Immigration

Korea in Krefeld

Von Martin Hyun · 16.12.2013
Vor 50 Jahren schloss die Bundesrepublik ein Anwerbeabkommen mit Südkorea. In der Folge kamen Krankenschwestern und Bergarbeiter nach Deutschland - und viele sind geblieben.
Mein Vater kam als Bergarbeiter nach Oberhausen. Die ersten drei Jahre arbeitete er untertage in der Zeche Osterfeld. Als sein befristeter Vertrag auslief, gab es für ihn und seine koreanischen Kumpel nur zwei Optionen, wollten sie in Deutschland bleiben und ihren Traum von einem besseren Leben nicht beerdigen: Entweder sie überzeugten eine koreanische Krankenschwester von ihrer Liebe oder eine deutsche Frau von der Ehe.
Letzteres erschien zu progressiv, zu experimentell. Und es würde dauern. Für Experimente gab es keine Zeit. Also besuchten die Bergmänner ihre Landsfrauen in den Schwesternwohnheimen und gaben sich beim Wachpersonal als Familienmitglieder aus. Oder sie luden die begehrten Krankenschwestern zu Wochenendreisen mit einem gemieteten Ferienbus ein.
Spartanische Erziehung
Mein Vater lernte meine Mutter im Jahr 1971 kennen. Sie wollte nur Geld verdienen, um ihre Familie in Korea zu unterstützen. Für Liebe gab es keinen Platz. Doch mein Vater blieb hartnäckig. Später stellte ich fest, dass fast alle unsere koreanischen Bekannten drei Kinder in die Welt gesetzt hatten und alle im Drei-Jahres-Abstand.
Das Elternhaus im nordrhein-westfälischen Krefeld ist bis heute Korea geblieben. Die Erziehung war spartanisch, militärisch. Wie die meisten seiner Bekannten hat mein Vater den Korea-Krieg miterlebt, die Kolonialzeit der Japaner, die Teilung des Landes, Diktaturen und Armut. Bis heute kauft er immer genügend Reissäcke auf Vorrat.
Die koreanische Erziehung bestand darin, bildungshungrige Musterbeispiele gelungener Integration zu produzieren. Wegen der Selbstdisziplin spielten meine Schwestern und ich Klavier und Violine. Um des Fleißes willen wurden Lehrbücher für das kommende Schuljahr stets im Voraus gekauft, weil wir sie in den Ferien durcharbeiten sollten.
Zum Eishockeyspieler umfunktioniert
Zur Abhärtung und zur Förderung meiner Konzentrationsfähigkeit duschte ich morgens kalt. Eigentlich wollte mich mein Vater zum Taekwondo-Meister ausbilden. Doch ich warf schnell das Handtuch und wurde zum Eishockeyspieler umfunktioniert, fand mich somit in einer anderen Kampfsportart wieder.
Mein Vater war auch einer der ersten, der eine Karaoke-Maschine nach Deutschland brachte, sehr zum Leidwesen der Nachbarn, die er fortan mit melancholischem Gesang beglückte, wenn ihn das Heimweh packte. Jeden Sonntag besuchten wir eine koreanische Kirchengemeinde in Düsseldorf, die mehr soziale Begegnungsstätte und Partnervermittlung war als ein Ort des Glaubens.
Bis heute haben meine Eltern vor allem koreanische Freunde. Und die haben die schlechte Angewohnheit, stets unangekündigt zu Besuch zu kommen. Aber immer stehen Köstlichkeiten für sie bereit und es wird eine Reisschale mit Kimchi serviert. Dazu decken sich meine Eltern im Herbst mit Chinakohl ein. Kofferraum und Hintersitze des Autos bis oben hin voll beladen, kehren sie von einem der koreanischen Gemüsehändler zurück. Die besten Angebote verrät ihnen, wie sollte es anders sein, die koreanische Wochenzeitung.
Koreanischer Unabhängigkeitstag in Castrop-Rauxel
Viele Gastarbeiter von einst sind mittlerweile Deutsche geworden. Was sie nicht daran hindert, alljährlich im August den koreanischen Unabhängigkeitstag zu feiern - und zwar gemeinsam in Castrop-Rauxel, und gemeinsam schwören sie den Eid auf die koreanische Flagge, eben aus guter alter Tradition.
Um Korea zu erleben, muss also niemand mehr die Bundesrepublik verlassen. Meine Eltern und ihre Freunde aus der ersten Einwanderergeneration leben in ihrer koreanischen Welt mitten in Europa. Das Land der Morgenstille ist so fern und doch so nah - und nicht nur, weil es noch immer so geteilt ist, wie es Deutschland einmal war.
Martin Hyun wurde 1979 in der rheinischen Samt- und Seidenstadt Krefeld geboren. Er ist Sohn koreanischer Gastarbeiter und studierte Politik sowie International Relations in den USA und Belgien.
Er war der erste koreanischstämmige Bundesliga-Profi in der Deutschen Eishockey Liga sowie Junioren-Nationalspieler Deutschlands.
Seit 1993 ist er glücklicher deutscher Staatsbürger und lebt in Berlin.