzen können: Das waren Ziele, deren Durchsetzung Menschenleben kostete. Zinn erwähnt, dass sich SNCC-Aktivisten später einig darüber waren, "wie schrecklich doch jene Zeit im Süden, in der Bewegung gewesen sei, doch eben auch die wundervollsten Tage unseres Lebens". Eine charakteristische Bemerkung.
Zinn gehörte zu den prominenten Protestlern gegen den Vietnam-Krieg. Beim Besuch in Hanoi 1968 half er, amerikanische Kriegsgefangene zu befreien. Daniel Ellsberg vertraute ihm die entwendeten "Pentagon-Papiere" an, die später von der "New York Times" veröffentlicht wurden und als Kriegsziel die Wahrung wirtschaftlicher Interessen in Südostasien ("Zinn, Kautschuk, Öl") offenbarten. Zinn erwähnt solche bedeutenden Berührungen mit der Zeitgeschichte, berichtet aber mit größerem Enthusiasmus, was er als Professor von Studenten gelernt hat. Und das wirkt nicht kokett.
Geschichte von unten schreiben war eine fieberhafte, existenzielle Sache – vor allem davon erzählt "Schweigen heißt lügen". Etwas zu häufig beschreibt (und sakralisiert) Zinn Schwarze als "singende und betende" Menge. Auch seine weltanschaulichen Betrachtungen, die im übrigen frei von marxistischer Terminologie sind, neigen zum Populismus ("Hitlers Hände waren schmutzig, doch die der Vereinigten Staaten waren auch nicht sauber").
Wer Aversionen gegen linke Weltverbesserer hegt, dem mutet Zinn einiges zu. Wen es freut, dass manche Menschen tatsächlich Dinge verbessern und sogar Spaß dabei haben, wird "Schweigen heißt lügen" gern lesen.
Besprochen von Arno Orzessek
Howard Zinn: Schweigen heißt lügen
Autobiografie, aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Schneider, Edition Nautilus, Februar 2010, 288 Seiten, 22 Euro
Das Buch erhebt notorisch Anklage gegen die Regierungen in Washington, die Justiz, das FBI, auch pauschal gegen "die Mächtigen", nervt aber weder mit Selbstgerechtigkeit noch Larmoyanz. Denn Howard Zinn, der sich als fröhlicher Mensch mit sozialistischen Idealen zeigt, zog aus seinen Aktivitäten viel Lebensmut und glaubte unverdrossen, dass sich die Verhältnisse von unten ändern lassen.
Weil Zinn meinte, "Gutes tun zu müssen", ging er 1956 als Historiker an ein "Nigger-College" in Georgia und 1963 nach Mississippi ("für die Schwarzen ein Staat, in dem sie jederzeit ermordet werden konnten"). Er agierte als Mitglied des Student Nonviolence Coordinating Committee (SNCC) gegen die Rassentrennung.
Dass Schwarze sich Bücher ausleihen dürfen, dass ihre Wahlregistrierung nicht boykottiert wird, dass sie sich im Café an einen Tisch mit Weißen setzen können: Das waren Ziele, deren Durchsetzung Menschenleben kostete. Zinn erwähnt, dass sich SNCC-Aktivisten später einig darüber waren, "wie schrecklich doch jene Zeit im Süden, in der Bewegung gewesen sei, doch eben auch die wundervollsten Tage unseres Lebens". Eine charakteristische Bemerkung.
Zinn gehörte zu den prominenten Protestlern gegen den Vietnam-Krieg. Beim Besuch in Hanoi 1968 half er, amerikanische Kriegsgefangene zu befreien. Daniel Ellsberg vertraute ihm die entwendeten "Pentagon-Papiere" an, die später von der "New York Times" veröffentlicht wurden und als Kriegsziel die Wahrung wirtschaftlicher Interessen in Südostasien ("Zinn, Kautschuk, Öl") offenbarten. Zinn erwähnt solche bedeutenden Berührungen mit der Zeitgeschichte, berichtet aber mit größerem Enthusiasmus, was er als Professor von Studenten gelernt hat. Und das wirkt nicht kokett.
Geschichte von unten schreiben war eine fieberhafte, existenzielle Sache – vor allem davon erzählt "Schweigen heißt lügen". Etwas zu häufig beschreibt (und sakralisiert) Zinn Schwarze als "singende und betende" Menge. Auch seine weltanschaulichen Betrachtungen, die im übrigen frei von marxistischer Terminologie sind, neigen zum Populismus ("Hitlers Hände waren schmutzig, doch die der Vereinigten Staaten waren auch nicht sauber").
Wer Aversionen gegen linke Weltverbesserer hegt, dem mutet Zinn einiges zu. Wen es freut, dass manche Menschen tatsächlich Dinge verbessern und sogar Spaß dabei haben, wird "Schweigen heißt lügen" gern lesen.
Besprochen von Arno Orzessek
Howard Zinn: Schweigen heißt lügen
Autobiografie, aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Schneider, Edition Nautilus, Februar 2010, 288 Seiten, 22 Euro