Immerwährende Diskriminierung
Bis zu 500.000 Sinti und Roma wurden Schätzungen zufolge im Nationalsozialismus umgebracht. Nun sprach am "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erstmals ein Vertreter der Sinti und Roma im Bundestag - der Sinto Zoni Weisz.
Wenn Zoni Weisz von seinen frühesten Kindheitserinnerungen erzählt, dann klingt das aus heutiger Sicht fast idyllisch. Sein Vater baute und reparierte Musikinstrumente und spielte selbst Geige. Das bestimmte das Leben der ganzen Familie.
"Ich bin noch aufgewachsen in einem kleinen Wohnwagen: Wo mein Vater ein Engagement hatte, um zu spielen mit dem Familienorchester, da sind wir hingefahren. Später hat mein Vater gesagt: 'Wir müssen in ein Haus wohnen, das ist für die Sicherheit.' Und dann haben wir ein Geschäftshaus gemietet ins Zutphen, und da hat mein Vater seinen Handel betrieben, Instrumente gebaut und repariert, und wir waren eine richtig sehr angesehene, aber noch wichtiger, glückliche Familie."
Der Tag, an dem dieses Glück zu Ende ging, war der 16. Mai 1944. An diesem Tag wurden bei einer Razzia fast alle Sinti und Roma in den Niederlanden verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Von dort ging es drei Tage später mit einem sogenannten "Zigeunertransport" nach Auschwitz. Der damals siebenjährige Zoni und seine Tante hatten Glück im Unglück: Sie wurden erst später verhaftet und sollten den Zug an einem anderen Bahnhof besteigen. Auf dem Bahnsteig wurden sie von Sicherheitskräften bewacht, darunter auch ein holländischer Polizist, der wahrscheinlich Mitglied des Widerstands war. Er hatte den Gefangenen bereits vorher zugeflüstert, dass sie auf sein Zeichen fliehen sollten. Während die Viehwaggons des Deportationszuges auf dem einen Gleis standen, wartete auf dem anderen ein normaler Personenzug. Plötzlich gab der Polizist das vereinbarte Zeichen.
"Der Mann nahm seinen Hut ab, wir sind losgerennt und der Personenzug hat angefangen zu fahren, da sind wir reingesprungen, und dann hab ich gesehen, dass der Zug nach Auschwitz weggefahren ist, und mein Vater hat meine Tante zugeschriet: Pass gut auf meine Junge auf, und das war das Letzte, was ich von meiner Mutter, Vater, Schwestern und Bruder sah."
Sie alle wurden ermordet - aus dem gleichen Grund, aus dem auch die Juden ermordet wurden: Sie galten als "Untermenschen". Auch sonst, betont Zoni Weisz, gibt es in der Geschichte zwischen Sinti und Roma und Juden viele Parallelen: die Abgrenzung von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft und die Diskriminierung durch diese. Doch während der Holocaust an den Juden in der Nachkriegszeit immer mehr ins öffentliche Bewusstsein geriet, wird an den Völkermord an Sinti und Roma nach wie vor kaum erinnert.
"Ich nenn das immer einen vergessenen Holocaust, weil die Medien nicht darüber schreiben oder sprechen. Ich versteh das nicht, warum das so ist, vielleicht auch, weil Sinti - und Roma auch - nicht gern darüber sprechen. In unserer Kultur spricht man mit Außenstehenden da nicht so schnell darüber, und wir waren nach dem Krieg nicht organisiert. Das hat gedauert bis in die 70er Jahre, bevor Selbsthilfeorganisationen entstanden und wir gehört wurden."
In den 70er Jahren ist Zoni Weisz bereits ein angesehener Florist in Holland. Nach dem Krieg, den er bei seiner Tante und später bei seinen Großeltern überlebt, beginnt er bei einem Blumenhändler zu arbeiten und wird schließlich Blumenlieferant der Königsfamilie. Sein Schlüssel zum Erfolg lautet Bildung: Weisz hat verschiedene Abendschulen besucht und spricht mehrere Sprachen. Keine Frage: Der inzwischen 73-jährige Sinto ist fest in die holländische Gesellschaft integriert.
"Ich bin mit einer holländischen Frau verheiratet, blonde Haare, blaue Augen, und meine Kinder, die sind Holländer, aber die fühlen immer noch, dass sie auch Sinti sind, selbstverständlich: Vater ist Sinto, so die sind Sinti, aber die sind studiert, die sind zur Akademie gegangen, die sind ein bisschen anders als das Stereotyp von den Zigeunern, wie man das nennt."
Stereotypen, die nach wie vor sehr lebendig sind. Vor allem in Rumänien, Bulgarien und Ungarn, erzählt Zoni Weisz voller Sorge, würden Sinti und Roma immer wieder diskriminiert und angegriffen. Weisz selbst muss vor solchen Übergriffen wohl kaum Angst haben, er entspricht mit seinem Auftreten in Anzug und Krawatte nicht dem Klischee des musizierenden oder bettelnden Zigeuners, das heute noch in vielen Köpfen präsent ist - und doch lässt er an seiner Solidarität mit den Sinti und Roma auch aus Osteuropa keinen Zweifel.
"Man ist, was man ist und man bleibt, was man ist, und ich bin Sinto und bleib bis zum letzten Augenblick Sinto, und selbstverständlich die Sprache ist sehr, sehr wichtig für uns alle, sehr wichtig. Wenn ich im Ausland bin und ich seh Sinti und ich sag: 'Latschu dives', dann guckt man und sagt: 'Ach tunina sinto, ajo', 'me am sinto', und das ist alles, dann sind wir, wie wir sind, wir sind zusammen und das ist wichtig und das bleibt immer."
Romanes, die gemeinsame Sprache eint Sinti und Roma, auch wenn sich über die Jahrhunderte gewisse sprachliche Unterschiede zwischen den eher in Mittel- und Westeuropa angesiedelten Sinti und den eher in Osteuropa lebenden Roma entwickelt haben. Eine gemeinsame Religion haben Sinti und Roma dagegen nicht, meist teilen sie die Mehrheitsreligion ihrer jeweiligen Heimatländer. Und wenn man Zoni Weisz fragt, was ihm persönlich Religion bedeutet, muss er erst einmal nachdenken:
"Eine schwere Frage zu beantworten: Ich hab immer gesagt, meine Religion liegt in Auschwitz und ist nicht mehr rausgekommen. Wie in Gottes Namen war das möglich! Wo war er damals? Das ist … Aber ich glaube immer noch, doch. Ich gehe nicht zur Kirche, meine Kinder gehen auch nicht zur Kirche, aber so ganz tief und von innen, ja, ist immer noch ein bisschen Glaube, ja, ja, ja."
"Ich bin noch aufgewachsen in einem kleinen Wohnwagen: Wo mein Vater ein Engagement hatte, um zu spielen mit dem Familienorchester, da sind wir hingefahren. Später hat mein Vater gesagt: 'Wir müssen in ein Haus wohnen, das ist für die Sicherheit.' Und dann haben wir ein Geschäftshaus gemietet ins Zutphen, und da hat mein Vater seinen Handel betrieben, Instrumente gebaut und repariert, und wir waren eine richtig sehr angesehene, aber noch wichtiger, glückliche Familie."
Der Tag, an dem dieses Glück zu Ende ging, war der 16. Mai 1944. An diesem Tag wurden bei einer Razzia fast alle Sinti und Roma in den Niederlanden verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Von dort ging es drei Tage später mit einem sogenannten "Zigeunertransport" nach Auschwitz. Der damals siebenjährige Zoni und seine Tante hatten Glück im Unglück: Sie wurden erst später verhaftet und sollten den Zug an einem anderen Bahnhof besteigen. Auf dem Bahnsteig wurden sie von Sicherheitskräften bewacht, darunter auch ein holländischer Polizist, der wahrscheinlich Mitglied des Widerstands war. Er hatte den Gefangenen bereits vorher zugeflüstert, dass sie auf sein Zeichen fliehen sollten. Während die Viehwaggons des Deportationszuges auf dem einen Gleis standen, wartete auf dem anderen ein normaler Personenzug. Plötzlich gab der Polizist das vereinbarte Zeichen.
"Der Mann nahm seinen Hut ab, wir sind losgerennt und der Personenzug hat angefangen zu fahren, da sind wir reingesprungen, und dann hab ich gesehen, dass der Zug nach Auschwitz weggefahren ist, und mein Vater hat meine Tante zugeschriet: Pass gut auf meine Junge auf, und das war das Letzte, was ich von meiner Mutter, Vater, Schwestern und Bruder sah."
Sie alle wurden ermordet - aus dem gleichen Grund, aus dem auch die Juden ermordet wurden: Sie galten als "Untermenschen". Auch sonst, betont Zoni Weisz, gibt es in der Geschichte zwischen Sinti und Roma und Juden viele Parallelen: die Abgrenzung von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft und die Diskriminierung durch diese. Doch während der Holocaust an den Juden in der Nachkriegszeit immer mehr ins öffentliche Bewusstsein geriet, wird an den Völkermord an Sinti und Roma nach wie vor kaum erinnert.
"Ich nenn das immer einen vergessenen Holocaust, weil die Medien nicht darüber schreiben oder sprechen. Ich versteh das nicht, warum das so ist, vielleicht auch, weil Sinti - und Roma auch - nicht gern darüber sprechen. In unserer Kultur spricht man mit Außenstehenden da nicht so schnell darüber, und wir waren nach dem Krieg nicht organisiert. Das hat gedauert bis in die 70er Jahre, bevor Selbsthilfeorganisationen entstanden und wir gehört wurden."
In den 70er Jahren ist Zoni Weisz bereits ein angesehener Florist in Holland. Nach dem Krieg, den er bei seiner Tante und später bei seinen Großeltern überlebt, beginnt er bei einem Blumenhändler zu arbeiten und wird schließlich Blumenlieferant der Königsfamilie. Sein Schlüssel zum Erfolg lautet Bildung: Weisz hat verschiedene Abendschulen besucht und spricht mehrere Sprachen. Keine Frage: Der inzwischen 73-jährige Sinto ist fest in die holländische Gesellschaft integriert.
"Ich bin mit einer holländischen Frau verheiratet, blonde Haare, blaue Augen, und meine Kinder, die sind Holländer, aber die fühlen immer noch, dass sie auch Sinti sind, selbstverständlich: Vater ist Sinto, so die sind Sinti, aber die sind studiert, die sind zur Akademie gegangen, die sind ein bisschen anders als das Stereotyp von den Zigeunern, wie man das nennt."
Stereotypen, die nach wie vor sehr lebendig sind. Vor allem in Rumänien, Bulgarien und Ungarn, erzählt Zoni Weisz voller Sorge, würden Sinti und Roma immer wieder diskriminiert und angegriffen. Weisz selbst muss vor solchen Übergriffen wohl kaum Angst haben, er entspricht mit seinem Auftreten in Anzug und Krawatte nicht dem Klischee des musizierenden oder bettelnden Zigeuners, das heute noch in vielen Köpfen präsent ist - und doch lässt er an seiner Solidarität mit den Sinti und Roma auch aus Osteuropa keinen Zweifel.
"Man ist, was man ist und man bleibt, was man ist, und ich bin Sinto und bleib bis zum letzten Augenblick Sinto, und selbstverständlich die Sprache ist sehr, sehr wichtig für uns alle, sehr wichtig. Wenn ich im Ausland bin und ich seh Sinti und ich sag: 'Latschu dives', dann guckt man und sagt: 'Ach tunina sinto, ajo', 'me am sinto', und das ist alles, dann sind wir, wie wir sind, wir sind zusammen und das ist wichtig und das bleibt immer."
Romanes, die gemeinsame Sprache eint Sinti und Roma, auch wenn sich über die Jahrhunderte gewisse sprachliche Unterschiede zwischen den eher in Mittel- und Westeuropa angesiedelten Sinti und den eher in Osteuropa lebenden Roma entwickelt haben. Eine gemeinsame Religion haben Sinti und Roma dagegen nicht, meist teilen sie die Mehrheitsreligion ihrer jeweiligen Heimatländer. Und wenn man Zoni Weisz fragt, was ihm persönlich Religion bedeutet, muss er erst einmal nachdenken:
"Eine schwere Frage zu beantworten: Ich hab immer gesagt, meine Religion liegt in Auschwitz und ist nicht mehr rausgekommen. Wie in Gottes Namen war das möglich! Wo war er damals? Das ist … Aber ich glaube immer noch, doch. Ich gehe nicht zur Kirche, meine Kinder gehen auch nicht zur Kirche, aber so ganz tief und von innen, ja, ist immer noch ein bisschen Glaube, ja, ja, ja."