Immer wieder Nazis

Von Jochen Stöckmann |
Mit dem Bestseller "Die Wohlgesinnten" und dem Romanhelden Max Aue, einem hochgebildeten und mit sexuellen Perversionen im Übermaß ausgestatteten SS-Führer, faszinierte Jonathan Littell 2006 das Pariser Publikum.
Zugleich leistete der Roman, was in Frankreich kein historisches Sachbuch zustande gebracht hatte. Das Lesepublikum fühlte sich "aufgeklärt" über ein bis dahin weitgehend unbekanntes Phänomen: die Existenz einer Funktionärskaste junger Intellektueller als Stütze des Dritten Reichs.

Geschichtswissenschaftler wie Mona Ozouf oder Pierre Nora sehen ihr Fach überflügelt, erfasst von der Belletristik, "l’histoire saisie par la fiction" sind ihre Beiträge in der Zeitschrift 'le débat' überschrieben. Zum Bücherherbst 2011 erscheint auf Deutsch 'HHhH' – 'Himmlers Hirn heißt Heydrich' von Laurent Binet. Er verknüpft in seinem Bestseller die historisch verbürgte Biografie des von tschechischen Widerstandskämpfern getöteten Gestapo-Chefs Reinhard Heydrich mit fiktiven Elementen und Selbstreflektionen über seine Rolle als Autor zu einer 'faction'-Collage.

Dafür wurde der 39-jährige Schriftsteller mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, wie zuvor bereits Jonathan Littell. Dessen Erfolg, so Binets Einwand, verdanke sich einer überzogenen, skandalträchtigen Darstellung von "aufgesetzter Amoralität und verdrossenem Sadismus" des herbeiphantasierten Protagonisten, "die 'Wohlgesinnten' sind nichts anderes als 'Houellebecq bei den Nazis'." Auch ein fiktiver, durchaus denkbarer Lebenslauf Hitlers als erfolgreicher Kunstmaler, wie ihn der Pariser Erfolgsautor Eric-Emmanuel Schmitt 2001 mit "Adolf H. Zwei Leben" vorgelegt hat, findet bei Binet keine Gnade.

Und so warten seine Leser, so wartet Frankreich gespannt auf den nächsten "Historienroman" über die Nazi-Zeit: Alexis Jenni mit 'L’art français de la guerre', einem Roman über die Kriege des 20. Jahrhunderts, steht bereits auf der Kandidatenliste für den Prix Goncourt.

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