Die Herausforderungen der Eltern und Kitas in NRW
08:02 Minuten
Die Inzidenzen in Nordrhein-Westfalen sind hoch - viele Kitas aber wieder im sogenannten Regelbetrieb mit offenen Gruppen. Bei einem Coronafall muss oft die ganze Kita in Quarantäne. Für Eltern bedeutet das: zurück in die Isolation, zurück ins Homeoffice.
Bei Familie Neumann in Köln-Ostheim ist es an diesem Mittag erstaunlich ruhig. Es ist der erste Tag, an dem Laura Neumann wieder ohne ihren vierjährigen Sohn zu Hause ist. Vor zwei Wochen bekamen sie einen Anruf des Kindergartens, erzählt sie.
"Da wurde uns mitgeteilt, dass höchstwahrscheinlich das komplette Haupthaus in Quarantäne muss, weil ein Kind positiv auf Corona getestet wurde."
Besonders viele Kinder betroffen
So kam es dann auch. 40 Familien waren davon betroffen. Das Kölner Gesundheitsamt prüfte nicht nach, ob die Kleinen wirklich Kontakt zum infizierten Kind hatten, sondern schickte einfach alle in Quarantäne. Für die Kinder bedeutete das: 14 Tage lang häusliche Isolation, ohne die Möglichkeit, sich vorher frei zu testen. Es waren besonders viele Kinder betroffen, weil der Kindergarten von Familie Neumann ein sogenanntes offenes Konzept verfolgt, erzählt Neumann.
"Das heißt, es gibt keine getrennten Gruppen. Es gibt sogenannte Bereiche. Und ja, in diesen Bereichen können die Kinder sich frei bewegen. Dementsprechend ist es so, wenn ein Kind coronapositiv getestet wird, ist so quasi der komplette Kindergarten von der Quarantäne betroffen."
Laura Neumann heißt eigentlich anders, aber sie möchte lieber nicht mit ihrem richtigen Namen im Radio erscheinen. Eigentlich sei sie zufrieden mit dem Kindergarten, aber seit in Nordrhein-Westfalen wieder der Kita-Regelbetrieb gilt – also Kinder in offenen Gruppenkonzepten betreut werden dürfen –, zweifle sie, ob das alles so richtig ist.
"Wenn es wieder separierte Bereiche gibt, dann bräuchten die eigentlich mehr Personal, um den Betreuungsumfang anbieten zu können. Und ich glaube, das ist der Knackpunkt", vermutet sie.
Mehr Personalaufwand
Für die Träger der Kindergärten in Nordrhein-Westfalen ist es ein Dilemma. Monatelang hatte das zuständige Familienministerium geschlossene Gruppen angeordnet. Außerdem gab es ein Betretungsverbot für Eltern. Kinder mussten von ihren Erziehern oder Erzieherinnen an der Tür abgeholt und direkt in die Gruppen gebracht werden. Für die Kindergärten bedeutete das mehr Personalaufwand, denn zum Beispiel durften Gruppen morgens früh und spätnachmittags nicht zusammengelegt werden. Diese Anordnungen sind seit August aufgehoben.
Marek Körner ist beim freien Kita-Träger Fröbel als Bereichsleiter für Köln zuständig. 45 Kindergärten betreibt Fröbel in der Stadt, knapp 200 in Deutschland. Körner sagt: "Die vergangene Trennung in den Gruppen der ersten drei Wellen wurde von den Kindern, aber auch von den Eltern tatsächlich als sehr große Einschränkung gesehen."
Engmaschige Tests und Impfungen der Mitarbeiter
Auf Dauer gehe das auf eine sehr hohe emotionale Belastung hinaus, weil natürlich Beziehungen, Freundschaften auch das kreative und freie Spielvermögen der Kinder eingeschränkt werde, sagt Körner. "Wir sind jetzt froh, dass wir wieder im offenen Kontext arbeiten, die Kinder frei wählen können, wo sie sich bewegen."
Damit es nicht zu ständigen Quarantänen komme, werde engmaschig getestet, außerdem seien mehr als dreiviertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mittlerweile geimpft. Körner hofft, dass NRW in der vierten Coronawelle nicht wieder auf geschlossene Kitagruppen umstelle.
Manche Kindergärten haben allerdings vorsorglich entschieden, beim geschlossenen Gruppenkonzept zu bleiben. Lucia Harren-Renk leitet die katholische Kita Sankt-Franziskus Xaverius in Düsseldorf und sagt: "Wir wussten ja, dass nach den Sommerferien die Inzidenzen wieder hochgehen."
Einbahnstraßen-System in der Kita
Daher wollte sie nicht zu früh einen Schritt nach vorne machen und später wieder alles zurücknehmen müssen. Das bringe nur Verwirrung bei den Eltern, meint sie.
Die rund 120 Kinder der fünf Gruppen gehen über fünf verschiedene Eingänge in das Gebäude, zum Teil über Feuertreppen und Noteingänge. Pfeile auf dem Boden zeigen an, wer wo entlang gehen darf, es gibt Einbahnstraßen-Systeme. Das alles einzurichten, sei aufwendig gewesen, sagt Kita-Leiterin Lucia Harren-Renk. Aber es habe sich auch bewährt.
"Wir finden, am Schlimmsten sind geschlossene Kitas. Wir haben wirklich gesehen, wie die Kinder, die lange im Lockdown waren, gelitten haben. Und dann haben wir gesagt, es ist besser, wenn sie die 17 bis 25 Kinder ihrer Gruppe haben, als wenn wir alles groß öffnen. Sonst haben sie am Ende gar nichts, weil dann die ganze Einrichtung irgendwann geschlossen wird."
Angst vor Quarantäne
Nicht nur für die Kinder sind geschlossene Kitas ein Problem. Laura Neumann erinnert sich gut, was sie als Erstes dachte, als der Quarantäne-Anruf kam: "Mist. Wie organisieren wir das?" So ging es den meisten Eltern, sagt die dreifache Mutter, die als Elternbeiratsvorsitzende ihrer Kita mit vielen Familien Kontakt hatte.
"Die Eltern haben eigentlich nicht primär Angst vor einer Corona-Infektion, sondern es ist die große Angst vor dieser Quarantäne."
Weil Kinder statistisch gesehen selten schwere Krankheitsverläufe hätten, fordert der Verband "Initiative Familien" zusammen mit namhaften Kinderärzten und Virologen jetzt eine Änderung der Quarantäne-Verordnung. Die strengen Einschränkungen für Kinder und Jugendliche seien nicht mehr zu rechtfertigen, erklärt die Sprecherin der Initiative, Heike Riedmann, aus Köln.
Forderung nach Teilhabe
"Wenn wir jetzt mal die großen Städte nehmen wie Düsseldorf, Köln, Essen, Aachen, dann sitze ich in einer kleinen Wohnung, wenn es mich betrifft. Und diese Kinder haben enorm viel hinter sich. Die haben ganz viel auf sich genommen, um erwachsene Menschen zu schützen. Und was wir jetzt tun müssen, ist den Kindern die Normalität wieder zurückgeben. Vollumfängliche Teilhabe, weil diese Kinder enorm gelitten haben."
Kinder verstünden auch sehr gut, dass sie in Quarantäne seien, weil die Mitmenschen vermeintlich Angst vor ihnen hätten, meint Riedmann. "Ich als Kind bin eine Gefahr für andere, und das realisieren Kinder sehr wohl. Und das macht was mit der Psyche von Kindern."
Die Initiative fordert deshalb in einem offenen Brief, den Fokus endlich wirklich auf das Wohl der Kinder zu legen. "Ich sehe in erster Linie das Bundesgesundheitsministerium zusammen mit dem RKI in der Pflicht, endlich die Quarantäne-Richtlinien kinderfreundlicher zu gestalten", fordert Riedmann. Es müsse mindestens die Möglichkeit geben, sich von der Quarantäne frei zu testen.
Topfittes Kind bespaßen
Laura Neumann hat ihr vierjähriges Kind in Quarantäne quasi täglich freigetestet – um selbst die Sicherheit zu haben, dass alles gut ist. Das Gesundheitsamt hat das nicht interessiert.
"Wir hatten hier ein topfittes Kind, das wir permanent negativ getestet haben und mussten den hier irgendwie bespaßen. Ein Kind, das total bewegungsfreudig ist. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, das zu koordinieren, mit Abholen des anderen Kindes vom Kindergarten und des großen Kindes von der Schule."
Die ganze Familie sei mit den Kräften schon wieder am Ende, und das kurz nach den Sommerferien.
"Ich finde, es ist eben nicht nur eine organisatorische Belastung, sondern auch eine psychische, weil man eben zusätzlich zu dieser Situation merkt, mein Kind will eigentlich was anderes und ich muss es hier quasi einsperren." Doch auch andere Fragen bewegen sie in dieser Zeit: "Was wäre, wenn der jetzt wirklich positiv wird? Wie geht das dann für uns weiter? Und was ist denn, wenn jetzt der ganze Herbst so weitergeht?"