Immer diese Künstler
Die Malerin Paula Modersohn-Becker machte die Künstlerkolonie Worpswede vor 100 Jahren berühmt. Nun will die niedersächsische Landesregierung die Künstlerförderung am Ort zum Jahresende 2009 einstellen. Und: Vor 120 Jahren entdeckte der Maler Paul Müller-Kämpff gelegentlich eines Spazierganges den Flecken Ahrenshoop, eine Künstlerkolonie entsteht. In diesem Jahr feiert der Ort 100 Jahre Kunstkaten und gibt Anlass für Nachfragen.
Die Künstlerkolonie Worpswede. Seit 100 Jahren ein Begriff. Wenig verwunderlich also, dass zahlreiche Galerien noch heute vom Nimbus des Künstlerortes zehren. Und so war es selbstverständlich, dass in 21 sogenannten Atelierhäusern dem künstlerischen Nachwuchs mittels Stipendien Raum gegeben wurde. Das soll sich nun ändern, jedenfalls nach dem Willen der niedersächsischen Landesregierung. Sie will die Künstlerförderung zum Jahresende 2009 einstellen und die Atelierhäuser am Ort schließen. Die naheliegende Frage: Wie ist das – ein Künstlerdorf ohne Künstlerförderung? Günter Beyer ging der Frage nach.
Beispiel Worpswede
Von Günter Beyer
Vowinckel: "Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Komposition mit gesprochener Sprache, und ich habe eine Aufnahme noch in Italien gemacht mit einem hervorragenden Sprecher, und mir geht es in dieser Komposition darum, die Prosodien, also die Sprachmelodien, herauszukitzeln aus so einer Aufnahme und eine Komposition zu machen, die nur auf gesprochener Sprache beruht ohne zusätzliche Instrumente, dass man wirklich die Melonie normaler gesprochener Sprache, also nicht besonders rezitierter Sprache oder gesungener Sprache, diese Melodien eben schon als Musik hört."
Antje Vowinckel ist Klangkünstlerin. Derzeit lebt die 45-Jährige als Stipendiatin in Worpswede, dem Künstlerdorf im Teufelsmoor, eine halbe Autostunde entfernt von Bremen. Das Atelier, wo sie für drei Monate arbeitet und wohnt, ist in der ehemaligen Remise des "Barkenhoffs" eingerichtet. Das großzügige Anwesen am Ortsrand hatte einst dem Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler gehört. Aus Berlin, wo Antje Vowinckel hauptsächlich lebt, hat sie Computer, Mikrofone und Lautsprecher mitgebracht.
Die vielseitige Künstlerin, die über "Collagen im Hörspiel" promoviert hat und zahlreiche Preise einheimsen konnte, ist froh, eine Weile ohne materiellen Druck arbeiten zu können.
Vowinckel: "Vor allen Dingen die Tatsache, dass es hier ein spezielles Stipendium für die Richtung "Klangkunst" gibt. (…) Ich glaube, Worpswede ist der einzige Ort, wo es überhaupt Stipendien dezidiert für Klangkunst gibt."
Doch damit soll es Ende diesen Jahres vorbei sein. Niedersachsens Landesregierung will nicht nur die Klangkunst, sondern sämtliche Künstler-Stipendien von Worpswede nach Lüneburg vergeben.
Das norddeutsche Künstlerdorf Nummer eins ohne zeitgenössische Künstler? Die Ankündigung kam völlig überraschend, erzählt Anke Bräuler, die Vorsitzende des Vereins "Atelierhaus Worpswede":
"Für uns bedeutet das einen sehr, sehr großen Verlust, und wir sehen diese Entscheidung mit völligem Unverständnis, weil diese Tradition von Künstlerförderung seit 1971 besteht und international renommiert und anerkannt ist."
Verärgert ist auch Waldemar Otto, der Worpsweder Bildhauer, dessen figürliche Bronze-Skulpturen und Torsi vielerorts in Deutschland zu sehen sind:
"Es bedeutet vor allem, dass man im Kulturministerium in Hannover die Absicht hat Tradition zu vernichten. Natürlich ist es so, wer Tradition vernichtet, vernichtet auch Kunst. Aber so weit wird da offenbar nicht gedacht."
Stipendien in Worpswede sind beliebt. Im vergangenen Jahr gingen über 1000 Bewerbungen aus aller Welt ein. Während früher Künstlerinnen und Künstler sich allerdings sechs Monate oder gar ein Jahr im Teufelsmoor niederlassen konnten, wurde die Förderdauer auf maximal vier Monate verkürzt. Dafür aber konnten mehr Kreative eingeladen werden. In diesem Jahr sind es 20. Bürgermeister Stefan Schwenke:
"Für jeden Monat bekommen die Künstler 1400 Euro als Stipendium, freie Logis, und eine Begleitung mit dem künstlerischen Leiter, der dann die Betreuung durchführt, die Ausstellung hier vor Ort, die wir zur Verfügung stellen, die Räume als Gemeinde Worpswede mit organisiert, und die Vernetzung der Künstler mit anderen Einrichtungen, Atelierhaus, Kunstvereinen in ganz Deutschland dann auch organisiert. Das ist die Künstlerförderung hier in Worpswede, vom Land finanziert, und ich schätze einfach mal ein Gesamtvolumen von 200.000 Euro im Jahr."
Die Worpsweder Künstlerförderung geht zurück auf eine private Initiative in den 1960er-Jahren. Damals machte sich das Grafikerehepaar Martin Kausche und Eva Kausche-Kongsbak für den künstlerischen Nachwuchs stark.
Auf den vor zwei Jahren verstorbenen Künstlerfreund hält Bildhauer Waldemar Otto große Stücke:
"Martin Kausche war jemand, der ein Kunstliebhaber war, er war selber ja Graphiker und Zeichner, und auch seine Frau, und er hat während der Nazizeit Kunst unterm Ladentisch gekauft, die damals verpönt war. Also einer, der nicht mit der Herde gelaufen ist, sondern sich kontrovers gestellt hat."
Dieser Martin Kausche engagierte sich unermüdlich für die Gegenwartskunst. Er warb Spenden ein und fand Räume für die Gäste. Nach 1971 entstanden im Dorf peu-à-peu insgesamt elf Künstlerwohnungen. Die Länder Niedersachsen und zeitweise auch Bremen leisteten erhebliche Beiträge.
Bei den Atelierhäusern "Vor den Pferdeweiden" wölbt sich ein weiter Himmel über plattes grünes Land. Der Wind treibt Wolkenfetzen vor sich her, schiebt sie zu immer neuen, flüchtigen Bildern zusammen, die bald wieder auseinander driften. Auf einer Stele vor den Bungalows eine Bronzeskulptur von Waldemar Otto . Sie zeigt Martin Kausche, den guten Geist der Künstlerförderung. Wer der schmalen Allee folgt, gelangt an den Fluss Hamme, dessen braunes Wasser einst die Kähne der Torfbauern trug. Hier fanden um die Wende zum 20. Jahrhundert die Begründer der Worpsweder Malerkolonie wie Fritz Mackensen und Otto Modersohn ihre Motive: Karges Moor, durchschnitten von Kanälen. Sandwege, flankiert von weißen Birken.
Viele schätzen zwar die Ruhe als Quelle von Inspiration. Aber die landschaftliche Idylle ist nur für wenige ein Motiv. Schon gar nicht für die Klangkünstlerin Antje Vowinckel:
"Die Herstellung von Idyllen entspricht meiner künstlerischen Arbeit überhaupt nicht. Also ich versuche immer, das, was man sozusagen aussperrt aus der Idylle, mit zu integrieren. Ich bin eher so´n Mensch, der sich abarbeitet an Dingen, und der auch was Kritisches zeigen will."
Die Verfertigung von Idyllen erwartet auch niemand von den Stipendiaten. Aber das CDU-geführte Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover hat schon den Eindruck, dass die Künstler im Teufelsmoor etwas zu weit entfernt sind von den Pulsschlägen des Zeitgeistes. Wenn man schon Geld gibt, sollten die Künstler auch die Möglichkeit haben, sich in Lüneburg am akademischen Kunstbetrieb zu reiben. Aber wollen das wirklich alle? Waldemar Otto, der 80-jährige Doyen der etablierten Künstler aus dem Teufelsmoor, meint:
"Junge Künstler suchen Ruhe zur Entwicklung. Das ist heute etwas aus der Mode gekommen, nicht. An den Hochschulen wird ja vom ersten oder zweiten Semester an in speziellen Veranstaltungen gelehrt, wie man sich selber managen kann. Das heißt, es wird den jungen Studenten, die ja gerade erst anfangen, schon gesagt, sie müssten ihre Nase in den Wind halten um Trends zu wittern. Und diesen Trends müssten sie sich anschließen, damit sie eine Karriere machen können. Das ist natürlich diametral dem entgegengesetzt, was hier zunächst die Intention war."
Worpswede kann sich eigentlich nicht über mangelnde staatliche Förderung beklagen. Insgesamt neun Millionen Euro, der Löwenanteil aus EU-Töpfen, fließen in den nächsten Jahren in die etablierten Einrichtungen: Das Besucherzentrum soll erweitert, etliche Museen, in denen Werke der "alten Worpsweder" gezeigt werden, sollen modernisiert und für Kulturtouristen attraktiver gemacht werden. Zeitgenössische Kunst steht dabei nicht auf dem Programm.
Tausende von Unterschriften haben Worpsweder Künstlerinnen für den Erhalt der Stipendiatenförderung am Ort gesammelt. Auch Worpswedes Bürgermeister Stefan Schwenke will sich einsetzen.
Schwenke: "Ich denke natürlich aber auch an die Unterstützung von privaten Stiftungen. Auch da könnte es Möglichkeiten geben. Gegebenenfalls gibt es auch andere Sponsoren, die dort mit unterstützen können."
Notfalls zurück zu den privaten, bürgerschaftlichen Wurzeln der Künstlerförderung, heißt es auch beim Verein Atelierhaus. Anke Bräuler:
"Wir wollen einen Förderkreis gründen, der auch vielleicht durch kleine Beträge, zumindest eine Grundlage bieten könnte, und die würden wir natürlich auch unabhängig, ob es weiter läuft oder nicht, das wollen wir aktivieren, so dass ich doch Hoffnung habe."
Beispiel Ahrenshoop
Von Hartwig Tegeler
Von Worpswede nach Ahrenshoop an der Ostseeküste. Wer dort in der Urlaubssaison die einzige Hauptverkehrsstraße überqueren möchte, der fühlt sich schnell an heimische Großstadtkreuzungen erinnert. Die Erinnerung daran kann längere Zeit dauern, denn ein Auto nach dem anderen zieht an ihm vorbei. Und während der Gast so am Straßenrand steht, aber eigentlich zum Kunstkaten rüber möchte, ziehen an ihm nicht nur Autos, sondern auch manche Fragen vorbei. Zum Beispiel: Wie lebt es sich in dem Ort von der Kunst? Und: Was tut der Ort für die Kunst, also für die Künstler? Hartwig Tegeler war außerhalb der Saison in Ahrenshoop und konnte schnell seine Fragen beiderseits der Hauptstraße stellen.
Ein Widerspruch ist ganz offensichtlich, jedenfalls in Ahrenshoop: der zwischen Kultur und Natur. Weiß die Schriftstellerin Ingrid Schreyer, seit 1973 hier ansässig. Wie zahlreich beispielsweise hier eine Kunstausstellung besucht wird, das […]
Schreyer: "Das liegt dann immer am Wetter. Haben wir einen verregneten Sommer, sind die wunderbar besucht."
Schlechtes Wetter – natürliche Kunstförderung. Gutes tja: spärliche Besucherzahlen bei Konzerten, Lesungen oder in Galerien. Während Wege und Straßen überquellen:
Schreyer: "…dann ist das auch an der Hauptstraße mit dem Radverkehr, der sehr zugenommen hat. Und mit den Urlaubern."
Ahrenshoop boomt. Nur welches? Das Seebad-Ahrenshoop. Oder das Dorf, das einmal berühmte Künstlerkolonie war. Noch ein unauflösbarer, gar antagonistischer Widerspruch? 1909 gründeten die Maler Paul Müller-Kaempff und Kollegen den Kunstkaten. Sabine Jastram-Porsche, seit 1992 Leiterin dieser Kunstgalerie – traditionelle Bauweise mit Reetdach, blauer Anstrich -, führt den Besucher von innen, …
Jastram: "Das ist jetzt der Bildersaal. Historisch. Also 1909 war das als Bildersaal gedacht."
… von innen nach außen. Ein paar Meter nur entfernt vom Kunstkaten über (!) den Strandweg, über (!) den Deich. Mal in die Ostsee spucken. Es weht. Reichlich!
Also bitte einmal, auch wenn die Wellen fast über die Füße spülen, das Grundbild von Ahrenshoop! Praktisch, realistisch und bitte auch metaphorisch!
Jastram: "Na, ich denke, das Grundbild ist diese, diese Strandnähe, die Elemente, Wasser, Wind, Sand, Düne, Offenheit. Weite! Licht! Also, da ist ja auch dieses Licht, wenn der Wind die Wolken wegweht, dieses Licht, diese Klarheit mitunter. Das ist das Malerische. Und das Andere ist das Touristische, Hotels, Strandkörbe sind natürlich Entwicklungen, die der Tourismus mit sich bringt. Und der Strandkorb ist ja eine schöne Erfindung."
Ohne Frage! Ästhetik und Funktionalität bilden bei ihm eine gelungene Synthese. Und auch ansonsten hält Kunstkaten-Chefin nichts von dem unterstellten Widerspruch von Kunst und Vermarktung vor Ort.
Jastram: "Nein, das ist kein Widerspruch, weil die Künstler selbst auch schon an kommerzielle Geschichte gedacht haben. Und haben den Kunstkaten gegründet als Galerie, die wir heute als Produzentengalerie bezeichnen würden."
Ahrenshoop im Landkreis Nordvorpommern im Land Mecklenburg-Vorpommern hat kein dorfarchitektonisches Zentrum – wie auch bei der schnurgerade durchlaufenden Dorf- oder Haupt- oder Landstraße -, aber wohl ein kulturelles, emotionales, virtuelles. Die Rede ist von der Ecke, die gebildet wird vom Hotel "Künstlerquartier Seezeichen" – neu erbaut –, dem Kunstkaten – an die 100 Jahre alt – und der "Bunten Stube" – nicht viel jünger.
Die "Bunte Stube" - 1922 gegründet - ist (a) eine Buchhandlung, in ihr kann (b) Kunsthandwerk gekauft werden, und sie beherbergt (c) eine kleine Galerie. Die staatliche Kunstförderung und die Förderung der Kunst durch private Unternehmer – erzählt Andreas Wegscheider, der die "Bunte Stube" betreibt – sind zwei Jahrzehnte nach der Wende eng miteinander verwoben:
Wegscheider: "Wir haben in Ahrenshoop immer schon verschiedene Kunstträger gehabt, d. h. Kunstkaten, Kulturbundhaus und private Galerien. Und da ist auch Bewegung drin, das ändert sich auch immer mal. Der Kunstkaten war mal ein ganz großer Veranstaltungsort, wo ganz viel stattfand. Jetzt hat es die Strandhalle ein bisschen übernommen. Und wir versuchen eben einfach, dass diese Kunst in Ahrenshoop, dass das auch ein bisschen eben unser Markenzeichen und – wie man heute sagt - Alleinstellungsmerkmal ist. Und ich meine, es gelingt uns relativ gut."
Vor allem wegen dieses besonderen Flairs von Ahrenshoop, fügt Andreas Wegscheider hinzu. Zentrum für Kultur, Seebad, grandiose Natur, Ostsee.
Wegscheider: "Das ist nach wie vor anziehend für viele Menschen."
Umfrage unter Besuchern:
Mann: "Es reizt hier Ahrenshoop, weil es urtümlich geblieben ist."
Frau: "Also, ich hab auch gern Natur pur."
Mann: "Das ist jetzt nicht so vordergründig für uns, dass wir Kultur einatmen. Und ist mehr der Erholungseffekt wichtiger."
Frau 1: "Wir machen immer so einen Zwischenstopp hier auf der Durchreise. Schauen uns den Ort an. Gehen zum Wasser. Und jetzt gerade in den Kunstkaten."
Frau 2: "Also heute hat er gerade gut gepasst, dass wir uns die Kunstausstellung angucken."
Mann: "Wir sind auf der Durchreise, und uns interessiert alles hier: Kunst, Kultur und die Natur."
Das Flair von Ahrenshoop, von dem ja auch "Bunte Stube"-Chef Andreas Wegscheider gesprochen hat. Nüchtern gesprochen bildet es für findige Unternehmer allerdings auch eine entscheidende Marktlücke.
Kröger: "Es ist so, dass das Haus eigentlich versucht, Kunst, Kultur und Kulinaria zu verbinden […]."
Und zu diesem Konzept gehört, dass Wolfgang Kröger, Hotelmanager vom "Künstlerquartier Seezeichen", Kunstwerke ausstellt.
Kröger: "Wir haben natürlich nicht nur Künstler hier zu Gast, sondern eben auch Lebenskünstler. Also jeden Gast, der hier auch wohnen möchte, den nehmen wir auch auf. Aber wir haben speziell durch die Nähe zum Kunstkaten eben auch viele Künstler oder deren Verwandte hier zu Gast."
Eben: Kulturförderung als Marktlücke. Der historische Nimbus der Künstlerkolonie vom Anfang des 20. Jahrhunderts rechnet sich in jedem Fall. Und da hört von einem Gewerbetreibenden auch schon mal hinter vorgehaltener Hand: Setzte an jede Ecke einen Maler, und dann haste ein echtes Künstlerdorf, das zieht.
Die Zahl der Touristen-Betten – die avisierten Neubauten eingerechnet – wird bald die Zahl 2500 erreichen. Dass das Dorf aus allen Nähten zu platzen droht, während die Besucher Galerien, Ausstellungen oder Konzerte ´stürmen´ … für die einen eine albtraumhafte, für die anderen eine paradiesische Vorstellung.
Kreutzburg: "Natürlich gibt es immer mehr Unternehmer, die versuchen, hier in Ahrenshoop sozusagen zu landen, Hotels aufzumachen, Gaststätten aufzumachen, und die nutzen natürlich gerne diesen Mythos der Künstlerkolonie."
Gerlinde Kreutzburg beleuchtet den Begriff der Marktlücke, das Logo "Künstlerquartier Seestern", das neue Kurhaus oder das "Café Namenlos" in kritischem Licht.
Kreutzburg: "Entweder wird ein Name einem Haus gegeben, was wenig mit Kunst zu tun hat, und man hofft dadurch die Betten voll zu bekommen. Die Preise sind so, dass eigentlich sich nur wenige der Künstler solche Hotels leisten können. Es gibt auch ganz rührende – sage ich mal -Initiativen, in dem die Gaststätten richtig hier gemalte Bilder mit Landschaftsmotiven von hier ausstellen. Also, das ist sehr unterschiedlich."
Ein paar Minuten auf der Hauptstraße, vorbei am "Seestern" und der "Bunten Stube". Hier hat die Leiterin des Künstlerhauses Lukas ihr Domizil; erste Adresse vor Ort, wenn es in Ahrenshoop um die Förderung von Künstlern geht. Rund 70 Kunststipendiaten wurden in den letzten drei Jahren betreut.
Kreutzburg: "Unser Haus ist insofern eine Ausnahmesituation, weil, der gute Künstler ist mit seinem Anliegen, mit dem, was er arbeitet, immer am Neuen interessiert. Und die lassen sich seltener in irgendwelchen Hotels unterbringen. Und umso wichtiger sind natürlich solche Häuser wie das Künstlerhaus Lukas, was dankenswerterweise seit 2006 vom Land Mecklenburg-Vorpommern maßgeblich gefördert wird, und das sogar in einem Gesetz sich niederschlägt, was wirklich langfristig die Arbeit dieses Künstlerhauses absichern soll, weil man eben auch gerade weiß, dass solche Orte überhaupt nicht allein Künstler fördern können."
Was die staatliche Kunstförderung wäre. Und die private: Ein guter Hotelier in Ahrenshoop, der stellt nicht nur ein paar Bilder auf, sondern engagiert sich auch bei der Künstlerförderung! So zeichnet Gerlinde Kreutzburg ihren Wunschtypus. Aber da ginge es natürlich schnell um Kunst, die nicht dem parallelen Genuss von Kaffee, Kuchen, Pasta oder Wein kompatibel sei. Aber Gerlinde Kreutzburg ist auch diplomatisch, wie alle, mit denen man in Ahrenshoop über den Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz, über Kunst- und Künstlerförderung spricht. Das ist nun mal auf´m Dorf so! Man sieht sich, man läuft sich über den (Strand)Weg.
"Wenn ein Künstler etwas Kritisches bringt, kann ich jeden Hotelier auch verstehen, der das nicht unbedingt in seinem Hotel zeigen will."
Aber, sagt Gerlinde Kreutzburg versöhnlich,…
"das halt ich für ganz normal, dass es da auch ganz unterschiedliche Interessen gibt."
Schreyer: "Ich denke, es ist ganz natürlich, dass Leute, die an so einem Ort leben, oder Leute, die hier herziehen, wo so viele Touristen kommen, dass da immer Kommerz immer eine große Rolle spielen wird."
Paul Schreyer, Werbegrafiker, Schriftsteller und Journalist. 32 Jahre alt. Geboren in Ahrenshoop. Wohnhaft eben da.
Schreyer: "Frage ist natürlich, in welchem Verhältnis ist das? In welchem Verhältnis stehen Kommerz und tatsächliche Kunstförderung und das Kunstleben? Denn wenn das kein vernünftiges Verhältnis mehr ist, dann gibt es ein Problem mit der Glaubwürdigkeit. Dann werden immer mehr Touristen feststellen, das nennt sich hier Künstlerkolonie, aber das sind doch nur große Hotels und hier passiert gar nichts. Das ist in Ahrenshoop nicht der Fall! Aber diese Entwicklung, diese Tendenz gibt es seit der Wende, solange ich mich zumindest bewusst erinnern kann, und da muss immer abgewogen werden, die Gemeindevertretung muss aufpassen und alle Bürger müssen aufpassen, dass es wirklich in einem vernünftigen Verhältnis stattfindet."
Wie gesagt: Ahrenshoop, das Kunstzentrum, das Seebad, boomt zwei Jahrzehnte nach der Wende. Sein Flair behält das Dorf auf dem Darß aber nur, wenn der Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz auf Dauer in seiner Dynamik am Leben gehalten wird.
Beispiel Worpswede
Von Günter Beyer
Vowinckel: "Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Komposition mit gesprochener Sprache, und ich habe eine Aufnahme noch in Italien gemacht mit einem hervorragenden Sprecher, und mir geht es in dieser Komposition darum, die Prosodien, also die Sprachmelodien, herauszukitzeln aus so einer Aufnahme und eine Komposition zu machen, die nur auf gesprochener Sprache beruht ohne zusätzliche Instrumente, dass man wirklich die Melonie normaler gesprochener Sprache, also nicht besonders rezitierter Sprache oder gesungener Sprache, diese Melodien eben schon als Musik hört."
Antje Vowinckel ist Klangkünstlerin. Derzeit lebt die 45-Jährige als Stipendiatin in Worpswede, dem Künstlerdorf im Teufelsmoor, eine halbe Autostunde entfernt von Bremen. Das Atelier, wo sie für drei Monate arbeitet und wohnt, ist in der ehemaligen Remise des "Barkenhoffs" eingerichtet. Das großzügige Anwesen am Ortsrand hatte einst dem Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler gehört. Aus Berlin, wo Antje Vowinckel hauptsächlich lebt, hat sie Computer, Mikrofone und Lautsprecher mitgebracht.
Die vielseitige Künstlerin, die über "Collagen im Hörspiel" promoviert hat und zahlreiche Preise einheimsen konnte, ist froh, eine Weile ohne materiellen Druck arbeiten zu können.
Vowinckel: "Vor allen Dingen die Tatsache, dass es hier ein spezielles Stipendium für die Richtung "Klangkunst" gibt. (…) Ich glaube, Worpswede ist der einzige Ort, wo es überhaupt Stipendien dezidiert für Klangkunst gibt."
Doch damit soll es Ende diesen Jahres vorbei sein. Niedersachsens Landesregierung will nicht nur die Klangkunst, sondern sämtliche Künstler-Stipendien von Worpswede nach Lüneburg vergeben.
Das norddeutsche Künstlerdorf Nummer eins ohne zeitgenössische Künstler? Die Ankündigung kam völlig überraschend, erzählt Anke Bräuler, die Vorsitzende des Vereins "Atelierhaus Worpswede":
"Für uns bedeutet das einen sehr, sehr großen Verlust, und wir sehen diese Entscheidung mit völligem Unverständnis, weil diese Tradition von Künstlerförderung seit 1971 besteht und international renommiert und anerkannt ist."
Verärgert ist auch Waldemar Otto, der Worpsweder Bildhauer, dessen figürliche Bronze-Skulpturen und Torsi vielerorts in Deutschland zu sehen sind:
"Es bedeutet vor allem, dass man im Kulturministerium in Hannover die Absicht hat Tradition zu vernichten. Natürlich ist es so, wer Tradition vernichtet, vernichtet auch Kunst. Aber so weit wird da offenbar nicht gedacht."
Stipendien in Worpswede sind beliebt. Im vergangenen Jahr gingen über 1000 Bewerbungen aus aller Welt ein. Während früher Künstlerinnen und Künstler sich allerdings sechs Monate oder gar ein Jahr im Teufelsmoor niederlassen konnten, wurde die Förderdauer auf maximal vier Monate verkürzt. Dafür aber konnten mehr Kreative eingeladen werden. In diesem Jahr sind es 20. Bürgermeister Stefan Schwenke:
"Für jeden Monat bekommen die Künstler 1400 Euro als Stipendium, freie Logis, und eine Begleitung mit dem künstlerischen Leiter, der dann die Betreuung durchführt, die Ausstellung hier vor Ort, die wir zur Verfügung stellen, die Räume als Gemeinde Worpswede mit organisiert, und die Vernetzung der Künstler mit anderen Einrichtungen, Atelierhaus, Kunstvereinen in ganz Deutschland dann auch organisiert. Das ist die Künstlerförderung hier in Worpswede, vom Land finanziert, und ich schätze einfach mal ein Gesamtvolumen von 200.000 Euro im Jahr."
Die Worpsweder Künstlerförderung geht zurück auf eine private Initiative in den 1960er-Jahren. Damals machte sich das Grafikerehepaar Martin Kausche und Eva Kausche-Kongsbak für den künstlerischen Nachwuchs stark.
Auf den vor zwei Jahren verstorbenen Künstlerfreund hält Bildhauer Waldemar Otto große Stücke:
"Martin Kausche war jemand, der ein Kunstliebhaber war, er war selber ja Graphiker und Zeichner, und auch seine Frau, und er hat während der Nazizeit Kunst unterm Ladentisch gekauft, die damals verpönt war. Also einer, der nicht mit der Herde gelaufen ist, sondern sich kontrovers gestellt hat."
Dieser Martin Kausche engagierte sich unermüdlich für die Gegenwartskunst. Er warb Spenden ein und fand Räume für die Gäste. Nach 1971 entstanden im Dorf peu-à-peu insgesamt elf Künstlerwohnungen. Die Länder Niedersachsen und zeitweise auch Bremen leisteten erhebliche Beiträge.
Bei den Atelierhäusern "Vor den Pferdeweiden" wölbt sich ein weiter Himmel über plattes grünes Land. Der Wind treibt Wolkenfetzen vor sich her, schiebt sie zu immer neuen, flüchtigen Bildern zusammen, die bald wieder auseinander driften. Auf einer Stele vor den Bungalows eine Bronzeskulptur von Waldemar Otto . Sie zeigt Martin Kausche, den guten Geist der Künstlerförderung. Wer der schmalen Allee folgt, gelangt an den Fluss Hamme, dessen braunes Wasser einst die Kähne der Torfbauern trug. Hier fanden um die Wende zum 20. Jahrhundert die Begründer der Worpsweder Malerkolonie wie Fritz Mackensen und Otto Modersohn ihre Motive: Karges Moor, durchschnitten von Kanälen. Sandwege, flankiert von weißen Birken.
Viele schätzen zwar die Ruhe als Quelle von Inspiration. Aber die landschaftliche Idylle ist nur für wenige ein Motiv. Schon gar nicht für die Klangkünstlerin Antje Vowinckel:
"Die Herstellung von Idyllen entspricht meiner künstlerischen Arbeit überhaupt nicht. Also ich versuche immer, das, was man sozusagen aussperrt aus der Idylle, mit zu integrieren. Ich bin eher so´n Mensch, der sich abarbeitet an Dingen, und der auch was Kritisches zeigen will."
Die Verfertigung von Idyllen erwartet auch niemand von den Stipendiaten. Aber das CDU-geführte Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover hat schon den Eindruck, dass die Künstler im Teufelsmoor etwas zu weit entfernt sind von den Pulsschlägen des Zeitgeistes. Wenn man schon Geld gibt, sollten die Künstler auch die Möglichkeit haben, sich in Lüneburg am akademischen Kunstbetrieb zu reiben. Aber wollen das wirklich alle? Waldemar Otto, der 80-jährige Doyen der etablierten Künstler aus dem Teufelsmoor, meint:
"Junge Künstler suchen Ruhe zur Entwicklung. Das ist heute etwas aus der Mode gekommen, nicht. An den Hochschulen wird ja vom ersten oder zweiten Semester an in speziellen Veranstaltungen gelehrt, wie man sich selber managen kann. Das heißt, es wird den jungen Studenten, die ja gerade erst anfangen, schon gesagt, sie müssten ihre Nase in den Wind halten um Trends zu wittern. Und diesen Trends müssten sie sich anschließen, damit sie eine Karriere machen können. Das ist natürlich diametral dem entgegengesetzt, was hier zunächst die Intention war."
Worpswede kann sich eigentlich nicht über mangelnde staatliche Förderung beklagen. Insgesamt neun Millionen Euro, der Löwenanteil aus EU-Töpfen, fließen in den nächsten Jahren in die etablierten Einrichtungen: Das Besucherzentrum soll erweitert, etliche Museen, in denen Werke der "alten Worpsweder" gezeigt werden, sollen modernisiert und für Kulturtouristen attraktiver gemacht werden. Zeitgenössische Kunst steht dabei nicht auf dem Programm.
Tausende von Unterschriften haben Worpsweder Künstlerinnen für den Erhalt der Stipendiatenförderung am Ort gesammelt. Auch Worpswedes Bürgermeister Stefan Schwenke will sich einsetzen.
Schwenke: "Ich denke natürlich aber auch an die Unterstützung von privaten Stiftungen. Auch da könnte es Möglichkeiten geben. Gegebenenfalls gibt es auch andere Sponsoren, die dort mit unterstützen können."
Notfalls zurück zu den privaten, bürgerschaftlichen Wurzeln der Künstlerförderung, heißt es auch beim Verein Atelierhaus. Anke Bräuler:
"Wir wollen einen Förderkreis gründen, der auch vielleicht durch kleine Beträge, zumindest eine Grundlage bieten könnte, und die würden wir natürlich auch unabhängig, ob es weiter läuft oder nicht, das wollen wir aktivieren, so dass ich doch Hoffnung habe."
Beispiel Ahrenshoop
Von Hartwig Tegeler
Von Worpswede nach Ahrenshoop an der Ostseeküste. Wer dort in der Urlaubssaison die einzige Hauptverkehrsstraße überqueren möchte, der fühlt sich schnell an heimische Großstadtkreuzungen erinnert. Die Erinnerung daran kann längere Zeit dauern, denn ein Auto nach dem anderen zieht an ihm vorbei. Und während der Gast so am Straßenrand steht, aber eigentlich zum Kunstkaten rüber möchte, ziehen an ihm nicht nur Autos, sondern auch manche Fragen vorbei. Zum Beispiel: Wie lebt es sich in dem Ort von der Kunst? Und: Was tut der Ort für die Kunst, also für die Künstler? Hartwig Tegeler war außerhalb der Saison in Ahrenshoop und konnte schnell seine Fragen beiderseits der Hauptstraße stellen.
Ein Widerspruch ist ganz offensichtlich, jedenfalls in Ahrenshoop: der zwischen Kultur und Natur. Weiß die Schriftstellerin Ingrid Schreyer, seit 1973 hier ansässig. Wie zahlreich beispielsweise hier eine Kunstausstellung besucht wird, das […]
Schreyer: "Das liegt dann immer am Wetter. Haben wir einen verregneten Sommer, sind die wunderbar besucht."
Schlechtes Wetter – natürliche Kunstförderung. Gutes tja: spärliche Besucherzahlen bei Konzerten, Lesungen oder in Galerien. Während Wege und Straßen überquellen:
Schreyer: "…dann ist das auch an der Hauptstraße mit dem Radverkehr, der sehr zugenommen hat. Und mit den Urlaubern."
Ahrenshoop boomt. Nur welches? Das Seebad-Ahrenshoop. Oder das Dorf, das einmal berühmte Künstlerkolonie war. Noch ein unauflösbarer, gar antagonistischer Widerspruch? 1909 gründeten die Maler Paul Müller-Kaempff und Kollegen den Kunstkaten. Sabine Jastram-Porsche, seit 1992 Leiterin dieser Kunstgalerie – traditionelle Bauweise mit Reetdach, blauer Anstrich -, führt den Besucher von innen, …
Jastram: "Das ist jetzt der Bildersaal. Historisch. Also 1909 war das als Bildersaal gedacht."
… von innen nach außen. Ein paar Meter nur entfernt vom Kunstkaten über (!) den Strandweg, über (!) den Deich. Mal in die Ostsee spucken. Es weht. Reichlich!
Also bitte einmal, auch wenn die Wellen fast über die Füße spülen, das Grundbild von Ahrenshoop! Praktisch, realistisch und bitte auch metaphorisch!
Jastram: "Na, ich denke, das Grundbild ist diese, diese Strandnähe, die Elemente, Wasser, Wind, Sand, Düne, Offenheit. Weite! Licht! Also, da ist ja auch dieses Licht, wenn der Wind die Wolken wegweht, dieses Licht, diese Klarheit mitunter. Das ist das Malerische. Und das Andere ist das Touristische, Hotels, Strandkörbe sind natürlich Entwicklungen, die der Tourismus mit sich bringt. Und der Strandkorb ist ja eine schöne Erfindung."
Ohne Frage! Ästhetik und Funktionalität bilden bei ihm eine gelungene Synthese. Und auch ansonsten hält Kunstkaten-Chefin nichts von dem unterstellten Widerspruch von Kunst und Vermarktung vor Ort.
Jastram: "Nein, das ist kein Widerspruch, weil die Künstler selbst auch schon an kommerzielle Geschichte gedacht haben. Und haben den Kunstkaten gegründet als Galerie, die wir heute als Produzentengalerie bezeichnen würden."
Ahrenshoop im Landkreis Nordvorpommern im Land Mecklenburg-Vorpommern hat kein dorfarchitektonisches Zentrum – wie auch bei der schnurgerade durchlaufenden Dorf- oder Haupt- oder Landstraße -, aber wohl ein kulturelles, emotionales, virtuelles. Die Rede ist von der Ecke, die gebildet wird vom Hotel "Künstlerquartier Seezeichen" – neu erbaut –, dem Kunstkaten – an die 100 Jahre alt – und der "Bunten Stube" – nicht viel jünger.
Die "Bunte Stube" - 1922 gegründet - ist (a) eine Buchhandlung, in ihr kann (b) Kunsthandwerk gekauft werden, und sie beherbergt (c) eine kleine Galerie. Die staatliche Kunstförderung und die Förderung der Kunst durch private Unternehmer – erzählt Andreas Wegscheider, der die "Bunte Stube" betreibt – sind zwei Jahrzehnte nach der Wende eng miteinander verwoben:
Wegscheider: "Wir haben in Ahrenshoop immer schon verschiedene Kunstträger gehabt, d. h. Kunstkaten, Kulturbundhaus und private Galerien. Und da ist auch Bewegung drin, das ändert sich auch immer mal. Der Kunstkaten war mal ein ganz großer Veranstaltungsort, wo ganz viel stattfand. Jetzt hat es die Strandhalle ein bisschen übernommen. Und wir versuchen eben einfach, dass diese Kunst in Ahrenshoop, dass das auch ein bisschen eben unser Markenzeichen und – wie man heute sagt - Alleinstellungsmerkmal ist. Und ich meine, es gelingt uns relativ gut."
Vor allem wegen dieses besonderen Flairs von Ahrenshoop, fügt Andreas Wegscheider hinzu. Zentrum für Kultur, Seebad, grandiose Natur, Ostsee.
Wegscheider: "Das ist nach wie vor anziehend für viele Menschen."
Umfrage unter Besuchern:
Mann: "Es reizt hier Ahrenshoop, weil es urtümlich geblieben ist."
Frau: "Also, ich hab auch gern Natur pur."
Mann: "Das ist jetzt nicht so vordergründig für uns, dass wir Kultur einatmen. Und ist mehr der Erholungseffekt wichtiger."
Frau 1: "Wir machen immer so einen Zwischenstopp hier auf der Durchreise. Schauen uns den Ort an. Gehen zum Wasser. Und jetzt gerade in den Kunstkaten."
Frau 2: "Also heute hat er gerade gut gepasst, dass wir uns die Kunstausstellung angucken."
Mann: "Wir sind auf der Durchreise, und uns interessiert alles hier: Kunst, Kultur und die Natur."
Das Flair von Ahrenshoop, von dem ja auch "Bunte Stube"-Chef Andreas Wegscheider gesprochen hat. Nüchtern gesprochen bildet es für findige Unternehmer allerdings auch eine entscheidende Marktlücke.
Kröger: "Es ist so, dass das Haus eigentlich versucht, Kunst, Kultur und Kulinaria zu verbinden […]."
Und zu diesem Konzept gehört, dass Wolfgang Kröger, Hotelmanager vom "Künstlerquartier Seezeichen", Kunstwerke ausstellt.
Kröger: "Wir haben natürlich nicht nur Künstler hier zu Gast, sondern eben auch Lebenskünstler. Also jeden Gast, der hier auch wohnen möchte, den nehmen wir auch auf. Aber wir haben speziell durch die Nähe zum Kunstkaten eben auch viele Künstler oder deren Verwandte hier zu Gast."
Eben: Kulturförderung als Marktlücke. Der historische Nimbus der Künstlerkolonie vom Anfang des 20. Jahrhunderts rechnet sich in jedem Fall. Und da hört von einem Gewerbetreibenden auch schon mal hinter vorgehaltener Hand: Setzte an jede Ecke einen Maler, und dann haste ein echtes Künstlerdorf, das zieht.
Die Zahl der Touristen-Betten – die avisierten Neubauten eingerechnet – wird bald die Zahl 2500 erreichen. Dass das Dorf aus allen Nähten zu platzen droht, während die Besucher Galerien, Ausstellungen oder Konzerte ´stürmen´ … für die einen eine albtraumhafte, für die anderen eine paradiesische Vorstellung.
Kreutzburg: "Natürlich gibt es immer mehr Unternehmer, die versuchen, hier in Ahrenshoop sozusagen zu landen, Hotels aufzumachen, Gaststätten aufzumachen, und die nutzen natürlich gerne diesen Mythos der Künstlerkolonie."
Gerlinde Kreutzburg beleuchtet den Begriff der Marktlücke, das Logo "Künstlerquartier Seestern", das neue Kurhaus oder das "Café Namenlos" in kritischem Licht.
Kreutzburg: "Entweder wird ein Name einem Haus gegeben, was wenig mit Kunst zu tun hat, und man hofft dadurch die Betten voll zu bekommen. Die Preise sind so, dass eigentlich sich nur wenige der Künstler solche Hotels leisten können. Es gibt auch ganz rührende – sage ich mal -Initiativen, in dem die Gaststätten richtig hier gemalte Bilder mit Landschaftsmotiven von hier ausstellen. Also, das ist sehr unterschiedlich."
Ein paar Minuten auf der Hauptstraße, vorbei am "Seestern" und der "Bunten Stube". Hier hat die Leiterin des Künstlerhauses Lukas ihr Domizil; erste Adresse vor Ort, wenn es in Ahrenshoop um die Förderung von Künstlern geht. Rund 70 Kunststipendiaten wurden in den letzten drei Jahren betreut.
Kreutzburg: "Unser Haus ist insofern eine Ausnahmesituation, weil, der gute Künstler ist mit seinem Anliegen, mit dem, was er arbeitet, immer am Neuen interessiert. Und die lassen sich seltener in irgendwelchen Hotels unterbringen. Und umso wichtiger sind natürlich solche Häuser wie das Künstlerhaus Lukas, was dankenswerterweise seit 2006 vom Land Mecklenburg-Vorpommern maßgeblich gefördert wird, und das sogar in einem Gesetz sich niederschlägt, was wirklich langfristig die Arbeit dieses Künstlerhauses absichern soll, weil man eben auch gerade weiß, dass solche Orte überhaupt nicht allein Künstler fördern können."
Was die staatliche Kunstförderung wäre. Und die private: Ein guter Hotelier in Ahrenshoop, der stellt nicht nur ein paar Bilder auf, sondern engagiert sich auch bei der Künstlerförderung! So zeichnet Gerlinde Kreutzburg ihren Wunschtypus. Aber da ginge es natürlich schnell um Kunst, die nicht dem parallelen Genuss von Kaffee, Kuchen, Pasta oder Wein kompatibel sei. Aber Gerlinde Kreutzburg ist auch diplomatisch, wie alle, mit denen man in Ahrenshoop über den Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz, über Kunst- und Künstlerförderung spricht. Das ist nun mal auf´m Dorf so! Man sieht sich, man läuft sich über den (Strand)Weg.
"Wenn ein Künstler etwas Kritisches bringt, kann ich jeden Hotelier auch verstehen, der das nicht unbedingt in seinem Hotel zeigen will."
Aber, sagt Gerlinde Kreutzburg versöhnlich,…
"das halt ich für ganz normal, dass es da auch ganz unterschiedliche Interessen gibt."
Schreyer: "Ich denke, es ist ganz natürlich, dass Leute, die an so einem Ort leben, oder Leute, die hier herziehen, wo so viele Touristen kommen, dass da immer Kommerz immer eine große Rolle spielen wird."
Paul Schreyer, Werbegrafiker, Schriftsteller und Journalist. 32 Jahre alt. Geboren in Ahrenshoop. Wohnhaft eben da.
Schreyer: "Frage ist natürlich, in welchem Verhältnis ist das? In welchem Verhältnis stehen Kommerz und tatsächliche Kunstförderung und das Kunstleben? Denn wenn das kein vernünftiges Verhältnis mehr ist, dann gibt es ein Problem mit der Glaubwürdigkeit. Dann werden immer mehr Touristen feststellen, das nennt sich hier Künstlerkolonie, aber das sind doch nur große Hotels und hier passiert gar nichts. Das ist in Ahrenshoop nicht der Fall! Aber diese Entwicklung, diese Tendenz gibt es seit der Wende, solange ich mich zumindest bewusst erinnern kann, und da muss immer abgewogen werden, die Gemeindevertretung muss aufpassen und alle Bürger müssen aufpassen, dass es wirklich in einem vernünftigen Verhältnis stattfindet."
Wie gesagt: Ahrenshoop, das Kunstzentrum, das Seebad, boomt zwei Jahrzehnte nach der Wende. Sein Flair behält das Dorf auf dem Darß aber nur, wenn der Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz auf Dauer in seiner Dynamik am Leben gehalten wird.